Leitsatz (amtlich)
1. Die Änderung der bei der Einheitswertfeststellung getroffenen Artfeststellung (§ 19 Abs.3 BewG) nach § 181 Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 173 Abs.1 AO 1977 ist zulässig.
2. Nimmt das FA von Amts wegen gegen den Willen des Steuerpflichtigen eine Änderung vor, so indiziert dies unwiderlegbar, daß es die Voraussetzungen von § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 (Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen) für gegeben hält. Begehrt der Steuerpflichtige die Änderung, so indiziert dies unwiderlegbar, daß die Voraussetzungen von § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 (Änderung zugunsten) vorliegen.
Normenkette
AO 1977 § 181 Abs. 1 S. 1, § 173 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 169 Abs. 1; BewG 1974 § 19 Abs. 3, § 75; AO 1977 §§ 172 ff.
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 03.06.1985; Aktenzeichen 5 K 170/84) |
Tatbestand
Der Kläger erwarb im Jahr 1979 ein unbebautes Grundstück, dessen Einheitswert ihm zum 1.Januar 1980 zugerechnet wurde. Auf dem Grundstück errichtete er ein Gebäude, das im Laufe des Jahres 1980 bezugsfertig wurde. Auf Grund der Erklärung des Klägers zur Feststellung des Einheitswerts auf den 1.Januar 1981, nach deren Inhalt das Haus zwei Wohnungen enthält, wovon die eine im Untergeschoß vermietet ist, nahm das Finanzamt (FA) eine Art- und Wertfortschreibung vor. Es stellte die Grundstücksart Zweifamilienhaus und den Einheitswert auf 64 000 DM fest.
Im April 1983 stellte das FA anläßlich einer Ortsbesichtigung fest, daß sich im Untergeschoß, mit Ausnahme eines Vorratskellers und einer Sauna, Büroräume befanden, wobei ein Raum eine Spüle und die zum Kochen erforderlichen Anschlüsse enthielt. Zudem befand sich in dem Geschoß ein Bad mit WC. Im Erdgeschoß befand sich eine vollständige Wohnung mit zusätzlichen Wohnräumen im Dachgeschoß.
Das FA ging davon aus, daß das Gebäude bereits im Jahre 1980 in der nun ermittelten Art genutzt worden sei, weil schon in diesem Jahr im Keller ein selbständiger Telefonanschluß vorhanden gewesen sei und die Heizkosten nach den Buchführungsunterlagen des Klägers für Wohnung und Büro nach dem Schlüssel der Wohn- und Nutzfläche (147:67 qm) aufgeteilt worden seien. Mit Bescheid vom 8.August 1983 änderte das FA den Art- und Wertfortschreibungsbescheid auf den 1.Januar 1981 und stellte nunmehr die Grundstücksart Einfamilienhaus und den Einheitswert auf 87 200 DM fest. Die Änderung stützte das FA auf § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Den Einspruch gegen diesen Bescheid, der nicht begründet wurde, wies das FA als unbegründet zurück.
Die Klage, die sich auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung (und des Änderungsbescheids) richtet, begründet der Kläger wie folgt: Er habe im Kellergeschoß eine Einliegerwohnung für seine verheiratete Tochter geplant. Diese habe die Wohnung auch nach Fertigstellung im Jahre 1980 bewohnt, während seine --des Klägers-- Wohnung die im Erd- und Dachgeschoß belegene gewesen sei. Erst im September 1982 sei eine Nutzungsänderung dergestalt vorgenommen worden, daß nunmehr das Kellergeschoß gewerblich genutzt werde, während das Dachgeschoß zu einer Einliegerwohnung umgestaltet werden solle.
Das Finanzgericht (FG) hat den Änderungsbescheid vom 8.August 1983 sowie die Einspruchsentscheidung aufgehoben. Aus den Gründen seiner Entscheidung ergibt sich, daß sich die Kassation nur auf die Artfeststellung beziehen sollte; denn das FG ist davon ausgegangen, daß nur der geänderte Artfeststellungsbescheid Anfechtungsgegenstand sei. Seine Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 485 veröffentlicht.
Mit der Revision beantragt das FA die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Es rügt Verletzung von § 181 Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 173 Abs.1 AO 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.
