Leitsatz (amtlich)
Ein Grundstück gilt auch dann als nicht bebaut i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. d des Berliner GrEStG vom 18. Juli 1969, wenn der Zwischenerwerber die vorhandenen Gebäude zwecks planungsgemäßer Bebauung des Grundstückes mit einem Wohngebäude durch den Nacherwerber abreißt.
Normenkette
Berliner GrEStG vom 18. Juli 1969 § 6 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. d; Berliner GrEStG vom 18. Juli 1969 § 8 Abs. 1
Tatbestand
I.
Die Klägerin kaufte am 20. März 1970 ein Grundstück in Berlin, auf dem etwa 100 Jahre alte Gebäude standen. Nach Abriß dieser Gebäude veräußerte sie den Grundbesitz an mehrere Interessenten weiter.
Die Klägerin beantragte Grunderwerbsteuerbefreiung mit der Begründung, auf dem erworbenen Gelände sollten Wohngebäude errichtet werden. Das beklagte FA setzte jedoch Grunderwerbsteuer fest; der Erwerb eines Grundstücks zum Abriß vorhandener und zur Errichtung neuer Gebäude sei nicht steuerfrei.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Nach der Entscheidung des FG kann die Klägerin die Steuervergünstigung nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. d des Berliner Grunderwerbsteuergesetzes vom 18. Juli 1969 (GVBl 1969, 1034) -- GrEStG 1969 -- nicht in Anspruch nehmen, weil das Grundstück nicht im Sinne des § 8 Abs. 6 GrEStG 1969 als unbebaut gegolten habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), wenn auch aus anderen als den von der Klägerin geltend gemachten Gründen.
Der Erwerb des Grundstücks unterliegt der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1969). Entgegen der Ansicht des FG kommt im vorliegenden Fall die Steuervergünstigung des § 6 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. d GrEStG 1969 in Betracht. Diese Vorschrift spricht zwar vom Erwerb eines nicht bebauten Grundstücks; sie läßt aber die Frage offen, zu welchem Zeitpunkt das Grundstück unbebaut sein muß. Wie der Senat in seinem Urteil vom 16. Juni 1976 II R 117/72 ( BStBl II 1976, 645 ) näher ausgeführt hat, wird das Grunderwerbsteuerrecht teilweise durch eine dynamische, nicht durch eine statische Betrachtungsweise geprägt. So kann z. B. ein bei Abschluß des Kaufvertrages unbebautes Grundstück grunderwerbsteuerrechtlich trotzdem in bebautem Zustand -- d. h. mit einem vom Verkäufer noch zu errichtenden Haus -- zum Gegenstand des Kaufes gemacht werden. Der gleiche Gedanke erlaubt es, bei Anwendung einer Steuervergünstigung zugunsten des Steuerpflichtigen darauf abzustellen, in welchen Zustand das Grundstück durch den Erwerber alsbald nach dem Kauf versetzt und zum Gegenstand des mit diesem Erwerb verfolgten steuerbegünstigten Zweckes gemacht werden soll. Der Zustand des Grundstücks bei Abschluß des Kaufvertrages bleibt demnach außer Betracht. Dementsprechend hindert nach der Entscheidung II R 117/72 § 6 Abs. 1 Nr. 9 GrEStG 1969, -- obwohl er vom Erwerb eines nicht bebauten Grundstücks spricht -- nicht dessen Anwendung, sofern der Erwerber beabsichtigt, erst nach Abriß eines beim Kauf noch vorhandenen Hauses das erworbene Grundstück in unbebautem Zustand zur planungsgemäßen Bebauung zu verwenden. Es ist kein Grund ersichtlich, den § 6 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. d GrEStG 1969 anders auszulegen. Demnach genügt es, wenn die Klägerin beabsichtigte, die aufstehenden Gebäude vor der Weiterveräußerung abzureißen.
Die Vorschrift des § 8 Abs. 6 GrEStG 1969 steht dieser Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. d GrEStG 1969 nicht entgegen. Sie sagt nichts darüber, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung des Grundstückszustandes maßgebend ist. Überdies verlangt sie nicht einmal, daß die genannte steuerunschädliche Bausubstanz im Zeitpunkt der Verwendung des Grundstücks zu dem begünstigten Zweck beseitigt werden muß. Demnach geht sie zugunsten des Steuerpflichtigen sogar über die für den vorliegenden Fall vom Senat gezogenen Grenzen hinaus.
Der Einwand des Beklagten, bei dieser Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. d GrEStG 1969 könne die Steuer nicht gemäß § 10 GrEStG 1969 nacherhoben werden, wenn der Zwischenerwerber das Grundstück weiterveräußere, ohne das vorhandene Gebäude abgerissen zu haben, ist für den vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Der Senat muß deshalb dahingestellt sein lassen, ob hier eine Gesetzeslücke vorliegt oder ob durch die Weiterveräußerung des Grundstücks ohne Abriß der vorhandenen Gebäude das Grundstück nicht im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG 1969 zu dem steuerbegünstigten Zweck verwendet worden ist.
Das angefochtene Urteil läßt nicht erkennen, ob die übrigen in § 6 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. d GrEStG 1969 genannten Voraussetzungen vorliegen. Zur weiteren Aufklärung wird die Sache an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 71944 |
BStBl II 1976, 647 |
BFHE 1977, 310 |