Leitsatz (amtlich)
Die Behörde als Revisionsbeklagte ist befugt, den Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen im Revisionsverfahren ergangenen Vorbescheid auf einen abtrennbaren Teil der in diesem Vorbescheid enthaltenen Entscheidung zu beschränken.
Normenkette
FGO § 90 Abs. 3 S. 3, § 121
Tatbestand
Die Einfuhr und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt-Getr) erteilte als Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsbeklagten, der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (BALM), der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) auf deren Antrag zwei Erstattungszusagen, durch die sie berechtigt wurde, für die Ausfuhr von je 530 000 kg plus/minus 5 v. H. Gerstenflocken mit einem Aschegehalt von 2 Gewichtsprozenten oder weniger und einem Rohfasergehalt von nicht mehr als 1 v. H. - jeweils bezogen auf den Trockenstoff - Gerste zu dem am Tag der Ausfuhr gültigen Erstattungssatz einzuführen. Die Klägerin führte am 21. Juni 1966 207 600 kg - erste Ausfuhrsendung - und am 2. Juli 1966 209 200 kg und 30 000 kg - zweite Ausfuhrsendung - einer Ware aus, die sie als deutsche Gerstenflocken mit einem Aschegehalt von nicht mehr als 2 v. H. bezogen auf den Trockenstoff und mit einem Fasergehalt von nicht mehr als 1 v. H. deklarierte.
Die Klägerin beantragte bei der EVSt-Getr Erstattung in Form der Gewährung von Einfuhrlizenzen für Gerste in Mengen von 373 680 kg, 54 000 kg und 376 560 kg, deren Berechnung sie einen Erstattungssatz von 100 : 200 zugrunde gelegt hatte. Die EVSt-Getr lehnte die Erstattung durch Bescheid vom 9. September 1966 ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Die Klägerin erhob deshalb Klage.
Das Hessische Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 14. November 1973 VII 721-722/67 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 263 - EFG 1974, 263 -) ab.
Gegen dieses Urteil legte die Klägerin in vollem Umfang Revision ein.
Durch Vorbescheid vom 7. März 1979 traf der erkennende Senat folgende Entscheidung:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen FG VII 721-722/67 aufgehoben, soweit die Klage wegen Erstattung in Form der abschöpfungsfreien Einfuhr für die am 2. Juli 1966 ausgeführte Ware abgewiesen worden ist.
Insoweit wird die Sache an das Hessische FG in Kassel zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Dem FG wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Die BALM beantragte mündliche Verhandlung, soweit der Revision der Klägerin stattgegeben worden sei (Ausfuhr vom 2. Juli 1966 - zweite Ausfuhrsendung).
Die Klägerin vertrat in der daraufhin durchgeführten mündlichen Verhandlung die Auffassung, daß der Vorbescheid aufgrund des Antrags auf mündliche Verhandlung in seinem gesamten Umfang als nicht ergangen gelte und daß die Beschränkung des Antrags ohne Wirkung sei, die mündliche Verhandlung sich also auch auf die Ausfuhr vom 21. Juni 1966 (erste Ausfuhrsendung), hinsichtlich der sie unterlegen sei, erstrecken müsse.
Entscheidungsgründe
Soweit die Revision die erste Ausfuhrsendung betrifft und durch den Vorbescheid zurückgewiesen worden ist, kann über sie nicht mehr entschieden werden. In diesem Umfang liegt bereits eine rechtskräftige Entscheidung vor, da der Vorbescheid insoweit von dem Antrag auf mündliche Verhandlung nicht betroffen wird und deshalb als Urteil wirkt (§ 90 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist ausdrücklich auf den Teil des Vorbescheids beschränkt worden, durch den der Revision stattgegeben worden ist. Dieser Teil umfaßt nur die Entscheidung über die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das FG. Diese Entscheidung hat nur die zweite Ausfuhrsendung zum Gegenstand.
Die Beschränkung des Antrags auf mündliche Verhandlung auf diesen Teil des Vorbescheids ist wirksam. Obwohl der Wortlaut der Regelung in § 90 Abs. 3 Satz 3 FGO dafür spricht, daß ein Vorbescheid uneingeschränkt als nicht ergangen gilt, wenn ein Antrag auf mündliche Verhandlung wirksam gestellt wird, wäre es mit der Zugehörigkeit dieses Antrags zu den Prozeßhandlungen, die der Verfügungsfreiheit der Beteiligten unterliegen, sowie mit dem Sinn und Zweck des Vorbescheides nicht vereinbar, wenn § 90 Abs. 3 Satz 3 FGO dahin ausgelegt würde, daß eine Beschränkung des Antrags schlechthin nicht zulässig sei. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat auch bereits entschieden, daß es nach § 90 FGO im Revisionsverfahren möglich sei, gegenüber einem mehrere Verwaltungsakte desselben Beklagten und - als Beispiel - der gleichen Steuerart betreffenden Vorbescheid des BFH den Antrag auf mündliche Verhandlung auf nur einen Veranlagungszeitraum zu beschränken (Urteil vom 25. November 1970 I R 7/69, BFHE 101, 22, BStBl II 1971, 181).
