Leitsatz (amtlich)
Die Erhöhung der Branntweinsteuer für Branntwein zu Trinkzwecken durch das Haushaltssicherungsgesetz vom 20. Dezember 1965 (BGBl I, 2065, GVBl Berlin, 2056) und die Einführung einer Nachsteuer für Branntwein zu Trinkzwecken durch dieses Gesetz verstoßen nicht gegen das GG, und zwar auch nicht, soweit die Geltung dieser gesetzlichen Regelungen auf das Land Berlin erstreckt wurde.
Normenkette
Haushaltssicherungsgesetz Art. 21 § 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1, 4, Art. 23; Grundgesetz Art. 1-3, 12, 14, 103
Tatbestand
I.
1. Das Hauptzollamt (HZA) forderte von der Klägerin, die sich mit der Herstellung von Branntweinerzeugnissen befaßt, mit Bescheid vom 3. Februar 1966 gemäß Art. 21 § 2 Abs. 1 Satz 1 des Haushaltssicherungsgesetzes (HSG) vom 20. Dezember 1965 (BGBl I, 2065, Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin S. 2056 – GVBl Berlin. 2056 –) … DM Branntweinnachsteuer für die am 1. Januar 1966 in ihrem Betrieb vorhandenen Bestände. Der Einspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, daß die Erhebung der Nachsteuer verfassungswidrig sei, hatte keinen Erfolg. Auch die Klage blieb erfolglos.
2. Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Nachsteuerbescheid vom 3. Februar 1966 aufzuheben.
3. Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
1. Nach Art. 21 § 1 Nr. 2 HSG ist mit Wirkung vom 1. Januar 1966 die Branntweinsteuer für Branntwein zu Trinkzwecken erhöht worden, und zwar von 1 000 DM je Hektoliter Weingeist (hl/W) auf 1 200 DM, im Lande Berlin von 250 DM hl/W (vgl. Verordnung über die Erhebung der Branntweinsteuer im Lande Berlin vom 21. September 1962, GVBl Berlin 1962, 1119) ebenfalls auf 1 200 DM. Nach Art. 21 § 2 Abs. 1 HSG ist für Branntwein zu Trinkzwecken und die hieraus hergestellten Erzeugnisse, die sich zu Beginn des 1. Januar 1966 im freien Verkehr befanden, eine Nachsteuer in Höhe von 200 DM, im Lande Berlin in Höhe von 950 DM zu entrichten. Das HSG gilt gemäß seinem Art. 23 nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 und des § 13 Abs. 1 des Dritten Überleitungsgesetzes vom 4. Januar 1952 (BGBl I, 1) auch im Lande Berlin. Das HSG ist in Berlin am 31. Dezember 1965 verkündet worden.
2. Da das HSG erst nach seiner Verkündung in der BRD bzw. im Lande Berlin am 1. Januar 1966 in Kraft getreten ist, kann von einem Verstoß gegen das GG durch rückwirkende Anordnung einer Besteuerung nicht gesprochen werden. Das HSG greift nicht nachträglich ändernd in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände ein (vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 11 S. 139, 145 – BVerfGE 11, 139, 145 – und 13, 261, 271). Auch soweit das HSG am 1. Januar 1966 im Besitz von Herstellern oder Händlern befindlichen Branntwein oder Branntweinerzeugnisse des freien Verkehrs einer Nachsteuer unterworfen hat, kann nicht von einer rückwirkenden Besteuerung gesprochen werden. Für Branntwein bzw. Branntweinerzeugnisse des freien Verkehrs war zwar schon die Branntweinsteuer zu den bisherigen Steuersätzen entrichtet worden. Es bleibt aber zu beachten, daß es sich bei der Branntweinsteuer und auch bei der Branntweinnachsteuer um eine Verbrauchsteuer handelt, die der Endverbraucher trägt, nicht der Hersteller oder Händler des Branntweins oder der Branntweinerzeugnisse. Der Hersteller bzw. Händler ist nur Schuldner