Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Wird in einem Vertrag, in dem sich ein geschiedener Ehemann seiner nicht gesetzlich unterhaltsberechtigten Ehefrau gegenüber zum Unterhalt verpflichtet, die änderungsmöglichkeit nach § 323 ZPO ausdrücklich in den Vertrag aufgenommen, um damit die Möglichkeit einer änderung der Unterhaltszuwendungen bei wesentlicher Veränderung der wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse der Vertragsparteien zum Ausdruck zu bringen, so sind die Unterhaltszuwendungen keine Leibrenten, sondern dauernde Lasten im Sinn von § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Ziff. 1, § 22/1
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Streitig ist die Abzugsfähigkeit der Zahlungen des Bf. an seine allein schuldig geschiedene Ehefrau. Unmittelbar nach der Ehescheidung im Jahre 1937 schloß der Bf. mit seiner früheren Ehefrau am 19. April 1937 einen notariellen Vertrag, in dem er sich verpflichtete, seiner früheren Ehefrau monatliche Unterhaltsbeiträge von 600 DM zu leisten. Dieser Vertrag wurde durch eine privat-schriftliche Vereinbarung vom 11. Dezember 1953/25. Januar 1954 dahin geändert, daß ab 1. Juli 1953 eine monatliche Bruttorente in Höhe des Gehalts eines ledigen Regierungsrates mit 20 Dienstjahren einschließlich Wohnungsgeld und Teuerungszuschlägen zu zahlen sei.
Das Finanzgericht hat durch ein Zwischenurteil vom 20. Oktober 1961 entschieden, daß die Zahlungen des Bf. an seine geschiedene Ehefrau Leibrenten seien, die im Streitjahr 1955 nach den §§ 25 und 28 EStDV mit 90 v. H. als Sonderausgaben abzugsfähig seien. Der Senat hat diese Entscheidung durch das Urteil VI 59/62 U vom 11. Oktober 1963 (BStBl 1963 III S. 594, Slg. Bd. 77 S. 747) aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Der Senat führte in seiner ersten Entscheidung aus, daß eine Rente nur vorliege, wenn die wiederkehrenden Leistungen des Verpflichteten immer in gleicher Höhe erbracht würden. Daß die Höhe der Leistungen mit dem Gehalt eines Regierungsrats gekoppelt worden sei, schloß nach Auffassung des Senats die Annahme einer Rente nicht aus, da damit lediglich die Gleichmäßigkeit des inneren Wertes der ausbedungenen Leistungen gewährleistet werden soll. Unklar war jedoch die Bedeutung des Vorbehalts in den Erläuterungen der privat-schriftlichen Zusatzvereinbarung vom 11. Dezember 1953/25. Januar 1954 "die Vertragschließenden behalten sich die Geltendmachung der Bestimmung des § 323 ZPO vor". Die Sache wurde im ersten Rechtszug an das Finanzgericht zurückverwiesen, damit es die rechtliche Bedeutung dieses Vorbehalts für die Höhe der zugesagten Unterhaltsleistungen feststelle.
Das Finanzgericht hat in dem nunmehr angefochtenen Urteil des zweiten Rechtsgangs von den insgesamt gezahlten 13.242 DM einen Teilbetrag von 8.640 DM als abzugsfähige Sonderausgabe anerkannt. Da die geschiedene Ehefrau von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 175 AO, § 10 StAnpG, § 383 Abs. 1 Ziff. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) Gebrauch machte, hat das Finanzgericht die Bedeutung des Vorbehalts der änderung nach § 323 ZPO allein nach den Erklärungen des Bf. gewürdigt. Die Erwähnung des § 323 ZPO hatte nach dessen Angabe die Bedeutung, daß einer änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei einem der Vertragspartner Rechnung getragen werden sollte. Der Bf. verwies zur Bestätigung seiner Angabe auf eine im Oktober 1958 abgegebene Erklärung zu dem Unterhaltsvertrag, die folgenden Wortlaut hat:
"In diesem Vertrag haben wir uns unter Ziff. 2 die Geltendmachung der Bestimmung des § 323 ZPO vorbehalten. Wir sind uns stets darüber einig gewesen, daß - wie dies auch der gesetzlichen Regelung des § 67 des Ehegesetzes entspricht - die Unterhaltszahlung bei einer etwaigen Wiederverheiratung von Frau A. entfällt. Insbesondere in diesem Falle, gegebenenfalls auch bei anderen unvorhergesehenen Veränderungen der Verhältnisse, sollten Herrn A. die Rechte des § 323 ZPO vorbehalten bleiben, d. h. er sollte berechtigt sein, die Unterhaltszahlungen einzustellen".
