Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anspruch des Zinsgläubigers auf Durchsetzung der Kapitalertragsteuer
Leitsatz (NV)
Der Gläubiger von Kapitalerträgen hat keinen einklagbaren Anspruch darauf, dass das FA gegen den Kapitalertragsschuldner einen Haftungsbescheid erlässt, wenn dieser Kaitalertragsteuer nicht abgeführt hat.
Normenkette
FGO § 40; EStG §§ 43, 44 Abs. 1, 5
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) verpflichtet ist, einen Haftungsbescheid gegenüber einem Dritten zu erlassen.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war persönlich haftender Gesellschafter einer KG, die ein Kreditinstitut betrieb und über deren Vermögen im Jahr 1983 das Konkursverfahren eröffnet wurde. In diesem Zusammenhang wurde dem Kläger u.a. die Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften entzogen. Das Konkursverfahren war bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) nicht abgeschlossen.
Der Konkursverwalter legte u.a. im Streitjahr (2000) liquide Mittel der Konkursmasse bei der A-Bank verzinslich an. Die A-Bank zahlte die Zinsen zunächst ohne Einbehalt von Kapitalertragsteuer an den Konkursverwalter aus, da sie der Ansicht war, dass die KG bis zum Abschluss des Konkursverfahrens und zu ihrer Löschung im Handelsregister weiterhin "Kreditinstitut" i.S. des § 43 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b Satz 4 Doppelbuchst. aa des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei. Die Zinseinnahmen wurden in einem Feststellungsbescheid für die KG erfasst und dem Kläger anteilig zugerechnet. Mit Schreiben vom 23. August 2000 forderte das FA die A-Bank auf, bei zukünftigen Zinszahlungen Kapitalertragsteuer einzubehalten; ob die A-Bank dem nachgekommen ist, hat das FG nicht festgestellt.
Der Kläger beantragte im Jahr 2001 beim FA, gegen die A-Bank einen Haftungsbescheid wegen des unterlassenen Kapitalertragsteuerabzugs zu erlassen. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg; das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1234 abgedruckt.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 44 EStG. Er beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und das FA zu verpflichten, gegen die A-Bank einen Haftungsbescheid über Kapitalertragsteuer in Höhe von 30 617,96 € zu erlassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht angenommen, dass der Kläger durch das von ihm beanstandete Verhalten des FA nicht in eigenen Rechten verletzt sein kann und deshalb nicht klagebefugt ist.
1. Der Kläger erstrebt mit der Klage die Verpflichtung des FA zum Erlass eines Verwaltungsakts. Es geht mithin um eine Verpflichtungsklage i.S. des § 40 Abs. 1 FGO. Eine solche ist gemäß § 40 Abs. 2 FGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch die Unterlassung des begehrten Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt zu sein. Dabei ist "geltend machen" in dem Sinne zu verstehen, dass der Kläger die Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte schlüssig dartun muss; die bloße Behauptung einer solchen Rechtsverletzung reicht nicht aus (von Beckerath in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 40 FGO Rz. 136).
2. Wird ein Steuerpflichtiger rechtswidrig nicht besteuert, so werden dadurch in der Regel nur die Rechte der Steuergläubiger verletzt, die von den Behörden der Finanzverwaltung im Interesse der Allgemeinheit wahrzunehmen sind. Eine Verletzung von Rechten eines am Steuerschuldverhältnis nicht beteiligten Dritten kommt nur in Betracht, wenn die Nichtbesteuerung gegen eine Norm verstößt, die --zumindest u.a.-- dem Schutz des betreffenden Dritten dient (Senatsurteil vom 15. Oktober 1997 I R 10/92, BFHE 184, 212, BStBl II 1998, 63, 66, m.w.N.). Das gilt auch für Verpflichtungsklagen und bedeutet insoweit, dass ein Dritter nur dann eine für § 40 Abs. 2 FGO ausreichende Rechtsverletzung geltend machen kann, wenn die von ihm in Anspruch genommene Norm nach dem Willen des Gesetzgebers seinen Individualinteressen zu dienen bestimmt ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Juli 2004 VII R 24/03, BFH/NV 2004, 1577, m.w.N.). Dafür kann es zwar ausreichen, wenn die Norm dem Dritten ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung gewähren soll (von Beckerath in Beermann, a.a.O., § 40 FGO Rz. 172). Die Anwendung einer Norm, die nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen worden ist, kann ein Dritter jedoch nicht mit einer Verpflichtungsklage durchsetzen; das gilt auch dann, wenn die von ihm angestrebte Handhabung für ihn zu wirtschaftlichen Vorteilen führt (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1982 VII R 45/80, BFHE 136, 449, 451, BStBl II 1983, 51, 52).
