Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollrecht
Leitsatz (amtlich)
Zollanweisungsgut ist dann nicht ordnungsmäßig wiedergestellt, wenn es in verändertem Zustand wiedergestellt wird. Ist lediglich die Wiedergestellungsfrist versäumt, so wird dadurch die Haftung des Zollbegleitscheinnehmers nicht ausgelöst.
Die Geltendmachung des Haftungsanspruchs gegen den Begleitscheinnehmer nach § 89 Abs. 2 ZG 1939 kann dann gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Zollbeteiligte durch ein auf einer rechtsirrigen Auffassung beruhendes Verhalten der Zollstelle davon abgehalten wird, im Zollanweisungsverfahren das Zollgut ordnungsmäßig wiederzugestellten und damit die Geltendmachung des Haftungsanspruchs nach § 89 Abs. 2 ZG zu vermeiden.
Normenkette
ZG § 89; ZAnwO § 48 Abs. 1, § 49/1
Tatbestand
Auf Antrag der Bgin., vertreten durch ihren Angestellten R., fertigte das Zollamt K. am 4. April 1960 zwei Kisten mit vier Hüllen zur Zollanweisung an das Zollamt A. ab. Die Wiedergestellung wurde bis zum 6. April 1960 befristet. Nachdem R. die geforderte Zollsicherheit geleistet hatte, wurde ihm das Zollgut zur Beförderung überlassen. Am 6. April 1960 übergab R. Ware und Zollbegleitschein der Empfängerin, der Firma B. in A. Diese beantragte am 20. April 1960 unter Vorführung der inzwischen reparierten vier Hüllen Abfertigung auf Zollbegleitschein zur Ausfuhr nach der Schweiz. Dieses Zollanweisungsverfahren wurde ordnungsgemäß abgewickelt.
Das Zollamt K. nahm die Bgin. mit Steuerhaftungsbescheid vom 1. Juli 1960 deswegen in Anspruch, weil das Zollgut nicht innerhalb der Wiedergestellungsfrist, das ist bis zum 6. April 1960, wiedergestellt wurde. Das Zollamt sah in der nicht fristgerechten Wiedergestellung eine vorschriftswidrige Verfügung. Die Eingangsabgabenschuld sei deswegen entstanden. Die Bgin. hafte als Zollbegleitscheinnehmerin nach § 89 Abs. 2 ZG 1939.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung wurden Einspruchsentscheidung und Haftungsbescheid ersatzlos aufgehoben. Das Finanzgericht war der Auffassung, daß die Bgin. zwar als Begleitscheinnehmerin hafte, die Anforderung der Abgaben jedoch gegen Treu und Glauben verstoße. Treu und Glauben sah das Finanzgericht dadurch als verletzt an, daß der Warenführer R. am Tage des Ablaufs der Wiedergestellungsfrist bei der Zollstelle in A. unter Vorlage des Zollbegleitscheines wegen der Auszahlung der geleisteten Sicherheit vorgesprochen habe, von der Zollstelle aber nicht darauf hingewiesen worden sei, daß für eine ordnungsmäßige Wiedergestellung auch die Vorführung der Ware erforderlich sei.
In der Rb. rügt der Vorsteher des Hauptzollamts Verletzung der Ermittlungspflicht (ß 243 AO) und unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts, und zwar des Grundsatzes von Treu und Glauben.
Der Bundesminister der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten. Er ist der Auffassung, daß die Bgin. zu Recht als Haftende in Anspruch genommen worden sei, weil die Empfängerin der Ware das Zollgut erst nach Ausbesserung, also in verändertem Zustand, wiedergestellt hat.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nach § 89 Abs. 2 ZG 1939 haftet der Zollbegleitscheinnehmer von der Aushändigung des Zollbegleitscheines ab für den Zoll nach der höchsten in Betracht kommenden Zollbelastung, wenn das Zollgut nicht oder nicht ordnungsmäßig wiedergestellt wird. Die Pflicht zur Wiedergestellung obliegt nach § 89 Abs. 3 ZG dem Warenführer. Der Inhalt dieser Verpflichtung ist gesetzlich in der Weise bestimmt, daß der Warenführer das Zollanweisungsgut "ohne es zu verändern, innerhalb bestimmter Frist einer zur Erledigung des Zollbegleitscheins befugten Zollstelle" wiederzugestellten hat. Ob die Verletzung eines Teils dieser Pflicht, z. B. die Versäumung der Wiedergestellungsfrist, eine nicht ordnungsmäßige, die Haftung nach § 89 Abs. 