Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses
Leitsatz (NV)
Für einen Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses sind Angaben des Steuerpflichtigen notwendig, aber auch ausreichend, die seinen Willen auf Durchführung des entsprechenden Verfahrens gegenüber dem FA in der Weise erkennbar machen, daß dem FA die Einleitung des Verfahrens ermöglicht ist.
Normenkette
EStG § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 8, S. 2; EStDV § 60
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Der Kläger war bis 1975 selbständig tätig. Diese Beschäftigung endete mit der Eröffnung eines Konkursverfahrens am 17. Februar 1975. Seitdem sind beide Kläger nichtselbständig tätig.
Die Kläger reichten für die Jahre ab 1975 zunächst keine Einkommensteuererklärungen ein. Wegen der Eintragung von Freibeträgen auf ihren Lohnsteuerkarten wurden sie des öfteren beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) vorstellig. Für die Jahre 1975 und 1979 gaben sie im Jahre 1981 Einkommensteuererklärungen ab.
Für das Streitjahr 1978 reichten die Kläger am 18. Oktober 1983 eine Einkommensteuererklärung ein, aus der sich Verluste aus Vermietung und Verpachtung ergaben. Das FA lehnte die Durchführung der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1978 mit Bescheid vom 23. November 1983 ab, weil ein fristgerechter Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht gestellt worden sei. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) verpflichtete aufgrund der Klage der Kläger das FA, für das Kalenderjahr 1978 eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen. Das FG führt aus, die Kläger hätten bis zum Fristablauf am 31. Dezember 1980 - was das FA auch nicht in Frage stelle - mehrfach mündlich beim FA auf Veranlagung zur Einkommensteuer für die auf die Eröffnung des Konkursverfahrens folgenden Jahre - auch für das Jahr 1978 - gedrängt. Zwar enthielten die Akten insoweit keinen spezifisch auf das Jahr 1978 bezogenen schriftlichen Antrag oder Aktenvermerk, doch gehe auch das FA davon aus, daß die von den Klägern im einzelnen geschilderten mündlichen Rücksprachen im FA ihren Willen offenbart hätten, auch für 1978 zur Einkommensteuer - wenn auch in vorläufiger Form - veranlagt zu werden, weil sie ein Interesse daran hatten, die einbehaltene Lohnsteuer ganz oder teilweise zurückerstattet zu erhalten. Auch aus dem Schreiben vom 9. Februar 1980 gehe ein derartiger Wille eindeutig hervor. In diesem Schreiben heiße es wörtlich: ,,Es muß doch möglich sein, vorläufige Veranlagungen durchzuführen, damit zumindest jedes einzelne Jahr für sich abgeschlossen werden kann." Das Schreiben vom 9. Februar 1980 befinde sich zwar nicht bei den FA-Akten, doch hätten die Kläger eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, in der sie versichert hätten, dieses Schreiben sei an das FA abgesandt worden, was das FG angesichts der Interessenlage und der - nicht streitigen - mehrfachen Vorstellungen der Kläger beim FA für glaubhaft ansehe. Eine bestimmte Form für den Antrag auf Veranlagung sei gesetzlich nicht vorgeschrieben. Unter Antrag sei jede Willensäußerung des Steuerpflichtigen gegenüber dem FA zu verstehen, aus der sich unzweideutig ergebe, daß er veranlagt werden wolle. Soweit die Finanzverwaltung in Abschn. 217 Abs. 1 Satz 1 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) einen Antrag nach § 46 EStG nur dann für gegeben halte, wenn er in Form einer Steuererklärung abgegeben werde, finde dies im Gesetz keine Stütze.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt das FA unzutreffende Auslegung des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG. Bei den Klägern lägen unstreitig die materiellen Voraussetzungen für eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG vor. Es sei jedoch kein wirksamer Antrag auf Veranlagung gestellt worden. Die Verwaltungsanweisung in Abschn. 217 Abs. 1 EStR besage, daß der Antrag den Erfordernissen des § 60 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) entsprechen müsse; notwendig sei also eine Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck.
