Leitsatz (amtlich)
Der zusätzliche Sonderausgabenhöchstbetrag für Versicherungsbeiträge ist um den Arbeitgeberbeitrag zur Angestelltenversicherung zu kürzen, den der Arbeitgeber gemäß § 113 AVG für einen von der Versicherungspflicht befreiten Arbeitnehmer zu entrichten hat.
Normenkette
EStG 1979 § 10 Abs. 3 Nr. 2 Sätze 1-2; AVG § 7 Abs. 1, § 113
Verfahrensgang
Hessisches FG (Entscheidung vom 27.01.1983; Aktenzeichen IV 431/80) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als kaufmännischer Angestellter nichtselbständig tätig. Er erhält nach dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art.131 des Grundgesetzes (GG) fallenden Personen (Gesetz zur Art.131 GG) eine lebenslängliche Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Von der Versicherungspflicht zur Angestelltenversicherung wurde er befreit. Der Arbeitgeber des Klägers, der nach § 113 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zur Leistung des Arbeitgeberanteils zur gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtet war, zahlte im Streitjahr hierfür 4 320 DM.
In seiner Einkommensteuererklärung 1979 machte der Kläger Versicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 12 964 DM und Bausparbeiträge von 6 835 DM geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte von den geltend gemachten Beträgen 8 100 DM als gemäß § 10 Abs.3 des Einkommensteuergesetzes 1979 (EStG) abziehbare Sonderausgaben an. Dem Begehren des Klägers, den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag für Versicherungsbeiträge nicht um den Arbeitgeberbeitrag von 4 320 DM zu kürzen, entsprach das FA nicht. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) den Einkommensteuerbescheid 1979 in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit der Maßgabe auf, daß die abziehbaren Vorsorgeaufwendungen des Klägers nicht um die von seinem Arbeitgeber gezahlten Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 4 320 DM gekürzt werden. Das FA werde den Kläger dementsprechend neu zu veranlagen haben. Das Urteil des FG ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 408 veröffentlicht. Das FG führt im wesentlichen aus, § 10 Abs.3 Nr.2 Buchst.a EStG sei dahin zu verstehen, daß es heißen müsse, "diese Beträge vermindern sich bei den Arbeitnehmern um den vom Arbeitgeber für diese geleisteten gesetzlichen Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung". Die sinngemäße Ergänzung der Vorschrift durch die Worte "für diese" entspreche gerade dem Gesetzessinn deshalb, "weil nur Beiträge, die den Versicherungsschutz des einzelnen Arbeitnehmers erfordern, die Kürzung der Vorsorgeaufwendungen rechtfertigen".
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung und Abweichung von den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10.Mai 1974 VI R 142/71 (BFHE 113, 14, BStBl II 1974, 634) und VI R 140/72 (BFHE 113, 18, BStBl II 1974, 672) zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 10 Abs.3 Nr.2 Buchst.a EStG. Es trägt im wesentlichen vor, die Auslegung der Vorschrift durch das FG gegen den Wortlaut widerspreche den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgestellten Grundsätzen, wonach Gegenstand der Auslegung der im Gesetz dokumentierte objektivierte Wille des Gesetzgebers sei. Anhaltspunkte dafür, daß das Gesetz den Willen des Gesetzgebers nicht decke, seien nicht gegeben.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger hält die Revision für unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG § 10 Abs.3 Nr.2 Satz 2 Buchst.a EStG rechtsfehlerhaft dahingehend ausgelegt hat, daß der zusätzliche Sonderausgabenhöchstbetrag für Versicherungsbeiträge (sog. Vorwegabzug) nur dann um den gesetzlichen Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung zu kürzen ist, wenn dieser Beitrag dem Versicherungsschutz des Arbeitnehmers dient.
Nach § 10 Abs.3 Satz 1 EStG können Vorsorgeaufwendungen (Abs.1 Nrn.2 und 3) je Kalenderjahr bis zu bestimmten Höchstbeträgen abgezogen werden. Versicherungsbeiträge i.S. des § 10 Abs.1 Nr.2 EStG können zusätzlich bis zu einem Höchstbetrag abgezogen werden (§ 10 Abs.3 Nr.2 Satz 1 EStG). Dieser Vorwegabzug vermindert sich gemäß § 10 Abs.3 Nr.2 Satz 2 Buchst.a EStG bei Arbeitnehmern um den vom Arbeitgeber geleisteten gesetzlichen Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie um steuerfreie Zuschüsse des Arbeitgebers i.S. des § 3 Nr.62 Satz 2 bis 4 EStG. Für den Kläger, der als Empfänger einer lebenslänglichen Versorgung nach dem Gesetz zu Art.131 GG gemäß § 7 Abs.1 AVG von der Versicherungspflicht befreit ist, hat der Arbeitgeber nach § 113 AVG den Beitragsanteil zu entrichten, den er entrichten müßte, wenn der Versicherte versicherungspflichtig wäre. Der Beitrag gemäß § 113 AVG ist der vom Arbeitgeber geleistete gesetzliche Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung i.S. des § 10 Abs.3 Nr.2 Satz 2 Buchst.a EStG. Der Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Urteil in BFHE 113, 14, BStBl II 1974, 634.
