Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung des Inhalts eines gesetzlich vorgeschriebenen Buchnachweises durch Verwaltungsanordnung nicht zulässig
Leitsatz (NV)
Die im Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 16. November 1970 (BStBl I 1970, 1033) zugelassene Erleichterung des nach § 7 Abs. 2 der 7. UStDV erforderlichen buchmäßigen Nachweises der Besteuerung der Einfuhr widersprach dieser Vorschrift und konnte die Gerichte daher nicht binden. Eine Anwendung der Verwaltungsanordnung kam allenfalls aus Billigkeitsgründen in Betracht.
Normenkette
UStG 1973 § 4 Nr. 1, § 6 Abs. 1-2; 7. UStDV § 1 Abs. 1-2; AO 1977 § 227
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in K einen Handel mit Elektrogeräten. Im Streitjahr 1973 lieferte er an den Dänen F Geräte, deren Einzelpreise jeweils unter 457 DM lagen. In den einzelnen Rechnungen sind allerdings jeweils mehrere Geräte ausgewiesen, weshalb die Gesamtrechnungsbeträge den Betrag von 457 DM jeweils überstiegen.
Der Kläger hat nach seinen Angaben ein Kundenverzeichnis geführt, in dem unter ,,Rundfunkhändler" vermerkt worden sein soll: ,,Dänemark, F . . . (Name), Straße . . ., Ort . . ., Tel. . . .". Die Lieferungen wurden in der Weise bewirkt, daß der Kläger die bestellten Geräte in seinem Fahrzeug nach P verbrachte und sie dort F auf einem Fährschiff übergab. Auf den vom Zollamt P bestätigten Ausfuhrerklärungen waren der Kläger als Ausführer und der Name des Fährschiffs angegeben; der Name F erschien nicht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) war nach einer Betriebsprüfung der Ansicht, daß hinsichtlich der Lieferungen an F die Voraussetzungen des § 4 Nr. 1, § 6 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 nicht gegeben seien, weil der buchmäßige Nachweis dafür, daß bei der Einfuhr in Dänemark Einfuhrumsatzsteuer erhoben worden sei, nicht erbracht sei. Das FA minderte deshalb die erklärte negative Umsatzsteuerschuld um 11 v.H. aus . . . DM, also um . . . DM. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit im wesentlichen folgender Begründung ab:
Nach § 4 Nr. 1, § 6 UStG seien Ausfuhrlieferungen steuerfrei. Die Steuerfreiheit werde durch die Siebente Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) - 7. UStDV - eingeschränkt. Nach § 1 Abs. 1 der 7. UStDV in der bis zum 31. Dezember 1976 maßgeblichen Fassung liege eine Ausfuhrlieferung nicht vor, wenn die Lieferung an einen ausländischen Abnehmer mit Wohnort in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bewirkt werde, die Verfügungsmacht im Inland verschafft und das Entgelt für die Lieferung zuzüglich der auf sie entfallenden Umsatzsteuer 457 DM nicht übersteige. Eine Besteuerung entfalle nicht nach § 1 Abs. 2 der 7. UStDV in der bis zum 31. Dezember 1976 geltenden Fassung. Nach dieser Bestimmung finde Absatz 1 keine Anwendung - es trete also Steuerfreiheit ein -, wenn für die auf die Lieferung folgende Einfuhr Umsatzsteuer erhoben worden und die Besteuerung der Einfuhr buchmäßig nachgewiesen sei.
Dem Kläger sei trotz der von ihm behaupteten und möglicherweise auch getätigten kommerziellen Ausfuhrlieferungen die Steuerfreiheit bereits deswegen zu versagen, weil er nach eigener Einlassung weder nachweisen könne noch buchmäßig belegt habe, daß F in Dänemark Einfuhrumsatzsteuer entrichtet habe. Soweit das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 16. November 1970 (BStBl I 1970, 1033) einen erleichterten Nachweis gestatte, stehe diese Anordnung in Widerspruch zu § 1 Abs. 2 der 7. UStDV und sei von den Gerichten nicht zu beachten.
