Leitsatz (amtlich)
Werden im Konkursverfahren aus dem letzten Jahr vor der Konkurseröffnung rückständige Lohnforderungen nach § 61 Nr. 1 KO vom Konkursverwalter erfüllt, so muß die darauf entfallende Lohnsteuer nach der Höhe des Auszahlungsbetrags bemessen, einbehalten und an das FA abgeführt werden. Der Anspruch des FA auf diese Lohnsteuerbeträge gehört ebenso wie der vom Konkursverwalter ausgezahlte Arbeitslohn zu den Forderungen der Rangklasse des § 61 Nr. 1 KO und nicht zur Rangklasse des § 61 Nr. 2 KO.
Normenkette
EStG § 38 Abs. 3, § 39 Abs. 1 S. 1, § 41 Abs. 1 S. 1; StAnpG § 3 Abs. 5 Nr. 1a; KO § 3 Abs. 1, §§ 57, 59, 61 Nrn. 1-2; AO §§ 103-104, 109
Tatbestand
Über das Vermögen der Firma ist im Oktober 1968 das Konkursverfahren eröffnet worden. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde für sie zum Konkursverwalter bestellt. Im Jahre 1969 wurden vom Kläger die für 1968 bis zur Konkurseröffnung rückständig gebliebenen Löhne und Gehälter an die Arbeitnehmer nachbezahlt. Nachdem der Kläger zunächst vom Bruttoarbeitslohn 20 v. H. als Lohnsteuer einbehalten hatte, ermittelte er im Jahre 1970 auf Grund der Lohnsteuerkarten für 1968 die Lohnsteuer auf 11 023,76 DM und die Lohnkirchensteuer auf 912,40 DM. Eine Lohnsteueranmeldung hat er aber nicht abgegeben. Auf Grund einer Lohnsteuerprüfung nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den Kläger für die vorgenannten Steuerbeträge durch Haftungsbescheid vom 7. August 1970 in Anspruch.
Einspruch und Klage des Klägers blieben erfolglos. Das FG folgte den Einwendungen des Klägers nicht, er sei nach den Beschlüssen des Amtsgerichts L nur berechtigt gewesen, die Löhne einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge als Konkursforderungen nach § 61 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) zu befriedigen. Das FG ging hinsichtlich der Haftung des Klägers von den §§ 104, 103, 109 AO aus und wies die Klage unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 18. April 1958 VI 16/58 U (BFHE 67, 125, BStBl III 1958, 319) mit der Begründung ab, daß die streitigen Lohnsteuern nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 a StAnpG im Zeitpunkt des Zufließens der steuerabzugspflichtigen Einkünfte entstanden und damit Masseschulden seien.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts, nämlich der §§ 61 Nr. 2, 59 KO, § 3 Abs. 5 Nr. 1 a StAnpG und § 41 Abs. 1 Satz 1 EStG. Das FA habe danach nur einen Anspruch auf Befriedigung im Range des § 61 Nr. 2 KO. Der Begriff der Masseschulden sei in § 59 KO definiert; die Forderung des FA falle nicht darunter. Die Forderung beruhe auch nicht auf einem Handeln des Klägers als Konkursverwalter, wenn er die vor Konkurseröffnung fällig gewordenen Lohnansprüche im Rahmen des § 61 Nr. 1 KO befriedigt habe. Der Anspruch auf die Lohnsteuer sei mindestens bedingt bereits bei Fälligkeit der Lohnforderungen entstanden. Das Urteil VI 16/58 U werde der Sachlage nicht gerecht. Für die Auffassung, der Konkursverwalter habe die einbehaltene Lohnsteuer als Treuhänder für den Staat und für den Arbeitnehmer zu verwalten, finde sich im Gesetz keine Stütze. Einen Sonderrang vor Masseschulden kenne die Konkursordnung nicht. Wollte man der Auffassung des FG folgen, so könnten bei nicht ausreichender Masse die Gläubiger der Rangklasse des § 61 Nr. 1 KO mit Rücksicht auf den Masseanspruch des FA nicht voll befriedigt werden. Der von der Konkursordnung gewollte Erfolg, daß die Gläubiger der Rangklasse 1 vor den öffentlichen Institutionen befriedigt werden sollten, würde damit vereitelt werden. Es müsse hier erwogen werden, ob § 3 Abs. 5 Nr. 1 a StAnpG mit den Vorschriften der Konkursordnung unvereinbar sei und welcher Vorschrift der Vorzug zu geben sei. Der Kläger hat beantragt, die Vorentscheidung und den Haftungsbescheid des FA aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der Senat hält im Ergebnis an seinem Urteil VI 16/58 U fest. Es ist für die Entscheidung nicht wesentlich, ob der Konkursverwalter als Treuhänder für den Staat und die Arbeitnehmer hinsichtlich der einbehaltenen Lohnsteuer anzusprechen ist. Von entscheidender rechtlicher Bedeutung ist dagegen, daß im Zeitpunkt der Konkurseröffnung ein Anspruch des FA auf die Lohnsteuer für vom Arbeitgeber bis dahin nicht bezahlte Arbeitslöhne nicht bestanden hat. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 EStG bemißt sich die Lohnsteuer nach dem Arbeitslohn, den ein Arbeitnehmer im Kalenderjahr bezogen hat. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind (Urteil vom 22. April 1966 VI 137/65, BFHE 86, 145, BStBl III 1966, 394). Der Auffassung des Klägers, der Anspruch des FA auf die von den erst im Jahre 1969 gezahlten Arbeitslöhne einzubehaltenden Lohnsteuern sei schon wenigstens bedingt vor der Konkurseröffnung entstanden und gehöre deshalb zu den erst in der Rangklasse Nr. 2 des § 61 KO zu befriedigenden Ansprüchen, ist daher nicht zu folgen.
Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG ist beim Steuerabzug vom Arbeitslohn der Arbeitnehmer der Steuerschuldner. Dem Arbeitgeber ist durch § 41 Abs. 1 Satz 1 EStG lediglich die Verpflichtung auferlegt, die nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG durch Abzug vom Arbeitslohn zu erhebende Lohnsteuer bei jeder Lohnzahlung an den Arbeitnehmer einzubehalten und an das FA abzuführen. Erst die tatsächliche Zahlung von Arbeitslohn läßt den Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf die Lohnsteuer entstehen. Der bürgerlich-rechtliche Anspruch des Arbeitnehmers umfaßt den gesamten Bruttolohn. Bei der Auszahlung des Arbeitslohns ist vom Arbeitgeber ein Teil zur Abdeckung des Lohnsteueranspruchs des FA abzuzweigen. Dieser als Lohnsteuer abzuführende Teilbetrag ist also nach bürgerlichem Recht ein Teil des geschuldeten Arbeitslohns und teilt daher im Konkurs des Arbeitgebers das Schicksal des an den Arbeitnehmer ausgezahlten Nettolohns. Für die auf diesen entfallende Lohnsteuer wird der Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 EStG vom FA nicht in Anspruch genommen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitslohn um die Lohnsteuer vorschriftsmäßig gekürzt hat. Der Arbeitgeber hat nur als Haftender für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer einzustehen (§ 38 Abs. 3 Satz 2 EStG). Da nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 a StAnpG für Steuerabzugsbeträge bei der Einkommensteuer (Lohnsteuer) die Steuerschuld erst im Zeitpunkt des Zufließens der Einkünfte entsteht, kann auch bei dem Haftungsschuldner v o r diesem Zeitpunkt keine Verpflichtung entstanden sein.
Die Frage der Zuordnung zu einer Rangklasse nach § 61 KO stellt sich nur für Konkursforderungen. Dazu gehören nur Forderungen, die bereits im Zeitpunkt der Konkurseröffnung gegen den Gemeinschuldner bestanden haben (§ 3 KO). Die Lohnsteuer gehört zwar nach § 61 Nr. 2 KO zu den Ansprüchen des Fiskus der Rangklasse 2 (vgl. Jaeger, Konkursordnung, 8. Aufl., Anm. 19 a zu § 61). Das kann sich aber nur auf bis zur Konkurseröffnung bereits einbehaltene Lohnsteuer beziehen. Bei Erfüllung rückständiger Lohnforderungen aus der Zeit vor der Konkurseröffnung gemäß § 61 Nr. 1 KO kann der Konkursverwalter den Bruttolohnanspruch der Arbeitnehmer nur in der Weise erfüllen, indem er diesen um die einzubehaltende Lohnsteuer kürzt und den Nettolohn auszahlt. Den einbehaltenen Betrag muß er zur Auszahlung an das FA bereitstellen. Dabei wird die Konkursmasse in Höhe des Bruttolohnanspruchs belastet.
Im Konkurs eines Arbeitgebers können für die rechtliche Beurteilung der vom Konkursverwalter abzuführenden Lohnsteuer drei unterschiedliche Sachverhalte vorliegen. Hat der Konkursschuldner in der Zeit vor der Eröffnung des Konkurses an seine Arbeitnehmer die geschuldeten Arbeitslöhne gekürzt um die einzubehaltende Lohnsteuer ausbezahlt, die Lohnsteuer aber nicht an das FA abgeführt, so gehört der Anspruch des FA auf die Abführung dieser einbehaltenen Lohnsteuer nach § 41 Abs. 1 Satz 1 EStG zu den Konkursforderungen des § 3 Abs. 1 KO mit der Rangklasse des § 61 Nr. 2 KO. Anders ist die Rechtslage bei den nach Konkurseröffnung entstandenen Lohnforderungen der Arbeitnehmer, die vom Konkursverwalter zur Abwicklung des Konkurses weiterbeschäftigt werden; hier gehören sowohl die Lohnansprüche als auch die des FA auf Abführung der für diese einbehaltenen Lohnsteuer zu den Masseforderungen des § 59 KO, die nach § 57 KO aus der Konkursmasse vorweg zu berichtigen sind.