3. Nach § 44 Abs. 1 EStG muss der Schuldner von Kapitalerträgen, die gemäß § 43 EStG dem Steuerabzug unterliegen, die Kapitalertragsteuer für Rechnung seines Gläubigers einbehalten (Satz 3) und an das FA abführen (Satz 5). Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, so haftet er für die Kapitalertragsteuer, sofern er nicht nachweislich die ihm auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat (§ 44 Abs. 5 EStG). Auf diese Regelungen beruft sich im Streitfall der Kläger. Sie führen jedoch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu einem subjektiv-öffentlichen Recht des Klägers auf den Erlass eines Haftungsbescheids gegenüber der A-Bank und können deshalb seine Befugnis zur Erhebung einer darauf gerichteten Verpflichtungsklage nicht begründen.
a) Die Vorschriften zum Steuerabzug von Kapitalerträgen dienen nicht dem Schutz des Gläubigers jener Erträge. Sie enthalten vielmehr Regelungen für eine Quellenbesteuerung, die zur Beschleunigung der Steuererhebung beitragen sollen (Senatsurteil vom 28. November 1961 I 40/60 S, BFHE 74, 281, BStBl III 1962, 107), vor allem aber Kontroll- und Sicherungsfunktion im Hinblick auf die Erhebung der Einkommen- und Körperschaftsteuer des Kapitalertragsgläubigers haben (Gersch in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 43 Rdnr. A 3). Durch sie soll verhindert werden, dass steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen dem steuerlichen Zugriff entzogen werden, indem der Gläubiger der Kapitalerträge die Einkünfte z.B. nicht oder unvollständig erklärt (vgl. von Beckerath in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 43 Rz. 1; Lindberg in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 43 EStG Rz. 10). Ihr Sinn und Zweck ist mithin die Gewährleistung einer materiell gesetzmäßigen Besteuerung und die Sicherung des Steueraufkommens, und zwar gerade im Hinblick auf mögliche Pflichtverletzungen der Gläubiger von Kapitalerträgen. Angesichts dieser Zielrichtung handelt es sich nicht um Normen, die den Kapitalertragsgläubiger begünstigen und ihm eine bestimmte Rechtsposition gegenüber dem Schuldner des Kapitalertrags sichern sollen. Das gesamte System des Kapitalertragsteuerabzugs dient vielmehr allein dem Interesse der Allgemeinheit; das gilt auch und vor allem für die hier in Rede stehende Abzugsbesteuerung von Einkünften i.S. des § 43 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Soweit die Anwendung jener Vorschriften im Einzelfall die Rechtsposition des Kapitalertragsgläubigers verbessert, handelt es sich dabei um einen bloßen Reflex der gesetzlichen Regelung, der nicht vom Ziel des Gesetzes umfasst ist und nicht zu einem subjektiven Recht des Kapitalertragsgläubigers führen kann (Senatsurteil in BFHE 184, 212, BStBl II 1998, 63).
b) Vor diesem Hintergrund hat der Kläger keinen Rechtsanspruch darauf, dass auf die ihm zuzurechnenden Kapitalerträge ein Steuerabzug durchgeführt wird. Folglich kann er auch nicht aus eigenem Recht verlangen, dass das FA gegenüber einem pflichtwidrig handelnden Kapitalertragsschuldner einen Haftungsbescheid erlässt oder diese Möglichkeit zumindest in Erwägung zieht. Damit fehlt ihm die Klagebefugnis für eine entsprechende Verpflichtungsklage. Die von ihm gleichwohl erhobene Klage war unzulässig.
4. Das FG durfte über die Klage entscheiden, ohne zuvor die A-GmbH zum Rechtsstreit beigeladen zu haben. In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob ein Dritter zu einem Klageverfahren notwendig beizuladen ist (§ 60 Abs. 3 FGO), in dem der Kläger eine Verpflichtung des FA zum Erlass eines den Dritten belastenden Verwaltungsakts begehrt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 23. Februar 2004 VII R 24/03, BFH/NV 2004, 808). Denn auch eine im Grundsatz notwendige Beiladung darf im Einzelfall unterbleiben, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist (BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 1997 VIII B 28/97, BFH/NV 1998, 1105; vom 19. Oktober 2001 V B 54/01, BFH/NV 2002, 370, m.w.N.). Letzteres ist namentlich dann anzunehmen, wenn --wie im Streitfall-- dem Kläger die Klagebefugnis fehlt (Senatsurteil vom 24. März 1999 I R 114/97, BFHE 188, 315, BStBl II 2000, 399, 400; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 60 Rz. 32, m.w.N.).
5. Im Ergebnis ist die Entscheidung des FG mithin verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und in der Sache zutreffend. Die gegen sie gerichtete Revision ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1345120 |
BFH/NV 2005, 1073 |
HFR 2005, 988 |