Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausweis des im 1. Halbjahr 1990 im Beitrittsgebiet erzielten Gewinns - kein Steuerabzugsbetrag nach § 9 Abs.1 DBStÄndG für ehemalige Kommissionshändler - Akkumulationsrücklage mindert Gewerbeertrag - DBStÄndG revisibel - Gesetzesauslegung und Gewaltenteilung
Leitsatz (amtlich)
1. In Mark ausgewiesene Gewinne, die ein Steuerpflichtiger im Beitrittsgebiet im 1.Halbjahr 1990 erzielte, gehen in voller Höhe in den in Deutscher Mark auszuweisenden Gewinn des Veranlagungszeitraums 1990 ein.
2. Einem Kommissionshändler, der nach Kündigung des Kommissionshandelsvertrags seinen Betrieb fortführt, steht der Steuerabzugsbetrag nach § 9 Abs.1 DBStÄndG nicht zu.
3. Die nach § 3 Abs.2 StÄndG DDR gebildete Rücklage ist auch bei der Gewerbeertragsermittlung zu berücksichtigen (Anschluß an das Urteil des XI.Senats vom 15.März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813).
Orientierungssatz
1. § 9 Abs.1 DBStÄndG ist als partielles Bundesrecht revisibel.
2. Rechtspolitische Unvollständigkeiten, d.h. Lücken, die nicht dem Gesetzesplan widersprechen, sondern vom Rechtsanwender als rechtspolitisch unerwünscht empfunden werden, können entsprechend dem Prinzip der Gewaltenteilung auch von den Gerichten nicht geschlossen werden. Sie zu schließen bleibt Aufgabe des Gesetzgebers.
Normenkette
DMBilG §§ 51, 53; FGO § 118 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; EinigVtr Art. 8 Anlage I Kap IV B II Nr. 14 Abs. 1; WWSUVtr Art. 2, 5ff, 5; StRVÄndGDBest § 9 Abs. 1; StRVÄndG § 3 Abs. 2; WWSUVtr Art. 1
Verfahrensgang
FG des Landes Sachsen-Anhalt (Entscheidung vom 02.06.1993; Aktenzeichen 2 K 20/93) |
Tatbestand
I. Der in Sachsen wohnhafte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) schloß 1970 mit einem HO-Kreisbetrieb einen Kommissionshandelsvertrag zum Betrieb einer Gaststätte. Er war Inhaber einer entsprechenden Gewerbegenehmigung. Der Kommissionshandelsvertrag war nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) entsprechend der Verordnung über die Tätigkeit privater Einzelhändler und Gastwirte als Kommissionshändler des sozialistischen Einzelhandels vom 26. Mai 1966 (GBl. DDR II 1966, 429) --KHVO-- wie folgt ausgestaltet:
Der Kläger vereinbarte mit dem sozialistischen Handelsbetrieb die Höhe des Warenumsatzes, das Sortiment und den durchschnittlichen Bestand. Die Kommissionsware und die erzielten Erlöse waren "sozialistisches Eigentum". Die Verkaufstätigkeit hatte der Kläger selbständig im eigenen Namen und für Rechnung des sozialistischen Einzelhandelsbetriebes auszuüben. Verträge mit Lieferanten schloß der Kläger im Namen und für Rechnung des sozialistischen Einzelhandelsbetriebes ab. Der Verkaufspreis war gesetzlich festgelegt. Der sozialistische Handelsbetrieb übernahm einen Teil der Unkosten des Klägers, wie insbesondere Miete, Licht, Heizungs- und Reinigungsmaterial, natürlichen Schwund und Zinsen. Die übrigen Aufwendungen, wie z.B. Löhne, Gehälter, Hilfsmaterial, Fernsprechgebühren, Werbung, mußte der Kläger tragen. Er erhielt für seine Handelstätigkeit eine jährlich auszuhandelnde Provision (vgl. insbesondere §§ 2 bis 7 KHVO; §§ 12, 13 der Durchführungsbestimmung zur KHVO vom 26. Mai 1966, GBl. DDR II 1966, 432 i.d.F. der 3.Durchführungsbestimmung vom 20. Januar 1970, GBl. DDR II 1970, 61).
Der Kläger kündigte den Kommissionshandelsvertrag zum 30. April 1990. Er bewirtschaftete seine Gaststätte weiter.
