Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Erkennbarkeit mit bloßem Auge
Leitsatz (NV)
Bei der Auslegung des Ausdrucks ,,mit bloßem Auge erkennbar" i. S. der Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT kommt es auf die Wahrnehmungsfähigkeit eines Betrachters ohne spezielle Sachkunde an.
Normenkette
GZT Vorschrift 2 A a zu Kap. 59; Vorschrift 1 b zu Kap. 60; Tarifnrn. 59.08 und 60.01
Tatbestand
Die Klägerin beantragte am 18. Dezember 1985 bei der Beklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) die Erteilung verbindlicher Zolltarifauskünfte (vZTA) für vier verschiedene Waren, die sie in den Anträgen jeweils als ,,Einlagestoff für Oberbekleidung, einseitig beschichtet" bezeichnete und deren Artikelnummern sie mit R 581 G 55, R 551 F 55, R 401 G 51 und R 611 F 55 angab. Bei den Waren handelt es sich um weißes Kettengewirke aus synthetischen Spinnfäden (Polyester oder Polyamid), in die weiße oder weiße und beige Schußfäden aus künstlichen Spinnfasern (Viskose) eingewirkt sind. Die Gewirke sind einseitig mit Kunststoff punktbeschichtet (bedruckt). Die Gewirke sind weder gummielastisch noch kautschutiert und bestehen laut den Antragsangaben zu 71 bis 85% aus künstlichen und im übrigen aus synthetischen Spinnfasern.
Die OFD erteilte der Klägerin am 24. und 28. Januar 1986 vier vZTA und stellte darin fest, daß alle vier Waren zur Tarifst. 60.01 B II b des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) gehören. Die Einsprüche der Klägerin, mit der sie die Behandlung der Waren als Gewebe begehrte, wies die OFD mit den vier Einspruchsentscheidungen vom 10. und 11. September 1986 zurück. Die OFD begründete ihre Tarifierung wie folgt: Die Waren seien Gewirke, die zur Tarifnr. 60.01 GZT gehörten. Innerhalb dieser Tarifnummer seien Gewirke aus gewichtsmäßig vorherrschend künstlichen Spinnstoffen (vgl. Zusätzliche Vorschrift Absatz 1 zu Abschnitt XI GZT) der Tarifst. B II b GZT zuzuweisen. Eine Zuweisung der Ware zur Tarifnr. 59.08 GZT scheide aus, weil das Bestreichen des Gewebes mit Kunststoff mit dem bloßen Auge nicht wahrnehmbar sei (Vorschrift 2 A a zu Kapitel 59 GZT). Als Gewebe im Sinne des Kapitels 59 GZT gälten auch Gewirke der Tarifnr. 60.01 GZT (vgl. Vorschrift 1 A zu Kapitel 59 GZT). Nach dem Punktverfahren beschichtete Gewebe würden aufgrund ihres Herstellungsvorganges als bedruckte Gewebe (Gewirke) behandelt. Gewirke als Meterware gehörten auch dann zur Tarifnr. 60.01 GZT, wenn sie bedruckt seien (Erläuterungen zum Zolltarif - ErlZT -, Tarifnr. 60.01 Teil I Rdnr. 4).
Mit vier Schriftsätzen vom 17. Oktober 1986 erhob die Klägerin Klagen mit den Anträgen, die vier vZTA in Form der Einspruchsentscheidungen aufzuheben und die Waren der Tarifnr. 59.08 GZT zuzuordnen. Zur Begründung führt die Klägerin aus:
Zur Tarifnr. 60.01 GZT gehörten nicht die Waren des Kapitels 59. Zur Tarifnr. 59.08 GZT gehörten Gewebe mit Zellulosederivaten oder anderen Kunststoffen getränkt, bestrichen oder überzogen oder mit Lagen aus diesen Stoffen versehen, ohne Rücksicht auf das Quadratmetergewicht und die Beschaffenheit des Kunststoffes. Hierzu gehörten nach der Vorschrift 2 A a zu Kapitel 59 GZT nicht Gewebe, bei denen das Tränken, Bestreichen oder Überziehen mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar sei. Die entsprechende Wahrnehmbarkeit sei hier gegeben (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 30. September 1982 Rs. 317/81, EuGHE 1982, 3257, und Urteil des Senats vom 26. Juli 1983 VII K 6/77, BFHE 139, 102). Die Ober- und Unterseite der Einlagestoffe seien offensichtlich verschieden. Die Stoffe hätten augenscheinlich auf einer Seite weiße Beschichtungspunkte, die auf der anderen Seite nicht aufgebracht seien. Auch wenn man unterstelle, daß man auf der einen Seite nur einen gewissen Glanz erkenne, sei das Tränken usw. mit bloßem Auge wahrnehmbar, da dieser Glanz technisch allein durch das Tränken usw. zu erreichen sei. Dafür trat die Klägerin Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens an.
Die OFD beantragt, die Klagen als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klagen sind nicht begründet.
