Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerberichtigung bei fehlerhafter Beurteilung der Verwendungsumsätze im Erstjahr

 

Leitsatz (NV)

Bei gleichbleibender Verwendung von mit Vorsteuerabzug angeschafften Wirtschaftsgütern und unveränderter gesetzlicher Regelung bezüglich der Verwendungsumsätze rechtfertigt eine zutreffende rechtliche Beurteilung der Verwendungsumsätze -- als für den Vorsteuerabzug schädliche Verwendung -- im Folgejahr gegenüber der im Erstjahr fehlerhaft, aber nicht mehr änderbar -- als nicht abzugsschädlich für den Vorsteuerabzug -- angesehenen Verwendung eine Vorsteuerberichtigung nach § 15 a UStG 1980.

 

Normenkette

UStG 1980 § 15 Abs. 2, § 15a Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) errichtete im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft eine Eigentumswohnung. Er vermietete die Wohnung nach Fertigstellung ab 1. August 1983 an die X-GmbH (im folgenden GmbH). Diese vermietete die Wohnung an den Endmieter. Der Kläger verzichtete auf die Steuerbefreiung der Mietumsätze und zog 1981 bis 1983 Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über die Herstellung der Eigentumswohnung von insgesamt 25 224,41 DM mit Zustimmung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt -- FA --) in den Steueranmeldungen für diese Jahre ab.

Zum 31. Mai 1986 kündigte die GmbH das "gewerbliche Zwischenmietverhältnis". Nunmehr vermietete der Kläger die Wohnung durch Vertrag vom 14. Mai 1986 an seine Ehefrau. Den Umsatzsteueranmeldungen für die Streitjahre 1986 und 1987, in denen der Kläger die Mieten als steuerpflichtige Umsätze behandelte, Vorsteuerbeträge (nur 1986) abzog und einen Steuerabzugsbetrag nach § 19 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 vornahm, stimmte das FA zu. Die Umsatzsteuer betrug 202,28 DM für 1986 und 238,10 DM für 1987.

Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung vertrat das FA die Ansicht, die Zwischenver mietung der Wohnung an die Ehefrau sei umsatzsteuerrechtlich nicht anzuerkennen, weil wegen ihres zu geringen Einkommens das Vermieterrisiko nicht wirklich auf sie verlagert worden sei. Das FA änderte die Umsatzsteuerfestsetzungen 1986 und 1987 durch Bescheid vom 26. Mai 1989 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Es setzte die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung von Vorsteuerberichtigungsbeträgen nach § 15 a UStG 1980 und einer Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG 1980 in Höhe der für die Vermietung ausgewiesenen Steuerbeträge fest. In der den Einspruch zurückweisenden Rechtsbehelfsentscheidung vom 8. Juni 1990 verringerte das FA die Steuerfestsetzungen, weil es nunmehr auch auf den Vorsteuerberichtigungsbetrag den Steuerabzugsbetrag nach § 19 Abs. 3 UStG 1980 anwandte.

Mit der Klage griff der Kläger die Berechtigung des FA an, die Vorsteuerbeträge zu berichtigen. Er vertrat dazu die Ansicht, eine Änderung der Verhältnisse liege nicht vor, weil das FA die Zwischenvermietung von Beginn an fehlerhaft als steuerpflichtig beurteilt habe. Gegen die angesetzte Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG macht er geltend, daß er keine Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis für den jeweiligen Leistungsabschnitt erteilt habe. Er beantragte, die Umsatzsteueränderungsbescheide 1986 und 1987 vom 26. Mai 1989 und die Einspruchsentscheidung vom 8. Juni 1990 aufzuheben.

