Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Das in einem Versorgungsstock eines Angestellten im öffentlichen Dienst angesammelte Guthaben kann der Angestellte zur steuerbegünstigten Kapitalansammlung für einen allgemeinen Sparvertrag verwenden.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Ziff. 4; EStDV § 17/4, §§ 31-32
Tatbestand
Der Beschwerdegegner (Bg.) ist angestellter Betriebsprüfer bei einer Oberfinanzdirektion. Zu seiner Altersversorgung ist anstelle der Versorgung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder ein Versorgungsstock gemäß §§ 22 ff. der Richtlinien für die Alters- und Hinterbliebenenversorgung (Anlage D zur Allgemeinen Dienstordnung zu § 16 der Allgemeinen Tarifordnung, Reichshaushalts- und Besoldungsblatt 1938 S. 135 ff.) bei einer Bank (Stockbank) gebildet worden. In den Versorgungsstock werden monatlich 22,5 v. H. der laufenden Dienstbezüge eingelegt. Davon trägt die Oberfinanzdirektion 15 v. H. und der Bg. 7,5 v. H. Für den Bg. waren bis Ende 1952 = 2.564,01 DM eingelegt. Die laufenden Einlagen waren auf Grund von § 17 Ziff. 4 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1951, Abschn. 101 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1951 als steuerbegünstigte Kapitalansammlung anerkannt worden. Der Bg. wies am 30. Dezember 1955 die Stockbank an, aus seinem Konto 1.800 DM auf ein steuerbegünstigtes allgemeines Sparkonto im Sinne von §§ 17 Ziff. 1, 18 EStDV 1953 umzubuchen. Die Bank führte den Auftrag aus. Den Betrag von 1.800 DM wollte der Bg. für 1955 als steuerbegünstigte Kapitalansammlung (Sonderausgabe) behandelt wissen. Das Finanzamt lehnte das ab.
Die Sprungberufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht führte aus: Es gehe um die Möglichkeit des wiederholten steuerbegünstigten Sparens mit bereits angesammelten Beiträgen zum Versorgungsstock. Die erstmalig geleisteten Beiträge seien für die Zeit bis zum 31. Dezember 1955 unstreitig begünstigt. Für die Zeit ab 1. Januar 1956 sei die Rechtslage anders (Abschn. 35 in Verbindung mit der Einführung zu den Lohnsteuer-Richtlinien 1955 Abs. 2 letzter Satz). Die Finanzverwaltung vertrete die Auffassung, daß die erstmaligen Beiträge zum Versorgungsstock nur aus Entgegenkommen als steuerbegünstigte Kapitalansammlung anerkannt seien; es liege hier eine Fiktion vor; denn durch die Beiträge werde kein zusätzliches Kapital gebildet; vor allem werde durch die überweisung eines bei der Stockbank bereits angesammelten Kapitals auf ein steuerbegünstigtes Sparkonto kein Kapital neu gebunden; denn das Kapital sei nach den Vorschriften über den Versorgungsstock ohnehin festgelegt; deshalb könne nur die erstmalige Ansammlung der laufenden Beiträge begünstigt sein. Dieser Auffassung der Finanzverwaltung sei aber nicht zuzustimmen. Die mehrmalige Verwendung steuerbegünstigt angesammelter Beträge sei nicht auf Kapitalansammlungsverträge im Sinne von § 17 Ziff. 1 EStDV 1953 beschränkt. Wenn die Verwaltung die erstmalige Einlegung der Beiträge in den Versorgungsstock begünstige, sei es folgerichtig, auch das wiederholte steuerbegünstigte Sparen mit bereits angesammelten Beträgen zuzulassen.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des § 10 Abs. 1 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1955. Das Finanzgericht berücksichtige nicht ausreichend die Besonderheiten des Versorgungsstocks. Gewöhnlich könne ein Steuerpflichtiger nach Ablauf der dreijährigen Sperrfrist wieder unbeschränkt über das angesammelte Kapital verfügen: er könne es abheben oder neu festlegen. Lege er es wiederum fest, sei es gerechtfertigt, ihm nochmals die Steuervergünstigung zu gewähren. Beim Versorgungsstock habe aber der Berechtigte überhaupt keine Möglichkeit, nach Ablauf von drei Jahren über die eingezahlten Beiträge zu verfügen; er erhalte den Versorgungsstock nur zur freien Verfügung, wenn die Voraussetzungen des § 26 der Richtlinien erfüllt seien, d. h. insbesondere, wenn er die Altersgrenze erreicht habe oder aus dem öffentlichen Dienst entlassen werde.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Zutreffend ist das Finanzgericht davon ausgegangen, daß für die Zeit bis zum 31. Dezember 1955 auf Grund der Anordnung des Direktors der Verwaltung für Finanzen (vgl. Anlage 11 zu EStR 1953) die erstmalige Einzahlung der gemeinschaftlichen Beiträge von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zum Versorgungsstock für Angestellte im öffentlichen Dienst als steuerbegünstigte Kapitalansammlung zu behandeln sei. Die Einzahlungen zum Versorgungsstock sind zwar nicht Sparverträge der üblichen Art, bei denen der Einzahler auf Grund einer Vereinbarung mit einem Kreditinstitut Geld auf bestimmte Zeit oder auf Kündigung verzinslich anlegt. Bei den Einzahlungen zum