Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung von Feststellungsbescheiden zur Zuckerproduktionsabgabe nach der AO

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur entsprechenden Anwendung der AO 1977 auf Bescheide zur Erhebung der Zuckerproduktionsabgabe.

2. Die Änderung von Feststellungsbescheiden zur Zuckerproduktionsabgabe richtet sich nach den Regeln der §§ 172 ff. AO 1977 für die Änderung von Steuerbescheiden, die andere Steuern als Zölle oder Verbrauchsteuern betreffen.

 

Orientierungssatz

Der erleichterten Änderungsmöglichkeit für Bescheide über Zölle und Verbrauchsteuern gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 liegt der Gedanke zugrunde, daß solche Bescheide gleichsam vorbehaltlich späterer Änderungen ergehen, weil sie grundsätzlich Gegenstand von Massenverfahren sind und deswegen im Regelfall nur summarisch und ohne eingehende Prüfung ergehen (vgl. Literatur).

 

Normenkette

MOG § 8 Abs. 2 Fassung: 1972-08-31, § 12 Abs. 1; AO 1977 §§ 130, 172 Abs. 1 Nr. 2, §§ 131, 181 Abs. 1, § 172 Abs. 1 Nr. 1, §§ 173, § 172 ff.

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt eine Zuckerfabrik. Mit Anzeige vom 12.September 1984 teilte sie dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt --HZA--) ihre Zuckererzeugung im Wirtschaftsjahr 1983/84 mit. Nach Überprüfung der gemeldeten Daten durch die Betriebsprüfungsstelle Zoll erließ das HZA am 25.September 1984 einen entsprechenden Feststellungsbescheid über die endgültige Zuckererzeugung im Wirtschaftsjahr 1983/84 sowie am 18.Oktober 1984 einen darauf beruhenden Folgebescheid über die von der Klägerin zu zahlende endgültige Zuckerproduktionsabgabe. Beide Bescheide wurden bestandskräftig.

Entsprechend ihrer Mitteilung vom 3.September 1984 an das HZA führte die Klägerin am 21.September 1984 eine Bestandsaufnahme durch, die eine Mehrmenge ergab. Dies teilte sie dem HZA im Rahmen ihrer Bestandsanmeldung mit und erläuterte die Gründe für die festgestellte Mehrmenge. Das HZA leitete die Anmeldung an die Betriebsprüfungsstelle Zoll weiter. Nach Durchführung einer Außenprüfung am 4.Februar 1985 bestätigte die Betriebsprüfungsstelle Zoll die von der Klägerin gemeldete Mehrmenge und leitete dem HZA die entsprechende Stellungnahme am 12.Februar 1985 zu. Mit den Änderungsbescheiden vom 20.Februar 1985 stellte das HZA die endgültige Zuckererzeugung der Klägerin im Wirtschaftsjahr 1983/84 unter Berücksichtigung der bestätigten Mehrmenge neu fest und erließ einen entsprechenden Bescheid über die endgültige von der Klägerin zu zahlende Produktionsabgabe. Mit Schreiben vom 25.Februar 1985 hob das HZA die Änderungsbescheide vom 20.Februar 1985 mit der Begründung wieder auf, für eine Änderung des zunächst erlassenen Feststellungsbescheides vom 25.September 1984 sei keine Rechtsgrundlage gegeben; die Mehrmenge sei bei der Anzeige über die endgültige Zuckererzeugung im folgenden Wirtschaftsjahr (1984/85) zu berücksichtigen. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Auf die Klage der Klägerin hob das Finanzgericht (FG) den Bescheid des HZA vom 25.Februar 1985 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.April 1985 auf.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des HZA ist nicht begründet. Das FG hat den Änderungsbescheid vom 25.Februar 1985 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.April 1985 zu Recht aufgehoben. Der Senat folgt zwar nicht der Auffassung des FG, daß die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Änderungsbescheides nach den §§ 130, 131 der Abgabenordnung (AO 1977) zu beurteilen sei. Vielmehr sind die §§ 172 ff. AO 1977 anzuwenden. Aber auch diesen Vorschriften ist keine Befugnis des HZA zum Erlaß des Änderungsbescheides vom 25.Februar 1985 zu entnehmen.