Das FG gab der Klage statt und setzte die Umsatzsteuer für 1986 und 1987 abweichend von den bezeichneten Bescheiden auf jeweils 0 DM fest. Es vertrat die Ansicht, eine Änderung der Verhältnisse i. S. von § 15 a UStG 1980 liege nicht vor. Der Kläger hätte, so begründete das FG sein Urteil, die Eigentumswohnung vom Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung an steuerfrei vermietet, weil der Verzicht auf die Steuerbefreiung unwirksam sei; denn die Zwischenvermietung dürfe wegen Gestaltungsmißbrauchs (§ 42 AO 1977) nicht als maßgebender Verwendungsumsatz beurteilt werden. Das FA habe die Rechtslage im Kalenderjahr der erstma ligen Verwendung objektiv unzutreffend be urteilt und könne diesen Fehler nur durch Änderung der Steuerfestsetzungen nach Vorschriften der AO 1977, nicht aber durch Vorsteuerberichtigung korrigieren. Auch seien die Voraussetzungen für eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG nicht erfüllt, weil die Lastschriften auf den Kontoauszügen der Ehefrau des Klägers den Anforderungen an den Rechnungsausweis mit gesonderter Umsatzsteuer nicht genügten.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 15 a UStG 1980 und führt dazu u. a. aus: Es liege eine Änderung der Verhältnisse vor, weil der Kläger ein neues Zwischenmietverhältnis begründet habe, das nicht anerkannt werden könne. Bei Abschluß des neuen Zwischenmietvertrags mit seiner Ehefrau sei die Wohnung -- anders als bei der Zwischenvermietung der Wohnung an die GmbH -- bereits an einen Endmieter vermietet worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Festsetzung der Umsatzsteuer für 1986 und 1987 in der vom FA beantragten Höhe. § 15 a UStG 1980 ist -- anders als geschehen -- anzuwenden. Es lag eine Änderung der Verhältnisse vor, die das FA zur Vorsteuerberichtigung berechtigte.

1. Eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge ist vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern (§ 15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980). Unter den im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung des Wirtschaftsguts für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände zu verstehen, unter denen der Unternehmer mittels des bezeichneten Wirtschaftsguts die Umsätze aus geführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß § 15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).

Die Verhältnisse ändern sich i. S. von § 15 a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuer abzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung qualifiziert werden. Dabei ist für die rechtliche Würdigung der Umsätze im Erstjahr grundsätzlich die zutreffende Beurteilung maßgebend, nicht aber eine von dieser abweichende Behandlung (§ 15 Abs. 2, 3 UStG 1980) durch die Beteiligten.

a) Für die Prüfung, ob in den Folgejahren (§ 15 a Abs. 1 UStG 1980) oder im Kalenderjahr der Veräußerung oder Entnahme (§ 15 a Abs. 4 UStG 1980) eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen ist, besteht regelmäßig keine Bindung an die rechtliche Beurteilung des Umsatzes im Erstjahr. Ist die Steuerfestsetzung für das Erstjahr jedoch unanfechtbar und nicht mehr (z. B. nach § 164 Abs. 2, § 165 Abs. 2, § 173 Abs. 1 AO 1977) änderbar, bewirkt die Bestandskraft in Verbindung mit der Unabänderbarkeit, daß die der Steuerfestsetzung für das Erstjahr zugrunde liegende Beurteilung des Vorsteuerabzugs für die Anwendbarkeit des § 15 a Abs. 1 UStG 1980 selbst dann "maßgebend" ist, wenn sie unzutreffend war. Die Bestandskraft der Steuerfestsetzung für das Erstjahr in Verbindung mit der Unabänderbarkeit gestaltet die für das Erstjahr "maßgebende" Rechtslage für die Verwendungsumsätze. Führt die rechtlich richtige Würdigung des Verwendungsumsatzes in einem Folgejahr -- gemessen an der "maßgebenden" Beurteilung für das Erstjahr -- zu einer anderen Beurteilung des Vorsteuerabzugs, ist eine Änderung der Verhältnisse i. S. von § 15 a Abs. 1 UStG 1980 gegeben. Der Vorsteuerabzug kann gemäß § 15 a Abs. 1 UStG 1980 zugunsten oder zu Lasten des Steuerpflichtigen berichtigt werden. Wegen dieser Gestaltungswirkung ist es geboten, den Fall so zu behandeln, wie wenn für das Folgejahr eine Gesetzesänderung eingetreten wäre (vgl. zur Änderung der Verhältnisse durch Gesetzesänderung BFH-Urteil in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).

