Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Nr. 2 d EStG 1969 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit der sog. Vorwegabzug um den vom Arbeitgeber geleisteten gesetzlichen Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung zu vermindern ist.
Normenkette
EStG 1969 § 10 Abs. 3 Nr. 2d; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Steuerbevollmächtigter bei einer Wirtschaftstreuhand-GmbH angestellt. Bei der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer für das Jahr 1969 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) keinen Vorwegabzugsbetrag bei der Berechnung der Sonderausgaben, weil der Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung von 1 152 DM höher war als der in Betracht kommende Vorwegabzug von 1 000 DM (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG). Mit der nach insoweit erfolglosem Einspruch erhobenen Klage beantragte der Kläger, die Einkommensteuer ohne eine Verminderung des Vorwegabzugsbetrages zu berechnen, ferner, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG einzuholen.
Das FG wies die Klage ab. Es führte u. a. aus: Die vom Kläger unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die Gleichbehandlung gerügten unterschiedlichen steuerlichen Auswirkungen des Sonderausgabenabzugs bei Angestellten und Beamten verletzten nicht Art. 3 GG. Nach der amtlichen Begründung (Bundestagsdrucksache 2573, 3. Wahlperiode, S. 21) habe der Gesetzgeber beabsichtigt, durch den Vorwegabzug den selbständig Tätigen einen besonderen zusätzlichen Höchstbetrag für Aufwendungen zur Altersvorsorge zu gewähren zum Ausgleich dafür, daß bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern der gesetzliche Arbeitgeberanteil der Rentenversicherung nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn gehöre. Die Verschiedenheit der Verhältnisse bezüglich der Sicherungsmöglichkeiten einer ausreichenden Altersversorgung bei angestellten Arbeitnehmern und Selbständigen sei ein ausreichend sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung beider Gruppen im Rahmen des Vorwegabzugs des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG gewesen. - Diese Vorschrift sei auch nicht deshalb grundgesetzwidrig, weil Beamte nicht den sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern gleichgestellt seien und ihnen, obwohl sie Arbeitnehmer seien, der volle Vorwegabzug gewährt werde. Der rechtliche Status des Beamten und des Angestellten weise eine Reihe von Unterschieden auf, die eine Gleichstellung der Beamten mit Angestellten in diesem Zusammenhang verfassungsrechtlich nicht zwingend erforderten.
Mit der Revision trägt der Kläger u. a. vor: Schon die von der gesetzgeberischen Zielsetzung her nicht gewollte Gleichstellung der angestellten Arbeitnehmer und der Selbständigen müsse insoweit bedenklich stimmen, als das Ziel der Besserstellung der Gruppe der Selbständigen rechtstechnisch durch eine einschränkende Bestimmung gegen die Gruppe der Sozialversicherungspflichtigen erreicht werden solle. Die Frage nähere sich derverfassungsrechtlichen Relevanz, wenn die wirtschaftliche Entwicklung und die sozialen Belange der "beschränkten" Gruppe gerade den unbeschränkten Vorwegabzug im Sinne einer sozialgerechten Besteuerung materiell besonders erwünscht oder gar geboten erscheinen lasse. Die Auffassung des FG, die Beschränkung sei nicht grundgesetzwidrig, soweit die Höchstbeträge nicht mehr zur Sicherang des Vollabzugs der Sozialversicherungsbeiträge ausreichten, erscheine dann nicht zweifelsfrei, wenn sie in der Relation Angestellte - Beamte gesehen werde. Letztlich entscheidend und ausschlaggebend müsse der Vergleich zwischen den sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern und den Beamten sein. Die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG könne auch nicht mit der Besteuerung der Pensionen bei Beamten gerechtfertigt werden. Dies sei schon rechtsdogmatisch nicht angängig. Die eine Bestimmung beeinflusse die Besteuerung des aktiven Arbeitseinkommens über den langen Zeitraum des Berufslebens; die andere dagegen treffe die Besteuerung der Altersbezüge und damit den späten, meist viel kürzeren Lebensabschnitt. Die Beschränkung des Vorwegabzugs bei den Angestellten sei auch nicht aus den Statusunterschieden gegenüber den Beamten zu begründen. Das Beamtengehalt enthalte keinen dem Beitragsanteil des sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers entsprechenden Betrag; ein solcher Teil werde vom Dienstherrn gleichsam zugunsten der Altersversorgung