Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die für die Nachsichtgewährung bedeutsame Entschuldbarkeit von Büroversehen in ordnungsmäßig organisierten Büros von Rechtsanwälten und Angehörigen steuerberatender Berufe gilt nicht für andere Verhältnisse (z. B. nicht für gewerbliche Betriebe).
Normenkette
AO § 86
Tatbestand
Streitig ist die Hypothekengewinnabgabe wegen der auf dem der Bfin. seit 1956 gehörigen Grundstücke am Währungsstichtage eingetragenen Grundpfandrechte; die Einwendungen der Bfin. gegen den Hypothekengewinnabgabebescheid vom 25. Oktober 1957 sind durch Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 1958 zurückgewiesen worden. Diese Entscheidung ist der Bfin. am 3. Juli 1958 zugestellt worden.
Am 9. August 1958 ist beim Finanzamt seitens der Firma des Ehemannes der Bfin. mit Datum vom vorhergehenden Tage eine Begründungsschrift zu "der am 17. 7. 1958 ... eingelegten Berufung" eingegangen. Das Finanzamt hat jedoch mit Schreiben vom 15. August 1958 die Bfin. darauf hingewiesen, daß nur die Begründungsschrift selbst als die Berufungsschrift angesehen werden könne, weil eine solche nicht eingegangen sei, und daß das Rechtsmittel, so gesehen, verspätet sei. Demgegenüber hat sich der Ehemann der Bfin. mit Schreiben vom 19. August 1958 auf den Standpunkt gestellt, die Firma habe mit Einschreiben vom 17. Juli 1958 folgende Berufung eingelegt:
"In der obigen Angelegenheit legen wir gegen die Einspruchsentscheidung vom 30. 6. 1958 Berufung ein. Begründung folgt."
Das Finanzamt hat bei seinen Nachforschungen festgestellt, daß lediglich am 23. Juli 1958 ein Einschreibebrief von der Firma wegen "Einheitsbewertung" eingegangen war. Indessen hat die Firma auch mit Schreiben vom 14. August 1958 in der Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung auf die Einlegung der Berufung hingewiesen und außerdem beantragt, Nachsicht wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist zu gewähren. Das Finanzgericht hat beanstandet, daß dieser Antrag nicht begründet worden sei.
Im einzelnen hat der Ehemann zur Versäumung der Berufungsfrist vorgetragen, seine Sekretärin, Fräulein H., sei vom 7. bis 21. Juli 1958 beurlaubt gewesen. Er habe daher zur Wahrung der Frist den Entwurf der Berufungsschrift mit der Hand gefertigt und einer langjährigen Angestellten (Telefonistin), Frau H., zum Abschreiben und Absenden gegeben. Der Entwurf sowie der Durchschlag der Berufungsschrift in Maschinenschrift seien noch vorhanden.
Das Finanzgericht hat Frau H., ferner Frau D. (gelegentliche Vertreterin des Fräulein H.), den Ehemann der Bfin. und dessen Teilhaber vernommen.
Die Berufung ist als verspätet und daher als unzulässig verworfen worden. Das Finanzgericht hat den Eingang einer Berufungsschrift nicht festgestellt und die Berufungsbegründungsschrift als verspätet erachtet. Die Verspätung hat das Finanzgericht als von der Bfin. oder ihrem Ehemann verschuldet angesehen, weil der Auftrag zur Fertigung und Absendung einer Telefonistin anstatt einer Sekretärin oder erfahrenen Schreibkraft erteilt und seine Ausführung trotz der Bedeutung der Angelegenheit nicht überwacht worden sei.
Die Bfin. gibt in ihrer Rb. an, dem Bevollmächtigten mit Schreiben vom 21. Juli 1958 mitgeteilt zu haben, daß Rechtsmittel gegen die Einspruchsentscheidung eingelegt sei.
Entscheidungsgründe
Die angefochtene Entscheidung läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Fertigte der Ehemann der Bfin. persönlich den Entwurf der Berufungsschrift, so mußte er, weil es sich um eine wichtige Rechtsangelegenheit handelte, auch die Ausführung seines Auftrages, die Reinschrift zu fertigen und mit Unterschrift zur Post zu geben, selbst oder durch eine geeignete andere Person überwachen, deren Verantwortungskreis über denjenigen einer Telefonistin oder hilfsweisen Maschinenschreiberin hinausging. Dazu gehörte auch die unmittelbare und sofortige Kontrolle der Eintragung im Posteinschreibbuch, die, wenn sie zwei Schriftstücke betroffen haben sollte, einen entsprechenden Vermerk über beide in der Spalte 2 (Gegenstand) hätte enthalten sollen.
Die Bfin. hat auf die Grundsätze über die Nachsichtgewährung bei Büroversehen in den Büros von Rechtsanwälten und steuerberatenden Berufen hingewiesen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat diese Grundsätze indessen lediglich für die Angehörigen dieser Berufe entwickelt, weil die letzteren bei Ausübung ihrer in das Rechtsleben eingreifenden Tätigkeit eine besondere öffentliche Verantwortung tragen, diese Aufgaben in einer besonderen Anzahl von Fällen der Wahrung von Rechtsmittel- und sonstigen Fristen laufend zu erfüllen haben, hierzu besonderen persönlichen und büroorganisatorischen Anforderungen genügen müssen und somit eine besondere Gewähr im Interesse des Steuerrechtsverkehrs bieten. Die genannten Grundsätze sind nicht auf andere Verhältnisse übertragbar.
Der Rb. ist daher der Erfolg zu versagen.
Fundstellen
Haufe-Index 410028 |
BStBl III 1961, 264 |
BFHE 1961, 727 |
BFHE 72, 727 |