Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerberichtigung bei fehlerhafter Beurteilung der Voraussetzungen
Leitsatz (NV)
Die durch Bestandskraft in Verbindung mit Unabänderbarkeit der Steuerfestsetzung, in der der Vorsteuerabzug zugelassen worden war, eingetretene Gestaltung der maßgebenden Rechtslage rechtfertigt es, die Vorsteuerberichtigung wie beim Eintritt einer Gesetzesänderung zu beurteilen.
Normenkette
UStG 1980 § 15a
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) -- Ehegatten in Grundstücksgemeinschaft -- errichteten im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft eine Eigentumswohnung. Sie vermieteten die im April 1983 bezugsfertige Wohnung für eine Monatsmiete von 328 DM an die A-GmbH (im folgenden GmbH). Diese vermietete die Wohnung an einen Endmieter. Die Kläger verzichteten auf die Steuerbefreiung der Vermietung und machten aus Rechnungen von Bauhandwerkern über Bauleistungen zur Herstellung der Wohnung (in den Jahren 1981 bis 1983) den Abzug der gesondert ausgewiesenen Steuer als Vorsteuerbeträge geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanamt -- FA --) erkannte das Zwischenmietverhältnis an und ließ den Abzug von 1209,48 DM für 1981, 10 109,11 DM für 1982 und 1903,48 DM für 1983 als Vorsteuerbeträge zu.
Nachdem die B-Immobilienverwaltungsgesellschaft in das Zwischenmietverhältnis eingetreten und die Wohnung für eine Monatsmiete von 284 DM gemietet hatte, erkannte das FA das Zwischenmietverhältnis ab 1986 nicht mehr an und berichtigte den Vorsteuerabzug gemäß § 15 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. Der dagegen eingelegte Einspruch ist zurückgewiesen und die Einspruchsentscheidung ist bestandskräftig geworden. Entsprechend veranlagte das FA die Kläger für das Streitjahr 1988 und setzte Umsatzsteuer in Höhe von 252 DM fest. Es berücksichtigte dabei (wie schon 1986 und 1987) einen Vorsteuerberichtigungsbetrag von 1260 DM gemäß § 15 a UStG 1980 und einen Steuerabzugsbetrag (§ 19 Abs. 3 UStG 1980) von 1008 DM. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Zwischenvermietung legten die Kläger in dem Antrag auf Änderung des bestandskräftigen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Umsatzsteuerbescheids für 1988 vom 8. Januar 1990 dar, sie vermieteten steuerfrei an Endmieter und brauchten nach der Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom 24. Oktober 1989 V 629/88 (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1990, 272) auch keine Berichtigung des Vorsteuerabzugs hinzunehmen. Sie beantragten, die Umsatzsteuer für 1988 auf 0 DM festzusetzen.
Das FA lehnte es durch Bescheid vom 9. Oktober 1990 und auch in der Einspruchsentscheidung vom 23. November 1990 ab, die Umsatzsteuerfestsetzung für 1988 zu ändern.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG verpflichtete das FA antragsgemäß, die Umsatzsteuer für 1988 auf 0 DM herabzusetzen. Zur Begründung führte es u. a. aus: Das FA hätte schon das erste Zwischenmietverhältnis unter Beachtung der Rechtsprechung des BFH nicht anerkennen dürfen und hätte von der Steuerfreiheit der Mietumsätze ausgehen müssen. Diese unzutreffende rechtliche Beurteilung dürfe nicht nach § 15 a UStG berichtigt werden. Die Steuerfestsetzungen, in denen Vorsteuerbeträge berücksichtigt worden seien, dürften -- falls dies möglich sei -- nur nach verfahrensrechtlichen Voraussetzungen geändert werden.
Mit der (zugelassenen) Revision rügt das FA Verletzung sachlichen Rechts. Das FG habe § 15 a UStG 1980 unzutreffend ausgelegt. Die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich -- so führt das FA weiter aus -- bei Abschluß des zweiten Zwischenmietverhältnisses geändert, weil die Wohnung bereits an einen Endmieter vermietet und die Miete herabgesetzt worden sei. Die zunächst steuerfreien Umsätze seien ab 1986 steuerpflichtig. Außerdem habe das FG nicht beachtet, daß die Kläger gegen Treu und Glauben verstießen, wenn sie sich nunmehr auf die Steuerfreiheit der Vermietung beriefen.
Das FA beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.
Die Kläger sind der Revision entgegenge treten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FA ist nicht zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1988 verpflichtet. Die in der Festsetzung enthaltene Berichtigung des Vorsteuer abzugs gemäß § 15 a UStG 1980 ist recht mäßig.
1. Eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge ist vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern (§ 15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980). Unter den im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung des Wirtschaftsguts für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände der Umsätze zu verstehen, die der Unternehmer mittels des bezeichneten Wirtschaftsguts ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß § 15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983). Die Verhältnisse ändern sich i. S. von § 15 a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung qualifiziert werden. Dabei ist für die rechtliche Würdigung der Umsätze im Erstjahr grundsätzlich die zutreffende Beurteilung maßgebend, nicht aber eine von dieser abweichende Behandlung (§ 15 Abs. 2, 3 UStG 1980) durch die Beteiligten.
a) Für die Prüfung, ob in den Folgejahren eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen ist, besteht regelmäßig keine Bindung an die rechtliche Beurteilung des Umsatzes im Erstjahr. Ist die Steuerfestsetzung für das Erstjahr jedoch unanfechtbar und nicht mehr (z. B. nach § 164 Ab. 2, § 165 Abs. 2, § 173 Abs. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) änderbar, bewirkt die Bestandskraft in Verbindung mit der Unabänderbarkeit, daß die der Steuerfestsetzung für das Erstjahr zugrundeliegende Beurteilung des Vorsteuerabzugs für die Anwendbarkeit des § 15 a Abs. 1 UStG 1980 selbst dann "maßgebend" ist, wenn sie unzutreffend war. Führt die rechtlich richtige Würdigung des Verwendungsumsatzes in einem Folgejahr -- gemessen an der "maßgebenden" Beurteilung für das Erstjahr -- zu einer anderen Beurteilung des Vorsteuerabzugs, ist eine Änderung der Verhältnisse i. S. von § 15 a Abs. 1 UStG 1980 gegeben. Der Vorsteuerabzug kann gemäß § 15 a Abs. 1 UStG 1980 zugunsten oder zu Lasten des Steuerpflichtigen berichtigt werden.
Die durch Bestandskraft in Verbindung mit Unabänderbarkeit eintretende Gestaltung der im Erstjahr maßgebenden Rechtslage für das Erstjahr gebietet es, den Fall so zu behandeln, wie wenn für das Folgejahr eine Gesetzesänderung eingetreten wäre (vgl. zur Änderung der Verhältnisse durch Gesetzesänderung: BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983). Allerdings darf das Verfahrensrecht die Berichtigung nicht verbieten.
b) Der Senat hatte in seinem Urteil vom 27. Juni 1991 V R 106/86 (BFHE 165, 304, BStBl II 1991, 860) ausgesprochen, daß eine fehlerhafte Beurteilung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 ("für sein Unternehmen") nicht in einem Folgejahr nach § 15 a UStG 1973 berichtigt werden darf.
Er hat ferner in seinen Urteilen vom 3. Dezember 1992 V R 87/90 (BFHE 170, 472, BStBl II 1993, 411) und vom 21. Januar 1993 V R 15/91 BFH/NV 1994, 347 und V R 111/91 zu den Vorsteuerabzugsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 ausgeführt, daß bei gleichbleibender Verwendung und unveränderter gesetzlicher Regelung bezüglich der Verwendungsumsätze eine spätere andere rechtliche Beurteilung als im Erstjahr nicht zur Vorsteuer berichtigung nach § 15 a UStG 1980 führt. Die letztgenannte Aussage begrenzt der Senat im Hinblick auf die für den Streitfall maßgeblichen Erwägungen auf die Fälle, in denen die Steuerfestsetzung für das Erstjahr noch änderbar und nicht unanfechtbar ist.
2. Im Streitfall sind die Umsatzsteuerfestsetzungen 1981 bis 1983, in denen das FA den Vorsteuerabzug aus den Baurechnungen -- zu Unrecht -- zugelassen hat, unanfechtbar und nicht mehr änderbar. In ihnen ist eine steuerpflichtige (nicht abzugsschädliche) Grundstücksvermietung als für den Vorsteuerabzug maßgebende Verwendung der Bauleistungen zur Herstellung der Wohnung zugrunde gelegt worden. Im Streitjahr 1988, einem Folgejahr innerhalb des Berichtigungszeitraums, war die Vermietung der Wohnung -- anders als nach der bindenden Beurteilung für das Erstjahr -- zutreffend als steuerfrei (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) zu beurteilen; denn nunmehr wird -- anders als im Erstjahr -- die Vermietung als steuerfrei behandelt, während seinerzeit -- wenn auch zu Unrecht -- eine steuerpflichtige Vermietung angenommen wurde.
Fundstellen
Haufe-Index 419463 |
BFH/NV 1993, 907 |
BFH/NV 1997, 907 |