Leitsatz (amtlich)
Errichtung und Besetzung des Finanzgerichts Stuttgart begegnen auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des für Baden-Württemberg ergangenen Gesetzes über die Finanzgerichte vom 30. Juni 1958 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1958 vom 11. Juli 1958 S. 170) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
GG Art. 97 Abs. 1-2, Art. 101 Abs. 2; Verfassung des Landes Baden-Württemberg Art. 65-66; AO §§ 47, 48 Abs. 5, §§ 49, 228-230
Tatbestand
Aus den Gründen:
Mit der Rb. rügt der Bf. in verfahrensrechtlicher Hinsicht die nicht ordnungsgemäße Errichtung und Besetzung des Finanzgerichts Stuttgart. In sachlicher Hinsicht trägt der Bf. vor, daß sein Antrag auf Bilanzänderung nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens gewesen sei. Infolgedessen müsse dieses Begehren bei der Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes und bei der Kostenverteilung außer Betracht bleiben.
Das Finanzministerium Baden-Württemberg ist wegen der gegen das Finanzgericht Stuttgart erhobenen Einwendungen dem Verfahren beigetreten.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
a) Errichtung des Finanzgerichts Stuttgart.
In Art. 101 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) ist gefordert, daß Gerichte für besondere Sachgebiete nur durch Gesetz errichtet werden können. Die Finanzgerichte sind solche Gerichte. Das Finanzgericht Stuttgart muß daher im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung durch Gesetz errichtet gewesen sein. Der Senat sieht diese Voraussetzung beim Finanzgericht Stuttgart als erfüllt an. Es war bereits früher auf Grund der Vorschriften der AO ordnungsgemäß errichtet (§§ 47 ff., §§ 228 ff. AO). Diese in der AO vorgesehene Regelung wurde allerdings durch Art. IV des Erlasses des "Führers und Reichskanzlers" zur Vereinfachung der Verwaltung vom 28. August 1939 (RGBl 1939 Teil I S. 1535) mit Wirkung ab 30. August 1939 beseitigt. Der erwähnte Erlaß des "Führers und Reichskanzlers" wurde jedoch durch Art. V des Gesetzes Nr. 36 des Alliierten Kontrollrats vom 10. Oktober 1946 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland 1946 S. 183) aufgehoben. Hierdurch wurde der frühere Rechtszustand wiederhergestellt. Das Finanzgericht Stuttgart war somit bereits auf Grund der früher geltenden und nunmehr wieder geltenden Vorschriften der AO in seinem Bestand ordnungsgemäß errichtet. Es bedurfte daher eines besonderen Wiedererrichtungsgesetzes nicht. Der Erlaß des Finanzministeriums Württemberg-Baden vom 9. August 1947 betreffend die Wiedereinführung des Berufungsverfahrens (vgl. "Finanz und Steuer", Amtliche Mitteilung des Finanzministeriums Württemberg-Baden, 1947 S. 169) hatte danach nicht konstitutiven, sondern nur deklaratorischen Charakter. Daß das Finanzgericht Stuttgart zur Zeit seiner Wiedererrichtung gemäß § 47 Abs. 1 AO der Oberfinanzdirektion Stuttgart angegliedert war, ist für die Frage, ob das Finanzgericht Stuttgart im Sinne von Art. 101 Abs. 2 GG ordnungsgemäß errichtet worden ist, ohne Bedeutung.
b) Sachliche und persönliche Unabhängigkeit der berufsmäßigen Richter des Finanzgerichts Stuttgart.
Gegen die sachliche Unabhängigkeit des Vorsitzenden und des ständigen Mitglieds der vorentscheidenden I. Kammer des Finanzgerichts Stuttgart, das heißt gegen ihre Weisungsfreiheit, Handlungsfreiheit und Verantwortungsfreiheit, bestehen keine Bedenken (vgl. Art. 97 Abs. 1 GG, Art. 65 Abs. 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg; hierzu Bonner Kommentar, zu Art. 97, II., S. 103; auch § 48 Abs. 5 AO).
Die gegen die persönliche Unabhängigkeit der beiden Berufsrichter erhobenen Bedenken hält der Senat nach der auf Grund der mündlichen Verhandlung und eingehender Prüfung gewonnenen Überzeugung nicht für gerechtfertigt. Die Rechtsstellung der beiden Richter steht nach Auffassung des Senats im Einklang mit Art. 97 Abs. 2 GG. Nach dieser Vorschrift müssen beide Richter hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellt gewesen sein. Dabei setzt die persönliche Unabhängigkeit, die sich im Gegensatz zur Weimarer Verfassung auch auf die Richter der Finanzgerichte bezieht, eine endgültige Anstellung, das heißt entweder eine lebenslängliche oder eine solche auf Zeit, voraus. Die Endgültigkeit der Anstellung schließt die Möglichkeit einer vorzeitigen Abberufung aus (Art. 97 Abs. 2 GG, Art. 66 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg). Sowohl bei dem Kammervorsitzenden, Finanzgerichtspräsidenten X., als auch bei dem ständigen Mitglied der I. Kammer, Finanzgerichtsrat Y., sind diese Voraussetzungen erfüllt.