2 ZG auslösende Wiedergestellung darstellt, läßt sich aus dem Wortlaut der Bestimmung nicht entnehmen. Die Bestimmungen über das Zollanweisungsverfahren enthalten im Gegensatz zu denen über das Zollvormerkverfahren (ß 103 Abs. 3 ZG) nichts darüber, welche Folgen bei einer Versäumung der Wiedergestellungsfrist eintreten. Auch der Zusammenhang der Bestimmungen des Zollanweisungsverfahrens ergibt nichts dafür, daß bereits bei Versäumung der Wiedergestellungsfrist der Zollbegleitscheinnehmer zu haften hat. Nach § 89 Abs. 1 und Abs. 3 ZG kommt es vielmehr beim Zollanweisungsverfahren entscheidend darauf an, daß bei der zum Zollanweisungsverfahren abgefertigten und bei der wiedergestellten Ware die Nämlichkeit gewahrt ist. § 89 Abs. 1 ZG schreibt deshalb vor, daß das Zollgut erst nach Sicherung seiner Nämlichkeit dem Zollbegleitscheinnehmer zur Beförderung überlassen wird. Dieser Maßnahme entspricht die Verpflichtung des Warenführers, das Zollanweisungsgut, "ohne es zu verändern", wiederzuzustellen. Auch der Sinn und Zweck des Zollanweisungsverfahrens, nämlich wegen der geographischen Lage und der Verkehrsverhältnisse die Erhebung der Zölle im Innern des Landes zu ermöglichen, erfordern es, daß die Ware nach dem überschreiten der Zollgrenze bis zur Abfertigung im Innern keine Veränderung erfährt. Da es sich bei dem Zollanweisungsverfahren schließlich um ein vorläufiges Zollverfahren handelt, kommt es entscheidend darauf an, daß das Zollanweisungsgut einem endgültigen Zollverfahren zugeführt wird. Dies ist nur dann nicht mehr möglich, wenn es endgültig nicht wiedergestellt wird, nicht aber, wenn es nur verspätet wiedergestellt wird. Die Haftung des Zollbegleitscheinnehmers ist deshalb ihrem eigentlichen Wesen nach primär ein Mittel zur Sicherung der Wiedergestellung des Zollguts (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 69/59 U vom 3. Februar 1960, BStBl 1960 III S. 184, Slg. Bd. 70 S. 492). Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich auch aus § 48 Abs. 1 und § 49 Abs. 1 der Zollanweisungsordnung (ZAnwO), wonach die Zollstelle bei überschreitung der Wiedergestellungsfrist den Sachverhalt zu ermitteln und den Zollbegleitschein zu erledigen hat, wenn nach den Ermittlungen für das Zollanweisungsgut bis zur Wiedergestellung eine Zollschuld nicht entstanden ist (Siegert, Zollgesetz und Nebengesetze, § 89 Anm. 11). Wird deshalb zwar gestellt, aber verspätet, so rechtfertigt es dies allein noch nicht, die Begleitscheinnehmerin als Haftende nach § 89 Abs. 2 ZG in Anspruch zu nehmen. Die von den Vorinstanzen offenbar vertretene Auffassung, daß der Ablauf der Wiedergestellungsfrist allein die Haftung der Begleitscheinnehmerin ausgelöst habe, ist insoweit rechtsirrig.
Im Streitfall ist das Zollanweisungsgut jedoch in verändertem Zustand verspätet wiedergestellt worden. Denn die Hüllen sind mittlerweile repariert worden. Die Wiedergestellung der Hüllen in verändertem Zustand ist, wie dargetan, eine nicht ordnungsmäßige Wiedergestellung im Sinne des § 89 Abs. 2 ZG. Durch diese nicht ordnungsmäßige Wiedergestellung ist die Haftung der Bgin. als Begleitscheinnehmerin begründet worden (ß 89 Abs. 2 ZG).
Das Finanzgericht hat die Inanspruchnahme der Bgin. aus der Haftung nach § 89 Abs. 2 ZG als gegen Treu und Glauben verstoßend angesehen. Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt nach ständiger Rechtsprechung auch auf dem Gebiete der Zölle und Verbrauchsteuern. Die Anwendung dieses Grundsatzes setzt jedoch voraus, daß die Fälle so außergewöhnlich gelagert sind, daß die Geltendmachung des kraft Gesetzes entstandenen Abgabenanspruchs mit Rücksicht auf ein vorausgegangenes Verhalten der Verwaltung mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar ist (Urteil des Bundesfinanzhofs VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, BStBl 1960 III S. 127, Slg. Bd. 70 S. 341).
