Leitsatz (amtlich)
Entgegen dem Urteil III 118/39 vom 27. Juni 1939, Slg. Bd. 47 S. 121, und entsprechend dem Urteil II 175/24 vom 3. Juni 1924, Slg. Bd. 13 S. 350, darf Kostenvorschuß gemäß § 51 Abs. 1 und 2 der Dritten StNV vom 14. Februar 1924, RGBl. I S. 74, nur gefordert werden, wenn eine der beiden Voraussetzungen des § 50 a. a. O. gegeben ist.
Normenkette
Dritte StNV vom 14. Februar 1924
Tatbestand
Das Hauptzollamt in A hat durch Haftungsbescheid vom 24. September 1949 die Beschwerdeführerin (Bfin.) für 648 000 DM Abgaben für 3600 kg Tabakwaren haftbar gemacht, die als Zollanweisungsgut zur Durchfuhr durch einen Kraftwagenführer der Bfin. nicht wiedergestellt worden sind.
Die Bfin. hat dagegen unterm 30. September 1949 Anfechtung eingelegt. Darauf hat der Oberfinanzpräsident unter dem 4. April 1950 von der Bfin. bis zum 20. Mai 1950 4 212,50 DM Kostenvorschuß gefordert mit dem Hinweis, daß bei Nichtzahlung dieses Vorschusses die Anfechtung im Hinblick auf das Urteil des RFHofs III 118/39 vom 27. Juni 1939, Slg. Bd. 47 S. 121, als unzulässig verworfen werden würde. Da der Kostenvorschuß nicht bezahlt worden ist, die Bfin. in den Niederlanden ihren Sitz hat und nach Annahme des Oberfinanzpräsidenten mit Sicherheit anzunehmen ist, daß sie bei Zurückweisung ihrer Anfechtung die Rechtsmittelkosten nicht bezahlen wird, hat der Oberfinanzpräsident durch Anfechtungsentscheidung vom 21. Juni 1950 die Anfechtung als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) vom 13. Juli 1950 gegen diese Anfechtungsentscheidung meint, das Verlangen eines Kostenvorschusses käme im gegebenen Falle einer Rechtsverweigerung gleich, denn die Bfin. könne als Ausländerin sich nicht nach Belieben DM-Beträge verschaffen. Diese Schlechterstellung eines Ausländers sei nach dem Grundgesetz unzulässig.
Entscheidungsgründe
Die Rb. hat Erfolg, wenn auch aus anderen Gründen.
Die Forderung des Kostenvorschusses ist auf §§ 50 und 51 der Dritten Steuernotverordnung (StNV) vom 14. Februar 1924, Reichsgesetzblatt (RGBl.) I S. 74, gestützt. Da diese bisher nicht, wie es § 55 Abs. 3 Satz 1 für ihr Außerkrafttreten verlangt, ausdrücklich durch den Reichsminister der Finanzen oder seine Nachfolger außer Kraft gesetzt worden sind, sind sie als noch gültig anzusehen (vgl. Entscheidung des RFHofs III 118/39, Slg. Bd. 47 S. 121, Reichssteuerblatt -- RStBl. -- 1939 S. 836, Reichszollblatt -- RZBl. -- 1939 S. 784, Steuer und Wirtschaft -- StW -- 1939 Nr 504, Mrozeks Kartei R. 2 und 3 zu § 50 der Dritten StNV, und Handbuch des Steuerrechts Anm. 2 zu § 252 und Anm. 1 zu § 307 der Reichsabgabenordnung -- AO --).
Nach § 51 Abs. 1 Satz 1, 3 und 4 darf der Vorsitzende der Rechtsmittelbehörde, wenn (u. a. ) Anfechtung eingelegt ist, unter Bestimmung einer Frist unanfechtbar verfügen, daß der Bf. einen Kostenvorschuß zu zahlen hat, aus dem nach Satz 2 bei Zurückweisung des Rechtsmittels die den Bf. zur Last fallenden Kosten voraussichtlich gedeckt werden können. Wird die Zahlung des Kostenvorschusses nicht rechtzeitig nachgewiesen und liegen die Voraussetzungen des § 50 vor, so ist nach Abs. 2 Satz 1 das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Diese Voraussetzungen sind die Einlegung des Rechtsmittels (hier der Anfechtung) aus Mutwillen oder in der Absicht, die Finanzbehörden irrezuführen. Keine dieser beiden Voraussetzungen ist nach der Anfechtungsentscheidung hier gegeben; die Anfechtung durfte daher nicht als unzulässig verworfen werden, wie es die Entscheidung des RFHofs II A 175/24 vom 3. Juni 1924, Slg. Bd. 13 S. 350, RStBl. 1924 S. 173, StW 1924 Nr 232, hervorgehoben hat.
Die Vorinstanz stützt sich in ihrer Anfechtungsentscheidung auf das genannte Urteil III 118/39. Dessen Rechtssatz, daß bei Nicht- oder nicht fristgemäßer Leistung des geforderten Kostenvorschusses das Rechtsmittel auch dann zu verwerfen ist, wenn die Voraussetzungen des § 50 der Dritten StNV nicht vorliegen, kann nicht mehr gefolgt werden.