Mit der Revision trägt der Kläger vor, er habe die Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 16. November 1970 erfüllt. Nach diesem Schreiben sei ein erleichterter Buchnachweis gestattet, weil kommerzielle Einfuhren in Länder der EWG in jedem Fall der Einfuhrumsatzsteuer unterlägen und es insbesondere dem deutschen Unternehmer im Einzelfall nur schwer möglich sei, einen Nachweis über die Besteuerung eines ausländischen Abnehmers zu erlangen. Die Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen würde verletzt, wenn Steuergerichte entgegen einer ständigen allgemeinen Verwaltungspraxis einzelne Steuerpflichtige erhöht besteuerten, ohne daß die Finanzverwaltungsbehörden dies wollten. Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sollten steuerpflichtige Bürger vor willkürlicher Benachteiligung ebenso wie die Allgemeinheit vor willkürlichen Bevorzugungen Einzelner geschützt werden. Einem Steuerpflichtigen dürften Vergünstigungen oder Erleichterungen, zu denen sich die Verwaltung aus sachlichen Gründen entschlossen habe, nicht durch Gerichtsurteil wieder entzogen werden. Es verstieße auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn die Verwaltungsverfügung in seinem Fall nicht beachtet würde. Der Staat dürfe das Risiko eines vom Gesetz nicht gedeckten Verwaltungsverfahrens nicht dem Steuerpflichtigen aufbürden.
Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Das FG hat nicht entschieden, ob der Kläger - entgegen der vom FA vertretenen Auffassung - den nach dem BMF-Schreiben vom 16. November 1970 (a.a.O.) zu führenden Nachweis erbracht hat. Es ist vielmehr davon ausgegangen, daß der in diesem Schreiben geforderte Nachweis nicht den gesetzlichen Regelungen entspricht, so daß er - selbst wenn er erbracht worden wäre - nicht ausreichen würde. Diese Entscheidung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
2. Nach § 4 Nr. 1 UStG 1973 sind ,,Ausfuhrlieferungen" umsatzsteuerfrei. Der BMF kann nach dieser Vorschrift mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung zur Durchführung und nach Maßgabe von Rechtsakten des Rates der Europäischen Gemeinschaften die Steuerbefreiung ausschließen oder von anderen oder zusätzlichen Voraussetzungen abhängig machen. Nach § 6 Abs. 1 UStG 1973 liegt eine Ausfuhrlieferung vor, wenn die Lieferung an einen ausländischen Abnehmer bewirkt wird, der Lieferungsgegenstand in das Ausland gelangt ist, diese beiden Voraussetzungen durch Belege nachgewiesen sind (Ausfuhrnachweis) und buchmäßige Nachweise darüber vorliegen. Nach § 6 Abs. 2 UStG 1973 kann der BMF mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Ausfuhrnachweis und der buchmäßige Nachweis zu führen sind.
Diesen Vorschriften entsprechend wird die Steuerfreiheit durch die 7. UStDV eingeschränkt. Nach § 1 Abs. 1 dieser Verordnung liegt eine Ausfuhrlieferung nicht vor, wenn
1. der Unternehmer eine Lieferung an einen ausländischen Abnehmer mit Wohnort in einem zur EWG gehörenden Gebiet bewirkt hat,
2. dem ausländischen Abnehmer oder in dessen Auftrag einem Dritten die Verfügungsmacht über den Lieferungsgegenstand im Inland verschafft worden ist und
3. das Entgelt für die Lieferung zuzüglich der auf sie entfallenden Umsatzsteuer 457 DM nicht übersteigt.
Jedoch findet gemäß § 1 Abs. 2 der 7. UStDV Absatz 1 dieser Bestimmung keine Anwendung - eine Ausfuhrlieferung wird also nicht ausgeschlossen -, wenn für die auf die Lieferung folgende Einfuhr des Gegenstandes in das Gebiet der EWG Einfuhrumsatzsteuer erhoben worden ist und die Besteuerung der Einfuhr buchmäßig nachgewiesen wird. Grundlage dieses nach § 1 Abs. 2 der 7. UStDV erforderlichen buchmäßigen Nachweises ist demnach regelmäßig der Beleg über die Entrichtung der Eingangsabgaben seitens des ausländischen Abnehmers.
