Leitsatz (amtlich)
Der VIII. Senat tritt der Auffassung des VI. Senats in dem Urteil vom 1. Dezember 1970 VI R 47/70 (BFHE 101, 464, BStBl II 1971, 318) bei, daß als Anschaffungskosten i. S. des § 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG stets die um den in ihnen enthaltenen Vorsteuerbetrag geminderten Anschaffungskosten zu verstehen sind.
Normenkette
BerlinFG § 19 Abs. 2 S. 3; EStG § 6 Abs. 2
Tatbestand
Umstritten ist, ob die Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts, für das der Kläger und Revisionskläger(Kläger) Investitionszulage beantragt hat, um den vom Kläger nicht absetzbaren (Umsatz-)Vorsteuerbetrag gemindert werden.
Der Kläger schaffte für seine Arztpraxis einen Medico-Photometer und einen Medikamentenschrank an, deren Anschaffungskosten bei Vorsteuerabzug 780,25 DM bzw. 727,50 DM, einschließlich der Vorsteuer jedoch 866 DM bzw. 807 DM betrugen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) verweigerte die Investitionszulage, weil beide Wirtschaftsgüter nach Abzug der Vorsteuer nicht mehr als 800 DM gekostet hatten. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG begründete seine Entscheidung wie folgt: Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 3 des BerlinFG (BGBl I 1970, 1481, BStBl I 1970, 1016), die gemäß § 31 Abs. 5 BerlinFG für die im Jahre 1969 angeschafften Wirtschaftsgüter gelte, sei die Investitionszulage ausgeschlossen, wenn die Anschaffungskosten des einzelnen Wirtschaftsguts nach Abzug des Vorsteuerbetrages den Betrag von 800 DM nicht überschreiten. Es sei dabei gleichgültig, ob der Antragsteller den Vorsteuerbetrag nach § 15 UStG 1967 abziehen kann oder nicht. Die Verweisung auf § 9b Abs. 1 EStG stelle lediglich die Verbindung zu § 15 UStG 1967 her, habe jedoch keine materielle Bedeutung. Dieser Deutung entspreche die Entstehungsgeschichte der Vorschrift (Hinweis auf Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 5. Wahlperiode, 141. Sitzung, 7210 C mit Umdruck 317/Anlage 3).
Hiergegen wendet sich die Revision mit folgender Begründung: Das FG habe § 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG unzutreffend ausgelegt. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergebe sich, daß die Höhe der Anschaffungskosten nach § 9b Abs. 1 EStG zu bestimmen sei, auf den § 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG verweist. Nach § 9b Abs. 1 EStG aber rechne der nicht abzugsfähige Vorsteuerbetrag zu den Anschaffungskosten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG Berlin vom 19. Januar 1971 aufzuheben und das FA zu verurteilen, ihm 167,30 DM Investitionszulage zu gewähren.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht die beantragte Investitionszulage nicht zu.
Über die Streitfrage, wie sich der Vorsteuerbetrag auf die Höhe der Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts, für das Investitionszulage beantragt ist, auswirkt, hat bereits der VI. Senat des BFH im Urteil vom 1. Dezember 1970 VI R 47/70 (BFHE 101, 464, BStBl II 1971, 318) entschieden. Er ist übereinstimmend mit dem FG zu der Erkenntnis gelangt, daß der Vorsteuerbetrag bei der Ermittlung der Anschaffungskosten außer Betracht zu bleiben habe. Der VI. Senat weist darauf hin, daß § 19 Abs. 2 Satz 3 des BHG 1968 (BGBl I, 1049, BStBl I 1968, 1128) mit § 6 Abs. 2 EStG insoweit übereinstimmten, als nach beiden Vorschriften die Anschaffungs- oder Herstellungskosten um die darin enthaltenen Vorsteuerbeträge zu mindern seien. Der Hinweis in beiden Vorschriften auf § 9b Abs. 1 EStG bringe lediglich zum Ausdruck, daß der dort behandelte "Vorsteuerbetrag nach § 15 UStG 1967" gemeint ist. Der Hinweis auf § 9b Abs. 1 EStG rechtfertige nicht etwa darüber hinaus die Annahme, daß die Verminderung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten entsprechend der dort getroffenen Regelung von der Frage abhänge, ob und inwieweit der Vorsteuerbetrag bei der Umsatzsteuer tatsächlich abgezogen werden kann. Die Verminderung werde vielmehr bedingungslos vorgeschrieben.