Nach dem Entwurf der Dritten StNV sollte das Rechtsmittel bei nicht rechtzeitiger Vorschußzahlung ohne die Beschränkung auf die Voraussetzungen des § 50 stets als unzulässig verworfen werden. Die Einschränkung auf mutwillige und irreführende Rechtsmitteleinlegung ist auf Verlangen des (45.) Reichstagsausschusses, der nach § 1 Abs. 1 Satz 3 des Ermächtigungsgesetzes vor Erlaß der Verordnung zu hören war, eingefügt worden, weil sonst auf § 51 überhaupt hätte verzichtet werden müssen. Die Einfügung geschah in der Erwägung, daß auch die eingeschränkte Fassung des Abs. 2 Satz 1 die Fälle umschließt, auf die die Forderung von Kostenvorschuß in erster Reihe abgestellt war und ist, nämlich die Fälle groben Mißbrauchs der Rechtsmittelbefugnis.
Das Urteil des RFHofs III 118/39 hat den dem gesetzlichen Wortlaut entsprechenden Standpunkt in der Entscheidung des RFHofs II A 175/24 aufgegeben und ist der Auffassung des Finanzgerichts gefolgt, das beim Fehlen der Voraussetzungen des § 50 den § 51 Abs. 1 nicht als bedeutungslos beiseite gelassen, vielmehr Abs. 2 auch in diesen Fällen angewendet hat, obgleich diese Auffassung, wie das Urteil III 118/39 selbst hervorhebt, dem klaren Wortlaut der Vorschrift und -- wie gezeigt -- auch deren Sinn nicht entspricht (der Steuerpflichtige -- Stpfl. -- war ausgewandert, der deutschen Reichsangehörigkeit für verlustig erklärt und sein Vermögen beschlagnahmt worden). Das Urteil III 118/39 beruft sich dabei auf § 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) und auf "die Entwicklung der Verhältnisse" und sieht diese darin, daß § 51 Abs. 2 die durch die Reichsregierung ursprünglich beabsichtigte Fassung erhalten haben würde, wenn er erst zur Zeit des Urteils III 118/39 erlassen worden wäre, eine Fassung, die allein eine wirksame Durchführung der Vorschußbestimmung gewährleiste. Die Möglichkeit, die Vorschußzahlung im Verwaltungsweg zu erzwingen, versage beim Fehlen eines entsprechenden Inlandvermögens des Bf., und die Auffassung in der Entscheidung II A 175/24, es widerspreche "dem Geist der Zeit" (1924), daß ein Bf., wegen Zahlungsunfähigkeit zur Vorschußleistung außerstande, sein Rechtsmittel verliere, sei "nicht oder jedenfalls heute (1939) nicht mehr stichhaltig".
Diese Auffassung und besonders das bewußte und zugegebene Entscheiden gegen den klaren unzweideutigen und vom Gesetzgeber so auch gewollten Wortlaut des Gesetzes bei Vorschriften, für die der Nationalsozialismus noch nicht maßgebend war, wie es die Entscheidung des RFHofs I 288/38 vom 11. Oktober 1938, Slg. Bd. 45 S. 56, StW 1938 Nr 684, RStBl. 1939 S. 89, ausdrücklich zugelassen hat, enthält Gedankengänge, die heute abgelehnt werden. Das Urteil III 118/39 wird auch weniger durch § 1 Abs. 2 StAnpG, die Entwicklung der Verhältnisse, getragen, die schon nach § 4 AO 1919 und § 9 AO 1931 zu beachten waren und infolgedessen auch heute uneingeschränkt zu beachten sind, als vielmehr auf § 1 Abs. 1 StAnpG gestützt sein, der heute aufgehoben ist (vgl. StW 1950 Sp. 549 ff.).
Es bleibt unter diesen Umständen nur übrig, § 51 Abs. 2 bei nicht mutwilliger oder auf Irreführung gerichteter Rechtsmitteleinlegung als lex imperfecta anzusehen, statt ihm die Auslegung zu geben, die ihm das Urteil III 118/39 unterstellt hat. Das allein entspricht dem Wortlaut des § 51 und seinem vom Gesetzgeber gewollten Inhalt. Über beides darf sich der Finanzrichter nicht hinwegsetzen, ohne das Gesetz zu verletzen, dem er, in der Rechtsfindung unabhängig, nach § 48 Abs. 5 und § 56 Abs. 1 AO unterworfen ist.
Unter diesen Umständen war auf die Rb. die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Kosten und über die Feststellung des Streitwertes ergeben §§ 318 Abs. 2 und 320 Abs. 3 AO.
Der III. Senat hat dieser Abweichung von dem Urteil III 118/39 vom 27. Juni 1939 gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 AO in seiner Sitzung vom 16. November 1950 zugestimmt.
Hält die Vorinstanz eine der beiden Voraussetzungen des § 50 der Dritten StNV für erwiesen, so darf sie von neuem Kostenvorschuß verlangen. Andernfalls ist sachlich über die Anfechtung zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 407150 |
BStBl III 1951, 3 |
BFHE 1952, 4 |