Entscheidungsstichwort (Thema)
Fachkongreß in London
Leitsatz (NV)
1. Das Halten eines Fachvortrags kann je nach Art der beruflichen Tätigkeit zwar ein Indiz für den unmittelbaren beruflichen Anlaß einer Reise sein; dieser Schluß ist aber nicht zwingend, d. h. in jedem Fall gerechtfertigt (BFHE 182, 536, BStBl II 1997, 357).
2. Fällt die Anreise des -- von seiner Verlobten begleiteten -- Steuerpflichtigen nach dessen Angaben auf den einem verlängerten Wochenende nachfolgenden Werktag und wird die Heimreise nicht sofort am gleichen Tag nach dem Ende des Kongresses angetreten, muß das FG, um den erhöhten Anforderungen eines derart atypischen Sachvortrags gerecht zu werden, insbesondere den Ankunftszeitpunkt und die Gründe für die spätere Abreise im einzelnen aufklären und bewerten.
Normenkette
EStG §§ 9, 12
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) -- ein Diplom-Mineraloge -- war im Streitjahr 1989 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität beschäftigt. Er beantragte eine Dienstreise mit Privat-PKW vom 16. bis zum 21. Mai 1989 zur Teilnahme an einem vom 17. bis zum 19. Mai 1989 in London ausgerichteten internationalen Fachkongreß, auf dem er am 18. Mai 1989 einen 30- minütigen Fachvortrag hielt. Sein Dienstherr genehmigte ihm diese Reise als "Reise mit dienstlichem Interesse" ohne Kosten erstattung und bestätigte ihm unter dem 10. Juni 1989 seine Teilnahme daran. Der Kläger war im Namensverzeichnis als Teilnehmer und im Veranstaltungsprogramm als Vortragender aufgeführt. Begleitet wurde er von seiner damaligen Freundin und jetzigen Ehefrau, die unabhängig von ihm tagsüber London besichtigte und ihn abends nach Veranstaltungsende an der Tagungsstätte abholte. Am 20. Mai 1989 traf sich der Kläger nach eigenem Bekunden mit einigen anderen Kongreßteilnehmern zu einer spontan vereinbarten Diskussion über seinen Vortrag.
Von den für die Reise geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von insgesamt 2 139,92 DM erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) nur die Kongreßgebühren (125 DM) als Werbungskosten des Klägers bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit an.
Die Klage, mit der der Kläger die Berücksichtigung sämtlicher Reiseaufwendungen begehrte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bejahte eine ausschließlich berufliche Veranlassung der Reise. Über die behauptete Teilnahme des Klägers an sämtlichen Veranstaltungen des Kongresses sowie an der Diskussionsrunde am Folgetag hat das FG durch Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin Beweis erhoben.
Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich der Begründung des angefochtenen Urteils angeschlossen und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die in dem Urteil getroffenen Feststellungen tragen das Ergebnis der Entscheidung nicht.
1. Auslandsreisen können sowohl dem beruflichen als auch dem Bereich der privaten Lebensführung angehören. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) führen sie nur dann zu abziehbaren Werbungskosten, wenn sie ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend im beruflichen Interesse unternommen werden, wenn also die Verfolgung privater Interessen, wie z. B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen Gesichtskreises, nach dem Anlaß der Reise, dem vorgesehenen Programm und der tatsächlichen Durchführung nahezu ausgeschlossen ist. Anderenfalls sind die gesamten Reisekosten nicht abziehbar, soweit sich nicht ein durch den Beruf veranlaßter Teil nach objektiven Maßstäben sicher und leicht abgrenzen läßt (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 23. April 1992 IV R 27/91, BFHE 168, 254, BStBl II 1992, 898, und vom 23. Januar 1997 IV R 39/96, BFHE 182, 536, BStBl II 1997, 357).
Bei der Beurteilung der Frage, ob für eine Reise in nicht unerheblichem Umfang Gründe der privaten Lebensführung eine Rolle gespielt haben, hat die Rechtsprechung in erster Linie auf den Zweck der Reise abgestellt und entschieden, daß solche Reisen, denen offensichtlich ein unmittelbarer beruflicher Anlaß -- wie etwa das Aufsuchen eines Geschäftsfreundes, das Halten eines Vortrags auf einem Fachkongreß oder die Durchführung eines Forschungsauftrags -- zugrunde liegt, in der Regel ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen sind, selbst wenn die zwischen den einzelnen Veranstaltungsabschnitten verbleibende Zeit auch für private Unternehmungen genutzt werden kann (Senatsurteil vom 25. März 1993 VI R 14/90, BFHE 171, 206, BStBl II 1993, 559, m. w. N.). Allerdings darf auch bei Vorliegen eines unmittelbaren beruflichen Anlasses die Verfolgung privater Interessen nicht den Schwerpunkt der Reise bilden (BFH in BFHE 171, 206, BStBl II 1993, 559). Darüber hinaus kann das Halten eines Fachvortrags je nach Art der beruflichen Tätigkeit zwar ein Indiz für den unmittelbaren beruflichen Anlaß der Reise sein; dieser Schluß ist aber nicht zwingend, d. h. nicht in jedem Fall gerechtfertigt (BFH in BFHE 182, 536, BStBl II 1997, 357).
2. Das FG hat im Streitfall einen unmittelbaren beruflichen Anlaß der Reise darin gesehen, daß der Kläger auf dem Fachkongreß einen Vortrag gehalten hat. Die Vorinstanz hat weiter darauf abgestellt, nach der glaubhaften Aussage der Zeugin habe sich der Kläger während der Kongreßdauer ausschließlich dem Veranstaltungsprogramm gewidmet.
Diese Feststellungen und Würdigungen reichen nicht aus, um den vom FG gezogenen Schluß auf die berufliche Veranlassung der gesamten Reiseaufwendungen zu rechtfertigen. Das FG ist nicht auf die Besonderheiten des Sachverhalts eingegangen, die u. a. darin bestehen, daß nach dem Vortrag des Klägers die Anreise auf den auf das Pfingstwochenende folgenden Dienstag fiel. Da zudem der Kläger die Reise in Begleitung seiner jetzigen Ehefrau unternommen und die Heimreise nicht sogleich am gleichen Tage nach dem Ende des Kongresses angetreten hat, hätte das FG, um den erhöhten Beweisanforderungen eines derart atypischen Sachvortrags gerecht zu werden, insbesondere den Zeitpunkt der Anreise (z. B. anhand von Fährentickets und Hotelrechnungen) und die Gründe für die spätere Abreise im einzelnen aufklären und bewerten müssen.
Das FG wird daher die erforderlichen Feststellungen nachzuholen und diese unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen sowie gegebenenfalls der BFH-Entscheidung in BFHE 168, 254, BStBl II 1992, 898 erneut zu würdigen haben. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, daß die nicht im Veranstaltungsprogramm vorgesehene Zusammenkunft des Klägers mit einigen anderen Kongreßteilnehmern am Wochenende nur dann als weiteres berufliches Element in die Gesamtbeurteilung einbezogen werden kann, wenn auszuschließen ist, daß das Treffen nicht nur beruflichen Interessen, sondern auch der Pflege gesellschaftlicher Kontakte gedient hat.
Fundstellen
Haufe-Index 66961 |
BFH/NV 1998, 157 |