Im Streitfall sind - wie das FG zutreffend entschieden hat - die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 der 7. UStDV erfüllt. Denn der Abnehmer des Klägers wohnt in Dänemark, das seit dem 1. Januar 1973 Mitglied der EWG ist. Der Kläger hat nach den tatsächlichen Feststellungen des FG F noch im Inland die Verfügungsmacht an den gelieferten Gegenständen verschafft. Auch überstieg das Entgelt zuzüglich Umsatzsteuer für die einzelnen gelieferten Gegenstände nach den Feststellungen des FG 457 DM nicht, wobei das FG hinsichtlich dieser Entgeltsgrenze zutreffend nicht auf den Gesamtrechnungsbetrag, sondern auf das Entgelt für die Lieferung des einzelnen Gegenstandes abgestellt hat (vgl. BMF-Erlaß vom 29. Juli 1969, BStBl I 1969, 381, B, Abs. 4; Peter, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 70. Lieferung 1978, § 6 UStG, Rdnr. 260). Gleichwohl wäre Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Abs. 1 UStG 1973 gegeben, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 der 7. UStDV erfüllt worden wären. Dies ist aber zweifelsfrei nicht der Fall, weil ein Beleg darüber, daß F die (dänischen) Eingangsabgaben entrichtet hat, nicht vorliegt.
Allerdings hat die Finanzverwaltung mit dem Schreiben vom 16. November 1970 (a.a.O.) zugelassen, daß der buchmäßige Nachweis nach § 1 Abs. 2 der 7. UStDV auch dadurch erbracht werden kann, daß zusätzlich zu den Aufzeichnungen nach § 2 Abs. 3 der 2. UStDV jede der folgenden Voraussetzungen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen ist:
1. die Unternehmereigenschaft des ausländischen Abnehmers (Angabe des Berufs oder Gewerbezweigs);
2. die Lieferung eines Gegenstandes, der nach Art oder Menge nur zu einer Verwendung in dem Unternehmen des ausländischen Abnehmers bestimmt sein kann;
3. das Einfuhrland.
Durch diesen erleichterten Nachweis will die Finanzverwaltung der Schwierigkeit des buchmäßigen Nachweises der Entrichtung der (ausländischen) Eingangsabgaben begegnen. Dieser erleichterte Nachweis steht indessen in Widerspruch zu § 1 Abs. 2 der 7. UStDV, wonach die Besteuerung der Einfuhr buchmäßig nachgewiesen sein muß. Eine solche Nachweiserleichterung wäre nur mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung zulässig gewesen (§ 6 Abs. 2 UStG 1973).
Der Bundesfinanzhof (BFH) anerkennt allerdings von der Verwaltung erlassene Typisierungsvorschriften als Beweiserleichterungen, soweit sie der Vereinfachung und der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen dienen (vgl. z.B. Urteile vom 25. Oktober 1985 VI R 15/81, BFHE 145, 181, BStBl II 1986, 200; vom 8. August 1986 VI R 195/82, BFHE 147, 247, BStBl II 1986, 824). Derartige Verwaltungsanordnungen kommen indessen nur insoweit in Betracht, als gesetzliche Regelungen fehlen oder unvollständig sind, d.h. soweit sie gesetzlichen Regelungen nicht entgegenstehen. In § 1 Abs. 2 der 7. UStDV ist aber eindeutig bestimmt, daß ,,die Besteuerung der Einfuhr buchmäßig nachgewiesen" werden muß. Durch Verwaltungsanordnung kann deshalb nicht für Gerichte verbindlich geregelt werden, dieser Buchnachweis brauche nicht erbracht zu werden; an seiner Stelle seien andere Nachweise ausreichend.
3. Aus Treu und Glauben wird indessen abgeleitet, daß ein sachlicher Billigkeitsgrund gegeben wäre, wenn eine zum Nachteil eines Steuerpflichtigen (durch die Verwaltung oder die Rechtsprechung) geänderte Verwaltungsanordnung vor ihrer Änderung bereits auf eine große Zahl von Steuerpflichtigen angewendet worden ist; in einem solchen Fall kann die Nichtanwendung der günstigen alten Verwaltungsanordnung dem Gleichheitssatz widersprechen und Billigkeitsmaßnahmen rechtfertigen (vgl. BFH-Urteil vom 5. Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151, a.E.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 227 AO 1977, Tz. 26).
Hätte der Kläger die Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 16. November 1970 (a.a.O.) erfüllt - was das FG nicht abschließend beurteilt hat -, so könnte eine Billigkeitsmaßnahme indessen nur in einem gesonderten Verfahren geltend gemacht werden (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 1980 VI R 226/77, BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319).
Fundstellen