Leitsatz (amtlich)
Der außerordentliche Ertrag aus der Auflösung einer Rückstellung für eine Rentenverpflichtung, die durch den Tod des Verpflichteten, des Teilhabers einer freiberuflichen Praxis, erloschen ist, gehört zum laufenden Gewinn und nicht zum steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn aus der notwendig gewordenen Veräußerung des Praxisanteils des Verstorbenen durch dessen Witwe, auch wenn das Erlöschen der Rentenverpflichtung einerseits und die Veräußerung des Praxisanteils andererseits in einem nahen zeitlichen Zusammenhang stehen.
Normenkette
EStG §§ 4-5, 16
Tatbestand
Streitig ist, ob der außerordentliche Ertrag aus der Auflösung einer Rückstellung für eine Rentenverpflichtung, die durch den Tod des Verpflichteten, des Teilhabers einer freiberuflichen Praxis, erloschen ist, zum laufenden Gewinn oder zum steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn (§§ 18 Abs. 3, 34 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) aus der Veräußerung des Praxisanteils des Verstorbenen gehört.
Die Klägerin und die Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Alleinerbin ihres am 5. Mai 1969 verstorbenen Ehemannes, des Versicherungsmathematikers G. G übte den Beruf des Versicherungsmathematikers in einer freiberuflichen Praxis aus. In den Jahren 1955 und 1956 hatte er sich zur Zahlung einer monatlichen Rente an den Versicherungssachverständigen D verpflichtet, weil dieser für die freiberufliche Praxis besondere Dienste geleistet hatte. Nach dem Tode D's sollte die Rente in verminderter Höhe an dessen Witwe weitergezahlt werden. Das Rentenrecht sollte mit dem Tod des Rentenverpflichteten G erlöschen. In den Folgejahren bildete G in seinen Steuerbilanzen für die Rentenverpflichtung Rücksstellungen nach versicherungsmathematischen Grundsätzen.
Mit Wirkung vom 1. Januar 1962 trat der Dipl.-Versicherungsmathematiker S als Sozius in die Praxis des G ein. Dabei waren sich die Vertragsparteien darüber einig - ohne dies schriftlich zu fixieren -, daß S die Praxis nach dem Ableben G's allein fortführen sollte. Beim Tode G's betrug die Rückstellung für die nur ihn, nicht seinen Sozius belastende Rentenverpflichtung zugunsten der Witwe des inzwischen verstorbenen D 67 469 DM, während das Kapitalkonto G's einen Minusbetrag von 15 866 DM auswies.
Bald nach G's Tod wurde die Praxisgemeinschaft durch eine schriftliche Vereinbarung mit dessen Rechtsnachfolgerin, der Klägerin, beendet. Als Auseinandersetzungszeitpunkt wurde der 31. Mai 1969 gewählt und für das Rumpfwirtschaftsjahr vom 1. Januar 1969 bis 31. Mai 1969 eine Schlußbilanz erstellt. Nach der Auseinandersetzung führte der bisherige Teilhaber S die Praxis als Einzelunternehmen fort. In der schriftlichen Vereinbarung wurde "der wirkliche Wert des Anteils am Betriebsvermögen von G, welchen Frau G an Herrn S überträgt, mit 70 000 DM festgelegt und vereinbart". Dabei gingen die Vertragsparteien davon aus, daß G's negatives Kapitalkonto von 15 866 DM erst im Zuge der Auseinandersetzung um die aufzulösende Rückstellung "Rentenverpflichtung D" von 67 469 DM zu erhöhen war, so daß sich für die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ein positives Kapitalkonto von 51 603 DM ergab. Nach Hinzurechnung der anteiligen stillen Reserven im Anlagevermögen und nach Abrechnung des höheren Teilwertes der von S zu übernehmenden Verpflichtung aus anderen Altersversorgungen ergab sich der Wert des ererbten Anteils am Betriebsvermögen von 70 000 DM.
In der Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns für das Rumpfwirtschaftsjahr vom 1. Januar 1969 bis 31. Mai 1969 wurde ein Gesamtgewinn von ... DM erklärt, der zu ... DM auf den Teilhaber S und zu ... DM auf den verstorbenen Teilhaber G bzw. die Klägerin als dessen Erbin entfiel; dabei wurde der Veräußerungsgewinn der Klägerin mit 85 866 DM und der laufende Gewinn mit ... DM berechnet. Im Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für das Rumpfwirtschaftsjahr stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) einen Gesamtgewinn von ... DM fest, den er entsprechend der Erklärung mit ... DM dem Teilhaber S und abweichend von der Erklärung mit ... DM der Klägerin zurechnete, wobei er den laufenden Gewinn auf ... DM und den Veräußerungsgewinn auf 18 397 DM feststellte. Das FA erhöhte also den laufenden Gewinn um die Rückstellung für die Rentenverpflichtung Witwe D von 67 469 DM und kürzte den erklärten Veräußerungsgewinn von 85 866 DM entsprechend.