Das Finanzgericht schloß hieraus, daß die Unterhaltszahlungen nur unter dem Vorbehalt gleichbleibender Verhältnisse zugesagt, und daß infolgedessen die Zuwendungen steuerlich eine dauernde Last seien. Als Sonderausgaben seien dauernde Lasten aber nur abzugsfähig, wenn sie auf einem besonderen Verpflichtungsgrund beruhten. Da der Bf. die Unterhaltszahlungen seiner geschiedenen Ehefrau unentgeltlich zugesagt habe, habe die Zusage nach § 518 Abs. 1 BGB einer gerichtlichen oder notariellen Beurkundung bedurft. Notariell beurkundet sei nur der Vertrag vom 19. April 1937, nicht aber die Vereinbarung vom 11. Dezember 1953/25. Januar 1954. Soweit diese Vereinbarung höhere Leistungen als ursprünglich vereinbart festgelegt habe, sei sie wegen Formmangels nichtig. Da die Feststellung, ob eine Erhöhung der Leistungen vorliege, nicht durch einen Vergleich der Kaufkraft der vereinbarten Zahlungen, sondern lediglich nach deren innerem Wert zu treffen sei, liege eine rechtsverbindliche Verpflichtung für den Bf. nur vor für 7.200 DM zuzüglich der darauf anfallenden Steuern, die auf 1.440 DM geschätzt würden. Als Sonderausgaben seien demnach im Streitjahr 8.640 DM abzugsfähig; die darüber hinausgehenden 4.602 DM könnten mangels einer rechtsgültigen Schuldverpflichtung nicht berücksichtigt werden.
Der Bf. wendet sich gegen die Vertragsauslegung des Finanzgerichts. Inhalt des Schenkungsversprechens vom Jahre 1937 sei kein fester Geldbetrag gewesen, sondern die Zusage der Mittel zur Ermöglichung eines bestimmten Lebensstandards unter dem Vorbehalt gleichbleibender wirtschaftlicher Verhältnisse. Von der Anpassung der Höhe der Unterhaltszahlungen nach § 323 ZPO sei von beiden Vertragsparteien Gebrauch gemacht worden. Nach der Ausbombung der Fabrik habe der Bf. die Herabsetzung der Zahlungen auf 450 DM verlangt, nach der Währungsumstellung sei an Stelle des vereinbarten Nettobetrags von 600 DM bis zum 1. Juli 1951 dieser Betrag als Bruttobetrag gezahlt worden, am 10. Juni 1951 sei die Zahlung von 700 DM zunächst brutto und später netto vereinbart worden. Durch die im Jahre 1954 vergleichsweise festgelegte Koppelung an ein Beamtengehalt hätten die damaligen unerquicklichen Auseinandersetzungen über die änderung der Lebenshaltungskosten beendet und eine laufende Anpassung herbeigeführt werden sollen. Die Vereinbarung von 1953/1954 habe daher kein neues Schenkungsversprechen enthalten, sondern lediglich die Feststellung, was die geschiedene Frau auf Grund des Unterhaltsvertrags von 1937 rechtswirksam habe verlangen können. Da das ursprüngliche Schenkungsversprechen nicht geändert worden sei, habe die Vereinbarung von 1953/1954 keiner notariellen Beurkundung bedurft (Staudinger, Kommentar zum BGB, 11. Aufl., Ziff. 4 zu § 518). Vorsorglich werde gerügt, daß die Zuschätzung der Steuerbelastung mit 20 v. H. insbesondere deshalb unzutreffend sei, weil die geschiedene Ehefrau auch vermögensteuerpflichtig sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung des Zwischenurteils des Finanzgerichts.
Es geht in erster Linie darum, ob die Zahlungen des Bf. im Sinn von § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG eine Leibrente oder eine dauernde Last sind. Als dauernde Last wären sie in voller Höhe, als Leibrente aber nur mit dem nach § 22 Ziff. 1 a letzter Satz EStG 1955 zu ermittelnden Ertragsanteil als Sonderausgaben abzugsfähig. Leibrenten sind eine Unterart der dauernden Lasten (Urteil des Senats VI 105/61 U vom 29. März 1962, BStBl 1962 III S. 304, Slg. Bd. 75 S. 96) und unterscheiden sich von den dauernden Lasten vor allem dadurch, daß sie gleichmäßige und gleichbleibende Leistungen voraussetzen.
Der Senat hat im ersten Rechtsgang durch das Urteil VI 59/62 U vom 11. Oktober 1963 (a. a. O.) entschieden, daß die Festlegung der Unterhaltsleistungen nach dem Gehalt eines Staatsbeamten einer bestimmten Besoldungsgruppe und Dienstalterstufe der Annahme einer Leibrente nicht unbedingt entgegensteht. Es kommt für den Charakter der Zuwendungen des Bf. auf die Bedeutung der vereinbarten Abänderungsmöglichkeit nach § 323 ZPO an.
