Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit der Kükensortierer ist ein Gewerbebetrieb.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1 S. 1; EStG §§ 15, 18
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer (Bf.), ein Kükensortierer, gewerbesteuerpflichtig ist. Seine Aufgabe besteht darin, bei frischgeschlüpften Küken nach der sogenannten japanischen Methode das Geschlecht zu bestimmen. Der Bf. hält seine Tätigkeit für freiberuflich im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), während die Vorinstanzen sie als gewerblich angesehen haben, und zwar das Finanzgericht mit folgender Begründung: Der Beruf eines Kükensortierers falle nicht unmittelbar unter § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG. Er könne auch nicht zu den in der Vorschrift erwähnten "ähnlichen Berufen" gezählt werden, da er keinem der im Gesetz aufgeführten Berufe ähnlich sei. Die Tätigkeit sei nicht etwa wissenschaftlich im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG, obgleich sie einige anatomische Grundkenntnisse voraussetze. Der Beruf sei auch nicht dem eines Heilpraktikers ähnlich; denn dieser Beruf unterliege einem gesetzlichen Erlaubniszwang und befasse sich mit der Heilung kranker Menschen. Die Tätigkeit sei auch nicht der eines Tierarztes vergleichbar. Tierärzte hätten eine Hochschulausbildung, während der Bf. seine Fachkenntnisse durch die Praxis und durch einige Lehrgänge erworben habe. Sein Beruf erfordere neben einigen anatomischen Kenntnissen eine gewisse Fingerfertigkeit und ein gutes Sehvermögen. An technischen Hilfsmitteln brauche der Kükensortierer eine Lampe, eine Augenlupe und einen "Sortisex" -Apparat. Bei der Tätigkeit des Bf. stehe das Handwerkliche im Vordergrund.
Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Bf. weiterhin die Freistellung von der Gewerbesteuer und führt unter Bezugnahme auf ein Gutachten seines Berufsverbandes im einzelnen aus, daß seine Tätigkeit vor allem der eines Tierarztes ähnlich sei. Er bittet, soweit erforderlich, noch einen Sachverständigen über diese Frage zu hören.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Zutreffend geht das Finanzgericht davon aus, daß das Gesetz die Grenze zwischen der gewerblichen und der freiberuflichen Tätigkeit nicht allgemein und eindeutig gezogen habe. Der Gesetzgeber ist so vorgegangen, daß er in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG die wichtigsten Erscheinungsformen freiberuflicher Tätigkeit einzeln aufgezählt hat, wobei er im EStG 1934 den Kreis freier Berufe gegenüber der bis dahin geltenden Auffassung wesentlich erweitert hat. Die Einzelaufzählung in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG ist allerdings nicht erschöpfend. Der Gesetzgeber hat durch den Zusatz "ähnliche Berufe" den Kreis ausgedehnt. Welche Berufe als ähnlich anzusehen sind, hat der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis von jeher Schwierigkeiten bereitet. In ständiger Rechtsprechung haben der Reichsfinanzhof und der Bundesfinanzhof angenommen, diese Bestimmung enthalte nicht einen allgemeinen Grundsatz in dem Sinn, daß alle Berufe, die gewisse allgemeine Merkmale hätten, als freiberuflich angesehen werden müßten. In einschränkender Auslegung will die Rechtsprechung einen im Gesetz nicht besonders erwähnten Beruf nur dann als freien Beruf anerkennen, wenn er einem der im Gesetz erwähnten Berufe ähnlich ist. Ob eine ähnlichkeit besteht, muß im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände geprüft werden (vgl. z. B. Urteil des Reichsfinanzhofs VI 192/42 vom 15. Juli 1942, Reichssteuerblatt S. 989; Urteile des Bundesfinanzhofs IV 197/50 U vom 16. März 1951, Slg. Bd. 55 S. 255, Bundessteuerblatt - BStBl. - III S. 97; IV 608/53 U vom 26. Mai 1955, BStBl. III S. 225).
Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Seit Jahrzehnten wird versucht, für die Abgrenzung der gewerblichen und freiberuflichen Tätigkeit feste allgemeine Merkmale herauszuarbeiten. Die Erfahrungen zeigen, daß zwar für die Mehrzahl der Fälle in übereinstimmung mit der Verkehrsanschauung jeweils solche Merkmale gefunden werden können, daß aber gerade die Grenzfälle stets Schwierigkeiten bereiten. Die bisher entwickelte Rechtsprechung erlaubt, soweit überhaupt möglich, eine einigermaßen zuverlässige Abgrenzung im Einzelfall. Sie schafft damit eine Grundlage für eine gleichmäßige Besteuerung. Die Verwaltungspraxis ist der Rechtsauffassung der Rechtsprechung seit Jahren beigetreten (vgl. Abschn. 14 der Gewerbesteuer-Richtlinien 1951). Auch die Gesetzgebung stimmt ihr offenbar zu; denn sonst hätte sie bei den mehrfachen änderungen des EStG und des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) eine andere Regelung getroffen.
Die Entscheidung des Finanzgerichts beruht auf diesen Grundsätzen und ist rechtlich einwandfrei. Von den in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgeführten Berufen könnte der Beruf des Bf. nur mit dem eines Tierarztes verglichen werden. Aber die Tätigkeit eines Tierarztes ist in verschiedener Hinsicht so grundlegend von der des Bf. verschieden, daß nach dem Gesamtbild und der Verkehrsanschauung eine ähnlichkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG nicht angenommen werden kann. Ein Tierarzt hat durch das jahrelange Hochschulstudium eine umfassende wissenschaftliche Vorbildung. Sein Aufgabengebiet ist weit. In erster Linie befaßt er sich mit der Diagnose und Heilung von Krankheiten aller Art bei den verschiedenen Tiergattungen. Darüber hinaus aber wird er in die Maßnahmen der Tierhygiene, der Seuchenbekämpfung, der Rassenveredelung usw. einbezogen. Der Bf. befaßt sich zwar auch mit Tieren, aber nur auf einem eng begrenzten Gebiet, auf das er sich vorwiegend in praktischer Arbeit spezialisiert hat. Das Finanzgericht verkennt nicht, daß ein Kükensortierer gewisse anatomische Kenntnisse haben muß. Vorwiegend kommt es nach Auffassung des Finanzgerichts aber auf die Handfertigkeit und das Sehvermögen an. Wenn das Finanzgericht unter diesen Umständen nach dem Gesamtbild die Tätigkeit des Bf. als vorwiegend handwerklich ansah, so liegt darin kein Rechtsverstoß. Einer Anhörung von Sachverständigen bedarf es nicht.
Daß Kükensortierer einer strengen Fachprüfung unterzogen werden und sich auch laufend theoretisch fortbilden müssen, macht ihre Tätigkeit nicht zu einer wissenschaftlichen im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG. Infolge der fortschreitenden Spezialisierung aller Berufe, der wissenschaftlichen Vertiefung der Berufsgrundlagen und wegen des Konkurrenzkampfes der Berufsangehörigen sind ähnliche Bedingungen heute bei den meisten Berufen, auch bei handwerklichen Berufen, gegeben.
Der Bf. beruft sich noch darauf, daß andere Berufe als freiberuflich anerkannt worden seien, obgleich auch sie mit den im Gesetz besonders aufgezählten freien Berufen nur beschränkte ähnlichkeit hätten. Er erwähnt in diesem Zusammenhang Fleischbeschauer, Hebammen, selbständige Krankenschwestern, Masseure usw. Der Senat verzichtet auf eine endgültige Stellungnahme, ob und unter welchen Voraussetzungen die vom Bf. erwähnten Berufe als freiberuflich anerkannt werden können. Eine Entscheidung, ob ein Beruf gewerblich oder freiberuflich ist, kann, wie oben ausgeführt, nicht allgemein, sondern jeweils nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände getroffen werden. Es sei im übrigen auf die Ausführungen bei Blümich- Boyens-Steinbring (Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, 5. Aufl. S. 51, 54) hingewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 408251 |
BStBl III 1955, 295 |
BFHE 1956, 254 |
BFHE 61, 254 |