Mit der Klage begehrte die Klägerin, den außerordentlichen Ertrag aus der Auflösung der "Rückstellung der Rentenverpflichtung D" dem Veräußerungsgewinn zuzurechnen. Die Klage hatte keinen Erfolg; auch das Finanzgericht (FG) vertrat in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 283 veröffentlichten Entscheidung den Standpunkt, daß der außerordentliche Ertrag aus der Auflösung der Rückstellung in Höhe von 67 469 DM zum laufenden Gewinn der freiberuflichen Praxis gehöre. Zur Begründung führte das FG aus, die Rückstellung für die Rentenverpflichtung gegenüber der Witwe des D sei in der Schlußbilanz zum 31. Mai 1969 nicht mehr anzusetzen, da sie bereits am 5. Mai 1969 erloschen sei.
Gegen das klageabweisende Urteil legte die Klägerin Revision ein, mit der sie ihren Klageantrag wiederholte.
Die Klägerin trägt vor, der Grund für den Wegfall der Pensionsverpflichtung und für die Auflösung der Sozietät beruhe auf demselben Ereignis, nämlich dem Tode ihres Ehemannes G. In der Pensionsvereinbarung mit D sei festgelegt, daß diese Verpflichtung mit dem Tode des Verpflichteten erlösche, nicht aber mit der Aufgabe seines Berufes aus anderen Gründen. Die Auflösung der Sozietät sei ebenfalls aufgrund des Todes ihres Ehemannes erforderlich gewesen, weil sie, die Klägerin, als Ehefrau wegen fehlender beruflicher Voraussetzungen nicht in der Lage gewesen sei, diese Sozietät mit dem Teilhaber S fortzusetzen. Die Meinung des FG, der Gewinn aus der Auflösung der Pensionsrückstellung sei im Zeitpunkt der Erstellung der Schlußbilanz zum 31. Mai 1969 bereits realisiert gewesen, da der Grund für die Auflösung der Pensionsrückstellung der Veräußerung des Praxisanteils durch die Klägerin logisch und zeitlich vorausgehe, sei nicht richtig. Im Gesetz seien keine Abgrenzungsmerkmale zwischen laufendem Gewinn und Veräußerungsgewinn für den hier zu entscheidenden Fall enthalten. Dies zeige auch die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Ermittlung des begünstigten Veräußerungsgewinns in den Fällen der Auflösung von steuerfreien Rücklagen verschiedener Art (vgl. Urteile vom 25. Juni 1975 I R 201/73, BFHE 116, 532, BStBl II 1975, 848; vom 4. Juni 1973 IV R 133/71, BFHE 110, 330, BStBl II 1974, 27, und vom 12. Juli 1973 IV R 183/70, BFHE 110, 257, BStBl II 1974, 3).
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Nach seiner Meinung trifft es zwar zu, daß dasselbe Ereignis, nämlich der Tod G's, sowohl zum Wegfall der Rentenverpflichtung als auch zur späteren Auflösung der Praxisgemeinschaft geführt habe. Das allein reiche jedoch nicht aus, um den bei der Auflösung der Rückstellung entstehenden Buchgewinn als Veräußerungsgewinn i. S. des § 18 Abs. 3 EStG anzusehen. Es müßte vielmehr ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Auflösung der Rückstellung und der Übertragung des Praxisanteils bestehen. An diesem Zusammenhang fehle es aber im Streitfall.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der außerordentliche Ertrag aufgrund der Auflösung der Rückstellung für die "Rentenverpflichtung D", die durch den Tod G's am 5. Mai 1969 erloschen ist, ist Teil des laufenden Gewinns der freiberuflichen Sozietät im Rumpfwirtschaftsjahr 1969.
Nach § 18 Abs. 3 EStG 1969 gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch der Gewinn, der bei Veräußerung des Vermögens oder eines selbständigen Teils des Vermögens oder eines Anteils am Vermögen erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient. § 16 Abs. 1 Nr. 1 letzter Halbsatz und Abs. 2 bis 5 EStG gelten entsprechend. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG ist Veräußerungsgewinn der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Betriebsvermögens oder den Wert des Anteils am Betriebsvermögen übersteigt. Der Wert des Betriebsvermögens oder des Anteils ist für den Zeitpunkt der Veräußerung nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG zu ermitteln (§ 16 Abs. 2 Satz 2 EStG). Dieser Veräußerungsgewinn ist gemäß § 34 Abs. 1 und 2 EStG tarifbegünstigt.