TEXTDer vom FG vorgenommenen Gesetzesauslegung kann nicht gefolgt werden (vgl. zu den Kriterien der Gesetzesauslegung Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5.Aufl., S.305 ff., 329). § 10 Abs.3 Nr.2 Satz 2 Buchst.a EStG enthält nach seinem Wortsinn keine Einschränkung des Inhalts, daß nur der für den Versicherungsschutz des Arbeitnehmers geleistete gesetzliche Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung den Vorwegabzug mindert. Die Auslegung durch das FG läßt außerdem den Zusammenhang zwischen dem Buchst.a und dem Buchst.b des § 10 Abs.3 Nr.2 Satz 2 EStG außer acht. Nach dem durch das Steueränderungsgesetz 1977 (StÄndG 1977) eingefügten, ab dem Veranlagungszeitraum 1978 geltenden § 10 Abs.3 Nr.2 Satz 2 Buchst.b EStG ist der Vorwegabzug bei bestimmten rentenversicherungsfreien Steuerpflichtigen in Höhe des Betrages zu kürzen, der als Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten wäre, falls Versicherungspflicht bestände. Diese Kürzung um einen fiktiven Arbeitgeberbeitrag macht deutlich, daß der Vorwegabzug auch um Beträge zu mindern ist, die nicht dem Versicherungsschutz des Steuerpflichtigen dienen. Eine einschränkende Auslegung des § 10 Abs.3 Nr.2 Satz 2 Buchst.a EStG wird aber auch nicht der Regelungsabsicht des Gesetzgebers und dem Gesetzeszweck gerecht. Dies gilt insbesondere seit Einfügung des Buchst.b durch das StÄndG 1977. Der zusätzliche Sonderausgabenhöchstbetrag für Versicherungsbeiträge einschließlich dessen Verminderung um den vom Arbeitgeber geleisteten gesetzlichen Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung ist durch das StÄndG 1961 als § 10 Abs.3 Nr.2 Buchst.d in das EStG eingefügt worden. Die Vorschrift sollte denjenigen Steuerpflichtigen, die nicht der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeitnehmer unterliegen, einen Ausgleich dafür bieten, daß sie ihre Beiträge zur Altersvorsorge in voller Höhe selbst aus grundsätzlich steuerpflichtigem Einkommen aufbringen müssen, während der gesetzliche Beitragsanteil des Arbeitgebers zur Rentenversicherung der Arbeitnehmer nicht als Arbeitslohn und beschränkt abziehbare Sonderausgabe, sondern als voll steuerfreier Arbeitslohn behandelt wurde (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs des StÄndG 1961, BTDrucks III/2573 S.17 und 21). Der Vorwegabzug stand bis 31.Dezember 1977 auch solchen Personen ungekürzt zu, die --wie z.B. Beamte-- im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit Anwartschaften auf eine Altersversorgung erwerben, ohne daß dazu eigene Beiträge geleistet werden. Für diesen Personenkreis hat der Gesetzgeber durch das StÄndG 1977 die Verminderung des Vorwegabzugs um einen fiktiven Arbeitgeberbeitrag eingeführt (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs des StÄndG 1977, BTDrucks 8/292 S.21). Die Kürzung des Vorwegabzugs und deren Ausdehnung durch das StÄndG 1977 beruhen auf der Überlegung, daß es gerechtfertigt ist, den Vorwegabzug für Versicherungsbeiträge nur solchen Personen ungekürzt zur Verfügung zu stellen, die in vollem Umfang für ihre Altersvorsorge aufkommen müssen (vgl. Uelner, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A --DStZ/A-- 1977, 403, 406). Diesem Zweck der Regelung in § 10 Abs.3 Nr.2 Satz 2 EStG entspricht es, den Vorwegabzug um den nach § 113 AVG entrichteten Arbeitgeberbeitrag zu kürzen. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber seinen Beitragsanteil zu entrichten für Personen, die bereits ein Altersruhegeld beziehen (§ 6 Abs.1 Nr.1 AVG) oder die --wie der Kläger-- Anspruch auf eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen haben (§ 7 Abs.1 AVG), also für Personen, denen bereits eine Altersversorgung zusteht.
Die Kürzung des Vorwegabzugs um den nach § 113 AVG entrichteten Arbeitgeberbeitrag stellt keine mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht zu vereinbarende Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Klägers dar. Der Arbeitgeberbeitrag ist steuerfrei (§ 3 Nr.62 Satz 1 EStG). Dadurch, daß der Vorwegabzug um ihn gemindert wird, wird ein Ausgleich geschaffen gegenüber den Selbständigen, die sich ihre Altersversorgung aus versteuertem Einkommen aufbauen müssen, wie auch gegenüber den nicht versicherungspflichtigen Personen des § 10 Abs.3 Nr.2 Satz 2 Buchst.b EStG, bei denen wegen ihrer beitragslosen Versorgungsanwartschaft der Vorwegabzug um einen fiktiven Arbeitgeberbeitrag gekürzt wird.
2. Da die Vorentscheidung aus den genannten materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben ist, kann der Senat unerörtert lassen, ob das angefochtene Urteil wegen Verstoßes gegen § 96 Abs.1 Satz 2 FGO und § 100 Abs.2 Satz 1 FGO hätte aufgehoben werden müssen (vgl. BFH-Urteil vom 13.Dezember 1983 VIII R 90/81, BFHE 140, 526, BStBl II 1984, 474 unter IV.).
3. Die Sache ist spruchreif. Zu Recht hat das FA den Vorwegabzug des Klägers um den vom Arbeitgeber des Klägers nach § 113 AVG entrichteten Beitragsanteil gekürzt. Die Klage ist als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 61642 |
BStBl II 1987, 494 |
BFHE 149, 227 |
BFHE 1987, 227 |
BB 1987, 1233-1233 (ST) |
DB 1987, 1231-1232 (ST) |
HFR 1987, 447-448 (ST) |