Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente nach den Verhältnissen des Jahres nach dem Rentenbeginn
Leitsatz (NV)
1. Die Höhe des steuerfreien Teils einer Rente aus der Basisversorgung ist nach den Verhältnissen des Jahres zu ermitteln, das dem Jahr des Rentenbeginns folgt.
2. Dies gilt auch dann, wenn die Rente schon im Jahr ihres Beginns für volle zwölf Monate bezogen wurde.
Normenkette
EStG § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa S. 5
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 23. Oktober 2013 4 K 2322/10 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezieht seit Januar 2007 aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Hinterbliebenenrente in Form der großen Witwerrente nach seiner verstorbenen Ehefrau (E). Die entsprechende Altersrente der E hatte bei dieser schon vor 2005 zu laufen begonnen.
Rz. 2
Darüber hinaus erzielt der Kläger Einkünfte aus selbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte aus zwei eigenen Altersrenten. Auf seine Hinterbliebenenrente wurden gemäß § 97 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) i.V.m. § 18a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) die Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Erwerbseinkommen) und aus den eigenen Altersrenten (Erwerbsersatzeinkommen) angerechnet. Dies führte zu Kürzungen des Zahlbetrags der Hinterbliebenenrente. Jeweils zum 1. Juli eines Jahres wurden Änderungen des anzurechnenden Einkommens beim Zahlbetrag der Hinterbliebenenrente berücksichtigt (§ 18d SGB IV).
Rz. 3
Im Jahr 2007 –dem Jahr, das dem Streitjahr voranging– hatte der Kläger nach Abzug des steuerfreien Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag Einnahmen aus der Hinterbliebenenrente in Höhe von 8.589 EUR erklärt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) legte einen Besteuerungsanteil von 50 % und damit einen steuerfreien Teil der Rente von 4.294 EUR zugrunde. Die Renteneinnahmen des Jahres 2007 setzten sich wie folgt zusammen:
- Januar bis März 2007: je 1.337,97 EUR
(in den ersten drei Monaten des Bezugs der großen Witwerrente Rentenartfaktor 1,0 gemäß § 67 Nr. 6 SGB VI und Verzicht auf die Anrechnung von Einkommen gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB VI),
- April bis Juni 2007: je 497,34 EUR,
- Juli bis Dezember 2007: je 517,19 EUR,
- Summe: 8.609,07 EUR.
Rz. 4
Im Streitjahr 2008 bezog der Kläger aus der Hinterbliebenenrente Einnahmen in Höhe von 6.406 EUR (von Januar bis Juni 2008 monatlich 517,19 EUR; von Juli bis Dezember 2008 monatlich 550,62 EUR). Die Rentenerhöhung zum 1. Juli 2008 (insgesamt 33,43 EUR monatlich) beruhte in Höhe von 8,91 EUR auf der Erhöhung des aktuellen Rentenwerts (§ 68 Abs. 1 Satz 3 SGB VI) und in Höhe von 24,52 EUR auf einer Minderung der Einkommensanrechnung, die ihre Ursache wiederum in den gesunkenen Einkünften des Klägers aus selbständiger Arbeit hatte.
Rz. 5
Das FA zog im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2008 von den Einnahmen aus der Hinterbliebenenrente einen steuerfreien Betrag von 3.203 EUR (50 % von 6.406 EUR) ab. Demgegenüber begehrt der Kläger, wie im Jahr 2007 einen steuerfreien Betrag von 4.294 EUR zu berücksichtigen.
Rz. 6
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht führte in seinem in Entscheidungen den Finanzgerichte 2014, 192 veröffentlichten Urteil aus, gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei der steuerfreie Teil der Rente bei einer Veränderung des Jahresbetrags der Rente anzupassen. Dies sei hier der Fall. Die Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 7 EStG, wonach regelmäßige Rentenanpassungen nicht zu einer Neuberechnung des steuerfreien Teils führen, sei auf Änderungen des Rentenzahlbetrags, die auf geänderten Einkommensanrechnungen beruhten, nicht anwendbar.
Rz. 7
Mit seiner Revision vertritt der Kläger die Auffassung, die Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 6 EStG sei auf Rentenerhöhungen beschränkt und daher im Streitfall schon deshalb nicht anwendbar, weil die Hinterbliebenenrente im Streitjahr geringer ausgefallen sei als im Vorjahr. Jedenfalls müsse eine Neuberechnung des steuerfreien Betrags gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 7 EStG unterbleiben, weil auch Anpassungen des Rentenzahlbetrags infolge einer geänderten Einkommensanrechnung als „regelmäßig” anzusehen seien. Denn die Einkommensanrechnung werde jeweils zum 1. Juli eines jeden Jahres überprüft.
Rz. 8
Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 16. Juli 2010 aufzuheben und die Einkommensteuer 2008 unter Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 29. Juni 2009 in der Weise festzusetzen, dass bei der Hinterbliebenenrente lediglich ein steuerpflichtiger Anteil von 2.111 EUR zugrunde gelegt wird.
Rz. 9
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Rz. 11
1. Gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 5 EStG gilt der steuerfreie Teil der Rente ab dem Jahr, das dem Jahr des Rentenbeginns folgt, für die gesamte Laufzeit des Rentenbezugs.
Rz. 12
a) Da die Witwerrente des Klägers im Jahr 2007 zu laufen begonnen hat, wird der steuerfreie Teil der Rente erst im Streitjahr 2008 ermittelt. Auf dieser Grundlage kommt es auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob es im Jahr 2008 zu solchen Veränderungen in der Rentenhöhe gekommen ist, die eine Neuberechnung des steuerfreien Teils der Rente gebieten, für die Entscheidung des Streitfalls nicht an. Vielmehr ist der steuerfreie Teil der Rente erstmals im Streitjahr –und nach den Verhältnissen des Streitjahrs– zu ermitteln. Dies hat das FA im Ergebnis –wenn auch mit abweichender Begründung– getan.
Rz. 13
b) Es kommt auch dann stets auf die Verhältnisse des zweiten Rentenbezugsjahrs an, wenn bereits das erste Rentenbezugsjahr –wie hier– einen Zeitraum von vollen zwölf Monaten umfasst hat.
Rz. 14
Zwar soll das Anknüpfen an die Verhältnisse des Zweitjahrs nach der Begründung des Entwurfs des Alterseinkünftegesetzes vermeiden, dass es bei einem nicht ganzjährigen Bezug der Rente im Erstjahr zu Unterschieden bei der Feststellung des steuerfreien Betrags kommt (Gesetzentwurf vom 9. Dezember 2003, BTDrucks 15/2150, 41; ebenso Killat-Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 22 EStG Rz 287). Diese Gefahr besteht nicht, wenn die Rente bereits im Erstjahr für volle zwölf Monate bezogen wurde.
Rz. 15
Allein dieser Umstand rechtfertigt aber –auch zur Vermeidung einer weiteren Verkomplizierung der Rechtslage– nicht die Vornahme einer teleologischen Reduktion gegen den klaren Gesetzeswortlaut (für eine teleologische Reduktion des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 5 EStG in Bezug auf Renten, die schon vor dem Jahr 2005 zu laufen begonnen haben, aber Senatsurteil vom 26. November 2008 X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.3.b bb). Es kommt daher auch in einem Fall wie dem vorliegenden für den lebenslangen Rentenfreibetrag auf die Verhältnisse (erst) des zweiten Rentenbezugsjahres an.
Rz. 16
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 9108718 |
BFH/NV 2016, 549 |
HFR 2016, 523 |
StX 2016, 294 |
BFH-ONLINE 2015 |
BiB 2016, 25 |
SSP 2016, 13 |