Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Mitglieder des Verwaltungsrats einer staatlichen Gebäudeversicherungsanstalt, die in der Rechtsform einer öffentlichen Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit betrieben wird und die Monopolcharakter hat, leisten keine öffentlichen Dienste im Sinne von § 3 Ziff. 12 EStG 1960.

 

Normenkette

EStG § 3 Ziff. 12 S. 2; LStDV § 4 Ziff. 1 S. 2; LStR Abschn. 17/2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Dienstaufwandsentschädigungen, die die Bfin., eine öffentliche Anstalt mit selbständiger juristischer Persönlichkeit, an die Mitglieder ihres Verwaltungsrats zahlt, zu deren steuerpflichtigem Arbeitslohn gehören. Der Bfin. obliegt nach dem ihre Rechtsverhältnisse regelnden Landesgesetz die Feuerversicherung der nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit bei ihr zwangsversicherten Gebäude in den Regierungsbezirken Südbaden und Nord-Baden des Landes Baden-Württemberg. Die Bfin. haftet den versicherten Gebäudeeigentümern für Schäden durch Brand, Explosion, Blitzschlag, durch herabstürzende Flugzeugtrümmer sowie für andere Elementarschäden. Die kraft Versicherungszwangs bei der Bfin. versicherten Gebäude dürfen, soweit die Versicherung bei der Bfin. reicht, anderweit nicht versichert werden; trotzdem abgeschlossene Versicherungen sind nichtig. Die Kasse der Anstalt wird nach den Vorschriften der staatlichen Kassen- und Rechnungsordnung geführt; ihre Jahresrechnung wird durch den Rechnungshof geprüft. Die Leitung der Verwaltung der Bfin. liegt beim Minister des Innern des Landes Baden-Württemberg. Ein Verwaltungsrat, der aus drei vom Staatsministerium ernannten Mitgliedern besteht, führt die laufende Verwaltung. Auf die Mitglieder des Verwaltungsrats werden die Vorschriften über Staatsbeamte angewendet. Sie erhalten neben ihrem Gehalt Dienstaufwandsentschädigungen in geringer Höhe, die im Haushaltsplan der Anstalt ausgewiesen sind und die für 1959 und 1960 auf Grund eines Erlasses des Innenministeriums nur zu 2/3 ausgezahlt wurden. Die Bfin. hat diese Dienstaufwandsentschädigungen nicht der Lohnsteuer unterworfen, da sie sie nach § 3 Ziff. 12 EStG 1960 (ß 4 Ziff. 1 LStDV 1959) für steuerfrei hielt. Das Finanzamt hat auf Weisung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe für die in der Zeit vom 1. Januar bis 30. April 1960 gezahlten Dienstaufwandsentschädigungen 164,40 DM Lohnsteuer durch Haftungsbescheid von der Bfin. angefordert.

Der Einspruch und die Berufung der Bfin. hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht führte aus: Steuerfreiheit nach § 3 Ziff. 12 Satz 1 EStG 1960 (ß 4 Ziff. 1 Satz 1 LStDV 1959) komme - wie auch die Bfin. annehme - nicht in Betracht, weil die Bfin. trotz ihrer Bindung an die Landesverwaltung eine öffentliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit und deshalb nicht eine "Landeskasse" sei. Die von der Bfin. gezahlten Aufwandsentschädigungen seien aber auch nicht nach Satz 2 dieser Bestimmung steuerfrei. Die Kasse der Bfin. sei zwar eine "öffentliche Kasse". Die Empfänger der Dienstaufwandsentschädigungen leisteten jedoch keine öffentlichen Dienste. Privatwirtschaftliche Betätigungen des Staates seien kein öffentlicher Dienst. Auch die Monopolstellung der Bfin. ändere nichts daran, daß sie privatwirtschaftliche Aufgaben erfülle. Das Bundesverfassungsgericht habe zwar festgestellt, daß die von der Bfin. betriebene Zwangs- und Monopolgebäudeversicherung hoheitlich ausgestattet sei. Es habe aber gleichzeitig ausgeführt, daß sich die Versicherungsgrundsätze mit Grundsätzen der öffentlichen Fürsorge mischten. Die Bfin. sei ein Versicherungsunternehmen mit sozialer Zielsetzung. Ihre Tätigkeit sei überwiegend eine privatrechtliche Betätigung, nicht eine bewußte Erfüllung von hoheitlichen Aufgaben. Daran ändere auch nichts, daß die von der Bfin. erhobenen Umlagen als öffentliche Abgaben ausgestaltet seien und daß die Entscheidungen des Verwaltungsrats im Verwaltungsstreitverfahren angefochten werden könnten. Die Betreibbarkeit entspreche der Rechtsform der Bfin. als Anstalt des öffentlichen Rechts. Ebenso beseitige weder die gesetzlich angeordnete Staatsaufsicht noch die formal-rechtliche Stellung der Verwaltungsratsmitglieder als Landesbeamte den privatwirtschaftlichen Charakter der Bfin. Auf die steuerliche Beurteilung der im Gebiet der Sozialversicherung gezahlten Aufwandsentschädigungen könne sich die Bfin. nicht berufen; denn die von der Bfin. betriebene Sachversicherung gehöre nicht zur Sozialversicherung. öffentlich-rechtliche Versicherungsanstalten mit Zwangs- und Monopolcharakter seien übrigens auch bei der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer gemäß § 6 KStDV und § 2 GewStDV wie Betriebe gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen Rechts zu behandeln. Da demnach die Verwaltungsratsmitglieder der Bfin. keine öffentlichen Dienste im Sinne von § 3 Ziff. 12 Satz 2 EStG 1960 leisteten, komme diese Befreiungsvorschrift nicht zur Anwendung.

