Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesonderte und einheitliche Feststellung bei Zweifeln über die weiteren Beteiligten
Leitsatz (NV)
Eine (positive oder negative) Entscheidung im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung durch das dafür zuständige Finanzamt ist auch dann erforderlich, wenn Zweifel bestehen, ob die übrigen an den gemeinschaftlichen Einkünften beteiligten Personen damit im Inland steuerpflichtig sind oder ob sie derzeit überhaupt ermittelt werden können.
Normenkette
AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, b, Abs. 3, § 181 Abs. 5; EGAO 1977 Art. 97 § 10 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1; FGO § 74
Tatbestand
In der im zweiten Rechtsgang befindlichen Sache ist die einkommensteuerrechtliche Beurteilung von Erträgen aus Geldeinlagen auf Warentermin-Sammelkonten streitig.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Der Kläger (Ehemann) ist gewerblich tätig. Aufgrund einer Außenprüfung wurde festgestellt, daß er im Streitjahr 1973 Erträge aus Warentermingeschäften erzielt hatte. Er beteiligte sich ab 1972 mit Einlagen an sog. Warentermin-Sammelkonten. In 1973 ließ sich der Kläger seine Einlagen nebst inzwischen aufgelaufenen Gewinnen auszahlen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erließ einen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1973, in dem die Einkünfte der Kläger aus Kapitalvermögen um die vorgenannten Erträge erhöht wurden. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage im ersten Rechtszug als unbegründet ab. Der Bundesfinanzhof (BFH) hob diese Entscheidung auf die Revision der Kläger mit Urteil vom 9. September 1986 VIII R 318/83 (BFH/NV 1987, 158) auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Im zweiten Rechtsgang hat das FG der Klage stattgegeben und die Einkommensteuer herabgesetzt, ohne das Klageverfahren zur vorherigen Durchführung einer gesonderten und einheitlichen Feststellung auszusetzen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Wie der BFH bereits durch sein - das FG gemäß § 126 Abs. 5 FGO bindende - Urteil im ersten Rechtsgang, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, entschieden hat, hätte das FG abwarten müssen, ob die in Betracht kommenden Einkünfte gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 einheitlich und gesondert festgestellt werden. Kommt es zu einer derartigen Feststellung - sei sie positiv oder negativ -, ist sie gemäß § 182 Abs. 1 AO 1977 für das vorliegende Verfahren bindend.
Nachdem ein Feststellungsverfahren auch nach der ersten Zurückverweisung der Sache an das FG bis zu dessen erneuter Entscheidung nicht durchgeführt worden war, hätte das FG das Klageverfahren hierzu gemäß § 74 FGO aussetzen müssen.
Der Verstoß berührt die Grundordnung des Verfahrens und ist auch ohne entsprechende Verfahrensrüge von Amts wegen zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, 309, BStBl II 1986, 239, 240 m. w. N.), abgesehen von der Mißachtung der vorangegangenen revisionsgerichtlichen Beurteilung (§ 126 Abs. 5 FGO, vgl. BFH-Beschluß vom 26. März 1980 I B 11/80, BFHE 130, 17, BStBl II 1980, 334).
1. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO ist nicht deswegen entbehrlich, weil das FA nach den Feststellungen des FG bisher keine Bereitschaft zur Einleitung des Feststellungsverfahrens gezeigt hat. In den hierzu vom FG angeführten Äußerungen des FA kann kein - die gesonderte Feststellung ablehnender - Negativbescheid (vgl. die zur Zeit der Vorentscheidung bereits geltende Vorschrift des § 180 Abs. 3 Satz 2 AO 1977) erblickt werden.
Dies ergibt sich auch daraus, daß das FA vor dem FG hilfsweise die Aussetzung des Klageverfahrens wegen des (von einem anderen FA durchzuführenden) Verfahrens der gesonderten Feststellung beantragt hat.
2. Eine Entscheidung im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 durch das dafür zuständige FA erübrigt sich auch nicht mangels Bekanntheit weiterer an dem Warentermin-Sammelkonto beteiligter Personen.
Zwar hat das FG im zweiten Rechtsgang - abweichend von den im ersten Rechtsgang zugrunde gelegten Erkenntnissen - festgestellt, daß sich im Streitjahr 1973 nur der Kläger (nicht auch die Klägerin) an dem Warentermin-Sammelkonto beteiligt hatte und daß weitere Beteiligte hier unbekannt geblieben sind. Dennoch ist - abgesehen von der Benennung eines weiteren Beteiligten in der (vom FG in Bezug genommenen) Auskunft des Bundesamts für Finanzen (BfF) - auch bei Zweifeln hinsichtlich der Beteiligung weiterer Personen an den Einkünften eine Entscheidung im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung erforderlich (Urteil in BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239; BFH-Beschluß vom 12. Juli 1988 IX B 28/88, BFH/NV 1989, 87).
