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BFH Urteil vom 16.07.1957 - I 316/56 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein Unternehmer nach der Währungsumstellung Waren, z. B. Kohlen, am schwarzen Markt erworben, so bedeutet es in der Regel keinen Fehlgebrauch des Ermessens, wenn das Finanzamt die Benennung der Verkäufer verlangt.

 

Normenkette

AO § 205a Abs. 2-3

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige, eine mechanische Weberei, deckte im Jahr 1951 fast die Hälfte ihres Kohlenbedarfs auf dem Schwarzmarkt. Der auf § 205a der Reichsabgabenordnung (AO) gestützten Aufforderung des Finanzamts, die Kohlenlieferanten so genau zu bezeichnen, daß deren steuerliche Erfassung möglich würde, kam die Steuerpflichtige nicht nach. Sie rechtfertigte ihre Weigerung damit, sie sei infolge der unzureichenden Versorgung der Textilwirtschaft zum Erwerb der Kohlen auf dem schwarzen Markt gezwungen gewesen, um nicht ihren Betrieb stillegen oder so stark einschränken zu müssen, daß er nicht mehr rentabel gewesen wäre. Hätte sie bei Lieferung der Kohlen von den Lieferanten ordnungsmäßige Belege verlangt, so hätte sie sich diese Bezugsmöglichkeit verschlossen. Das Verlangen des Finanzamts sei deshalb unbillig und verstoße gegen das Rechtsgefühl.

Der Steuerausschuß beim Finanzamt und das Finanzgericht stimmten der Auffassung der Steuerpflichtigen zu, sahen in dem Verlangen des Finanzamts einen Ermessensmißbrauch und erkannten die für die Kohlen tatsächlich gezahlten Preise als Betriebsausgaben an.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.

Wenn der Steuerpflichtige beantragt, daß bei der Gewinnermittlung Betriebsausgaben abgesetzt werden, so kann das Finanzamt verlangen, daß er die Empfänger der verausgabten Beträge so genau bezeichnet, daß ihre steuerliche überprüfung möglich ist. Lehnt der Steuerpflichtige dieses Verlangen des Finanzamts ab, so werden die Betriebsausgaben steuerlich nicht anerkannt (ß 205a Abs. 2 und 3 AO). Bei der Entscheidung der Frage, ob das Finanzamt von der Vorschrift des § 205a AO Gebrauch machen soll, hat es die Grenzen zu beachten, die das Gesetz dem Ermessen zieht und die Grundsätze von Recht und Billigkeit zu berücksichtigen (ß 2 Abs. 1 und 2 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Seine Entscheidung muß im Einzelfall dem Zweck der bezeichneten Vorschrift entsprechen.

Im Streitfall hat das Finanzgericht die Benennung der Empfänger für unzumutbar gehalten. Grundsätzlich ist es Aufgabe der Tatsacheninstanzen zu entscheiden, wie das Ermessen auszuüben ist. Im Berufungsverfahren tritt das Finanzgericht an die Stelle des Finanzamts. Die Entscheidung des Finanzgerichts kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur angegriffen werden, wenn das Finanzgericht bei der Ausübung seines Ermessens von unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen ist, also ein Fehlgebrauch des Ermessens vorliegt. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt.

Der Bundesfinanzhof hat in den Urteilen IV 81/50 S vom 23. Februar 1951 (Slg. Bd. 55 S. 204, Bundessteuerblatt - BStBl - 1951 III S. 77) und I 106/56 U vom 5. Juni 1956 (Slg. Bd. 63 S. 29, BStBl III S. 206) ausgeführt, die Vorschrift des § 205a AO solle dazu dienen, allgemein einem verwerflichen Geschäftsgebaren in der Wirtschaft entgegenzutreten und dem Finanzamt die Prüfung zu ermöglichen, ob und inwieweit die von einem Steuerpflichtigen abgesetzten Beträge von dem Empfänger steuerlich zutreffend behandelt worden sind. Dabei steht das Interesse der Allgemeinheit an einer gleichmäßigen und gerechten Besteuerung gegenüber dem Interesse an der Verhütung verwerflichen Geschäftsgebarens deshalb im Vordergrund, weil es in der Regel nicht Sache des Finanzamts ist, sich ein Urteil über das ethische Verhalten eines Steuerpflichtigen zu bilden und davon die im Ermittlungsverfahren zu treffenden Maßnahmen abhängig zu machen. Im Streitfall braucht zu der Frage nicht Stellung genommen zu werden, ob die verbotene Beteiligung der Steuerpflichtigen am Schwarzhandel mit Rücksicht auf die Besonderheiten der damaligen Versorgungslage jedenfalls so weitgehend entschuldbar erscheint, daß die in ihr liegende Gesetzesverletzung bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage außer Betracht bleiben kann.

