Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlagung einer Erbschaft unter Vorbehalt von Versorgungsleistungen
Leitsatz (amtlich)
Schlagen sowohl der Erbe als auch ein nach ihm zum Alleinerben berufener Abkömmling jeweils die Erbschaft aus, um existenzsicherndes Vermögen den Enkeln bzw. Kindern zukommen zu lassen, und verpflichten sich letztere, dem zuerst berufenen Erben lebenslängliche Versorgungsleistungen zu zahlen, können diese Leistungen als Sonderausgaben (Leibrente oder dauernde Last) abziehbar sein.
Orientierungssatz
1. Parallelentscheidung: BFH, 17.4.1996, X R 161/94, NV.
2. Parallelentscheidung: BFH, 17.4.1996, X R 162/94, NV.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a, § 12 Nr. 2
Tatbestand
Die Großmutter der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), Frau A.M., war Alleinerbin nach ihrem am 3. August 1987 verstorbenen Ehemann B.M. Zum Nachlaß gehörte das bebaute Grundstück in G sowie ein Mitunternehmeranteil an der Fa. M. OHG (heute Fa. M. KG).
Am 22. September 1987 schlug Frau A.M. die Erbschaft nach ihrem verstorbenen Ehemann aus. Ihr einziger Sohn, C.M., der infolgedessen Alleinerbe seines Vaters wurde, schlug ebenfalls die Erbschaft aus. Gesetzliche Erben des B.M. wurden die drei Kinder des C.M., u.a. die im Jahre 1976 geborene Klägerin. Die drei Erben verpflichteten sich, an Frau A.M. das Grundstück in G zu übertragen und ihr auf Lebenszeit "zum Zwecke der Abfindung" als Gesamtschuldner eine wertgesicherte monatliche Rente in Höhe von 6 000 DM zu zahlen. Außerdem sollten in bestimmtem Umfang außergewöhnliche Krankheitskosten ersetzt werden. Auf § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wurde Bezug genommen. C.M. verzichtete auf eine Abfindung. Die Vereinbarungen wurden von beiden Seiten erfüllt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte den Antrag ab, in den Streitjahren 1988 bis 1991 die monatlichen Zahlungen in Höhe von 2 000 DM zum Abzug als dauernde Last zuzulassen.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Im Streitfall seien die Rechtsgrundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Januar 1994 X R 54/92 (BFHE 173, 360, BStBl II 1994, 633) anwendbar: Wirtschaftlich betrachtet stehe die Rechtsgestaltung einer vorweggenommenen Erbfolge so nahe, daß eine steuerrechtliche Einordnung als Austauschvertrag ausscheide.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Das FG verkenne, daß im Falle der Ausschlagung der Erbschaft diese unmittelbar demjenigen anfalle, der berufen sein würde, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte (§ 1953 Abs.2 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--). Es finde kein "Durchgangserwerb" beim Ausschlagenden statt. Bis zur Ausschlagung der Erbschaft erlange der Erbe die Stellung eines Vertreters ohne Vertretungsmacht (§ 1959 i.V.m. §§ 677 ff. BGB). Der zunächst Berufene könne also nicht aus eigenem Recht über die Erbschaft verfügen. Hätten die Beteiligten die Rechtswirkungen einer vorweggenommenen Erbfolge erzielen wollen, hätte Frau A.M. nach Antritt der Erbschaft eine entsprechende Vereinbarung mit ihren Enkeln abschließen können. Indes sei im Steuerrecht nicht auf das Gewollte oder Geplante, sondern auf das Vereinbarte und tatsächlich Durchgeführte abzustellen. Hätte sich Frau A.M. einen Teil des im Erbwege auf sie übergegangenen Vermögens zurückbehalten wollen, so sei dies mit dem Instrument der Ausschlagung der Erbschaft nicht möglich gewesen (arg. § 1950 BGB). Die Ausschlagung habe sie also gehindert, aus eigenem Recht Vermögensgegenstände zurückzubehalten. Die vereinbarten Abfindungszahlungen der Enkel würden daher freiwillig i.S. des § 12 Nr.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erbracht. Selbst wenn man von einer inneren Verknüpfung von Ausschlagung und wiederkehrenden Leistungen ausginge, seien die Zahlungen Gegenleistung für die Ausschlagung gewesen, so daß eine Wertverrechnung stattfinden müsse. Der Streitfall sei mit dem Sachverhalt des BFH-Urteils in BFHE 173, 360, BStBl II 1994, 633 nicht vergleichbar. Hier sei es Wille des Erblassers gewesen, sein gesamtes Vermögen seiner Ehefrau zukommen zulassen, so daß es in dieser Hinsicht keiner weiteren Versorgungsleistungen Dritter bedurft hätte.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einkommensteuer wie folgt festzusetzen: ...