Bei der Veranlagung für 1990 beantragte der Kläger --neben der Berücksichtigung einer Akkumulationsrücklage-- Steuerbefreiung in Höhe von 10 000 DM gemäß § 9 Abs.1 der Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer vom 16. März 1990 (GBl. DDR I 1990, 195 DBStÄndG). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte dies mit der Begründung ab, daß der Kläger keinen Betrieb neu eröffnet habe. Die Klage, mit der der Kläger auch eine Umstellung seines für das erste Halbjahr 1990 in Mark ausgewiesenen Gewinns in DM im Verhältnis 2:1 begehrte, hatte Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1993, 809).
Mit seiner Revision begehrt das FA, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur teilweisen Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. a) § 9 Abs.1 DBStÄndG ist als partielles Bundesrecht revisibel (§ 118 Abs.1 Satz 1 FGO).
Gemäß Art.8 des Einigungsvertrages (BGBl II 1990, 885) trat grundsätzlich mit dem Wirksamwerden des Beitritts, d.h. am 3. Oktober 1990 (Art.1 Einigungsvertrag) im Gebiet der ehemaligen DDR Bundesrecht in Kraft. Hiervon abweichend gilt jedoch gemäß Art.8 i.V.m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn.II Nr.14 Einigungsvertrag u.a. das Recht der Besitz- und Verkehrssteuern der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) erst ab 1. Januar 1991. Für die Zeit ab 3. Oktober 1990 bis zum Inkrafttreten bundesdeutschen Steuerrechts am 1. Januar 1991 war nach Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn.II Nr.14 Abs.1 Satz 2 Einigungsvertrag das in der damaligen DDR geltende Recht weiter anzuwenden. Mit dieser gesetzlichen Bestimmung hat der Bundesgesetzgeber im Rahmen seiner --konkurrierenden-- Gesetzgebungskompetenz nach Art.105 Abs.2 i.V.m. Art.106 Abs.3 des Grundgesetzes (GG) auch die DBStÄndG als partielles Bundesrecht übernommen (vgl. auch Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BFHE 171, 351, BStBl II 1993, 630; vom 11. Mai 1993 VII R 98/92, nicht veröffentlicht --NV--; für die Zeit ab 1. Januar 1991 s. § 58 Abs.3 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).
b) Dem Kläger steht der Steuerabzugsbetrag gemäß § 9 Abs.1 DBStÄndG nicht zu.
Gemäß § 9 Abs.1 Satz 1 DBStÄndG wird dem Inhaber bei Neueröffnung eines Handwerks-, Handels- oder Gewerbebetriebes eine einmalige Steuerbefreiung für zwei Jahre höchstens bis 10 000 Mark gewährt. Dieser in Mark ausgedrückte Steuerabzugsbetrag wurde zum 1. Juli 1990 gemäß Art.2 der Anlage I zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (BGBl II 1990, 537, VWWSU) in DM umbenannt. Da der Kläger die Gaststätte bereits seit 1970 betrieb, eröffnete er 1990 keinen neuen Betrieb. Der Streitfall bietet keine Gelegenheit, darüber zu entscheiden, ob § 9 Abs.1 DBStÄndG wie die durch § 9 Abs.3 DBStÄndG aufgehobenen Steuervergünstigungen zur Förderung der Reparatur-, Dienst- und Versorgungsleistungen des genossenschaftlichen und privaten Handwerks sowie anderer Betriebe gegenüber der Bevölkerung auch die Übernahme eines bestehenden Betriebes erfaßt, denn der Kläger hat keinen Betrieb übernommen, sondern seinen schon vor Erlaß des DBStÄndG bestehenden Betrieb fortgeführt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Stellung eines Kommissionshändlers im Sinne der vom FG inhaltlich festgestellten KHVO der eines eigenständigen Unternehmers im Sinne des bundesdeutschen Rechtsverständnisses entspricht. Darauf kommt es nicht an. § 9 Abs.1 DBStÄndG ist eine Steuerrechtsnorm der ehemaligen DDR. Gesetzes- oder Verordnungsbegriffe des DDR-Rechts können nicht ohne weiteres anhand bundesdeutschen Begriffsverständnisses interpretiert werden, da sie schon anhand einer andersartigen Gesetzesentwicklung und -teleologie entwickelt wurden. Aus der Sicht des Steuerrechts der DDR hatte der als Kommissionshändler tätige Gastwirt einen eigenen Handelsbetrieb i.S. des § 9 Abs.1 DBStÄndG. Ziel des Kommissionshandelsvertrages war, privaten Einzelhändlern und Gastwirten "beim Aufbau