1. Nach § 179 Abs.1 AO 1977 werden die Besteuerungsgrundlagen abweichend von § 157 Abs.2 AO 1977 gesondert festgestellt, soweit dies in der AO 1977 oder sonst in Steuergesetzen vorgeschrieben ist. Gesondert festgestellt werden insbesondere nach § 180 Abs.1 Nr.1 AO 1977 die Einheitswerte nach Maßgabe des Bewertungsgesetzes (BewG). § 19 Abs.1 Nr.1 BewG ordnet die (gesonderte) Feststellung von Einheitswerten für Grundstücke an. Dazu bestimmt § 19 Abs.3 BewG in Nummer 1, daß in dem Feststellungsbescheid auch Feststellungen über die Art der wirtschaftlichen Einheit und bei Grundstücken auch über die Grundstücksart i.S. der §§ 72, 74 und 75 BewG zu treffen sind, und in Nummer 2, daß auch über die Zurechnung der wirtschaftlichen Einheit zu entscheiden ist. Sowohl die Feststellung von Einheitswerten als auch die weiter nach § 19 Abs.3 BewG zu treffenden Feststellungen haben nach § 19 Abs.4 BewG nur zu erfolgen, wenn und soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind.
Auf die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen finden nach § 181 Abs.1 Satz 1 AO 1977 die Vorschriften über die Steuerfestsetzung (ab 1.Januar 1987: die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung) sinngemäß Anwendung. Angesprochen sind damit vorrangig die §§ 155 ff. AO 1977 und damit auch die Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden (§§ 172 bis 177 AO 1977). Nach § 172 Abs.1 AO 1977 darf ein Steuerbescheid (und damit kraft der Anwendungsregel des § 181 Abs.1 Satz 1 AO 1977 auch ein Feststellungsbescheid), wenn er nicht Zölle und Verbrauchsteuern betrifft und soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, u.a. nur aufgehoben oder geändert werden, soweit dies gesetzlich zugelassen ist. § 173 Abs.1 AO 1977 ordnet die Aufhebung oder Änderung an, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die entweder zu einer höheren Steuer führen (Nummer 1) oder, unter der weiteren Voraussetzung, daß den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden trifft, zu einer niedrigeren Steuer führen (Nummer 2). Diese bereits historische Unterscheidung beruht im Kern auf der Überlegung, daß dem Steuerpflichtigen grundsätzlich alle Tatsachen bekannt sind, während sie der Finanzbehörde grundsätzlich unbekannt sind und erst durch die dem Steuerpflichtigen auferlegte Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsermittlung (z.B. aufgrund von ihm abzugebender Erklärungen) bekannt werden (§§ 88, 90 AO 1977). Aus dieser unterschiedlichen Nähe zu den erheblichen Tatsachen folgt, daß die Finanzbehörde bisweilen auf Grund unvollständiger Tatsachenkenntnis entscheiden muß. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für eine Änderung nach § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 ist jedoch, daß das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache oder eines Beweismittels nicht auf einer Verletzung der der Finanzbehörde obliegenden Ermittlungspflicht beruht, sofern der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht voll genügt hat (vgl. Senatsurteil vom 13.November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, 489, BStBl II 1986, 241).
Der Senat vermag sich der Auffassung des FG, daß eine Änderung der Artfeststellung nach § 181 Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 173 Abs.1 AO 1977 nicht möglich sei, nicht anzuschließen. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die jeweils hinsichtlich Wert, Art und Zurechnung getroffenen Feststellungen selbständige und selbständig mit Rechtsbehelfen anfechtbare Entscheidungen darstellen (vgl. das Urteil des III.Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13.November 1981 III R 116/78, BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88, dem sich der Senat in seinem Urteil vom 10.Dezember 1986 II R 88/85, BFHE 148, 329, BStBl II 1987, 292 angeschlossen hat). Richtig ist auch, daß wegen der Eigenart des Ausspruchs der nach § 19 Abs.3 BewG zu treffenden Feststellungen über die Art oder die Zurechnung ein Mehr oder Weniger an steuerlicher Erheblichkeit nicht immer offenkundig wird.
