Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug des Erstehers bei Zwangsversteigerung eines Grundstücks
Leitsatz (NV)
1. Bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks kann der frühere Eigentümer auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes verzichten, und zwar auch noch nach Abschluß des Versteigerungsverfahrens.
2. Begleicht der Ersteher des Grundstücks das Bargebot, steht ihm der Vorsteuerabzug auch zu, wenn der Versteigerungserlös ausschließlich zur Tilgung von Verbindlichkeiten des Vollstreckungsschuldners gegenüber Dritten verwendet wird und die geschuldete Umsatzsteuer nicht entrichtet wird.
Normenkette
UStG 1980 § 9 Abs. 1, §§ 14, 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 1; AO 1977 § 42
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt den Ankauf und die Verwaltung von Immobilien. Am 7. Dezember 1988 erwarb sie im Wege der Zwangsversteigerung dem P gehörende Grundstücke zu einem Barmeistgebot i.S.der §§ 49, 81 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) in Höhe von ... DM. Der Versteigerungserlös wurde zur Bestreitung von Verfahrenskosten und zur Erfüllung von Verbindlichkeiten des P gegenüber Dritten verwendet. P erhielt hiervon nichts ausgezahlt. Vom 1. Mai 1989 an vermietete die Klägerin die Grundstücke an eine GmbH für gewerbliche Zwecke zu einer Monatsmiete von ... DM zuzüglich Umsatzsteuer.
Entsprechend einer vor dem Zwangsversteigerungstermin getroffenen Vereinbarung erteilte P der Klägerin eine bei dieser am 20. Dezember 1988 eingegangene Abrechnung für den im Zwangsversteigerungsverfahren erworbenen Grundbesitz über ... DM; darin war gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von ... DM enthalten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte im Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das vierte Kalendervierteljahr 1988 den Vorsteuerabzug aus dieser Rechnung ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Während des Klageverfahrens erließ das FA am 9. Februar 1990 den Umsatzsteuerjahresbescheid für 1988, mit dem es negative Umsatzsteuer in Höhe von ... DM festsetzte und den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des P erneut ablehnte. Dieser Bescheid wurde auf Antrag der Klägerin Gegenstand des Verfahrens (§ 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, der frühere Grundstückseigentümer könne zwar auch im Fall der Zwangsversteigerung auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes verzichten. Im Streitfall stehe dem Vorsteuerabzug aber § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) entgegen, weil der Verzicht auf die Steuerfreiheit und der gesonderte Ausweis von Umsatzsteuer in der Rechnung rechtsmißbräuchlich seien und die Klägerin P zur Option zur Steuerpflicht veranlaßt habe, obwohl ihr dessen schwierige finanzielle Situation bekannt gewesen sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von materiellem Recht und Verfahrensrecht. Der Auffassung des FG, daß § 42 AO 1977 dem Vorsteuerabzug entgegenstehe, könne - so bringt sie vor - nicht gefolgt werden. Sie könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß weder P noch die Vollstreckungsgläubiger die Umsatzsteuer an das FA entrichtet hätten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Festsetzung von Umsatzsteuer für 1988 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Der Klägerin steht der begehrte Vorsteuerabzug zu.
a) Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Senats führt die Zwangsversteigerung eines Grundstücks umsatzsteuerrechtlich zu einer Lieferung des Grundstückseigentümers unmittelbar an den Ersteher (Senatsurteile vom 19. Dezember 1985 V R 139/76, BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500; vom 6. Juni 1991 V R 115/87, BFHE 165, 113, BStBl II 1991, 817; vom 16. März 1993 V R 54/92, BFHE 171, 7, BStBl II 1993, 736). Der frühere Grundstückseigentümer kann auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes verzichten (§ 9 Abs. 1 UStG 1980), und zwar auch noch nach Abschluß des Versteigerungsverfahrens (Senatsurteile in BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500; in BFHE 171, 7, BStBl II 1993, 736).
Das UStG 1980 macht den Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger nicht davon abhängig, daß der Leistende die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer auch tatsächlich an das FA abführt (Senatsurteil vom 6. Juni 1991 V R 70/89, unter 3. a, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866).
b) Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß ein die Anwendung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 hinderndes Scheingeschäft nicht vorliege (vgl. hierzu Senatsurteil in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866, unter 2.).
c) § 42 AO 1977 schließt den Vorsteuerabzug nicht aus.
Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
Verzichtet der Grundstücksveräußerer auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung, ist der Vorsteuerabzug durch den Grundstückserwerber grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich; vielmehr soll der Verzicht auf die Steuerbefreiung dem Erwerber den Vorsteuerabzug regelmäßig gerade ermöglichen (Senatsurteil in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866, unter 4.). Der Senat hat einen Mißbrauch beim Erwerber lediglich für den Fall bejaht, daß dieser den vereinbarten Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) dem Verkäufer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen Gegenforderungen verrechnet. So liegen die Dinge im Streitfall nicht, da die Klägerin keine Gläubigerin des P gewesen war und das Bargebot beglichen hat. Dies ist entscheidend (vgl. Senatsurteil in BFHE 171, 7, BStBl II 1993, 736).
Fundstellen