des Sozialismus eine Perspektive und gesicherte Zukunft" zu geben (vgl. Präambel zur KHVO; Präambel zur Verordnung über die Besteuerung der Kommissionshändler vom 24. Dezember 1959, GBl. DDR I 1960, 19). Die steuerliche Selbständigkeit der Kommissionshändler blieb durch den Abschluß des Kommissionshandelsvertrages unberührt, unterlag aber besonderen Bestimmungen (vgl. § 1 der Verordnung über die Besteuerung der Kommissionshändler). Besteuerungsgrundlage war --wie bei anderen selbständigen Gewerbetreibenden-- der Gewinn (vgl. § 4 der Verordnung über die Besteuerung der Kommissionshändler; § 9 der 4.Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Besteuerung der Kommissionshändler vom 13. Februar 1980, GBl. DDR Sonderdruck 1033). Auch hatte der Kommissionshändler wie andere Gewerbetreibende für Zwecke der Besteuerung Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben und über das vorhandene (abschreibbare) Anlagevermögen zu führen (vgl. §§ 5, 6 der Verordnung über die Besteuerung der Kommissionshändler). Aufgrund ausdrücklicher Regelung in § 3 der Verordnung über die Besteuerung der Kommissionshändler hatte dieser allerdings für seine Provision keine Umsatzsteuer und für seine Handelstätigkeit keine Gewerbesteuer sowie für sein Betriebsvermögen grundsätzlich keine Vermögenssteuer zu zahlen (vgl. auch § 4 ff. der 4.Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Besteuerung der Kommissionshändler). Dieser normativen Bestimmung hätte es nicht bedurft, wenn der Kommissionshändler keinen Betrieb im steuerlichen Sinne gehabt hätte. Auch in Anordnungen und Direktiven wurde der Kommissionshandel bzw. die Kommissionsgaststätte als Betrieb behandelt (vgl. z.B. § 1 Abs.3 der Anordnung über die Kreditgewährung an private Handwerks- und Gewerbebetriebe vom 21. Februar 1985, GBl. DDR I 1985, 82; Nr.I 2 a der Anweisung Nr.13/1985 über die Gewährung von Sonderabschreibungen im Zusammenhang mit der Kreditgewährung an Handwerker und Gewerbetreibende vom 9. August 1985). Dementsprechend erhielt der Kommissionshändler wie der private Einzelhandel bei Neueröffnung oder Übernahme eines aufgegebenen Einzelhandelsbetriebes oder einer Gaststätte einen Steuerabzugsbetrag bis zu 10 000 Mark (vgl. Direktive zur Förderung der Leistungen des Kommissions- und privaten Einzelhandels vom 9. April 1976). Vor diesem historischen Hintergrund muß auch davon ausgegangen werden, daß ein im Vergleich zur Vorgängerregelung erweiterter Anwendungsbereich im Sinne einer Investitionsförderung schlechthin im Wortlaut des § 9 Abs.1 DBStÄndG seinen Niederschlag gefunden hätte. Investitionen oder Wirtschaftsaktivitäten sollten nicht durch § 9 DBStÄndG, sondern durch andersartige Maßnahmen gefördert werden (vgl. § 3 des Gesetzes zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer vom 6. März 1990 --StÄndG--, GBl. DDR I 1990, 136; §§ 7, 8 DBStÄndG; Verordnung über die Beantragung und die Gewährung von Investitionszulagen für Anlageinvestitionen vom 4. Juli 1990, GBl. DDR I 1990, 621; Anordnung über steuerliche Maßnahmen für Mitglieder von Produktionsgenossenschaften des Handwerks, private Handwerker und Gewerbetreibende vom 26. Januar 1990, GBl. DDR I 1990, 27). Die Frage, ob ein Steuerpflichtiger im Einzelfall von diesen Investitionsfördermaßnahmen tatsächlich profitieren konnte, ist für die Auslegung des § 9 Abs.1 DBStÄndG ohne Bedeutung.
2. Der Gewinn des ersten Halbjahres 1990, der in Mark ausgewiesen wurde, geht in derselben Höhe in den in DM auszuweisenden Gesamtgewinn des Veranlagungszeitraums 1990 ein.
a) Gemäß § 2 Abs.1 EStG-DDR 1970/1990 bemißt sich die Einkommensteuer nach dem Einkommen, das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezogen hat. Dementsprechend wird die Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat. Die Gewinne mehrerer im Veranlagungszeitraum endender Wirtschaftsjahre sind zusammenzurechnen (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1987 I R 381/83, BFH/NV 1989, 141).
