Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat das Finanzgericht in einem Berufungsverfahren, das die Fortschreibung eines Einheitswertes und die Fortschreibungsveranlagung des Grundsteuermeßbetrages betrifft, nur über die Fortschreibung des Einheitswertes entschieden, so liegt nur ein Teilurteil vor. Die Berufung bleibt wegen der Fortschreibungsveranlagung des Grundsteuermeßbetrages anhängig.

 

Normenkette

AO § 284 Abs. 2-3; FGO §§ 98, 115

 

Tatbestand

Der Bf. ist Eigentümer eines Grundstücks, das zuletzt auf den 1. Januar 1957 als unbebautes Grundstück mit 7.100 DM bewertet worden ist. Am 4. September 1956 teilte die Baupolizei dem Finanzamt mit, daß der Bf. auf diesem Grundstücke ein Wohnhaus errichte. Ein Bauschätzer des Finanzamts versuchte im Jahre 1958 wiederholt, das Grundstück zu besichtigen. Der Bf. verweigerte ihm jedoch den Zutritt, weil die Baupolizei weder die Rohbau- noch die Gebrauchsabnahme vorgenommen habe. Der Bauschätzer schätzte deshalb nach den Maßen des Lageplans und nach seinen Wahrnehmungen von der Straße her den Wert der Gebäude auf 11.047 DM. Das Finanzamt führte auf den 1. Januar 1959 eine Art- und Wertfortschreibung des Einheitswertes des Grundstücks auf 17.900 DM und eine Fortschreibungsveranlagung des Grundsteuermeßbetrages auf 89,50 DM durch. Es wies in dem Bescheid darauf hin, daß die Grundsteuervergünstigung nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz vom 27. Juni 1956 (II. WoBauG) rückwirkend ab 1. April 1959 nur gewährt werden könne, wenn ein entsprechender Antrag bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist dieses Bescheides gestellt werde.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Die Vorinstanz führte im wesentlichen aus, das Gebäude sei am 1. Januar 1959 bezugsfertig gewesen. Dem stehe nach Lage des Falles nicht entgegen, daß die Rohbau- und Gebrauchsabnahme durch das Bauaufsichtsamt noch nicht vorgenommen worden sei. Deshalb sei die Fortschreibung des Einheitswertes auf diesem Stichtag zulässig gewesen. Auch gegen die vom Finanzamt nach § 217 AO geschätzte Höhe des Einheitswertes beständen keine Bedenken.

Mit der Rb. rügt der Bf. mangelnde Sachaufklärung. Die Vorinstanz habe zu Unrecht angenommen, daß das Gebäude am 1. Januar 1959 bezugsfertig gewesen sei. Auch sei nicht berücksichtigt worden, daß er das Gebäude selbst mit primitiven Mitteln und aus altem Material errichtet habe. Der Einheitswert sei deshalb zu hoch geschätzt worden. Die Veranlagung der Grundsteuer verstoße gegen das WoBauG. Mit Schreiben vom 3. April 1961 legte er Abschrift eines Anerkennungsbescheides nach §§ 82 und 83 des II. WoBauG vor, der am 18. März 1961 ausgestellt ist.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

I. - In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist festzustellen, daß der Bescheid des Finanzamts die Art- und Wertfortschreibung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1959 und die Fortschreibungsveranlagung des Grundsteuermeßbetrages auf denselben Stichtag zusammengefaßt hat. Trotz dieser Zusammenfassung handelt es sich um selbständige Feststellungen bzw. Festsetzungen, die jede für sich mit Rechtsmitteln anfechtbar sind. Einwendungen gegen den Einheitswertbescheid müssen im Verfahren gegen diesen Bescheid geltend gemacht werden. Eine änderung des Einheitswertbescheides führt von Amts wegen zu einer änderung des auf diesem Bescheid beruhenden Steuermeßbescheides (ß 218 Abs. 4 AO). Der Grundsteuermeßbescheid kann nur mit der Begründung angefochten werden, daß die Höhe die sachliche Steuerpflicht zu Unrecht bejaht worden sei (ß 232 Abs. 1 in Verbindung mit § 212 a Abs. 2 AO). Unzulässig ist es, den Steuermeßbescheid mit der Begründung anzufechten, der dem Steuermeßbescheid zugrunde liegende Einheitswert oder die übrigen im Einheitswertbescheid getroffenen Feststellungen seien unzutreffend (ß 232 Abs. 2 AO).