Wie zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig ist, sind die zu tarifierenden Waren Gewirke, die grundsätzlich von der Tarifnr. 60.01 GZT erfaßt werden. Nach der Vorschrift 1 b zu Kapitel 60 GZT sind von diesem Kapitel jedoch ausgenommen Gewirke des Kapitels 59 GZT. Die Tarifnr. 59.08 GZT gilt nach ihrem Wortlaut für ,,Gewebe, mit Zellulosederivaten oder anderen Kunststoffen getränkt, bestrichen oder überzogen oder mit Lagen aus diesen Stoffen versehen". Als Gewebe in diesem Sinn gelten nach der Vorschrift 1 A zu Kapitel 59 GZT auch Gewirke der Tarifnr. 60.01 GZT. Die zu tarifierenden Waren sind also von der Tarifnr. 60.01 GZT ausgenommene ,,Gewirke des Kapitels 59", wenn sie entsprechend der Tarifnr. 59.08 GZT getränkt usw. sind. Nach der Vorschrift 2 A a zu Kapitel 59 GZT gehören allerdings Gewebe (Gewirke) nicht zu Tarifnr. 59.08 GZT, ,,bei denen das Tränken, Bestreichen oder Überziehen mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar ist . . . . ; dabei bleiben Veränderungen der Farbe, die hierdurch hervorgehoben sind, außer Betracht". Die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen die zu tarifierenden Waren. Sie bleiben also in der Tarifnr. 60.01 GZT.
Die zu tarifierenden Waren sind, wie nicht streitig ist, mit Kunststoffen ,,punktbeschichtet". Es ist zweifelhaft, ob eine solche Punktbeschichtung die Begriffe Tränken, Bestreichen oder Überziehen i. S. der Tarifnr. 59.08 GZT erfüllt (vgl. aber ErlZT zur Tarifnr. 59.08 Teil I Rdnr. 10). Der Senat braucht diese Frage jedoch nicht abschließend zu entscheiden, da die Zuweisung zur Tarifnr. 59.08 GZT bereits nach der Vorschrift 2 A a zu Kapitel 59 GZT ausscheidet.
Die beiden Seiten der Warenproben, die den vier angefochtenen vZTA zugrundeliegen, weisen, wie die Augenscheineinnahme durch rein visuelle Überprüfung in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, sichtbare Unterschiede auf. Auf der einen Seite ist ein - nur bei genauem Hinsehen erkennbarer - leichter ungleichmäßig reflektierender Glanz erkennbar. Der Augenschein läßt aber nach Überzeugung des Senats nicht erkennen, daß dieser Glanz auf einem Tränken, Bestreichen oder Überziehen beruht.
Die Klägerin behauptet, der auf der einen Seite der zu tarifierenden Waren erkennbare Glanz könne nur durch ein Tränken usw. verursacht worden sein; sie hat dafür Beweis durch einen Sachverständigen angeboten. Der Senat brauchte diesen Beweis nicht zu erheben. Er konnte die Behauptung der Klägerin als wahr unterstellen, da es nach der Vorschrift 2 A a zu Kapitel 59 GZT in der Auslegung durch den EuGH darauf nicht ankommen kann. Das EuGH-Urteil in EuGHE 1982, 3257 ist, wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 139, 102, 103 entschieden hat, dahin zu verstehen, daß es bei der Anwendung der Vorschrift 2 A a auf die Wahrnehmungsfähigkeit der mit der Tarifierung befaßten Personen ankommt und daß Sachverständige zur Entscheidung dieser Frage nicht heranzuziehen sind. In Übereinstimmung mit dieser Beurteilung hat, wie der Senat im zitierten Urteil weiter ausgeführt hat, der EuGH in Absatz 12 der Entscheidungsgründe (EuGHE 1982, 3257, 3264) bei der Auslegung des Ausdrucks ,,mit bloßem Auge erkennbar" ausgeführt, dieses Kriterium für die Tarifierung diene im wesentlichen dem Anliegen, eine rasche Überprüfung bei der Verzollung zu ermöglichen; das schließe aber die Heranziehung von Sachverständigen aus. Der Senat konnte daher bei der Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen der Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT erfüllt sind, von der Wahrnehmungsfähigkeit eines Betrachters ohne spezielle Sachkunde auf dem Gebiet des Tränkens usw. von Textilien ausgehen. Da nach Auffassung des Senats bei Anlegung dieses Maßstabes ein Tränken usw. der zu tarifierenden Waren mit bloßem Auge überhaupt nicht wahrnehmbar ist, konnte er die zwischen den Beteiligten streitige Frage unentschieden lassen, ob die Vorschrift 2 A a zu Kapitel 59 GZT voraussetzt, daß auch die Art des zur Tränkung usw. verwendeten Materials mit bloßem Auge wahrnehmbar ist.
Die Richtigkeit der Auffassung des Senats wird durch das zitierte EuGH-Urteil und durch die Senatsurteile in BFHE 139, 102 und vom 14. Dezember 1982 VII K 11/82 (BFHE 138, 117) bestätigt. Danach führen schon Zweifel daran, ob sichtbare Anzeichen an der Ware auf ein Tränken usw. zurückzuführen sind, zum Ausschluß der Tarifnr. 59.08 GZT (vgl. EuGHE 1982, 3257, 3265, insbesondere Absatz 20 der Urteilsgründe). Der Senat hat daher im Urteil in BFHE 138, 117, 120 in einem vergleichbaren Fall entschieden, aus dem Glanz der einen Seite eines Gewebes allein könne nicht die Folgerung gezogen werden, die Tränkung usw. der Ware sei i. S. der Vorschrift 2 A a zu Kap. 59 GZT mit bloßem Auge wahrnehmbar.
Fundstellen
Haufe-Index 415517 |
BFH/NV 1988, 609 |