zurückbehalten, so daß keine Steuer entstehe und abzugsfähige Pflichtbeiträge entfielen. Der Beamte brauche also diesen gedachten zurückbehaltenen Besoldungsteil erst im Versorgungsfall zu versteuern und könne für zusätzliche Altersversorgung oder Vermögensbildung den vollen Höchstbetrag der beschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben nutzen. Eine Rechnungsgröße, die dem Arbeitgeberanteil zu den Sozialversicherungsbeiträgen entspreche, kenne das Beamtenbesoldungssystem nicht, da die öffentlichen Haushalte unmittelbar für die Versorgungslasten einstünden. Da auch der Arbeitgeberanteil zu den Sozialversicherungsbeiträgen nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn gehöre, sei das Steuerrecht in beiden Bereichen insoweit nicht berührt und gleichermaßen steuerneutral. Hier nun setze die verfassungsrechtlich umstrittene Regelung ein. Bei der Kürzung des Vorwegabzugs bei Angestellten handele es sich um eine Unterschiedlichkeit der steuerlichen Behandlung, die rechtstechnisch sicherlich strukturbedingt sei, aber zu einer Unterschiedlichkeit in der materiellen Auswirkung führe, die trotz gegebener Statusverschiedenheit unverständlich und ohne innere Berechtigung bleibe. Somit würden durch die Beschränkung des Vorwegabzugs die beiden nach Status und Struktur zwar deutlich verschiedenen, aber in der wirtschaftlichsozialen Wertung ebenso eindeutig gleichen Sachverhalte steuerlich ungleich behandelt. Hierfür sei kein zureichend sachlicher Grund zu erkennen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG 1969 sind, wie das FG zutreffend entschieden hat, die vorweg abziehbaren Beträge an Sonderausgaben um den vom Arbeitgeber geleisteten gesetzlichen Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung zu kürzen. Diese Vorschrift verstößt, auch soweit sie eine Kürzung des Vorwegabzugs vorsieht, nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Kläger begründet seine abweichende Auffassung mit dem Hinweis auf die steuerliche Behandlung von Beamten, bei denen die Kürzung nicht zum Zuge komme, weil für sie keine gesetzlichen Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet werden, und die deshalb den Vorwegabzug für die steuerliche Berücksichtigung anderer Sonderausgaben ausnutzen könnten. Bei der Prüfung, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG berührt wird, darf indessen die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d EStG 1969, soweit sie eine Kürzung des Vorwegabzugs vorschreibt, nicht für sich allein betrachtet werden. Diese Vorschrift ist, wie übrigens auch der gesamte Vorwegabzug, Teil einer Gesamtregelung der steuerlichen Behandlung von Alterssicherungsaufwendungen und Altersbezügen. Ein Vergleich ist nur auf der Grundlage der Gesamtregelungen möglich. Es erscheint nicht zulässig, aus der Gesamtregelung einzelne für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen günstige oder ungünstige Regelungen herauszugreifen und für sich allein zu vergleichen. Aus diesen Erwägungen heraus hat es der Senat bereits im Urteil vom 28. November 1975 VI R 165/74 (BFHE 117, 461, BStBl II 1976, 228) abgelehnt, in der einkommensteuerlichen Regelung für Ruhegelder von Beamten, die als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit regelmäßig einem schärferen steuerlichen Zugriff unterliegen als Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, einen Verstoß gegen das Grundgesetz zu sehen. Der Senat hat dabei auf die Unterschiede der Altersbezüge in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hingewiesen. Diese Unterschiede bestehen hinsichtlich der Altersbezüge selbst darin, daß bei Sozialversicherungsrenten grundsätzlich nur der sogenannte Ertragsanteil steuerlich erfaßt wird, während Versorgungsbezüge von Ruhestandsbeamten - abgesehen von gewissen Freibeträgen - grundsätzlich der höheren Regelbesteuerung unterliegen. Diesen Unterschieden der Altersbezüge entspricht eine steuersystematisch verschiedene Behandlung der ihnen zugrunde liegenden Vorsorgeaufwendungen. Während ein aktiver Beamter regelmäßig keine Beiträge zur Altersversorgung in der Form des Ruhegehalts aufzubringen hat, müssen sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer den Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Sozialversicherung aus ihrem versteuerten Einkommen aufbringen; außerdem tritt die im Streitfall zu beurteilende Kürzung des sogenannten Vorwegabzugs um den Arbeitgeberanteil ein. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Urteil VI R 165/74 Bezug genommen.