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die wiederkehrenden Zahlungen nach den steuerrechtlichen Grundsätzen über die Vermögensübergabe als Sonderausgaben abziehbar sind.
Nach § 10 Abs.1 Nr.1 a Satz 1 EStG sind die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden Lasten als Sonderausgaben abziehbar, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind. Der Sonderausgabenabzug setzt eine wirtschaftliche Belastung des Verpflichteten voraus. Hieran fehlt es u.a. dann, wenn ein erbrechtlicher Anspruch verrentet ist (Senatsurteil vom 27. Februar 1992 X R 139/88, BFHE 167, 381, 386, 387, BStBl II 1992, 612). Hiervon zu unterscheiden sind wiederkehrende Leistungen, die anläßlich einer Betriebs- oder Vermögensübergabe im Wege vorweggenommener Erbfolge vorbehalten worden sind, wie etwa Altenteils- und ihnen gleichstehende Versorgungsleistungen.
Der erkennende Senat hat der vorweggenommenen Erbfolge den Fall gleichgestellt, daß Versorgungsleistungen ihren Entstehungsgrund in einer letztwilligen Verfügung (Erbeinsetzung, Vermächtnis) haben, sofern z.B. ein überlebender Ehegatte oder ein erbberechtigter Abkömmling statt seines gesetzlichen Erbteils lediglich Versorgungsleistungen aus dem ihm an sich nach Erbrecht zustehenden Vermögen erhält und es sich bei den Zahlungen nicht um eine Verrentung des Erbanteils handelt (Urteile in BFHE 167, 381, 386, 387, BStBl II 1992, 612, und in BFHE 173, 360, BStBl II 1994, 633). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß vor allem der überlebende Ehegatte, der nicht das ihm an sich nach Erbrecht zustehende existenzsichernde Vermögen erhält, vom Erwerber des Vermögens --in der Regel einem Angehörigen der "nächsten Generation"-- aus den Erträgen dieses Vermögens versorgt werden soll. Aus diesem Grunde ist der "typischen" Gestaltung, daß das Vermögen unter dem Vorbehalt von Versorgungsleistungen für den Übergeber und seinen Ehegatten übertragen wird, nach dem Urteil in BFHE 173, 360, BStBl II 1994, 633 zumindest der Fall gleichzustellen, daß der (spätere) Erblasser sein Vermögen bis zu seinem Tode behält und seinen Erben auferlegt, den überlebenden Ehegatten, der rechtlich und tatsächlich am Nachlaß nicht beteiligt ist, zu versorgen.
Zu Recht hat das FG entschieden, daß die Ausschlagung einer Erbschaft unter Vorbehalt von Versorgungsleistungen für den zur Nachfolge in existenzsicherndes Vermögen berufenen Erben mit dem Ziel, es dem in nächster Generation Erbberechtigten zukommen zu lassen, dem "typischen" Fall der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen gleichzustellen ist. Die spezifisch bürgerlich-rechtlichen Regelungszwecken dienende rechtstechnische Ausgestaltung der Erbausschlagung im BGB kann die auf wirtschaftliche Gesichtspunkte und den Typus der Vermögensübergabe abhebende steuerrechtliche Wertung nicht beeinflussen. Entscheidend ist, bezogen auf den Streitfall, vielmehr, daß Frau A.M. mit der Ausschlagung der Erbschaft in Vorwegnahme ihrer eigenen Erbfolge über das zunächst ihr selbst nach Erbrecht --insoweit aus eigenem Recht-- zustehende Vermögen unter Vorbehalt der Vermögenserträge verfügt hat. Dabei ist es unerheblich, daß durch die zweifache Ausschlagung der Erbschaft das Vermögen auf die Generation der Enkel übertragen worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 66024 |
BFH/NV 1996, 326 |
BStBl II 1997, 32 |
BFHE 180, 566 |
BFHE 1997, 566 |
BB 1996, 2125 |
BB 1996, 2125 (Leitsatz) |
DB 1996, 1958-1959 (Leitsatz und Gründe) |
DStR 1996, 1523-1524 (Kurzwiedergabe) |
DStZ 1997, 52-53 (Kurzwiedergabe) |
HFR 1997, 79 (Leitsatz) |
StE 1996, 606 (Kurzwiedergabe) |