1. Das FG hat der Zuckerproduktionsabgabe die Eigenschaft einer Steuer i.S. des § 3 Abs.1 AO 1977 abgesprochen. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht, daß es andernfalls der Verweisungsnorm des § 8 Abs.2 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen vom 31.August 1972 (MOG 1972) nicht bedurft hätte, sondern die Vorschriften der AO 1977 bereits nach § 1 Abs.1 AO 1977 anzuwenden wären. Allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß § 8 Abs.2 MOG 1972 nur klarstellende Bedeutung hat. Jedenfalls bedarf die Frage der Steuereigenschaft der Zuckerproduktionsabgabe keiner Entscheidung; denn nach § 8 Abs.2 MOG 1972 sind die Vorschriften der AO 1977 entsprechend anzuwenden, ohne daß es dabei darauf ankommt, ob diese Abgabe als eine Steuer im Sinne der AO 1977 anzusehen ist oder nicht (vgl. auch Schneider in Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, G Rdnr.27). Ob aber auf Änderungen von Bescheiden über die Zuckerproduktionsabgabe die §§ 130, 131 oder die §§ 172 ff. AO 1977 entsprechend anzuwenden sind, entscheidet sich nicht nach der etwaigen Steuereigenschaft der Abgabe, sondern ist der Verweisungsvorschrift des § 8 Abs.2 MOG 1972 durch Auslegung zu entnehmen.

In § 8 Abs.2 MOG 1972 heißt es --ähnlich wie in der Nachfolgevorschrift des § 12 Abs.1 MOG 1986--, daß "auf Abgaben im Rahmen von Produktionsregelungen ... die Vorschriften der Reichsabgabenordnung (später in 'Abgabenordnung' geändert) entsprechend anzuwenden" sind. Welche der verschiedenen Vorschriften der AO 1977 jeweils angewendet werden soll, sagt diese Vorschrift nicht ausdrücklich. Ihre Auslegung ergibt aber, daß auf die Änderung von Bescheiden über die Zuckerproduktionsabgabe nicht die §§ 130, 131, sondern die §§ 172 ff. AO 1977 anwendbar sind.

Bereits der Wortlaut des § 8 Abs.2 MOG 1972 spricht dafür, daß im Rahmen der entsprechenden Anwendung der Vorschriften der AO 1977 die Produktionsabgabe einer Steuer im Sinne der AO 1977 gleichgesetzt werden soll, also dort, wo die AO 1977 differenziert zwischen Steuerbescheiden und anderen Bescheiden, die Vorschriften über die Steuerbescheide entsprechend anzuwenden sind. Dafür spricht weiter, daß diese spezifisch auf die Steuerfestsetzung abgestellten Vorschriften inhaltlich am besten auch für das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren bei der Produktionsabgabe geeignet sind. Zur Zeit des Inkrafttretens des MOG 1972 konnte an der Anwendbarkeit dieser Vorschriften auch deswegen kein Zweifel aufkommen, weil die Reichsabgabenordnung (AO), auf die in § 8 Abs.2 MOG 1972 zunächst verwiesen worden war, im Gegensatz zur AO 1977 (§§ 118 bis 133) noch kein zusammenfassendes System mit Regelungen zu den Steuerverwaltungsakten, die keine Steuerbescheide sind, enthielt. Dafür, daß sich auch durch die Ablösung der AO durch die AO 1977 daran nichts ändern werde, sprechen auch die Materialien des MOG 1972. Denn in der Gesetzesbegründung (BTDrucks VI/2553 S.26) heißt es ausdrücklich:

"Für Abgaben im Rahmen von Produktionsregelungen sollen ... die

Vorschriften der Reichsabgabenordnung Anwendung finden ...; insoweit

bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, da

Produktionsabgaben Abgaben des Wirtschaftslenkungsrechts sind und daher

nicht unmittelbar unter die Abgaben im Sinne des § 1 Reichsabgabenordnung

fallen."

2. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist also nach den §§ 172 ff. AO 1977 zu beurteilen. Daran ändert nichts, daß durch diesen Bescheid nur ein Feststellungsbescheid mit Bezug auf die Zuckerproduktionsabgabe geändert worden ist. Denn nach § 181 Abs.1 AO 1977 finden auf die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß Anwendung. Diese Vorschrift ist nach § 8 Abs.2 MOG 1972 ebenfalls bei der Erhebung der Zuckerproduktionsabgabe entsprechend anzuwenden.

a) § 172 AO 1977 unterscheidet zwischen Bescheiden, die Zölle oder Verbrauchsteuern, und Bescheiden, die andere Steuern betreffen. Nur für die erstgenannten Bescheide ist die Änderungsbefugnis nicht an besondere Voraussetzungen gebunden. Der angefochtene Änderungsbescheid ist aber kein Bescheid über Zölle oder Verbrauchsteuern, da die Zuckerproduktionsabgabe durch die entsprechenden Begriffe nicht erfaßt wird. Darüber hilft auch die Verweisungsnorm des § 8 Abs.2 MOG 1972 nicht hinweg. Der Anordnung der entsprechenden Anwendung der Vorschriften der AO 1977 kann nicht entnommen werden, es sollten jeweils die Vorschriften der AO 1977 auf die Zuckerproduktionsabgabe angewendet werden, die Zölle und Verbrauchsteuern betreffen. Es trifft zwar zu, daß Zölle und Verbrauchsteuern ebenso wie die Zuckerproduktionsabgabe von der Zollverwaltung erhoben werden. § 8 Abs.2 MOG 1972 kann aber auch nicht mittelbar entnommen werden, daß stets jene Vorschriften der AO 1977 entsprechend angewendet werden sollen, die für die von den gleichen Behörden erhobenen Abgaben gelten.