Einkommensteuerrechtlich handelt es sich auch bei der Übertragung des Praxisanteils G's an S, die durch G's Tod und die dadurch bedingte Auflösung der Praxisgemeinschaft notwendig wurde, um eine Anteilsveräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 EStG. Es kommt demnach entscheidend darauf an, ob bei der Ermittlung des Wertes des der freiberuflichen Praxis dienenden Vermögens bzw. des Wertes des Anteils an diesem Vermögen i. S. des § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG in der Schlußbilanz zum 31. Mai 1969 nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 EStG die Rückstellung, "Rentenverpflichtung D", noch anzusetzen war; dabei ist zu beachten, daß die Wertermittlung in der Schlußbilanz nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG einerseits der Berechnung des Veräußerungsgewinns nach § 18 Abs. 3 EStG und andererseits der Berechnung des laufenden Gewinns für die Zeit vom 1. Januar 1969 bis 31. Mai 1969 dient.
War der Passivposten, Rückstellung "Rentenverpflichtung D", in der Schlußbilanz zum 31. Mai 1969 nach § 16 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 EStG noch anzusetzen, weil ihre gewinnerhöhende Auflösung erst infolge der Veräußerung des Praxisanteils G's an den bisherigen Teilhaber S notwendig wurde, die Auflösung also in der Veräußerung des Anteils ihre Ursache hatte, dann wäre der durch die Auflösung entstandene außerordentliche Ertrag Teil des steuerbegünstigten Veräußerungsgewinns i. S. der §§ 18 Abs. 3, 34 Abs. 2 EStG.
War hingegen die Rückstellung in der Schlußbilanz zum 31. Mai 1969 nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht mehr anzusetzen, weil am Bilanzstichtag zum 31. Mai 1969, der dem Zeitpunkt der Anteilsveräußerung entspricht, die Rentenverpflichtung gegenüber der Witwe des D schon ersatzlos weggefallen und deshalb die Rückstellung auch schon vorher aufzulösen war, dann stellt der durch die Auflösung entstandene außerordentliche Ertrag einen Teil des laufenden Gewinns des Rumpfwirtschaftsjahres dar.
Im Streitfall steht fest, daß die Rentenverpflichtung gegenüber D's Witwe gemäß der Vereinbarung mit G's Tod am 5. Mai 1969 ersatzlos erloschen ist. Dieses Erlöschen steht in keinem rechtlichen oder ursächlichen, sondern lediglich in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Praxisgemeinschaft durch die Veräußerung des Praxisanteils G's durch dessen Erbin, die Klägerin. Das Erlöschen der Rentenverpflichtung und die Veräußerung des Anteils beruhten jeweils auf voneinander unabhängigen Vereinbarungen mit verschiedenen Personen. Das zeitliche Zusammentreffen kam nur dadurch zustande, daß Erlöschen der Rentenverpflichtung und Anteilsveräußerung durch dasselbe Ereignis, nämlich den Tod G's, verknüpft sind, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Auf der einen Seite war die Anteilsveräußerung zwar durch den Tod von G aus berufsbedingten Gründen notwendig geworden, sie war aber - im Gegensatz zum Erlöschen der Rentenverpflichtung - durch den Todestag G's weder rechtlich noch zeitlich genau fixiert, sie hätte ebenso erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen können. Bezeichnend ist, daß die "Vereinbarung betreffs Auflösung der Sozietät" zwischen der Klägerin und S, die die Einzelheiten der Auseinandersetzung über die Erstellung der Schlußbilanz zum 31. Mai 1969 und über die Höhe und Zahlung der Abfindung enthält, erst viel später unterzeichnet wurde.
Auf der anderen Seite war das Erlöschen der Rentenverpflichtung und die dadurch bedingte Auflösung der Rückstellung durch den Tod G's unmittelbar ausgelöst worden, unabhängig davon, ob und wann es zur Übertragung des Praxisanteils G's an S kommen würde. Sie hatte mit ihr im Grunde nichts zu tun.
Es fehlt daher zwischen der Veräußerung des Praxisanteils und der Auflösung der Rückstellung durch das ersatzlose Erlöschen der Rentenverpflichtung jede Kausalität, die dazu nötigen würde, die Rückstellung zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns noch in der Schlußbilanz zum 31. Mai 1969 anzusetzen. Die "Rentenverpflichtung D" in Höhe von 67 469 DM war daher schon am 5. Mai 1969 zugunsten des Kapitalkontos G's aufzulösen, so daß als Kapitalkonto der Klägerin als der Rechtsnachfolgerin G's zum 31. Mai 1969 nicht ./. 15 866,51 DM auszuweisen waren, sondern +51 603 DM. Der nach §§ 18 Abs. 3, 34 Abs. 2 EStG begünstigte Veräußerungsgewinn der Klägerin beträgt daher nur 18 397 DM (70 000 DM ./. 51 603 DM).
Das FG hat daher die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 73403 |
BStBl II 1980, 150 |
BFHE 1980, 265 |