Die Bfin. vertritt auch mit der Rb. die Auffassung, daß die Beurteilung durch das Finanzgericht ihrem öffentlich-rechtlichen Status nicht entspreche. Ihre Versicherungstätigkeit sei echte hoheitliche Verwaltungstätigkeit. Im Gegensatz zu anderen öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalten im Bundesgebiet habe der Gesetzgeber in Baden-Württemberg die Gebäudeversicherung rein staatlich und damit hoheitlich ausgestaltet, weil er die Versicherung der Gebäude als so wichtig ansehe, daß er sie als echte Staatsaufgabe behandele. Es sei also die gleiche Rechtslage gegeben wie bei der Sozialversicherung. Der Hinweis des Finanzgerichts auf die Regelung bei der Körperschaftsteuer und bei der Gewerbesteuer werde dem Sachverhalt nicht gerecht; denn bei diesen Steuern sei die Steuerpflicht der öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalten eingeführt worden, um sie den privaten Versicherungsgesellschaften gleichzustellen. Wenn aber ein hoheitlich ausgestaltetes Versicherungsverhältnis mit vollem Annahmezwang für die Versicherten bestehe, habe diese Gleichstellung keine Bedeutung. Im Urteil des Bundesfinanzhofs IV 255/56 U vom 22. August 1957 (BStBl 1957 III S. 395, Slg. Bd. 65 S. 424) sei als Kennzeichen der hoheitlichen Verwaltung bezeichnet worden, daß es sich um die Erfüllung von Aufgaben handeln müsse, bei denen der Staat im Rahmen seiner gesetzlichen Befugnisse Anordnungen erteilen und ihre Durchführung erforderlichenfalls erzwingen könne. Diese Voraussetzungen seien bei ihr erfüllt; denn die Gebäudeeigentümer seien zur Anmeldung ihrer Häuser zur staatlichen Versicherung verpflichtet und könnten bei Nichterfüllung dieser Pflicht mit Geldstrafen bis zu 150 DM bestraft werden. Umgekehrt müsse sie alle Gebäude in die Versicherung aufnehmen, ohne die Gefährdung der Gebäude berücksichtigen zu können. Ihre Verwaltungsratsmitglieder leisteten deshalb öffentliche Dienste im Sinne des § 3 Ziff. 12 Satz 2 EStG 1960.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. gegen die in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1962 S. 30 Nr. 32 veröffentlichte Entscheidung des Finanzgerichts ist nicht begründet.

Die Vorentscheidung hat zutreffend angenommen, daß § 3 Ziff. 12 Satz 1 EStG 1960 auf die streitigen Dienstaufwandsentschädigungen keine Anwendung findet, weil die Bfin. eine öffentliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit und deshalb ihre Kasse keine "Landeskasse" ist. Das Finanzgericht hat auch mit Recht die Steuerfreiheit nach Satz 2 dieser Vorschrift abgelehnt.