Ein Vergleich der Gesamtregelungen für die Alterssicherung der Beamten und der in den gesetzlichen Rentenversicherungen versicherten Arbeitnehmer ergibt hiernach, daß sich für den sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer zwar die Sonderausgabenregelung regelmäßig nachteilig auswirkt, daß andererseits aber die Sozialversicherungsrenten einer weniger scharfen Besteuerung als die Beamtenpensionen unterliegen. So wenig aber Beamte bei dieser Regelung einen Grundgesetzverstoß hinsichtlich der einkommensteuerlichen Behandlung der Pensionen geltend machen können, so wenig können sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer aus der ungünstigeren Regelung des Sonderausgabenabzugs einen solchen Grundgesetzverstoß herleiten. Bei den einzelnen Regelungen für Beamte und sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer jeweils für die aktive Arbeitszeit und für die Zeit des Ruhestands handelt es sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht um unterschiedliche Regelungen, die nicht für sich allein, sondern nur im Zusammenhang mit der Gesamtregelung verglichen werden können und für die deshalb jeweils auch eine steuersystematisch verschiedene Behandlung grundgesetzlich zulässig ist.
Es mag sein, daß sich auch bei einem Vergleich der jeweiligen Gesamtregelungen gewisse Vorteile oder Nachteile für die eine oder die andere Gruppe der Arbeitnehmer ergeben. Hierzu mag auch die Tatsache, auf die der Kläger hinweist, gehören, daß nämlich die Sonderausgabenhöchstbetragsregelung für bestimmte Arbeitnehmergruppen nicht oder nicht mehr die volle steuerliche Berücksichtigung der Arbeitnehmeranteile zu den Sozialversicherungen zulasse. Der Gesetzgeber ist jedoch, wie die Entwicklung der Gesetzgebung zeigt, bemüht, derartigen Entwicklungen Rechnung zu tragen, z. B. durch die Anhebung der Sonderausgabenhöchstbeträge in vielen Bereichen sowie durch die Erhöhung des Versorgungsfreibetrages im Einkommensteuergesetz 1975. Zutreffend hat die Vorinstanz darauf hingewiesen, daß auch schon die Einführung des Vorwegabzugs unter einem ähnlichen Gesichtspunkt vom Gesetzgeber vorgenommen worden ist, nämlich mit dem Ziele, Ungleichheiten im Verhältnis zwischen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern und anderen nicht sozialversicherungspflichtigen, insbesondere selbständig tätigen Steuerpflichtigen zu beseitigen oder doch zu verringern. Die derzeit etwa noch bestehenden Unterschiedlichkeiten sind nicht geeignet, etwa die Gesamtregelung der Altersversorgung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern als in willkürlicher Weise vom Gesetzgeber benachteiligt gegenüber der steuerlichen Behandlung von Beamten während der aktiven Dienstzeit und Beamtenpensionen anzusehen. Solche begrenzten unterschiedlichen Auswirkungen sind als Folge der unterschiedlichen systematischen Gestaltung der jeweiligen Alterssicherungen unvermeidlich und müssen in Kauf genommen werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist insoweit nicht verletzt. Eine Vorlage der Sache an das BVerfG kam hiernach nicht in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 72004 |
BStBl II 1976, 783 |
BFHE 1977, 49 |