Leitsatz (amtlich)
1. Der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung kann nicht zur Anwendung eines Runderlasses des Bundesministers der Finanzen führen, falls dieser im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht steht.
2. Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzt voraus, daß sich der Steuerpflichtige und die Finanzbehörde als Partner eines konkreten Rechtsverhältnisses gegenüberstehen; gegen eine Abgabennachforderung kann sich daher der Steuerpflichtige nicht auf sein Vertrauen in die Gültigkeit der Regelung eines Runderlasses des Bundesministers der Finanzen berufen (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
Orientierungssatz
In den Jahren 1970 und 1971 durften Einfuhren aus Guinea nicht als Einfuhren behandelt werden, die aus einem mit der EWG assoziierten Staat stammten. Sie unterlagen daher ohne Einschränkung der allgemeinen Regelung des GZT (vgl. EuGH-Urteil vom 11.12.1973 Rs. 147/73; BFH-Urteil vom 5.2.1980 VII R 101/77).
Normenkette
GZT
Tatbestand
In den Jahren 1970 und 1971 entnahm die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) aus ihrem offenen Zollager Rohkaffee in den freien Verkehr. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) ging davon aus, daß der Kaffee aus der Republik Guinea stamme, und ließ ihn aufgrund des Erlasses des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 28.Dezember 1966 zollfrei. Dieser an die Oberfinanzdirektion (OFD) gerichtete Erlaß hatte folgenden Wortlaut: "Bei Einfuhren aus der Republik Guinea sind einstweilen die Vergünstigungen des EWG-Vertrags weiterzugewähren. Voraussetzung ist, daß ein entsprechend den Bestimmungen in den Nrn.27-30 der EWG-Zollbestimmungen 1964 (BZBl 1963, 918) ausgestelltes Ursprungszeugnis vorgelegt wird." Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Urteil vom 11.Dezember 1973 Rs.147/73 (EuGHE 1973, 1543) entschieden hatte, daß nach Gemeinschaftsrecht Einfuhren aus Guinea im Jahre 1971 nicht als Einfuhren zu behandeln waren, die aus einem mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) assoziierten Staat stammten, und ihnen daher die Zollfreiheit in den Mitgliedsstaaten nicht zustatten gekommen sei, hob der BMF mit Erlaß vom 16.Januar 1974 den Erlaß vom 28.Dezember 1966 mit Wirkung vom 1.April 1974 auf.
Mit Bescheid vom 25.Januar 1972 forderte das HZA Zoll und anteilige Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt 28 796,10 DM Eingangsabgaben mit der Begründung nach, die amtlichen Ermittlungen hätten ergeben, daß es sich trotz der entsprechenden Ursprungszeugnisse nicht um Guinea-Ware gehandelt habe.
Auf die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) die angefochtenen Bescheide mit folgender Begründung auf: Die Klägerin könne sich auf den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung berufen. Die Zollbehörde sei an die BMF-Erlasse vom 28.Dezember 1966 und vom 16.Januar 1974 gebunden. Ob Eingangsabgaben zu erheben seien, hänge davon ab, daß der Nachweis für den Ursprung der Ware aus einem assoziierten Land (sog. AASM-Ware) in der vorgeschriebenen Form erbracht sei. Das FG habe nur festzustellen, ob der Präferenznachweis in der vorgeschriebenen Form geführt sei und welche abgabenrechtlichen Folgen sich daraus ergäben. Nach den beiden der Zollbehörde vorgelegten Ursprungszeugnissen vom 23.September 1970 Nrn.2243 und 2244 handle es sich bei dem Rohkaffee um Ware mit Ursprung in Guinea. Die Klägerin könne sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen. Sie habe unwidersprochen geltend gemacht, im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des BMF-Erlasses den Bezug von präferenziertem und damit verbilligtem Rohkaffee aus zweifelsfrei assoziierten Ländern unterlassen zu haben.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Die aus dem offenen Zollager der Klägerin in den freien Verkehr entnommenen Waren hat das HZA zollfrei belassen. Die entsprechenden Steuerbescheide durfte das HZA nach § 223 i.V.m. § 94 Abs.1 Nr.1 der Reichsabgabenordnung (AO) ändern, da die Nichterhebung des Zolls (und der anteiligen Einfuhrumsatzsteuer; vgl. § 21 Abs.2 und 4 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--) materiell-rechtlich unrichtig war und der entsprechenden Nachforderung der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegenstand (vgl. auch Urteil des Senats in BFHE 130, 90).
1. Das FG hat festgestellt, daß der Kaffee aus Guinea stammte. Es kann unentschieden bleiben, ob die Angriffe des HZA gegen diese Feststellung zum Erfolg führen können. Auch wenn der Senat zu Lasten des HZA davon ausgeht, daß die genannte Feststellung des FG ihn bindet (§ 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), ergibt sich, daß der Nachforderungsbescheid --da er auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt (vgl. unten Nr.2)-- zu Recht ergangen ist; denn die Nichterhebung von Zoll für Guinea-Kaffee war rechtlich unzulässig.
Ob in den Jahren 1970 und 1971 Kaffee mit Ursprung in Guinea zollfrei in den freien Verkehr der Gemeinschaft gelangen durfte, entscheidet sich nach Gemeinschaftsrecht. Im maßgebenden Zeitpunkt durften Einfuhren aus Guinea nicht als Einfuhren behandelt werden, die aus einem mit der EWG assoziierten Staat stammten. Sie unterlagen daher ohne Einschränkung der allgemeinen Regelung des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT). Diese sah für Kaffee aus Drittländern die Erhebung von Zoll vor. Das hat der EuGH mit seinem Urteil in EuGHE 1973, 1543 entschieden. Der Senat folgt dieser Entscheidung (vgl. auch BFHE 130, 90, 91). Demnach war mit der Entnahme der streitbefangenen Waren aus dem offenen Zollager der Klägerin eine Zollschuld in der nach dem GZT vorgesehenen Höhe entstanden (§ 46 Abs.3 Satz 1 des Zollgesetzes --ZG--). Der Zoll (und die anteilige Einfuhrumsatzsteuer) war daher zu Unrecht unerhoben geblieben.