Die Vorsteuerberichtigung nach § 15 a UStG 1980 wird auch nicht -- wie der Kläger meint -- durch den etwa in der Zwischenzeit eingetretenen Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung des Erstjahres 1983 ausgeschlossen. Aus § 169 Abs. 1 AO 1977 ergibt sich nichts anderes, weil eine Änderung der Steuerfestsetzung für das Erstjahr nicht vorgenommen wird. Der Vorsteuerberichtigungsbetrag nach § 15 a UStG 1980 ist eine unselbständige Besteuerungsgrundlage (vgl. § 16 Abs. 2 Satz 2 UStG 1980), die nicht selbständig der Festsetzungsverjährung unterliegt. Die Vorsteuerberichtigung nach § 15 a UStG 1980 ist die sachlich durch rechtserhebliche Verwendungsänderung gerechtfertigte Korrektur des Sofortabzugs von Vorsteuerbeträgen in Folgejahren. Die Korrektur wird für den Besteuerungszeitraum der Verwendungsänderung durchgeführt (vgl. im übrigen das Urteil des Senats vom 16. Dezember 1993 V R 65/92, BFHE 173, 270).

b) Im Streitfall sind die Umsatzsteuerfestsetzungen 1981 bis 1983, in denen das FA den Vorsteuerabzug aus den Baurechnungen -- zu Unrecht -- zugelassen hat, unanfechtbar und nicht mehr änderbar. In ihnen ist eine steuerpflichtige (nicht abzugsschädliche) Grundstücksvermietung als für den Vorsteuerabzug maßgebende Verwendung der Bauleistungen zur Herstellung der Wohnung zugrunde gelegt worden. Die Vermietung der Eigentumswohnung in den Streitjahren 1986 und 1987 ist dagegen -- anders als nach der maßgebenden Beurteilung für das Erstjahr -- als steuerfrei (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) anzusehen.

Die Zwischenvermietung einer Wohnung unter Verzicht auf die Steuerbefreiung ist -- wenn keine beachtlichen Gründe dafür vorliegen -- grundsätzlich als rechtsmißbräuchlich i. S. von § 42 AO 1977 zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 12/88, BFHE 168, 468, BStBl II 1992, 931 mit zahlreichen weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung zur Zwischenvermietung), weil nach den tatsächlichen Umständen vermutet werden darf, daß sie nur erfolgt, um den Vorsteuerabzug zu erlangen. Beachtliche Gründe für die Zwischenvermietung der einen streitbefangenen Wohnung sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Das gilt um so mehr für die Zwischenvermietung der Wohnung ab Juni 1986 an die Ehefrau des Klägers. Da die Wohnung bei Abschluß dieses Zwischenmietvertrages bereits an einen Endmieter vermietet war, ist ein wirtschaftlich verständlicher Grund -- ausgenommen der Vorsteuerabzug -- für die Zwischenvermietung an die Ehefrau nicht gegeben.

Ob die Verwendungsänderung für das Streitjahr 1986 schon ab Januar 1986 und nicht erst -- wie das FA bei seinem Revisionsantrag angenommen hat -- ab Juni 1986 erfolgte, braucht nicht entschieden zu werden. Das Revisionsgericht darf über den Revisionsantrag nicht hinausgehen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) und keine höhere als die beantragte Steuer festsetzen. Für die Revisionsentscheidung wirkt sich auch nicht aus, daß das FG dem Kläger in der Vorentscheidung eine über den Antrag hinausgehende (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) Steuerminderung zugesprochen hatte.

4. Die Umsatzsteuer in den angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheiden für 1986 und 1987 ist somit antragsgemäß auf 357,66 DM für 1986 und auf 504,49 DM für 1987 festzusetzen.

5. Der Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzungen für 1986 und 1987 in Form von Steueranmeldungen (§ 18 Abs. 3 UStG 1980, § 150 Abs. 1 Satz 2, § 168 Sätze 1 und 2 AO 1977) nach § 164 Abs. 2 AO 1977 steht § 176 Abs. 2 AO 1977 nicht entgegen. Das FA hat bei der Änderung der angefochtenen Steuerfestsetzungen zuungunsten des Klägers keine Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung (etwa Abschn. 217 Abs. 3 der Umsatzsteuer- Richtlinien 1985/1988) angewendet, die von einem obersten Gerichtshof des Bundes (dem BFH in der vorliegenden Entscheidung) als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden sind. Der Eingangssatz zu § 176 Abs. 2 AO 1977 zeigt, daß die allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung von einem obersten Gerichtshof des Bundes bereits im Zeitpunkt der Änderung des Steuerbescheids als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden sein muß (vgl. dazu BFH-Urteil vom 22. Februar 1990 V R 117/84, BFHE 160, 74, BStBl II 1990, 599 unter II. 2), was im Streitfall nicht gegeben ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419668

BFH/NV 1995, 448

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge