Leitsatz (amtlich)
Veräußert eine Versicherungsgesellschaft einen Teil ihres Versicherungsbestandes, der nicht unabhängig von ihren anderen Geschäften nach Art eines selbständigen Unternehmens geführt worden ist, so handelt es sich nicht um eine Geschäftsveräußerung im ganzen.
Normenkette
UStDB 1951 § 85
Tatbestand
Mit Wirkung vom 1. Januar 1962 übertrug die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige), eine Sachversicherungsgesellschaft a. G. in Liquidation, die neben der Sachversicherung auch Personenversicherung betrieb, einen bestimmten Teil ihres Versicherungsbestandes auf die im Jahre 1961 gegründete X-AG. Es handelte sich um solche Versicherungsbestände, die im Rahmen einer Zusammenarbeit in einer Interessengemeinschaft zwischen der Steuerpflichtigen und einer anderen Lebensversicherungsanstalt, nämlich der Y-Lebensversicherungsanstalt a. G. (WWK-Leben) von dieser für die Steuerpflichtige geworben worden waren. Die Bestände waren von der Steuerpflichtigen gesondert erfaßt worden. Inkasso und Bestandspflege erfolgten durch die Außenorganisation der Y-Lebensversicherungsanstalt. Die Steuerpflichtige erteilte dieser monatliche Abrechnungen. Eigene versicherungstechnische Bilanzen und Erfolgsrechnungen hatte die Steuerpflichtige für die übertragenen Bestände nicht erstellt.
Das Finanzamt (FA) zog die Steuerpflichtige wegen der im Jahre 1962 für die Bestandsübertragung vereinnahmten Entgelte mit 4 v. H. zur Umsatzsteuer heran. Der Einspruch der Steuerpflichtigen, mit dem diese eine Heranziehung der Bestandsübertragung gemäß § 85 UStDB 1951 zum Steuersatz von 1 v. H. begehrte, blieb erfolglos. Die Berufung (jetzt Klage) der Steuerpflichtigen blieb ebenfalls ohne Erfolg.
Mit der Rechtsbeschwerde (jetzt Revision) rügt die Steuerpflichtige Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und unrichtige Anwendung materiellen Rechts. Es sei nicht verständlich, wie die Vorinstanz zu der Auflassung komme, daß der übertragene Versicherungsbestand nicht in einer von der Verwaltung des übrigen Versicherungsbestandes räumlich und organisatorisch getrennten Betriebstätte erfolgt sei, da die Bestandspflege und das Inkasso für den übertragenen Versicherungsbestand unbestritten durch die Y-Lebensversicherungsanstalt vorgenommen worden sei, die mit der Organisation der Steuerpflichtigen nichts zu tun gehabt habe. Es müsse ferner davon ausgegangen werden, daß für die übertragenen Bestände auch eine getrennte Buchführung vorhanden gewesen sei; andernfalls hätten diese Bestände nicht – wie es in der Übertrags-Vereinbarung vom Dezember 1961 heißt – „en bloc” übertragen werden können. Im übrigen sei die Auffassung des Finanzgerichts (FG) zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführter Betrieb vorliege, unrichtig.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Tatbestandsfeststellungen der Vorinstanz sind nicht zu beanstanden.
Das FG konnte zu der Feststellung kommen, daß hinsichtlich der übertragenen Bestände eine besondere Betriebstätte, die räumlich getrennt von dem übrigen „Betrieb” der Steuerpflichtigen gewesen wäre, nicht vorgelegen habe. Die Akten enthalten keine Anhaltspunkte dafür, daß die Gesamt Verwaltung des veräußerten Versicherungsbestandes in einer räumlich getrennten Betriebstätte der Steuerpflichtigen stattgefunden hätte. Die Feststellung des FG widerspricht nicht der Tatsache, daß es sich um Bestände handelte, die von der Y-Lebensversicherungsanstalt geworben worden sind und deren Bestandspflege und Inkasso dieser Versicherungsanstalt oblag, weil sich die Verwaltung einer Versicherung nicht in diesen Tätigkeiten erschöpft. So wurde z. B. unstreitig die Schadensregulierung, die einen wesentlichen Teil der Verwaltung ausmacht, von der Steuerpflichtigen ausgeführt.
Es ist ferner nicht zutreffend, daß aus der Fassung der Übertragungs-Vereinbarung zwingend auf eine Trennung in der Buchführung hinsichtlich der übertragenen Bestände geschlossen werden müßte. Um die Gesamtheit der von der Y-Lebensversicherungsanstalt geworbenen Bestände zu übertragen genügte auch, daß diese – wie das FG festgestellt hat – von der Steuerpflichtigen gesondert erfaßt wurden. Die Steuerpflichtige hat Beweise dafür, daß eine getrennte Buchführung vorhanden gewesen wäre, nicht angeboten.
Der Senat ist an die in dem angefochtenen Urteil von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden.
2. Dem FG ist auch zuzustimmen, wenn es zu dem Ergebnis kommt, der vorliegende Sachverhalt rechtfertige nicht die Annahme einer Geschäfts Veräußerung im ganzen nach § 85 UStDB 1951, weil die Steuerpflichtige nicht einen in der Gliederung ihres Unternehmens gesondert geführten Betrieb im ganzen (Teilbetrieb) übereignet hat. Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb nur dann vor, wenn es sich um einen für sich lebensfähigen Organismus handelt, der unabhängig von den anderen Geschäften des Unternehmens nach Art eines selbständigen Unternehmens betrieben wird und auch nach außen als selbständiges Wirtschaftsgebilde erscheint. Dabei wird der Teilbetrieb in der Regel eine besondere Betriebstätte und eine getrennte Buchführung besitzen sowie räumlich und organisatorisch von dem übrigen Unternehmen getrennt sein (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – V 226/64 vom 1. Dezember 1966 Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 87 S. 366 – BFH 87, 366 –, BStBl III 1967, 161). Von diesen Voraussetzungen ist auch die Vorinstanz ausgegangen. Zutreffend hat diese jedoch im Streitfall die genannten Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen. Insbesondere ist der übertragene Versicherungsbestand nicht unabhängig von den anderen Geschäften der Steuerpflichtigen nach Art eines selbständigen Unternehmens geführt worden. Die Steuerpflichtige hatte für die später übertragenen Bestände nach den Feststellungen der Vorinstanz keine besondere Verwaltung gebildet. Vielmehr wurden alle mit der Verwaltung dieser Verträge zusammenhängenden Fragen von der Hauptverwaltung der Steuerpflichtigen erledigt. Abgesehen davon, daß Bestandspflege und Inkasso bei der Y-Lebensversicherungsanstalt lagen, war auch eine organisatorische Trennung zwischen diesen Beständen und den sonstigen Beständen der Steuerpflichtigen nicht durchgeführt. Auch die Tatsache, daß hinsichtlich des von der Y-Lebensversicherungsanstalt geworbenen Bestandes eine besondere Buchführung nicht vorlag, diese Versicherungsverträge von der Steuerpflichtigen lediglich besonders gekennzeichnet und getrennt erfaßt wurden, macht deutlich, daß in diesen Beständen kein in sich geschlossener Organismus, der unabhängig von den anderen Geschäften der Steuerpflichtigen nach Art eines selbständigen Unternehmens betrieben wurde, gesehen werden kann. Gerade die Tatsache, daß die in Rede stehenden Versicherungsbestände von der Steuerpflichtigen im Rahmen ihrer Verwaltung besonders gekennzeichnet und erfaßt wurden, zeigt auch, daß eine räumlich und organisatorisch getrennte Verwaltung dieser Bestände im Sinne der Rechtsprechung des Senats nicht vorlag, weil andernfalls eine besondere Kennzeichnung gar nicht erforderlich gewesen wäre. Auch nach außen trat die Summe dieser Bestände und ihre Verwaltung nicht als selbständiges Wirtschaftsgebilde in Erscheinung. Soweit dabei die Y-Lebensversicherungsanstalt für die Steuerpflichtige tätig wurde, räumt die Steuerpflichtige selbst ein, daß den Versicherungsnehmern – jedenfalls zum Teil – bekannt war, daß die Y-Lebensversicherungsanstalt nicht für sich, sondern für die Steuerpflichtige tätig wurde. Schließlich waren auch in den Bilanzen und Erfolgsrechnungen der Steuerpflichtigen die übertragenen Bestände nicht als eine Einheit ausgewiesen.
Es ist der Steuerpflichtigen darin beizupflichten, daß das Vorliegen eines in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betriebs im Sinne des § 85 UStDB 1951 nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann, deren Vorliegen unter umsatzsteuerrechtlichen Gesichtspunkten zur Annahme eines selbständigen Unternehmens zwingen würde. Der in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführte Betrieb bleibt Teil des Unternehmens und dem Willen des Unternehmers unterworfen; dieser Teil ist aber ein in sich geschlossener und lebensfähiger Organismus, der zwar unabhängig von der anderen Geschäften des Unternehmens aber nicht unabhängig von dem Willen des Unternehmers geführt wird; er erscheint lediglich nach außen als selbständiges Wirtschaftsgebilde, das nach Art eines selbständigen Unternehmens betrieben wird. Soweit das FG darüber hinausgehende Anforderungen an das Vorliegen eines in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betriebes stellt und insbesondere dessen eigene Entscheidungsbefugnis und eigenes wirtschaftliches Risiko voraussetzt, teilt der Senat diese Auffassung nicht.
Da indessen auch nach den von dem Senat aufgezeigten Grundsätzen in der Übertragung der Versicherungsbestände die Übereignung eines in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführten Betriebes nicht erblickt werden kann, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 514873 |
BFHE 1969, 227 |