Daran vermögen die BMF-Erlasse vom 28.Dezember 1966 und vom 16.Januar 1974 nichts zu ändern. Deren Regelung widersprach dem Gemeinschaftsrecht. Sie ist daher, selbst wenn sie als Rechtsnorm zu werten wäre, nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts unanwendbar.
Zu Unrecht beruft sich das FG demgegenüber auf den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Der Senat braucht nicht darauf einzugehen, ob eine solche Selbstbindung hier schon deswegen ausscheidet, weil der Gleichheitssatz die Verwaltung nicht zur Wiederholung oder Beibehaltung eigenen fehlerhaften Verhaltens zwingt. Denn jedenfalls vermag dieser Grundsatz Verwaltungsanweisungen, die im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht stehen, nicht den Vorrang vor dem Gemeinschaftsrecht zu verleihen (vgl. auch Urteil des Senats vom 31.Juli 1984 VII R 91/83, BFHE 142, 83).
Auf das Senats-Urteil in BFHE 130, 90 kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Dort hatte der erkennende Senat (S.92 ff.) entschieden, daß die Frage, ob der Nachforderung von Zöllen der Grundsatz von Treu und Glauben entgegensteht, nach innerstaatlichem Recht zu entscheiden sei, da damals (1972) gemeinschaftsrechtliche Vorschriften auf diesem Gebiet gefehlt hätten und der Grundsatz von Treu und Glauben den Nachforderungsvorschriften der AO gewissermaßen immanent ist (vgl. auch Urteil des Senats vom 4.Oktober 1983 VII R 82/80, BFHE 139, 325, 331). Aus dieser Entscheidung ergibt sich sonst nichts für die hier (zunächst) zu entscheidende Frage, ob die Nichterhebung des Zolls materiell-rechtlich richtig war oder nicht. Insoweit bestand eine gemeinschaftsrechtliche Regelung, die des GZT, die mit innerstaatlichem Recht --unterstellt, die genannten Erlasse seien Recht in diesem Sinne-- kollidierte und daher vorging.
2. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen.
Im vorliegenden Fall ist der Grundsatz von Treu und Glauben in seiner Ausprägung anzuwenden, die er im deutschen Recht erfahren hat (BFHE 130, 90, 92). Seine Anwendung setzt jedoch voraus, daß sich der Steuerpflichtige und die Finanzbehörde als Partner eines konkreten Rechtsverhältnisses gegenüberstehen (vgl. BFHE 130, 90, 95 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Daran aber fehlt es im vorliegenden Fall.
Die Klägerin beruft sich auf ihr Vertrauen in die Gültigkeit der Regelung des BMF-Erlasses vom 28.Dezember 1966, der im hier maßgebenden Zeitpunkt noch nicht aufgehoben war. Bei diesem Erlaß handelt es sich um eine an die OFD und die Zollstellen gerichtete allgemeine Verwaltungsanweisung, mit deren Hilfe eine gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts sichergestellt, nicht aber eine Bindung aller Rechtsanwender wie durch eine Rechtsverordnung erreicht werden konnte und sollte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann allgemeinen Verwaltungsanweisungen wie z.B. Ministerialentschließungen unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht die gleiche Wirkung beigemessen werden wie einer verbindlichen Zusage oder Auskunft für den Einzelfall (vgl. Entscheidungen vom 5.März 1964 IV 133/63 S, BFHE 79, 218, BStBl III 1964, 311; vom 21.Dezember 1972 IV R 53/72, BFHE 107, 564, 575, BStBl II 1973, 298; vom 10.Juni 1975 VIII R 50/72, BFHE 116, 103, 105, BStBl II 1975, 789). Anderenfalls würde allgemeinen Verwaltungsanweisungen vermittels des Grundsatzes von Treu und Glauben Rechtssatzqualität und der Verwaltung damit eine über das Verordnungsrecht hinausgehende Rechtsetzungsbefugnis verliehen (BFHE 107, 564, 575, BStBl II 1973, 298). Damit aber wäre einmal das an bestimmte Voraussetzungen gebundene Verordnungsrecht von Verwaltungsbehörden (vgl. Art.80 des Grundgesetzes --GG--) praktisch in unkontrollierbarer Weise erweitert und damit in die Legislative eingegriffen und zum anderen das verfassungsmäßige Recht der Rechtsprechung auf Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beeinträchtigt. Die Ausdehnung und entsprechende Anwendung der von der Rechtsprechung für die Bindung an Zusagen und Erklärungen des FA im Einzelfall entwickelten Grundsätze auf Gruppen von Einzelfällen regelnde Anweisungen der den FÄ vorgesetzten Finanzbehörden wäre demnach mit Art.20 GG nicht vereinbar.
Ein konkretes Rechtsverhältnis im genannten Sinne konnte im vorliegenden Fall nur zwischen der Klägerin und der abfertigenden Zollstelle gegeben sein. Weder aus den Feststellungen der Vorentscheidung noch aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich aber, daß die Zollstelle im Rahmen dieses Rechtsverhältnisses nachhaltig so verfahren ist, daß die Klägerin auf ein entsprechendes künftiges Verhalten vertrauen durfte.
Fundstellen
Haufe-Index 61481 |
BFHE 146, 294 |
BFHE 1986, 294 |
BB 1986, 1074-1075 (ST) |