Selbst wenn man mit dem FG annehme, daß unter einem Antrag auf Veranlagung jede Willensäußerung gegenüber dem FA zu verstehen sei, könne im Streitfall nicht davon ausgegangen werden, daß ein derartiger Antrag rechtzeitig gestellt worden sei. Im Falle eines Antrags auf Durchführung einer Veranlagung müsse der Antragsteller zumindest klar äußern, daß er die Durchführung einer Veranlagung begehre und vor allem für welches Kalenderjahr er sie beantrage. Aus dem Akteninhalt sei entgegen den Ausführungen des FG nicht ersichtlich, daß die Kläger mündlich einen Antrag auf Durchführung einer Veranlagung für das Kalenderjahr 1978 gestellt hätten. Denn in diesem Fall wären sie aufgrund der bestehenden Verwaltungsanweisungen aufgefordert worden, eine Steuererklärung für dieses Kalenderjahr einzureichen. Ein entsprechender Antrag sei auch mit dem Schreiben vom 9. Februar 1980 nicht gegeben. Dieses Schreiben läge dem FA nicht vor. Die vom FG als Beweismittel angesehene eidesstattliche Versicherung besage nur, daß die Kläger dieses Schreiben an das FA abgesandt hätten. Den Nachweis, daß das Schreiben das FA tatsächlich erreicht habe, hätten die Kläger nicht erbringen können.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie halten daran fest, daß sie einen wirksamen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer für das Streitjahr gestellt haben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG 1977, das für das Streitjahr maßgebend ist, kann ein Arbeitnehmer, dessen Einkommen 24 000 DM - bei zusammenveranlagten Ehegatten 48 000 DM - jährlich nicht übersteigt, eine Einkommensteuerveranlagung zur Berücksichtigung von Verlusten aus einer anderen Einkunftsart als derjenigen aus nichtselbständiger Arbeit beantragen, falls die Einkünfte, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist, zusammen einen Verlustbetrag ergeben. Der Antrag auf Veranlagung ist bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs zu stellen (§ 46 Abs. 2 Satz 2 EStG).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Kläger haben bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs schriftlich und mündlich beantragt, sie zur Einkommensteuer 1978 zu veranlagen.
2. Die Kläger haben ihre Steuererklärung für das Streitjahr 1978 zwar erst nach Ablauf der Frist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG eingereicht. Dies steht einem wirksamen Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses aber nicht entgegen, weil es nicht erforderlich ist, daß der Antrag nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG in der Form einer Steuererklärung gestellt wird. Der Senat nimmt hierzu Bezug auf die Ausführungen in den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. Juni 1986 IX R 121/83 (BFHE 148, 232, BStBl II 1987, 421) und vom 22. Juli 1986 VIII R 12/85 (BFHE 147, 343, BStBl II 1986, 900). Abschn. 217 Abs. 1 EStR ist inzwischen an die Rechtsprechung des BFH angepaßt worden (Art. 1 Nr. 174 der Einkommensteuer-Änderungsrichtlinien 1987, BStBl I 1987, Sondernummer 3, 112).
3. Für den Mindestinhalt des Antrags nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8, Satz 2 EStG sind Angaben des Steuerpflichtigen notwendig, aber auch ausreichend, die seinen Willen auf Durchführung des entsprechenden Verfahrens gegenüber dem FA in der Weise erkennbar machen, daß dem FA die Einleitung des Verfahrens ermöglicht ist. Der Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses kann auch einer anderen Erklärung oder einem anderen Antrag des Steuerpflichtigen im Wege der Auslegung entnommen werden (Urteile in BFHE 147, 343, BStBl II 1986, 900 und in BFHE 148, 232, BStBl II 1987, 421).
4. Das FG hat festgestellt, daß die Kläger ihr Begehren auf Durchführung einer Veranlagung zur Berücksichtigung von Verlusten für das Streitjahr mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht hätten. Die Kläger hätten bis zum Fristablauf am 31. Dezember 1980 mehrfach mündlich auf die Veranlagung zur Einkommensteuer für das Streitjahr gedrängt. Der Wille zur Veranlagung ergebe sich auch aus dem Schreiben vom 9. Februar 1980, das sich zwar nicht in den Akten des FA befände, dessen Absendung aufgrund der Umstände des Falles aber glaubhaft sei.
An diese Feststellungen des FG ist der Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden, denn das FA hat gegen die Feststellungen des FG keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht. Die Schlußfolgerungen des FG aufgrund seiner Feststellungen lassen keinen Verstoß gegen Denkgesetze erkennen. Soweit das FA in der Revisionsbegründung ausführt, aus dem Akteninhalt sei nicht ersichtlich, daß die Kläger mündlich einen Antrag auf Durchführung einer Veranlagung für das Streitjahr gestellt hätten, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Revisionsinstanz mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen nicht berücksichtigt werden kann. Entsprechendes gilt für die Ausführungen, daß sich aus dem Schreiben vom 9. Februar 1980 kein Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer ergebe.
Fundstellen
Haufe-Index 415519 |
BFH/NV 1988, 297 |