b) Nach § 1 Abs.1 Nr.1, § 15 Abs.1 StÄndG-DDR wird das Einkommen bzw. der Gewinn aus Handwerks-, Handels- und Gewerbebetrieb sowie sonstiger selbständiger Tätigkeit für das Kalenderjahr 1990 nach dem als Anlage I beigefügten Steuergrundtarif A besteuert, die Jahreseinkommen und Steuerbetrag in Mark ausweist. Mit der Einführung der DM als Währung der DDR am 1. Juli 1990 trat --vorbehaltlich besonderer Vorschriften-- in Gesetzen, Verordnungen, Anordnungen, gerichtlichen Entscheidungen, Verwaltungsakten, Verträgen und sonstigen rechtsgeschäftlichen Erklärungen an die Stelle der Rechnungseinheit Mark die Rechnungseinheit DM (sog. Umbenennung; vgl. Art.1 Abs.1, Art.2 Satz 1 der Anlage I VWWSU). Eine Umstellung war nach Art.2 Satz 2, Art.5 ff. Anlage I VWWSU nur für Forderungen und Verbindlichkeiten vorgesehen (vgl. auch §§ 13 ff. des D-Markbilanzgesetzes --DMBilG--).
Infolge des Art.2 der Anlage I VWWSU wurden auch die in der Anlage I zum StÄndG-DDR (Steuergrundtarif A) in der Rechnungseinheit Mark genannten Größen in DM umbenannt. Diese Umbenennung erfaßt ausdrücklich allerdings nur das "Jahreseinkommen" und den "Steuerbetrag" (vgl. Steuergrundtarif A Anlage I zum StÄndG-DDR). Dasselbe gilt auch für den Gewinn. Der Gewinn des ersten Halbjahres 1990 konnte mangels anderer Rechnungseinheit nur in Mark ausgewiesen werden. Wenn im Steuergrundtarif A des StÄndG-DDR das Jahreseinkommen von Mark auf DM umbenannt wurde, muß dasselbe für den dem Einkommensbetrag zugrunde liegenden Gewinn gelten. Auch sieht § 1 Abs.1 StÄndG-DDR ausdrücklich nicht nur eine Besteuerung des Einkommens, sondern auch des Gewinns nach dem Steuergrundtarif A vor, so daß auch dieser von der Umbenennung des Tarifs erfaßt ist.
c) Eine Umstellung des Gewinns des ersten Halbjahres 1990 im Verhältnis 2:1 sieht Anlage I VWWSU nicht vor. Umgestellt in diesem Verhältnis wurden neben Guthaben bei Geldinstituten nur Forderungen und Verbindlichkeiten, die vor dem 1. Juli 1990 begründet wurden oder die nach den vor dem 1. Juli 1990 geltenden Vorschriften in Mark zu erfüllen gewesen wären (vgl. Art.10 VWWSU i.V.m. Art.6, 7, § 1 der Anlage I hierzu). Da die Einkommensteuerschuld 1990, auch soweit sie rechnerisch auf das erste Halbjahr 1990 entfällt, erst zum 31. Dezember 1990 entstand, war sie zum 30. Juni 1990 noch nicht begründet im Sinne dieser Vorschriften.
Zwar fehlt dem EStG-DDR 1970/1990 eine § 36 Abs.1 EStG-Bundesrepublik Deutschland entsprechende Norm. Gemäß § 38 der Abgabenordnung-DDR --AO-DDR-- 1990 (vom 22. Juni 1990, GBl. DDR Sonderdruck 1428) bzw. § 97a der Abgabenordnung vom 18. September 1970 (GBl. DDR Sonderdruck 681) entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bzw. die Steuerschuld, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Da die Einkommensteuer an das Einkommen anknüpft, das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezog (§ 2 Abs.1, § 25 Abs.1 EStG-DDR 1970/1990), entspricht die Rechtslage im Beitrittsgebiet im Streitjahr 1990 derjenigen des § 36 Abs.1 EStG-Bundesrepublik Deutschland.
d) Mittelbar wird die nominelle Umbenennung der Gewinne des ersten Halbjahres 1990 durch § 57 Abs.4 EStG i.d.F. des Art.8 i.V.m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn.II Nr.16 des Einigungsvertrages bestätigt. Danach ist § 10d Abs.2 und 3 EStG auch für Verluste anzuwenden, die in dem in Art.3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet im Veranlagungszeitraum 1990 entstanden sind. Eine Halbierung der negativen Gewinne des ersten Halbjahres 1990 ist nicht vorgesehen. In Konsequenz hieraus sind auch die positiven Gewinne nicht zu halbieren.
e) Auch § 244 des Handelsgesetzbuches (HGB) berechtigt nicht zur Umstellung von Gewinnen im Verhältnis 2:1.