Der erkennende Senat schießt sich dieser Ansicht an und steht damit im Einklang mit der in der Literatur überwiegend vertretenen Ansicht (Lademann-Lenski-Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Nachtrag 12, Anm. 43 Nr. 3 zu § 6; Hartmann-Böttcher-Grass, Großkommentar zur Einkommensteuer, 31. Nachlieferung, Anm. 55b zu § 6 EStG; Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl. Anm. 3e zu § 9b; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 98. Lfg., Anm. 6 zu § 9b, und 106. Lfg., Anm. 140 zu § 6 EStG; Nissen in Deutsche Steuer-Zeitung 1968, Ausgabe A, S. 23; Uelner in Der Betriebs-Berater 1968, 26 [28]; Fella in Kurze Steuer- und Rechtsnachrichten, Abt. 12d S. 163 [168]; dazu Abschn. 86 Abs. 5 der Einkommensteuer-Richtlinien 1969 und 1972.
Die Bedenken, die Littmann in seinem Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., Anm. 610 zu § 6 äußert - die mit der vom Kläger vertretenen Ansicht übereinstimmen -, kann der Senat nicht teilen. Hätte der Gesetzgeber mit dem Hinweis auf die Vorschrift des § 9b Abs. 1 EStG beabsichtigt, den Begriff der Anschaffungsund Herstellungskosten klarzustellen - wovon Littmann ausgeht -, so wäre der Halbsatz "vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag (§ 9b Abs. 1)" hinter den Wörtern "Anschaffungs- und Herstellungskosten" überflüssig, wenn nicht sogar sinnwidrig. Es hätte dann genügt, den Hinweis auf § 9b Abs. 1 EStG ohne den erwähnten Halbsatz unmittelbar den Wörtern "Anschaffungs- und Herstellungskosten" folgen zu lassen. Als Erläuterung des in § 6 Abs. 2 EStG und in § 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG gebrauchten Begriffs "Vorsteuerbetrag" ist der Hinweis auf die Erläuterung dieses Begriffs in § 9b Abs. 1 EStG dagegen sinnvoll. Ob es der Klarheit dienlicher gewesen wäre, zur Definition des Begriffs "Vorsteuerbetrag" statt auf § 9b Abs. 1 EStG unmittelbar auf § 15 UStG 1967 Bezug zu nehmen, kann unerörtert bleiben. Methodisch zutreffend war es jedenfalls, daß der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 EStG auf die bereits in das Einkommensteuerrecht übernommene Definition in § 9b Abs. 1 EStG verwies. Wegen der Übereinstimmung des § 6 Abs. 2 EStG mit § 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG insoweit war dann aber auch im Investitionszulagerecht von den gleichen Grundsätzen auszugehen.
Mit dieser Auslegung steht die vom FG zutreffend wiedergegebene Entstehungsgeschichte der Vorschrift im Einklang. Der Bundestag hat gerade das vom Kläger als zutreffend erachtete Ergebnis, daß die Höhe der Anschaffungskosten verschieden berechnet wird, je nachdem, ob der Vorsteuerabzug nach der umsatzsteuerlichen Regelung zulässig oder unzulässig ist, vermeiden wollen. Er hat deshalb und auch im Hinblick auf die erforderliche Vereinfachung die in § 6 Abs. 2 EStG und § 19 Abs. 2 Satz 3 BerlinFG getroffene Regelung angenommen (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 5. Wahlperiode, 141. Sitzung, S. 7210, Anlage 3, Umdruck 317, S. 7263). Die vom Kläger vertretene Auffassung ist danach mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht zu vereinbaren.
Fundstellen
Haufe-Index 71312 |
BStBl II 1975, 365 |
BFHE 1975, 455 |