Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für Besuchsfahrten zu seinem eine Heilkur durchführenden Ehegatten sind keine außergewöhnliche Belastung.
Normenkette
EStG § 33; LStDV § 25
Tatbestand
Die an Tuberkulose erkrankte Ehefrau des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) unterzog sich vom 10. April bis 9. September 1969 einer Heilkur. Während dieser Zeit besuchte der Kläger mit der Tochter seine Ehefrau zweimal mit dem PKW. Im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1969 machte er hierfür Fahrtund Übernachtungskosten als außergewöhnliche Belastung geltend. Er gab an, durch seine Besuche sei auch die Genesung seiner Ehefrau wesentlich beeinflußt worden. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) ließ den beantragten Abzug nicht zu.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG führte in der in Entscheidungen der Finanzgerichte 1972 S. 538 veröffentlichten Entscheidung aus, die beiden Besuchsfahrten des Klägers seien zwangsläufig i. S. des § 33 EStG gewesen, da er seine erkrankte Ehefrau während der fünf Monate aus sittlichen Gründen habe besuchen müssen. Dies folge aus der familiären Bindung, die insbesondere auch durch Art. 6 GG geschützt werde. Nicht entscheidend sei, ob die beiden Besuche den Heilungsprozeß wesentlich gefördert hätten.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 33 EStG. Es führt u. a. aus: Die sittliche Pflicht der Ehegatten, sich gegenseitig Hilfe zu leisten, sei typisch und deshalb nicht außergewöhnlich. Der Kläger habe seine Ehefrau nicht nur aus gesundheitlichen, sondern auch aus familiären Gründen besucht. Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Er ist der Auffassung, daß die bestehende mittelbare Beziehung zwischen den Kosten der Besuchsfahrten und der Krankheit für die Annahme einer außergewöhnlichen Belastung genüge. Notfalls müsse ein Gutachten darüber eingeholt werden, daß die Besuche den Heilprozeß gefördert hätten.
Entscheidungsgründe
Die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision ist begründet.
Nach § 33 Abs. 1 EStG kann die Einkommensteuer ermäßigt werden, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen sind in diesem Sinn zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Krankheitskosten, soweit sie dem Steuerpflichtigen nicht ersetzt werden, als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG anzusehen. Aufwendungen sind jedoch nicht außergewöhnlich und zwangsläufig, wenn sie nicht unmittelbarzur Heilung aufgewendet werden, sondern als Folgekosten gelegentlich einer Krankheit entstehen. Die Berücksichtigung derartiger mittelbarer Kosten einer Erkrankung würde zu einer nicht vertretbaren steuerlichen Berücksichtigung von Kosten der Lebenshaltung führen, die mit dem Sinn und Zweck des § 33 EStG nicht vereinbar wäre. Bei der Beurteilung, ob Lebenshaltungskosten über § 33 EStG ausnahmsweise steuerlich berücksichtigt werden können, ist - nicht zuletzt wegen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung - ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. z. B. Urteile des Senats vom 10. März 1972 VIR 256/69, BFHE 105, 127, BStBl II 1972, 534, und vom 15. Oktober 1971 VI R 80/68, BFHE 103, 191, BStBl II 1972, 14). Dementsprechend hat der Senat auch bei der Anerkennung von Kurkosten als außergewöhnliche Belastung strenge Anforderungen an die Zwangsläufigkeit gestellt und die dabei anfallenden Kosten der Höhe nach nur als zwangsläufig angesehen, soweit sie unbedingt notwendig waren. So hat er z. B. bei den Aufwendungen für die Hin- und Rückfahrt des Patienten zwischen Wohn- und Kurort grundsätzlich nur die Kosten der öffentlichen Verkehrsmittel als zwangsläufig anerkannt (Urteil vom 30. Juni 1967 VI R 104/66, BFHE 89, 337, BStBl III 1967, 655).
Während aber Fahrtkosten des Patienten zur Durchführung einer Heilkur unmittelbar erforderlich und daher zwangsläufig sein können, ist dies für die Kosten der Besuchsfahrten des Klägers zu seiner eine Heilkur durchführenden Ehefrau nicht anzunehmen. Bei ihnen handelt es sich vielmehr um Kosten, die gelegentlich der Krankheit der Ehefrau entstanden sind und nicht - zumindest nicht unmittelbar - zur Heilung der Ehefrau aufgewendet werden. Der Grund der Besuchsfahrten ist vielmehr in erster Linie in der ehelichen Gemeinschaft der Ehegatten zu sehen. Daß sich die beiden Besuche des Klägers möglicherweise auch günstig auf den Heilprozeß der Ehefrau ausgewirkt haben können, ist demgegenüber nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Das FG hat daher seine Aufklärungspflicht nicht verletzt, wenn es von der Anforderung eines Gutachtens zu dieser Frage abgesehen hat.
Die Besuchsfahrten waren auch nicht etwa deshalb aus sittlichen Gründen zwangsläufig, weil sich der Kläger aus familiären Erwägungen verpflichtet fühlte, seine Ehefrau während ihrer fünfmonatigen Kur zu besuchen. Nicht alle Aufwendungen, die ein Steuerpflichtiger aus einer anständigen und sittlich anzuerkennenden Gesinnung macht, können schon deswegen als zwangsläufig i. S. des § 33 EStG angesehen werden. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, um im privaten Lebensbereich entstandene Aufwendungen eines Steuerpflichtigen steuerlich als außergewöhnliche Belastung teilweise der Allgemeinheit aufzubürden. Die hauptsächlich aus familiären Gründen unternommenen Besuchsfahrten des Klägers und die dabei entstandenen Kosten halten sich durchaus im Rahmen der typischen und üblichen gegenseitigen Pflichten und Aufwendungen einer ehelichen Gemeinschaft. Sie sind daher nicht außergewöhnlich und zwangsläufig i. S. des § 33 EStG.
Die Vorentscheidung, der eine andere Auslegung des Begriffs der außergewöhnlichen Belastung zugrunde liegt, war somit aufzuheben, und die Klage war abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71400 |
BStBl II 1975, 536 |
BFHE 1976, 130 |