Die an die Verwaltungsratsmitglieder der Bfin. gezahlten Dienstaufwandsentschädigungen werden zwar aus einer öffentlichen Kasse geleistet. Die weitere Voraussetzung der Steuerfreiheit, daß die Empfänger öffentliche Dienste leisten, ist jedoch nicht erfüllt. Als solche sind nur Dienstleistungen anzusehen, die ausschließlich oder doch überwiegend hoheitliche Aufgaben zum Gegenstand haben (zum Beispiel Urteile des Bundesfinanzhofs IV 255/56 U vom 22. August 1957, BStBl 1957 III S. 395, Slg. Bd. 65 S. 424; VI 141/60 S vom 26. Januar 1962, BStBl 1962 III S. 201). Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in dem Beschluß 2 BvL 5/56 vom 27. Oktober 1959 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 10 S. 141) ausgeführt, daß bei der Bfin. das Versicherungsverhältnis "in besonders prägnanter Weise hoheitlich ausgestaltet" sei (S. 162/163 a. a. O.). Es hat aber zugleich festgestellt (S. 165/166 a. a. O.): "Die öffentlich-rechtlichen Zwangs- und Monopolschadensversicherungen sind nicht streng nach dem Versicherungsprinzip aufgebaut. Sie stehen in der Mitte zwischen den privatrechtlichen Versicherungsunternehmen und der Sozialversicherung. Bei der Sozialversicherung ist offenbar, daß sie nicht nach dem reinen Versicherungsprinzip gestaltet ist. Aber auch bei den öffentlich-rechtlichen Zwangs- und Monopolanstalten der Gebäudefeuerversicherung mischt sich das Versicherungselement mit dem Gedanken sozialer Fürsorge. Diese Einrichtungen verdanken ihre Entstehung dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des Gebäudebestandes. Die mit der strengen Wiederaufbauklausel versehene Versicherung ist das rechtliche Mittel, um zum allgemeinen Wohl den Wiederaufbau durch Brand zerstörter Gebäude zu sichern. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist demnach die Betätigung der Bfin. eine Verbindung von hoheitlichen Aufgaben und privatwirtschaftlicher Betätigung. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung an.

Da demnach die Tätigkeit der Verwaltungsratsmitglieder nicht ausschließlich hoheitlich ist, könnte § 3 Ziff. 12 Satz 2 EStG 1960 nur angewendet werden, wenn die hoheitlichen Aufgaben überwiegen würden. Das ist jedoch auch nicht der Fall. Der von der Bfin. angeführte Vergleich mit den Ortskrankenkassen und den Knappschaftskassen überzeugt nicht. Bei diesen Kassen, bei denen der Reichsfinanzhof die Leistung von öffentlichen Diensten anerkannt hat (Urteil VI A 1588/29 vom 28. Mai 1930, RStBl 1930 S. 584), steht die der Sozialversicherung zugrunde liegende hoheitliche Aufgabe der Gesundheitsfürsorge für die Arbeitnehmer, insbesondere für die wirtschaftlich schwächeren Gruppen, viel mehr im Vordergrund als bei der Versicherungsaufgabe der Bfin. Ebenso wie bei Landesärztekammern (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 255/56 U a. a. O.), bei Industrie- und Handelskammern (Urteil des Reichsfinanzhofs IV A 36/36 vom 11. Mai 1937, RStBl 1937 S. 975) oder kassenärztlichen Vereinigungen (Urteil des Senats VI 141/60 S vom 26. Januar 1962, BStBl 1962 III S. 201) kann bei der Bfin. ein überwiegen der öffentlich-rechtlichen Aufgaben gegenüber den privatwirtschaftlichen nicht angenommen werden. Soweit öffentlich-rechtliche Versicherungsanstalten nach Landesrecht eine Monopolstellung haben und ihnen Zwangsrechte gegenüber den Versicherten zustehen, drückt sich hierin zwar ein besonderes Interesse des Staates an der Erhaltung der privaten Gebäude aus. Derartige Versicherungen haben aber mindestens in gleichem Umfang als Sachversicherungen privatwirtschaftlichen Charakter. Diese Auffassung wird bestätigt durch das Preußische Gesetz über die öffentlichen Feuerversicherungsanstalten vom 25. Juli 1919 (Preußische Gesetzsammlung 1910 S. 241), das auch jetzt noch in Teilen des Bundesgebiets gilt und nach dem die Versicherungsanstalt keine Zwangs- oder Monopolrechte besitzt, sondern im Wettbewerb mit privaten Versicherungen steht. Auch die vom Finanzgericht angeführte Gleichstellung der öffentlich-rechtlichen und der privatrechtlichen Versicherungen bei der Körperschaftsteuer und bei der Gewerbesteuer spricht dafür, daß die Bfin. in erheblichem Masse privatwirtschaftliche Aufgaben erfüllt. Unter diesen Umständen ist bei ihr auch kein überwiegen der öffentlich-rechtlichen Betätigung anzunehmen. Damit entfällt die Möglichkeit, § 3 Ziff. 12 Satz 2 EStG 1960 auf die an ihre Verwaltungsratsmitglieder gezahlten Aufwandsentschädigungen anzuwenden.

Die Vorentscheidung, die gleichfalls zur Ablehnung der Steuerfreiheit nach § 3 Ziff. 12 EStG 1960 gelangt ist, steht daher mit dem geltenden Recht im Einklang.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410559

BStBl III 1962, 466

BFHE 1963, 541

BFHE 75, 541

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