Der Kammervorsitzende, Finanzgerichtspräsident X., wurde durch Urkunde des Ministerpräsidenten Baden-Württemberg vom 4. November 1954 unter Berufung in das Richterverhältnis zum Finanzgerichtspräsidenten beim Finanzgericht Stuttgart ernannt. Mit Erlaß vom 18. November 1954 wurde er mit Wirkung vom 1. November 1954 in eine der Planstellen eingewiesen.
Finanzgerichtsrat Y. wurde mit Erlaß des Finanzministers vom 26. November 1952 an das Finanzgericht Stuttgart versetzt und als ständiges Mitglied bei diesem Gericht bestellt. Er war bereits vorher an das Gericht abgeordnet gewesen.
Bei der rechtlichen Würdigung dieses Sachverhalts ergibt sich, daß der Vorsitzende und das ständige Mitglied der I. Kammer des Finanzgerichts Stuttgart, zumindest dem objektiven Sinn nach, auf Lebenszeit, das heißt endgültig, als Richter angestellt worden sind. Dies folgt schon daraus, daß es an einer zeitlichen Begrenzung dieser Bestellungen fehlt, eine Anstellung auf Zeit somit von den in das Richterverhältnis berufenden Stellen offensichtlich nicht gewollt war. Eine vorzeitige Abberufung dieser beiden Richter war hiernach ausgeschlossen.
Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse war diesen beiden Richtern nur im Rahmen ihrer richterlichen Tätigkeit, und zwar hauptamtlich, übertragen. Aus der Rechtsnatur der Ernennung bzw. der Versetzung ergibt sich, daß ihnen unter Ausscheiden aus dem früheren Amt nur das Amt als Finanzgerichtspräsident bzw. als ständiges Mitglied einer Kammer des Finanzgerichts Stuttgart verliehen worden ist und auch nur verliehen werden konnte und sollte. Die Ernennung legt die rechtliche Stellung der Beamten in ihren Grundlagen und bezüglich des ihnen verliehenen Amtes fest. Die Versetzung hat ein Ausscheiden aus dem bisherigen Amt und die Übertragung eines neuen Amtes zum Inhalt. Diese Grundsätze gelten sinngemäß auch für die Rechtsstellung der Richter. Der hauptamtlichen Anstellung stehen auch die Bestimmungen des § 47 Abs. 1 AO, nach der früher die Finanzgerichte den Oberfinanzdirektionen angegliedert waren, sowie die des § 49 Abs. 1 und Abs. 2 AO in Verbindung mit §§ 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung (Finanzgerichtsordnung des Reichsministers der Finanzen vom 16. Dezember 1932, RStBl 1932 S. 1121) nicht entgegen. Denn im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung war, zumindest de facto, die vollständige institutionelle, organisatorische und personelle Trennung des Finanzgerichts Stuttgart von der Oberfinanzdirektion Stuttgart vollzogen gewesen. Es können daher auch gegen die hauptamtliche Anstellung der beiden Berufsrichter der I. Kammer des Finanzgerichts Stuttgart keine Bedenken erhoben werden.
Sie sind aber auch planmäßig als Richter angestellt.
Die Finanzgerichte des Landes Baden-Würtemberg sind seit 1953 selbständig etatisiert und mit Richterplanstellen ausgestattet (vgl. Staatshaushaltsgesetz 1953, Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1954 S. 11). Finanzgerichtspräsident X. und Finanzgerichtsrat Y. wurden auf Planstellen für Richter bei dem Finanzgericht Stuttgart geführt (vgl. auch Staatshaushaltsgesetz 1956, Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1956 S. 39, und Anlage zum Staatshaushaltsgesetz bei Einzelplan 06 Finanzministerium Kap. 0603 Finanzgerichte). Die durch die Ernennung bzw. Versetzung des Finanzgerichtspräsidenten X. und des Finanzgerichtsrats Y. an das Finanzgericht Stuttgart frei gewordenen Planstellen in der Verwaltung wurden alsbald wieder besetzt, ohne daß diese ihnen offengehalten wurden. In diesem Zusammenhang ist schließlich bemerkenswert, daß Y. auf Grund des Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Besoldungsrechts vom 22. November 1954 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1954 S. 155) mit Wirkung vom 1. April 1954 die Amtsbezeichnung Finanzgerichtsrat verliehen wurde.
Der Senat trägt nach alledem keine Bedenken, die beiden Berufsrichter der I. Kammer im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung als hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellte Richter anzusehen. Damit aber steht ihnen die verfassungsrechtliche Gewährleistung der persönlichen Unabhängigkeit gemäß Art. 97 Abs. 1 und Abs. 2 GG zu.
Der Bf. kann infolgedessen mit den von ihm gegen das Finanzgericht Stuttgart erhobenen Einwendungen nicht durchdringen.
Fundstellen
Haufe-Index 409435 |
BStBl III 1960, 33 |
BFHE 1960, 89 |