Von diesen beiden Fällen sind zu unterscheiden die Lohnforderungen der Arbeitnehmer für das letzte Jahr vor der Konkurseröffnung. Diese gehören eindeutig zu den Konkursforderungen des § 3 Abs. 1 KO, die der Rangklasse des § 61 Nr. 1 KO einzuordnen sind. Erst mit der Auszahlung der rückständigen Arbeitslöhne an die Arbeitnehmer entsteht nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 a StAnpG der Anspruch des FA auf die vom Konkursverwalter einbehaltene bzw. einzubehaltende Lohnsteuer, deren Steuerschuldner der Arbeitnehmer ist. Dieser hat einen Anspruch darauf, daß die einbehaltene Lohnsteuer auch an das FA abgeführt wird; bereits im Urteil vom 21. März 1930 VI A 1290/29 (Juristische Wochenschrift 1930 S. 3166) hat der RFH darauf hingewiesen, daß die Lohnsteuer ein Teil des Lohnes des Arbeitnehmers ist. Bei der sich aus §§ 41 Abs. 1 Satz 1 EStG, 30 Abs. 1 Satz 1 LStDV ergebenden Verpflichtung des Arbeitgebers, der auch der Konkursverwalter nach §§ 104, 103, 109 AO unterliegt, handelt es sich um eine Verpflichtung eigener Art. Unterlassungen des Konkursverwalters können Masseschuldansprüche ergeben, wenn für ihn eine Amtspflicht zum Handeln bestanden hat (so auch Böhle-Stamschräder, Konkursordnung, 11. Aufl., Anm. 1 c zu § 59). Die Amtspflicht zum Handeln folgt auch für den Konkursverwalter nach dem Urteil des Senats VI 16/58 U aus § 38 Abs. 3 Satz 2 EStG.
War danach gemäß § 3 Abs. 5 Nr. 1 a StAnpG davon auszugehen, daß der Anspruch auf Lohnsteuer für die rückständigen Löhne erst mit der späteren Auszahlung nach Konkurseröffnung entstanden ist, so mußte der Konkursverwalter ausreichende Mittel bereitstellen - nämlich in Höhe der geschuldeten Bruttolöhne -, um die einzubehaltende Lohnsteuer an das FA abzuführen (ebenso Hartz-Meeßen-Wolf, ABC der Lohnsteuer, Stichwort: Konkurs des Arbeitgebers; vgl. auch Stolterfoht, Lohnsteuer und Lohnsteuerabführungspflicht nach dem EStG 1975, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, Tz. 154). Aus der Vorschrift des § 61 KO betr. die Rangordnung der Konkursforderungen läßt sich für die Lösung der Streitfrage nichts herleiten. Wenn nach § 61 Nr. 2 KO die auf vor der Konkurseröffnung ausgezahlten Löhne geschuldete Lohnsteuer in die Rangklasse 2 fällt, so kann daraus nicht der Schluß gezogen werden, das gleiche müsse gelten, wenn bei Konkurseröffnung weder Lohn noch Lohnsteuer gezahlt war (so Böhle-Stamschräder, a. a. O., Anm. 5 zu § 61). Hier wird übersehen, daß der Konkursverwalter lediglich Haftungsschuldner für die einzubehaltende Lohnsteuer ist, die als solche keine selbständige Konkursforderung ist, sondern ihre Grundlage allein in dem Anspruch des Arbeitnehmers auf den Bruttolohn hat.
Der Einwand des Klägers, bei einer unzureichenden Konkursmasse könnten u. U. nicht alle Gläubiger der Rangklasse des § 61 Nr. 1 KO befriedigt werden, wenn die Lohnsteuer vorrangig zu berichtigen sei, geht insoweit fehl. Der Kläger übersieht dabei, daß die einzubehaltende Lohnsteuer ein Teil des Bruttolohnanspruchs der Arbeitnehmer ist und nur mit diesem zusammen und wie dieser zu erfüllen ist. Nach § 61 Satz 1 KO sind Konkursforderungen bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu berichtigen. Bei unzureichender Masse muß der Konkursverwalter diese im Verhältnis der Bruttolöhne aufteilen, wobei dann Lohnsteuer auch nur für den ausbezahlten anteiligen Arbeitslohn einzubehalten ist. Der Mangel an Mitteln rechtfertigt es nicht, von einer Einbehaltung der Lohnsteuer abzusehen, weil diese nach den jeweils anzusetzenden Bruttolöhnen zu ermitteln ist (vgl. BFH-Urteil vom 19. Februar 1953 IV 319/52 U, BFHE 57, 412, BStBl III 1953, 161).
Fundstellen
Haufe-Index 71439 |
BStBl II 1975, 621 |
BFHE 1976, 20 |