Diese Regelung gilt zunächst nur für Steuerpflichtige, die Jahresabschlüsse erstellen. Unabhängig davon traten das erste bis vierte Buch des HGB in der bundesdeutschen Fassung erst am 1. Juli 1990, also nach dem Stichtag 30. Juni 1990 in Kraft (Gesetz über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der DDR vom 21. Juni 1990, GBl. DDR I 1990, 357) und galten folglich erst für den Jahresabschluß für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1990. Der Jahresabschluß zum 30. Juni 1990 war in Mark zu erstellen (vgl. § 2 Abs.1 der Anordnung über den Abschluß der Buchführung in Mark der DDR zum 30. Juni 1990 vom 27. Juni 1990, GBl. DDR I 1990, 593). Diese Anordnung blieb in Kraft (vgl. Anlage II Sachgebiet D, Abschn.I des Einigungsvertrages nach § 60) und geht daher als Spezialgesetz für das Gebiet der ehemaligen DDR zum 30. Juni 1990 dem § 244 HGB vor. Die Frage, ob § 244 HGB eine Umrechnung des Gewinns zuläßt, kann offenbleiben (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 13. September 1989 I R 117/87, BFHE 158, 340, BStBl II 1990, 57).
f) Der Senat bestätigt damit die Rechtsauffassung des FG Leipzig im Urteil vom 15. Juni 1993 1 K 46/92 (EFG 1993, 576).
Insbesondere liegt keine Gesetzeslücke, die ggf. durch analoge Anwendung des Umstellungskurses geschlossen werden könnte, vor. Diese bedingt eine "planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts". Eine Lücke des Gesetzes liegt (nur) vor, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und der ihm immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BFHE 111, 329, BStBl II 1974, 295; vom 9. August 1989 X R 30/86, BFHE 158, 45, BStBl II 1989, 891; vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977 Tz.113). Rechtspolitische Unvollständigkeiten, d.h. Lücken, die nicht dem Gesetzesplan widersprechen, sondern vom Rechtsanwender als rechtspolitisch unerwünscht empfunden werden, können entsprechend dem Prinzip der Gewaltenteilung auch von den Gerichten nicht geschlossen werden (Art.20 Abs.3 GG; vgl. z.B. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 27. Dezember 1991 2 BvR 72/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 563). Sie zu schließen bleibt ausschließlich Aufgabe des Gesetzgebers. Eine Gesetzeslücke ergibt sich durch eine Umbenennung des in Mark ausgewiesenen Gewinns des ersten Halbjahres 1990 nicht. Sie tut sich auch nicht mit dem Hinweis auf die gesetzliche Regelung der Umstellung bei Forderungen und Verbindlichkeiten auf. Eine Umstellung (im Verhältnis 2:1) erfaßt nach dem Gesetzesplan des VWWSU und des DMBilG nur einzelne Wirtschaftsgüter. Der Gewinn ist kein Wirtschaftsgut, sondern bloße Rechnungsdifferenz.
3. Die Revision des FA hat gleichwohl nicht in vollem Umfang Erfolg, weil die vom Kläger gemäß § 3 Abs.2 StÄndG-DDR gebildete Rücklage nicht nur bei der Einkommens-, sondern auch bei der Gewerbeertragsermittlung zu berücksichtigen ist. Der Senat schließt sich insoweit dem Urteil des XI.Senats des BFH vom 15. März 1994 XI R 10/93 (BFHE 174, 141, BStBl II 1994, 813) an. Die Steuervorteile dieser Rücklage kommen auch Inhabern von Gewerbebetrieben zugute, die --wie der Kläger-- ihren Gewinn nicht durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs.1 EStG-DDR 1970/1990 ermitteln. Dies folgt aus § 3 Abs.2 StÄndG-DDR, der eine Rücklage sogar für solche Steuerpflichtige vorsieht, die ihre Einkünfte durch den Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten ermitteln (vgl. § 1 Abs.1 Nrn.2, 3 StÄndG-DDR).
Da der Kläger im Rahmen der Errechnung der Akkumulationsrücklage nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb berücksichtigte, ist diese in Höhe des für das 2.Halbjahr 1990 ausgewiesenen Betrages (3 931 DM) bei Ermittlung des Gewerbeertrages anzusetzen. Im 1.Halbjahr 1990 war der Kläger nicht gewerbesteuerpflichtig.
Fundstellen
Haufe-Index 65386 |
BFH/NV 1994, 87 |
BStBl II 1994, 941 |
BFHE 175, 22 |
BFHE 1995, 22 |
BB 1994, 2399 |
BB 1994, 2399-2401 (LT) |
DB 1994, 2430 (LT) |
DStR 1994, 1529-1530 (KT) |
HFR 1995, 23-25 (LT) |
StE 1994, 602-603 (K) |