der Branntweinnachsteuer, die in den Verkaufspreisen der Branntweinerzeugnisse auf den Endverbraucher überwälzt wird. Um dem Hersteller oder dem Händler der hier in Rede stehenden Branntweinerzeugnisse nicht zuzumuten, daß er einen Steuerbetrag vorlegt, den er erst nach der Steuerentrichtung vereinnahmen kann, hat der Gesetzgeber bestimmt, daß die Nachsteuer bis zum 15. Tag des dritten Monats zu entrichten ist, der auf die Festsetzung der Steuer folgt. Diesen Zeitraum von etwa einem Vierteljahr hat der Gesetzgeber für den Steuerschuldner als ausreichend angesehen, um den Steuerbetrag hereinzuholen. Aus dem Wesen einer Verbrauchsteuer ergibt sich, daß die Steuerschuld solange entstehen kann, als die Ware noch nicht verbraucht ist oder noch nicht in Gebrauch genommen ist. An welcher Stelle die Steuer auf dem Wege von der Produktion der steuerbaren Ware bis zum Verbrauch entstehen soll und wer als Steuerschuldner bestimmt wird, muß der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen bleiben. Aus der Tatsache, daß nach den Verbrauchsteuergesetzen in der Regel der Hersteller zum Steuerschuldner erklärt wird, kann nicht gefolgert werden, daß bei Neueinführung von Verbrauchsteuern nicht auch eine andere Person Steuerschuldner werden könnte. Im übrigen ist Steuerschuldner für ablieferungspflichtigen, an die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein abgelieferten Branntwein nicht der Hersteller des Branntweins. Dagegen ist der Hersteller Schuldner der Branntweinsteuer (Branntweinaufschlag) für ablieferungsfreien Branntwein (§ 80 des Branntweinmonopolgesetzes – BrMonG –); wer Schuldner des Monopolausgleichs ist, richtet sich nach den Vorschriften des Zollgesetzes – ZG – (§ 154 BrMonG). Der Hersteller von Branntweinerzeugnissen kann gemäß § 91 Abs. 1 BrMonG Steuerschuldner werden, wenn er unter den dort genannten Voraussetzungen unversteuerten Branntwein von der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein bezieht. Es kann also keinen Verstoß gegen Art. 1 oder Art. 2 GG darstellen, wenn – je nachdem, was für die Erhebung der Steuer erforderlich erscheint – der Hersteller oder der Händler zum Schuldner einer Verbrauchsteuer bestimmt wird; denn er ist nicht Steuerträger. Es liegt auch kein Verstoß gegen das „Ordnungssystem” und gegen Art. 3 GG vor, wenn nur die Hersteller und Händler zu Schuldnern der Nachsteuer bestimmt wurden, nicht aber auch die Verbraucher.
3. Auch ein Eingriff in das Spiel der wirtschaftlichen Kräfte durch Steuergesetze ist dem Gesetzgeber nicht versagt, es sei denn, daß ein derartiges Gesetz seinem ihm begrifflich zukommenden Zweck, Steuereinnahmen zu erzielen, geradezu zuwiderhandelte (BVerfGE 16, 147 [161], und Neue Juristische Wochenschrift 1965 S. 1581 – NJW 1965, 1581 –). Danach muß die Branntweinnachsteuer als zulässig angesehen werden, da sie nicht überwiegend dem Zweck diente, eine außergewöhnliche Bevorratung zu verhindern, sondern nach ihrer Gestaltung in erster Linie den Zweck hatte, sicherzustellen, daß die mit der vom HSG vorgenommenen Steuererhöhung erstrebten Mehreinnahmen auch wirklich möglichst bald und vollständig anfielen. Die Frage, ob die Einführung der Branntweinnachsteuer notwendig war, unterliegt nicht der Nachprüfung des Bundesfinanzhofs (BFH). Die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Steuer ist Sache des Gesetzgebers.
4. Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, daß sie von der Nachsteuer überrascht worden sei, d. h. nicht mit einer Nachsteuer habe zu rechnen brauchen. Dieser Einwand ist schon aus dem Grunde nicht entscheidend, weil die Klägerin die Nachsteuer letztlich nicht trägt, sondern abwälzt. Zutreffend hat aber das FG auch darauf hingewiesen, daß die Hersteller mit einer Erhebung der Nachsteuer rechnen mußten, einmal weil auch bei anderen Verbrauchsteuern in den letzten Jahren bei Änderung der Steuersätze Nachsteuern erhoben wurden (vgl. Abschn. III Art. 3 des Verkehrsfinanzgesetzes – VFG – vom 6. April 1955, BGBl I, 166, und Abschn. II Art. 7 des Straßenbaufinanzierungsgesetzes vom 28. März 1960, BGBl I, 201), zum andern, weil kein verständiger Kaufmann mit Sicherheit damit rechnen konnte, daß ihm im Zusammenhang mit der Erhöhung der Branntweinsteuer ein besonderer Gewinn zufließen würde. Im übrigen weist das HZA darauf hin, daß frühzeitig in der Presse auf die Möglichkeit einer Nachsteuer aufmerksam gemacht worden ist (vgl. die Tageszeitungen „Welt” vom 5. November 1965, Handelsblatt vom 5. November 1965, und Industriekurier vom 27. November 1965). Auch in der Fachzeitschrift „Die Branntweinwirtschaft” ist in den Nummern 22, 23 und 24 vom 25. November, 10. und 23. Dezember 1965 nebst Sonderbeilagen von der beabsichtigten bzw. beschlossenen Erhöhung der Branntweinsteuer die Rede. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Klägerin als Spirituosenherstellungsbetrieb von diesen Hinweisen in der Fachzeitschrift Kenntnis erhalten hat. In der Einführung der Nachsteuer kann also kein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben durch den Gesetzgeber etwa deswegen erblickt werden, weil er bei Erhöhung von Steuersätzen in anderen Verbrauchsteuergesetzen von einer Nachsteuer abgesehen hat.
Im übrigen aber bedeutete die Einführung der Nachsteuer keinen nennenswerten Eingriff in die Wettbewerbsverhältnisse. Die Hersteller und die Händler, die am 1. Januar 1966 einen über die Freigrenze (Art. 21 § 2 Abs. 4 HSG) liegenden Bestand an Branntwein hatten, waren nur einmal durch die zulässige Nachversteuerung belastet, während bei allen anderen Waren dann wieder die normale Besteuerung gleichmäßig für alle mit den erhöhten Sätzen eintrat, so daß insoweit eine Beeinträchtigung der Wettbewerbslage entfiel.
5. Nach Auffassung des Senats liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn der Gesetzgeber eine gewisse Freigrenze (Art. 21 § 2 Abs. 4 HSG) vorgesehen hat.
Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet, wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln; er ist verletzt, wenn für eine gesetzliche Differenzierung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund sich nicht finden läßt, wenn also für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich bezeichnet werden muß (vgl. BVerfGE 18, 36 [46], wo das als ständige Rechtsprechung bezeichnet ist).
Ein sachlicher Grund für eine Freigrenze im HSG kann aber nicht geleugnet werden. Das Halten eines gewissen Vorrats durch einen Hersteller oder Händler liegt im Rahmen des normalen Geschäftsbetriebes. Daher ist es berechtigt, einen gewissen Mindestbestand am Stichtage von der Nachversteuerung auszunehmen. Bei der Bestimmung der Höhe dieses Bestandes kann aber der Gesetzgeber nicht darauf beschränkt sein, gerade den üblichen Bestand eines kleinen Herstellers oder Einzelhändlers zu wählen, sondern er muß die Möglichkeit haben, auch die Verhältnisse von Herstellern oder Einzelhändlern mit größerem Umsatz in Betracht zu ziehen. Schließlich kann es ihm nicht verwehrt sein, die Freigrenze so zu wählen, daß nicht zahllose Hersteller oder Händler kleinste Bestände zu versteuern haben und sich so derart viele Steuerfälle ergeben, daß ihre ordnungsmäßige Erledigung und damit eine gleichmäßige Besteuerung durch die Behörde nicht durchzuführen wäre.
Bei der Prüfung, ob eine verfassungswidrige Ungleichheit herbeigeführt worden ist, kann aber auch das Maß der Differenz in der steuerlichen Belastung nicht außer Betracht bleiben. Es ist bereits hervorgehoben worden, daß es sich entsprechend dem Wesen einer Nachsteuer nur um die einmalige Belastung eines in einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Bestandes handelte. Dazu kommt, daß bei dieser einmaligen Belastung die Differenz zwischen den durch die Freigrenze begünstigten und anderen sich in Grenzen hält. Bei 1000 0,7 Liter-Flaschen Branntwein beträgt dieser Unterschied höchstens 560 DM (bei 40 % Weingeistgehalt), im Lande Berlin 2 660 DM (siehe im übrigen wegen Berlin die nachstehenden Absätze 7 und 8). Abgesehen von diesem einmaligen Unterschied trat für alle später aus den Herstellungsbetrieben hinausgehenden Erzeugnisse wieder eine völlig gleiche Belastung ein. Auch in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß, soweit keine Freiheit von der Nachsteuer eintrat, diese letztlich der Verbraucher zu tragen hatte, auf den sie abgewälzt wurde.
6. Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg einwenden, das HSG sei ungültig, weil der Beschluß des Plenums des Bundestags durch eine Täuschung zustande gekommen sei. Mit der förmlichen Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens durch das GG ist die Ansicht nur schwer vereinbar, daß Mängel beim Zustandekommen des Gesetzes wie Täuschung oder Irrtum des Gesetzgebers die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Folge haben (vgl. BVerfGE 16, 88). Nichts anderes kann gelten, wenn etwa Interessenten versucht hätten, Einfluß auf die Gestaltung des HSG zu nehmen.
7. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG könnte schon dann nicht vorliegen, wenn die maßgebenden Verbände vor der Gesetzesänderung nicht gehört worden sein sollten, weil die genannte Vorschrift nicht für das Gesetzgebungsverfahren gilt. Aus dem GG ist jedenfalls nicht ersichtlich, daß eine entsprechende Verpflichtung für den Gesetzgeber bestanden hätte. Im übrigen ist schon darauf hingewiesen worden, daß in der Presse und in der Fachpresse die beabsichtigte Gesetzesänderung behandelt wurde. Aus der Fachzeitschrift „Die Branntweinwirtschaft” geht auch hervor, daß verschiedene Fachverbände vor Erlaß des HSG gegen die Erhöhung der Branntweinsteuer Protest und Bedenken erhoben haben (vgl. Jahrgang 1965 Nr. 22 S. 617, 627 und Nr. 23 S. 651).
8. Der Senat vermag auch keinen Verstoß gegen das GG darin zu erblicken, daß im Lande Berlin der Steuersatz für Branntwein zur Herstellung von Trinkbranntwein durch das HSG von 250 DM/hlW auf 1 200 DM erhöht worden ist. Mit der Einführung der niedrigen Branntweinsteuer in Berlin-West wollte man ein Gegengewicht gegen billig eingebrachte Spirituosen schaffen (vgl. Hoppe-Heinricht, Kommentar zum Gesetz über das Branntweinmonopol vom 8. April 1922, Anm. 2 zu § 183). Dieser Grund war, worauf das FG zutreffend hinweist, seit Jahren entfallen (vgl. auch den schriftlichen Bericht des Haushaltsausschusses – Bericht des Abgeordneten Leicht – über den Entwurf des HSG, auszugsweise abgedruckt in „Die Branntweinwirtschaft Nr. 24 vom 23. Dezember 1965”). Lag aber insoweit kein Bedürfnis mehr für eine Begünstigung vor, so wäre das Spirituosengewerbe im übrigen Bundesgebiet benachteiligt gewesen, hätte der Gesetzgeber für Berlin nicht die gleichen Verhältnisse geschaffen. Der Gesetzgeber hat also durch das HSG insoweit lediglich dem Gebot des Art. 3 GG Genüge getan.
9. Ein Verstoß gegen Art. 12 und 14 GG kann in der Beseitigung der Berlin-Präferenzen nicht erblickt werden, zumal alle Berliner Spirituosenfirmen durch das HSG in gleicher Weise betroffen wurden, Nach der Feststellung der Vorinstanz hat die Entwicklung gezeigt, daß der jetzige Steuersatz keineswegs zu einer völligen oder auch nur weitgehenden Drosselung des Verbrauchs an branntweinhaltigen Erzeugnissen geführt hat. Soweit Spirituosenbetriebe zufolge der Nachsteuer und der erhöhten Sätze schließen mußten, kann das in der Mehrzahl der Fälle nur auf Fehldispositionen oder andere Ursachen zurückzuführen sein, die nicht dem Gesetzgeber angelastet werden können. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Betriebe in der Zeit von etwa ¼ Jahr einen erheblichen Teil der angeforderten Nachsteuer durch Absatz der Ware hereingebracht haben. Wenn auch im HSG für die Nachsteuer ein Zahlungsaufschub ausgeschlossen wurde, so blieb noch die Möglichkeit gemäß § 127 AO Stundung zu beantragen.
10. Der Senat vermag nach allem keinen Mangel des finanzgerichtlichen Verfahrens darin zu erblichen, daß den Beweisanträgen der Klägerin nicht stattgegeben wurde.
Demnach war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 514829 |
BFHE 1970, 579 |