Wenn demnach grundsätzlich daran festgehalten werden muß, daß die Aufklärungspflicht des Steuerpflichtigen im öffentlichen Interesse nicht ungebührlich eingeschränkt werden darf (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 242/54 U vom 17. Januar 1956, Slg. Bd. 62 S. 182, BStBl 1956 III S. 68), so dürfen doch berechtigte Interessen des Steuerpflichtigen bei der Entscheidung, ob von § 205a AO Gebrauch gemacht werden soll, nicht außer Betracht gelassen werden. Allerdings gebührt bei der notwendigen Interessenabwägung grundsätzlich dem berechtigten Verlangen der Allgemeinheit, daß die Steuerlasten gleichmäßig verteilt und insbesondere diejenigen Steuerpflichtigen zutreffend erfaßt werden, die unter Ausnutzung einer bestehenden Mangellage oft nicht unerhebliche Gewinne erzielen, der Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen des einzelnen. Deshalb kann das Auskunftsverlangen des Finanzamts nicht schon dann als ein Fehlgebrauch des Ermessens angesehen werden, wenn die Feststellung der Lieferanten den Steuerpflichtigen weitgehend von den Bezugsquellen des schwarzen Marktes ausschließen und ihn zu einer erheblichen, die Rentabilität gefährdenden oder für eine vorübergehende Zeit aufhebenden Betriebseinschränkung zwingen würde. Wie sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 81/50 S ergibt, kann eine Ausnahme von diesen Grundsätzen nur gemacht werden, wenn die Gewerbetreibenden allgemein gezwungen wären, Kohlen auf dem schwarzen Markt zu kaufen, um die Betriebe aufrechtzuerhalten, weil der legale Markt vollkommen versagt. Es muß sich einmal um eine ernstliche Gefährdung der Existenz des einzelnen Betriebs und um ein völliges Versagen des legalen Marktes handeln. Davon kann in der Zeit nach der Währungsumstellung grundsätzlich keine Rede mehr sein. Eine den Steuerpflichtigen etwa treffende Betriebseinschränkung, die die Interessen der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der Produktion nicht entscheidend berührt und die die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen nicht gefährdet, ist nicht ausreichend, um das Verlangen des Finanzamts als unbillig zu bezeichnen.

Bei der Beurteilung der für die Interessenabwägung maßgebenden Belange der Steuerpflichtigen darf nach den vorstehenden Ausführungen nicht nur gewürdigt werden, was damals geschehen wäre, wenn die Steuerpflichtige und andere sich in ähnlicher Lage befindende Unternehmer ordnungsmäßige Belege gefordert hätten. Es ist vielmehr außerdem zu prüfen, ob, wenn sich die Steuerpflichtige ordnungsmäßige Belege nicht hat erteilen lassen, die damit verbundene Verweigerung des Abzugs der Ausgaben jetzt die Existenz der Steuerpflichtigen so entscheidend gefährdet, daß das in der Regel bevorrechtigte öffentliche Interesse zurücktreten muß. Der Steuerpflichtige hat im allgemeinen die Wahl, ob er die Lieferanten ausreichend feststellen und damit vielleicht die Rentabilität seines Unternehmens beeinträchtigen will oder ob er diese Feststellung unterläßt und die entstehenden Ausgaben aus dem Gewinn deckt. Es widerspricht grundsätzlich dem Sinn und Zweck des § 205a AO, dem Steuerpflichtigen zu gestatten, die Feststellung der Lieferanten zu unterlassen und damit die vielleicht gerade in Notzeiten günstige Konjunktur auszunutzen, den daraus entstehenden Steuerausfall bei der Erfassung der Schwarzhändler aber der Allgemeinheit aufzubürden.

Geht man von diesen Erwägungen aus, so besteht keine Veranlassung, in dem Auskunftsverlangen des Finanzamts eine Verletzung pflichtgemäßen Ermessens zu sehen. Die Steuerpflichtige behauptet selbst nicht, daß die Feststellung der Schwarzhändler zu einer ernstlichen Existenzgefährdung geführt hätte. Vermögen und Gewinn 1951 sind so hoch, daß die nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben, wenn sich die Steuerpflichtige für den Bezug der Kohle im Schwarzhandel und die Nichtbenennung der Schwarzhändler entschied, ohne Schwierigkeiten gedeckt werden können. Es ist deshalb nicht unbillig, daß die Steuerpflichtige die rechtlichen Folgen ihrer Weigerung trägt, wie es grundsätzlich in § 205a AO vorgeschrieben ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408816

BStBl III 1957, 364

BFHE 1958, 348

BFHE 65, 348

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