Im Streitfall hat das Finanzgericht die Geltendmachung des Haftungsanspruchs als gegen Treu und Glauben verstoßend angesehen, weil der Zollbeamte des Zollamts A. es unterlassen hatte, den Warenführer darauf hinzuweisen, daß für die Wiedergestellung die Vorlage des Zollbegleitscheins nicht ausreiche, sondern auch die Ware selbst vorzuführen sei. Dadurch sei die rechtzeitige Wiedergestellung verhindert worden. Dem kann aber nicht zugestimmt werden. Auch wenn es sich bei dem Warenführer R. um einen mit den deutschen Zollvorschriften nicht vertrauten Ausländer gehandelt hat, so bedurfte es jedenfalls keines besonderen mündlichen Hinweises auf seine Verpflichtung als Warenführer. Denn er konnte aus dem grünen Hinweiszettel, der auf dem ihm ausgehändigten Zollbegleitschein aufgeklebt war, ohne weiteres ersehen, daß er Sendung und Zollbegleitschein der Empfangszollstelle zu übergeben hatte. In dem Unterlassen eines zusätzlichen mündlichen Hinweises kann deshalb ein widersprüchliches Verhalten der Zollstelle nicht erblickt werden. Treu und Glauben sind deshalb bei dem vom Finanzgericht festgestellten Sachverhalt nicht verletzt. Die Vorentscheidung war aus diesem Grunde aufzuheben.
Eine Verletzung von Treu und Glauben kann jedoch aus einem anderen Grunde in Betracht kommen. Eine solche Verletzung hat das oben angeführte Urteil des Bundesfinanzhofs insbesondere für den Fall angenommen, daß die Geltendmachung des gesetzlich entstandenen Abgabenanspruches mit einem vorausgehenden nachhaltigen Verhalten der Zollverwaltung in nicht vertretbarem Widerspruch steht. Dies muß aber auch dann gelten, wenn durch ein einmaliges, auf einer rechtsirrigen Auffassung beruhendes Verhalten der Zollstelle der Zollbeteiligte davon abgehalten wird, im Zollanweisungsverfahren die Ware ordnungsmäßig wiederzugestellten und damit die Geltendmachung des Haftungsanspruchs nach § 89 Abs. 2 ZG zu vermeiden. Denn es wäre in einem solchen Fall mit dem allgemeinen Rechtsempfinden und mit dem von den Gerichten zu beachtenden Gebot der Gerechtigkeit im Einzelfall (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 194, 196), zu dem das positive Recht durch Treu und Glauben in eine nahe Beziehung gebracht wird (Mattern, Treu und Glauben im Steuerrecht, Stuttgart, 1958, Anm. 22), unvereinbar, den Begleitscheinnehmer als Haftenden in Anspruch zu nehmen. Nach dem Inhalt der Akten hat das Zollamt K. auf Grund seiner rechtsirrigen Auffassung, daß allein bei nicht fristgemäßer Wiedergestellung die Haftung des Begleitscheinnehmers entstanden sei, die sowohl von der Bgin. als auch von der Firma B. in A. beantragte Verlängerung der Wiedergestellung zu einem Zeitpunkt abgelehnt, zu dem nach den Angaben der Firma B. in A. noch eine ordnungsmäßige Wiedergestellung möglich gewesen wäre. Eine ordnungsgemäße Wiedergestellung wäre dabei nicht dadurch ausgeschlossen gewesen, daß das Zollanweisungsgut von dem ursprünglichen Warenführer R. der Empfangsfirma ausgehändigt worden war. Denn auf diese ist durch die übernahme des Zollanweisungsgutes in Kenntnis dieser Eigenschaft die Wiedergestellungspflicht übergegangen (vgl. § 89 Abs. 3 ZG). Der Umstand, daß der ursprüngliche Warenführer R. sich keine schriftliche Bestätigung nach § 18 ZAnwO hat geben lassen, hat den übergang der Wiedergestellungspflicht nicht verhindert, wie auch der Bundesminister der Finanzen zutreffend ausgeführt hat. Die Zollstelle in A. hat offenbar auch deshalb, weil die Zollstelle in K. nach Ablauf der einmal gesetzten Wiedergestellungsfrist eine Verlängerung der Wiedergestellungsfrist nicht für möglich hielt, die Wiedergestellung ohne Verlängerung der Wiedergestellungsfrist nicht zugelassen. Die Zollstelle in A. hätte jedoch wegen der Versäumung der Wiedergestellungsfrist allein die Wiedergestellung nicht ablehnen dürfen. Solange nach Ablauf der Wiedergestellungsfrist die Ware unverändert hätte gestellt werden können und die Empfangsfirma die Wiedergestellung angeboten hat, hätte das Zollamt die Wiedergestellung zulassen und den Begleitschein erledigen müssen. Hat die Zollstelle infolge ihrer rechtsirrigen Auffassung die noch mögliche ordnungsmäßige Gestellung nicht zugelassen, so würde es Treu und Glauben widersprechen, die Bgin. aus ihrer Haftung als Begleitscheinnehmerin in Anspruch zu nehmen. Der Sachverhalt ist insoweit noch nicht genügend aufgeklärt. Die Sache war daher zur weiteren Aufklärung an das Finanzgericht zurückzuverweisen. Dieses wird nunmehr unter verantwortlicher Einvernahme sämtlicher Beteiligter den Sachverhalt zu klären haben.
Fundstellen
Haufe-Index 410620 |
BStBl III 1963, 55 |
BFHE 1963, 154 |
BFHE 76, 154 |