Im Streitfall hat der Bf. sowohl gegen den Einheitswertbescheid als auch gegen den Grundsteuermeßbescheid Einspruch eingelegt. Das geht klar aus seinem Einspruchsschreiben vom 13. Mai 1960 hervor. Auch die Einspruchsentscheidung spricht im Tenor und in den Gründen die Art- und Wertfortschreibung des Einheitswertes und die Fortschreibungsveranlagung des Grundsteuermeßbescheides an. Die Berufung wendet sich ebenfalls gegen den Einheitswertbescheid und den Grundsteuermeßbescheid. Die Vorinstanz hat jedoch nach dem Rubrum und den Gründen nur über die Art- und Wertfortschreibung entschieden. Durch die einheitliche Einspruchsentscheidung hatte der Steuerausschuß die beiden Streitsachen verbunden. Infolgedessen lag auch der Vorinstanz nur eine einheitliche Berufungssache vor (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs II A 31/22 vom 10. Februar 1922, Slg. Bd. 8 S. 166). Ob sie die beiden Streitsachen wieder trennen wollte, lag in ihrem pflichtmäßigen Ermessen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs II 186/55 S vom 6. Februar 1957, BStBl 1957 III S. 118, Slg. Bd. 64 S. 312). Es ist aus der Vorentscheidung nichts dafür zu entnehmen, daß die Vorinstanz diese Trennung vornehmen wollte. Sie entschied aber eindeutig nur über die Art- und Wertfortschreibung, nicht jedoch über die Fortschreibungsveranlagung des Grundsteuermeßbetrages. Damit erging nur über einen Teil der Berufung eine Entscheidung, wenngleich in Form eines Endurteils. Zu der Frage, ob eine als Endurteil erlassene Entscheidung im Rechtsmittelverfahren umgedeutet werden kann, hat der Bundesfinanzhof im Urteil IV 260/57 U vom 17. Oktober 1958 (BStBl 1959 III S. 15, Slg. Bd. 68 S. 39) Stellung genommen. Dort deutete er eine als Endurteil erlassene Entscheidung in ein Zwischenurteil um. Der Senat trägt keine Bedenken, das Urteil der Vorinstanz in ein Teilurteil umzudeuten, durch das nur über die Art- und Wertfortschreibung des Einheitswertes entschieden ist. Ein solches Teilurteil ist allerdings nach § 284 Abs. 2 AO nur mit Zustimmung des Steuerpflichtigen zulässig, die hier nicht vorliegt. Trifft das Finanzgericht eine solche Entscheidung ohne die erforderliche Zustimmung, so ist darin ein wesentlicher Verfahrensmangel zu erblicken, der aber nicht von Amts wegen, sondern nur auf ausdrückliche Rüge zu beachten ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 116/50 S vom 7. Mai 1951, BStBl 1951 III S. 116, Slg. Bd. 55 S. 301). Der Bf. hat jedoch eine solche Rüge nicht erhoben, so daß gegen die Umdeutung der Vorentscheidung in ein Teilurteil auch in dieser Hinsicht keine Bedenken bestehen. Das Teilurteil steht nach § 284 Abs. 3 AO für die Einlegung weiterer Rechtsmittel einer Entscheidung gleich. Die Rb. ist deshalb als eine gegen dieses Teilurteil, d. h. gegen die Zulässigkeit der Art- und Wertfortschreibung des Einheitswertes und die Höhe des Einheitswertes gerichtete Rb. zu behandeln.

II. - In sachlich-rechtlicher Hinsicht ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden.

Die Vorinstanz hat festgestellt, daß das vom Bf. errichtete Gebäude am 1. Januar 1959 bezugsfertig war. An diese Feststellung ist der Senat bei der beschränkten Natur der Rb. (§§ 288, 290 AO) gebunden, wenn sie nicht einen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten oder gegen die Denkgesetze erkennen läßt. Dabei hat der Senat nicht zu prüfen, ob die Vorinstanz zu dieser Feststellung kommen mußte. Es genügt, daß sie dazu kommen konnte. Die Vorinstanz hat sich an die Aussagen des Bauschätzers in der mündlichen Verhandlung und an den Inhalt der Akten des Bauaufsichtsamtes gehalten. Ihre Feststellungen widersprechen weder dem klaren Akteninhalt noch den Denkgesetzen. Sie lassen auch keinen Rechtsirrtum erkennen. Insbesondere ist die Vorinstanz mit Recht davon ausgegangen, daß das Gebäude nicht erst dann bezugsfertig ist, wenn die Baubehörde die Rohbau- und Gebrauchsabnahme durchgeführt hat. Nach § 33 a Abs. 2 Satz 3 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz ist ein Gebäude als bezugsfertig anzusehen, wenn der Bau so weit gefördert ist, daß den zukünftigen Bewohnern oder sonstigen Benutzern des Gebäudes zugemutet werden kann, das Gebäude zu beziehen. Wann dieser Zeitpunkt gegeben ist, ist nach der Verkehrsauffassung zu beurteilen. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 393/53 U vom 8. April 1954 (BStBl 1954 III S. 175, Slg. Bd. 58 S. 692) kommt es dabei auf die behördliche Genehmigung zum Beziehen des Hauses nicht an. Der Senat muß deshalb seiner Entscheidung den Tatbestand zugrunde legen, zu dessen Annahme die Vorentscheidung gelangt ist. Er kann die Bedenken, die sich aus dem Anerkennungsbescheid hinsichtlich der Bezugsfertigkeit auf den 1. Januar 1959 ergeben, nicht berücksichtigen. Denn dieser Anerkennungsbescheid ist vom Bf. erst im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgelegt worden.

Die Vorentscheidung ist auch ohne Rechtsirrtum und ohne Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten oder die Denkgesetze zu der Feststellung gekommen, daß das Finanzamt zu einer Schätzung des Einheitswertes nach § 217 AO berechtigt war, weil der Bf. seiner Mitwirkungspflicht nach § 204 Abs. 2 AO nicht nachgekommen ist und daß die vom Finanzamt geschätzte Höhe des Einheitswertes nicht zu beanstanden ist. Der Senat ist auch an diese Feststellung gebunden. Die vom Bf. erst im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe für eine Herabsetzung des Einheitswertes konnten deshalb ebenfalls nicht berücksichtigt werden.

III. - Die Vorinstanz wird nun noch über die Berufung des Bf. gegen die Fortschreibungsveranlagung des Grundsteuermeßbescheides auf den 1. Januar 1959 zu entscheiden haben. Dabei wird sie zu prüfen haben, ob dem Bf. tatsächlich ein Anerkennungsbescheid nach den §§ 82, 83 des II. WoBauG erteilt worden ist. Trifft dies zu, so wird dem Bf. die Grundsteuervergünstigung nach §§ 92, 94 des II. WoBauG zu gewähren sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410981

BStBl III 1963, 586

BFHE 1964, 726

BFHE 77, 726

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