Dieser Entscheidung liegt zwar ein Fall zugrunde, in dem der Steuerpflichtige als Kläger Revision eingelegt hatte. Auch die Behörde als Revisionsbeklagte ist jedoch befugt, ihren Antrag auf mündliche Verhandlung auf einen Teil der Entscheidung im Vorbescheid zu beschränken, sofern dieser Teil abtrennbar ist und selbständig zum Gegenstand einer gerichtlichen Verhandlung gemacht werden kann. Der Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen Vorbescheid unterliegt der Verfügungsfreiheit der Beteiligten, die sich daraus ergibt, daß es nach § 90 Abs. 3 Satz 2 FGO ihnen überlassen ist, den Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen und damit die Fortsetzung des Verfahrens auszulösen. Der Verfügungsfreiheit der Beteiligten, die Fortsetzung des Verfahrens auszulösen, muß auch die Befugnis entnommen werden, den Umfang zu bestimmen, in dem das Verfahren fortgesetzt werden soll. Das kommt auch bereits in der Entscheidung des BFH I R 7/69 zum Ausdruck. Mit der Freiheit der Beteiligten, über die Fortsetzung des Verfahrens zu verfügen, wäre es nicht vereinbar, wenn das Verfahren aufgrund eines eingeschränkten Antrags auf mündliche Verhandlung wegen des gesamten dem Vorbescheid zugrunde liegenden Prozeßstoffs fortgesetzt würde, obwohl die Beteiligten das Verfahren nur wegen eines Teils fortsetzen wollen und dieser Teil auch abtrennbar ist. Dieses Ergebnis würde auch mit dem durch einen Vorbescheid angestrebten Ziel nicht zu vereinbaren sein, den Rechtsstreit zwischen den Beteiligten möglichst zu beenden und den durch die Rechtskraft der Entscheidung gewährleisteten Rechtsfrieden wieder herzustellen. Darüber hinaus würde durch dieses Ergebnis die mit dem Vorbescheid angestrebte Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens beeinträchtigt, ohne daß dafür ein durchgreifender Grund ersichtlich wäre.
Es ist zwar nicht auszuschließen, daß ein Beteiligter, der sich zunächst mit der Entscheidung im Vorbescheid zufriedengegeben hat, sich ähnlich wie in den Fällen der Revision (vgl. dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 115 Anm. 3 a. E.) durch den Antrag des anderen Beteiligten auf mündliche Verhandlung veranlaßt fühlen kann, zur Wahrung seiner Interessen ebenfalls mündliche Verhandlung zu beantragen und diese auch auf den Teil der Entscheidung in dem Vorbescheid auszudehnen, der von dem Antrag seines Gegners auf mündliche Verhandlung nicht erfaßt ist. Die Möglichkeit dazu kann ihm jedoch dadurch genommen sein, daß er von dem Antrag seines Gegners auf mündliche Verhandlung nicht mehr innerhalb der für diesen Antrag vorgesehenen Frist erfährt und er deshalb seinerseits nicht mehr fristgerecht einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen kann. Da ein Anschluß entsprechend der Anschlußrevision in diesen Fällen nicht zulässig sein wird, könnten seine Interessen unter diesen Umständen bei der Durchführung des Verfahrens nicht mehr berücksichtigt werden. Deshalb ist es aber nicht gerechtfertigt, die Beschränkung des Antrags auf mündliche Verhandlung als unzulässig anzusehen. Da die Verfügungsfreiheit der Beteiligten über die Fortsetzung des Verfahrens sowie Sinn und Zweck des Vorbescheides Anlaß dazu geben, den Beteiligten die Befugnis zur Beschränkung des Antrags einzuräumen, muß es jedem Beteiligten zugemutet werden, den Antrag auf mündliche Verhandlung zur Wahrung seiner Rechte fristgerecht zu stellen, wenn er sich Erfolg davon verspricht, zumal da dieser Antrag wieder zurückgenommen werden kann.
Die Beschränkung des Antrags auf mündliche Verhandlung kann auch dazu führen, daß die erneute Entscheidung über den Teil der Vorentscheidung, der infolge der Beschränkung des Antrags mit der Revision allein noch angefochten ist, zu einem Ergebnis führt, das - etwa wegen einer Änderung der rechtlichen Beurteilung durch die entscheidenden Richter - zu dem Teil des Vorbescheids in Widerspruch tritt, der von dem Antrag auf mündliche Verhandlung nicht mehr betroffen ist und deshalb als Urteil wirkt. Aber auch eine derartige Folge der Beschränkung des Antrags auf mündliche Verhandlung kann nicht als Grund dafür herangezogen werden, die Beschränkung als unzulässig anzusehen. Sie ist nicht nur in den Fällen denkbar, in denen ein Antrag auf mündliche Verhandlung beschränkt worden ist. Zu einem derartigen Ergebnis kann ein Rechtsstreit vielmehr auch dann führen, wenn ein Teil des Streitgegenstandes im Gegensatz zu dem anderen Teil entscheidungsreif ist und zum Gegenstand eines Teilurteils gemacht wird.
Da der Rechtsstreit wegen der Erstattung für die erste Ausfuhrsendung gesondert zum Gegenstand einer Entscheidung gemacht werden kann, wie sich bereits aus der Entscheidung im Vorbescheid ergibt, bestehen auch insoweit gegen die Zulässigkeit der Beschränkung des Antrags auf mündliche Verhandlung keine Bedenken.
Fundstellen
Haufe-Index 73220 |
BStBl II 1979, 652 |
BFHE 1979, 173 |