Die in § 181 Abs.1 AO 1977 angeordnete sinngemäße Anwendung von Vorschriften bedeutet deren Anwendung unter Beachtung der Besonderheiten des Feststellungsverfahrens und verlangt damit die zweckgerichtete Anwendung der Vorschriften, die in Bezug genommen sind. Daraus folgt die Notwendigkeit, die Abgrenzung der gebotenen Änderung nach § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 einerseits und Nummer 2 andererseits so vorzunehmen, daß sie der Eigenart des Verwaltungsaktes gerecht wird. Dabei ist von einer konkreten Prüfung des steuerlichen Folgeergebnisses, das je nach Steuerart unterschiedlich sein kann, abzusehen. Der Umstand, daß das FA von Amts wegen gegen den Willen des Steuerpflichtigen die Änderung einer Feststellung vornimmt, indiziert unwiderlegbar, daß die Finanzbehörde von der in § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 gegebenen Änderungsbefugnis in der Annahme Gebrauch macht, die Änderung führe im Ergebnis zu einer steuerlichen Mehrbelastung. In gleicher Weise begründet der Umstand, daß der Steuerpflichtige eine Änderung beantragt, das unwiderlegbare Indiz, daß die begehrte Änderung nach Auffassung des Steuerpflichtigen im Ergebnis zu einer Minderbelastung in steuerlicher Hinsicht führt, er also eine Änderung nach § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 begehrt. Nicht anzuschließen vermag sich der Senat der Auffassung des FG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.Oktober 1985 III 458/82, EFG 1986, 107), daß bei der sinngemäßen Anwendung von § 173 Abs.1 AO 1977 auf Artfeststellungsbescheide der Unterschied in den tatbestandlichen Voraussetzungen zwischen den in § 173 Abs.1 Nr.1 und Nr.2 AO 1977 geregelten Fällen außer Betracht zu bleiben hat. Denn durch eine solche Auslegung würde der vom Gesetz gezogene Rahmen gesprengt; § 173 Abs.1 AO 1977 verlangt vielmehr eine Entscheidung darüber, ob eine Änderung zugunsten oder zuungunsten vorgenommen wird bzw. werden soll.
Dieser Auslegung der Vorschriften des § 181 Abs.1 Satz 1 und des § 173 Abs.1 AO 1977 steht nicht die vom BewG eröffnete Möglichkeit der fehlerbeseitigenden Fortschreibung (§ 22 Abs.3 BewG) entgegen. Denn diese betrifft als Fortschreibung stets einen anderen Stichtag als denjenigen, zu dem der geänderte bzw. zu ändernde Feststellungsbescheid ergangen ist (vgl. § 22 Abs.4 BewG). Außerdem stimmt der Fehlerbegriff des § 22 Abs.3 BewG nicht überein mit dem in der Änderungsvorschrift des § 173 Abs.1 i.V.m. § 181 Abs.1 Satz 1 AO 1977 geregelten Sachverhalt. Im letztgenannten Fall beruht die Fehlerhaftigkeit auf Unkenntnis des wirklichen Sachverhalts. Deshalb gebietet § 173 Abs.1 AO 1977, aus dem wirklichen (verborgen gebliebenen) Sachverhalt innerhalb der Feststellungsfrist (vgl. § 181 Abs.1 i.V.m. § 169 Abs.1 AO 1977) die richtigen Rechtsfolgen durch Änderung des Verwaltungsakts zu ziehen. § 22 Abs.3 BewG spricht dagegen alle Rechtsfehler an, also auch solche, die nach § 177 AO 1977 nicht Anlaß einer Änderung sein, sondern nur im Wege der Saldierung bei Änderungen aus anderen Gründen berichtigt werden können. § 22 Abs.3 BewG ist damit eng mit der Dauerwirkung der nach dem BewG festzustellenden Einheitswerte verknüpft und läßt die Berichtigung von Fehlern zu dem in § 22 Abs.4 Satz 1 Nr.2 BewG genannten Stichtag zu, obgleich eine Änderung nach § 181 Abs.1 i.V.m. §§ 172 ff. AO 1977 tatbestandlich ausgeschlossen oder wegen Ablaufs der Feststellungsfrist unzulässig ist.
2. Die Sache ist nicht spruchreif, weil das FG entsprechend seiner Rechtsauffassung keine tatsächlichen Feststellungen darüber getroffen hat, wie die Raumeinheit im Untergeschoß des Gebäudes auf dem Wohngrundstück des Klägers am Stichtag genutzt wurde und ausgestattet war.
Fundstellen
Haufe-Index 61786 |
BStBl II 1988, 174 |
BFHE 151, 8 |
BFHE 1988, 8 |