Versorgungsstock werden vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer laufende Zuweisungen langfristig gebunden, um aus dem angesammelten Vermögen die Versorgung des Berechtigten, solange er im öffentlichen Dienst steht, für den Fall des Alters oder der Arbeitsunfähigkeit sicherzustellen. Während beim gewöhnlichen Sparvertrag der Einzahler nach Ablauf der vereinbarten Frist oder auf Grund einer Kündigung über sein Guthaben frei verfügen kann, ist die Verfügungsbefugnis des Berechtigten beim Versorgungsstock begrenzt. Zur unbeschränkten Verfügung erhält der Berechtigte den Versorgungsstock erst ausgezahlt, wenn die Voraussetzungen von § 26 der Richtlinien erfüllt sind. Unrichtig ist aber, wenn das Finanzamt annimmt, daß der Berechtigte vorher keinerlei Verfügungsbefugnis habe. Nach § 25 der Richtlinien werden die im Vorsorgungsstock angesammelten Mittel nach Weisung des Berechtigten von der Stockbank treuhänderisch verwaltet. Die laufenden Beiträge sind dem Arbeitnehmer zugeflossener Arbeitslohn, der auf Grund vertraglicher Vereinbarung aber im Interesse der Alterssicherung des Arbeitnehmers zunächst nicht ausgezahlt, sondern bei der Stockbank für ihn gespart wird. Weil es sich um Vermögen des Arbeitnehmers handelt, das die Stockbank treuhänderisch für ihn verwaltet, gibt § 25 der Richtlinien dem Arbeitnehmer entscheidenden Einfluß auf die Anlage des Vermögens. Verfügungen, die die Anlage des Vermögens betreffen, sind also dem Berechtigten gestattet. Die Stockbank konnte deshalb auf Grund der Anordnung des Bg. auch einen Teil des angesammelten Vermögens auf ein steuerbegünstigtes Sparkonto nach §§ 31, 32 EStDV 1955 überweisen.
ähnliche Bedenken wie im Streitfall hat die Finanzverwaltung auch in dem Fall IV 91/53 U vom 19. November 1953 (Bundessteuerblatt - BStBl - 1954 III S. 15, Slg. Bd. 58 S. 261) gegen die Anerkennung der einem Stockkonto gutgeschriebenen Zinsen als steuerbegünstigte Kapitalansammlung erhoben. Der Bundesfinanzhof hat damals die Bedenken wegen der erwähnten Anordnung des Direktors der Verwaltung für Finanzen nicht für entscheidend gehalten.
Auch im vorliegenden Fall ist die Rechtsauffassung des Finanzgerichts nicht zu beanstanden. Der Wortlaut des § 17 EStDV 1953 gibt keine Veranlassung, die verschiedenen Gruppen steuerbegünstigter Kapitalansammlungsverträge hinsichtlich der Wiederverwendung schon einmal begünstigter Beträge verschieden zu behandeln. Die Auslegung des Finanzgerichts entspricht auch dem Sinn und Zweck der Steuervergünstigung. Bei der Auslegung der steuerlichen Vorschriften zur Förderung des Kapitalmarktes ist besonders die wirtschaftliche Zielsetzung zu berücksichtigen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 15/57 U vom 28. Januar 1958, BStBl 1958 III S. 115). Zweck der steuerlichen Bestimmungen zur Förderung des Kapitalmarktes ist, zur Erfüllung bestimmter staatspolitisch dringender Aufgaben durch Steuerbegünstigung dem Kapitalmarkt Mittel zuzuführen und auf bestimmte Zeit zu binden. Dieser Zweck ist im Streitfall erreicht worden. Die Stockbank hat den Betrag weisungsgemäß auf ein steuerbegünstigtes Sparkonto übertragen und gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1955, § 32 EStDV 1955 auf 7 bzw. 10 Jahre festgelegt. Die Verfügung des Bg. hatte auch rechtliche und wirtschaftliche Folgen. Wenn z. B. das Stockguthaben nach § 26 der Richtlinien frei wird, kann der Bg. über den festgeschriebenen Betrag vor Ablauf der steuerlichen Sperrfrist nicht frei verfügen, da er auf eine vorzeitige Aufhebung des Sparvertrages verzichtet hat (ß 32 Abs. 1 EStDV 1955).
Die Bedenken der Finanzverwaltung laufen darauf hinaus, daß der Bg. keinen Konsumverzicht geleistet habe, da er die eingezahlten Beiträge ohnehin auf lange Zeit nicht hätte verbrauchen können. Sicher war bei den steuerlichen Maßnahmen daran gedacht, durch Konsumverzicht die Kapitalbildung zu fördern. Diese Zielsetzung ist aber nicht Inhalt des Gesetzes. Es wird nicht vorausgesetzt, daß die steuerbegünstigte Kapitalbildung aus dem laufenden Einkommen geschieht; der Steuerpflichtige kann auch aus seinem bereits vorhandenen Vermögen steuerbegünstigte Kapitalbeträge ansammeln. Auch die Entscheidung IV 91/53 U besagt nicht, daß die Steuervergünstigung für die Kapitalansammlung einen gegenwärtigen Konsumverzicht voraussetzt. Im Streitfall hat der Bg. aus seinem Vermögen, das im Versorgungsstock angelegt war, im Rahmen seines Verfügungsrechts einen Betrag auf ein den Voraussetzungen des § 17 Ziff. 1 EStDV 1953 entsprechendes Sparkonto überwiesen. Das Finanzgericht hat deshalb mit Recht die Steuervergünstigung nach § 10 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1955 gewährt.
Fundstellen
Haufe-Index 409141 |
BStBl III 1958, 376 |
BFHE 1959, 268 |
BFHE 67, 268 |