Die Vorschrift des § 323 ZPO, der in erster Linie prozessuale Bedeutung hat, ist ein Ausfluß des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der clausula rebus sic stantibus. Die bei einer wesentlichen änderung der Verhältnisse zulässige Abänderung rechtskräftiger Urteile hat für den Streitfall keine Bedeutung. Hier geht es um die Anpassungsmöglichkeit einer vertraglichen Vereinbarung an veränderte Verhältnisse. Nach § 323 Abs. 4 ZPO gelten die Grundsätze über die änderung rechtskräftiger Urteile aber entsprechend bei gerichtlichen Vergleichen oder bei Verpflichtungen, die in notariellen Urkunden übernommen wurden. Die Verweisung der Vertragsparteien auf § 323 ZPO wurde vom Finanzgericht dahin gewürdigt daß die vom Bf. übernommenen vertraglichen Unterhaltsleistungen nur mit dem Vorbehalt gleichbleibender wirtschaftlicher Verhältnisse Geltung haben sollten. Bei einer Wiederverheiratung der früheren Ehefrau oder auch bei sonstigen unvorhergesehenen änderungen der Verhältnisse sollte der Bf. berechtigt sein, eine änderung seiner Verpflichtungen unter den gleichen Voraussetzungen zu verlangen, die nach § 323 ZPO zu einer änderung berechtigen würden. Der Senat hält diese Würdigung des Finanzgerichts für rechtlich einwandfrei.
Für die steuerliche Behandlung der Unterhaltszuwendungen des Bf. bedeutet dies, daß der Bf. und seine geschiedene Ehefrau neben der Verknüpfung der Unterhaltszuwendungen mit den änderungen der Beamtenbesoldung auch in ihren persönlichen Verhältnissen liegende Umstände als Grund für eine änderung der vereinbarten Zahlungen ansehen. Damit fehlt eine gleichmäßige und gleichbleibende Festlegung der Unterhaltszahlungen, wie es für die Annahme einer Leibrente Voraussetzung wäre. Gegen gleichbleibende Leistungen sprechen im übrigen auch die wiederholten änderungen der Unterhaltszuwendungen, die bereits vor der Zusatzvereinbarung von 1953/54 zur Anpassung an die jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf. vorgenommen wurden. Die Unterhaltsleistungen, die Dauerbelastungen ohne zeitliche Begrenzung sind, sind, wie das Finanzgericht zutreffend angenommen hat, eine dauernde Last.
Das Finanzgericht hat den vollen Abzug nach § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG gleichwohl abgelehnt, weil den Zuwendungen nur in Höhe von 7.200 DM jährlich eine rechtliche Verpflichtung zugrunde liege. Es trifft zu, daß der Geber zur Leistung rechtswirksam verpflichtet sein muß. Soweit die dauernden Lasten keine Leibrenten im Sinn von § 759 BGB sind, hat die Formvorschrift des § 761 BGB für sie keine Bedeutung. Wesentlich ist aber, daß der Bf. zu den Zuwendungen an seine geschiedene Ehefrau vor Abschluß des Vertrages vom Jahre 1937 nicht verpflichtet war, und daß die Zuwendungen demnach Schenkungen sind, zu denen der Bf. sich nach § 518 BGB nur in gerichtlicher oder notarieller Form rechtsverbindliche verpflichten konnte. Der ursprüngliche Vertrag vom Jahre 1937 genügte dieser Form, nicht dagegen die lediglich privat-schriftliche Zusatzvereinbarung von 1953/54.
Der Senat teilt jedoch nicht die Ansicht des Finanzgerichts, diese Zusatzvereinbarung sei deshalb bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG nicht zu beachten. Die Absicht der Vertragspartner ging dahin, wie vor allem die wiederholten änderungen der Unterhaltszuwendungen und nicht zuletzt auch die Zusatzvereinbarung von 1953/54 beweisen, der geschiedenen Ehefrau einen angemessenen Lebensstandard sicherzustellen. Die Zusatzvereinbarung bedeutete unter diesen Umständen keine neue Verpflichtung des Bf. gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau, sondern lediglich eine Anpassung des ursprünglichen notariellen Unterhaltsvertrags an veränderte Verhältnisse. Sowohl die Anlehnung der Unterhaltsleistungen an die Dienstbezüge eines Beamten als auch die vertraglich festgelegte änderungsmöglichkeit bei wesentlicher änderung der wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse der Vertragsparteien bedeuten nach den ganzen Umständen keine sachlichen änderungen des Notariell beurkundeten Vertrags. Die rechtliche Verpflichtung des Bf. zur Unterhaltsleistung an seine geschiedene Ehefrau erstreckt sich daher auch auf die Leistungen nach dem Zusatzvertrag von 1953/54. Unterhaltszuwendungen, die den jeweiligen Verhältnissen der Beteiligten angepaßt werden sollen, sind aber keine gleichbleibenden Leistungen, wie es für die Annahme einer Leibrente erforderlich wäre. Die streitigen Zuwendungen sind daher in voller Höhe eine dauernde Last im Sinn von § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG. Das Zwischenurteil des Finanzgerichts, das zu einem anderen rechtlichen Ergebnis gelangt ist, mußte daher aufgehoben werden.
Fundstellen
Haufe-Index 411714 |
BStBl III 1965, 583 |
BFHE 1966, 228 |
BFHE 83, 228 |