3. Ob eine gesonderte Feststellung gemäß der Ausnahmevorschrift des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 (vorher 1. Alternative) AO 1977 nicht erforderlich ist, weil nur eine der an den Einkünften beteiligten Personen mit ihren Einkünften im Geltungsbereich des Gesetzes steuerpflichtig ist, kann ebenso bei Zweifeln nur im besonderen Verfahren bzw. durch das für die gesonderte Feststellung zuständige FA entschieden werden (vgl. letztgenannte Entscheidungen).
Auf die Frage, ob die Anteile der übrigen an den Einkünften Beteiligten aus anderen Gründen - hier etwa derzeit mangels Ermittelbarkeit ihrer Person oder wegen Verjährung der gegen sie gerichteten Steueransprüche - nicht besteuert werden können, kommt es dabei nicht an (vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 1981 VIII R 65/77, nicht amtlich veröffentlicht zu 1. m w. N.; BFH-Beschluß vom 7. Dezember 1977 I B 16/77, BFHE 124, 19, 22, BStBl II 1978, 265, 266 m. w. N.).
4. Daß - wie im Revisionsurteil des ersten Rechtsgangs ausgeführt - der Umfang der Feststellungen unter Umständen durch die beschränkten Ermittlungsmöglichkeiten bei Auslandsbeziehungen begrenzt ist, rechtfertigt nicht den Verzicht auf die gesonderte Feststellung.
Es handelt sich auch nicht um einen Fall von geringer Bedeutung i. S. des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 (vorher 2. Alternative) AO 1977, wie sich bereits aus jenem Urteil ergibt.
5. Die gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung der gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 wird durch eine spätere Beendigung der gemeinschaftlichen Betätigung nicht beeinflußt; die Regelung unterscheidet sich insoweit von den Voraussetzungen der - im Streitfall nicht einschlägigen - Vorschrift des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO 1977, bei der (wegen der Zuständigkeit) auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Veranlagung des Steuerpflichtigen abzustellen ist (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1987 III R 228/84, BFHE 152, 27, BStBl II 1988, 230, 231 zu 2. m. w. N.).
6. Die Frage der Auslegung der vom FG angeführten Vorschrift des § 181 Abs. 5 AO 1977 ist für den Streitfall ohne Bedeutung. Diese Vorschrift betrifft die Feststellungsverjährung bzw. die Festsetzungsverjährung in den Fällen der gesonderten Feststellung für nach dem 31. Dezember 1976 entstehende Steuern. Für die - vorher entstandenen - Ansprüche des Streitjahres (1973) gilt gemäß Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) für die Verjährung des Rechtszustands nach der Reichsabgabenordnung (AO) weiter. Danach sind gesonderte und einheitliche Feststellungen grundsätzlich durchzuführen, solange sie sich bei einem Beteiligten noch auswirken können (vgl. BFH-Urteil vom 7. April 1976 I R 75/73, BFHE 119, 146, BStBl II 1976, 557 zu 1.).
Aus § 181 Abs. 5 AO 1977 läßt sich - im Unterschied zur Auffassung des FG - kein insoweit entgegenstehender allgemeiner Rechtsgedanke ableiten. Der BFH hat für die Zeit der Fortgeltung des Verjährungsrechts der AO an dem vorstehend wiedergegebenen Grundsatz festgehalten (vgl. neben den Nachweisen zu 3. BFH-Urteil vom 11. Februar 1988 IV R 19/87, BFHE 153, 26, BStBl II 1988, 825 zu 2.).
7. Eine Verwirkung des Rechts zur Durchführung der gesonderten Feststellung kommt nicht in Betracht (vgl. BFH-Urteile vom 12. September 1985 VIII R 322/82, BFH/NV 1986, 131 zu 1. b) cc) m. w. N.; vom 20. Oktober 1981 VIII R 65/77, nicht amtlich veröffentlich m. w. N.).
8. Das FG hätte von der Aussetzung des Klageverfahrens gemäß § 74 FGO auch nicht im Hinblick auf die Vorschriften der §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 3 AO 1977 absehen dürfen, nach denen ein Steuerbescheid mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen auch vor dem Grundlagenbescheid erteilt werden kann. Diese Fallgestaltung liegt hier nicht vor, da das FA zu Unrecht seine Zuständigkeit zur endgültigen Entscheidung in Anspruch nahm (vgl. Urteil in BFHE 145, 308, 311, BStBl II 1986, 239, 240 m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 417238 |
BFH/NV 1991, 498 |