Auch aus den Besonderheiten der Gemeinschaftsregelung für die Zuckerproduktionsabgabe ergibt sich nichts dafür, daß auf sie § 172 Abs.1 Nr.1 AO 1977 anzuwenden sei. Das Gegenteil ist der Fall. Der erleichterten Änderungsmöglichkeit für Bescheide über Zölle und Verbrauchsteuern liegt der Gedanke zugrunde, daß solche Bescheide gleichsam vorbehaltlich späterer Änderung ergehen, weil sie grundsätzlich Gegenstand von Massenverfahren sind und deswegen im Regelfall nur summarisch und ohne eingehende Prüfung ergehen (vgl. im einzelnen Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 172 AO 1977 Anm.2). Davon kann aber bei den Bescheiden über die Zuckerproduktionsabgabe nicht die Rede sein. Es bleibt also nur übrig, auf die Änderung von Bescheiden über diese Abgabe die Vorschriften über die Änderung von Bescheiden anzuwenden, die andere Steuern als Zölle oder Verbrauchsteuern betreffen.

b) Die Voraussetzungen des § 172 Abs.1 Nr.2 AO 1977 sind nicht erfüllt. Für die Buchst.a bis c dieser Vorschrift ist das zweifelsfrei. Es gibt aber auch keine Vorschriften, die eine Änderungsmöglichkeit besonders zulassen (vgl. Buchst.d des § 172 Abs.1 Nr.2 AO 1977). Das HZA ist offenbar der Ansicht, dem Gemeinschaftsrecht sei eine solche unmittelbar anwendbare Änderungsregelung zu entnehmen. Das trifft nicht zu. Zwar heißt es in Art.3 Abs.4 der Verordnung (EWG) Nr.1443/82 (VO Nr.1443/82) der Kommission vom 8.Juni 1982 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 158/17), daß, falls gegenüber der von den Mitgliedstaaten vor dem 1.Oktober eines jeden Wirtschaftsjahres durchzuführenden Feststellung der endgültigen Zuckererzeugung später Unterschiede festgestellt werden, diese Unterschiede bei der Feststellung der endgültigen Erzeugung des Wirtschaftsjahres zu berücksichtigen sind, in dem dieser Unterschied festgestellt wird. Hierbei handelt es sich aber um eine materiell-rechtliche Regelung, die keine Aussage über die Voraussetzungen enthält, unter denen bereits erlassene Feststellungsbescheide wieder geändert werden können. Insoweit überläßt das Gemeinschaftsrecht die Regelung dem nationalen Recht.

Auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 28.Juni 1979 Rs.217/78 (EuGHE 1979, 2287, 2298) kann sich das HZA nicht mit Erfolg berufen. Es betrifft einen nicht vergleichbaren Sachverhalt. Der EuGH hat darin die Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung des Betroffenen zur Nachzahlung von Währungsausgleichsbeträgen (WAB) im Umfang einer vorherigen Ermäßigung bei bestimmter Verwendung der Waren für den Fall, daß der Betroffene die maßgebenden Nachweise nicht führt, "in den allgemeinen Regeln, die für die Anwendung der Währungsausgleichsbeträge maßgebend sind" gefunden. Darin kann nicht die Aussage des EuGH gesehen werden, daß das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich stillschweigend alle Änderungsvorschriften enthalte, die erforderlich sind, um dem materiellen Gemeinschaftsrecht Genüge zu tun.

c) Auch aus den §§ 173 ff. AO 1977 ergibt sich keine Befugnis des HZA zum Erlaß des angefochtenen Änderungsbescheides. In Frage käme allenfalls § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977. Der angefochtene Änderungsbescheid vom 25.Februar 1985 ist aber nicht darauf zurückzuführen, daß nach Erlaß des vorausgegangenen Änderungsbescheides vom 20.Februar 1985 neue Tatsachen bekanntgeworden sind. Vielmehr geht er darauf zurück, daß das HZA nunmehr den zuvor irrtümlich nicht berücksichtigten Art.3 Abs.3 und 4 VO Nr.1443/82 angewendet hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63213

BFH/NV 1990, 34

BFHE 160, 87

BFHE 1991, 87

BB 1990, 774 (L)

HFR 1990, 353 (LT)

StE 1990, 156 (K)

ZfZ 1990, 174 (KT)

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