Leitsatz (amtlich)
Berücksichtigungsfähig nach § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG sind Gewinnausschüttungen, die auf einem gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden, handelsrechtlich weder nichtigen noch auf Anfechtung für nichtig erklärten Gewinnverteilungsbeschluß beruhen. Sind zugunsten des auszuschüttenden Gewinns Rücklagen aufgelöst worden, die in früheren Geschäftsjahren gebildet wurden, spielt die Frage nach ihrer (früheren) steuerrechtlichen Behandlung für die Berücksichtigungsfähigkeit des ausgeschütteten Teiles des Gewinns keine Rolle.
Normenkette
KStG § 19 Abs. 3 S. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Auflösung und Ausschüttung einer nicht versteuerten Rücklage, die die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) - eine GmbH, die als Rechtsnachfolgerin einer ostenteigneten GmbH für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland (BRD) gegründet wurde - in ihrer DM-Eröffnungsbilanz (DMEB) zum 1. Januar 1957 ausgewiesen hat, zu berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz 2 und § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG führt.
Von der Rücklage löste die Steuerpflichtige zugunsten des Betriebsergebnisses der Streitjahre (1958 bis 1960) 58 713 DM, 58 156 DM und 113 284 DM auf und schüttete diese Beträge als Bestandteil des Handelsbilanzgewinns auf Grund formell ordnungsmäßiger Gewinnverteilungsbeschlüsse aus.
Der Revisionsbeklagte (das FA) sah die der Rücklage entnommenen Beträge nicht als berücksichtigungsfähige Ausschüttungen im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz 2 und § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG an, da die Rücklage eine Sonderrücklage nach § 35 Abs. 3 des DMBG darstelle, deren Verwendung gebunden (gewesen) sei und die erst nach § 8 des 4. DMBEG im Rahmen dieser Vorschrift in eine freie Rücklage habe umgewandelt werden können. Da das 4. DMBEG indes erst am 1. Juli 1961 in Kraft getreten sei, könne eine Überführung der gebundenen in eine freie Rücklage frühestens zu einem nach dem 1. Juli 1961 gelegenen Bilanzstichtag erfolgen.
Gegen die Körperschaftsteuerbescheide vom 25. Januar 1966 erhob die Steuerpflichtige mit Zustimmung des FA gemäß § 45 FGO unmittelbar Klage zum FG, das die Klage im Streitpunkt als unbegründet abwies. Es könne dahinstehen, ob sich das FA gegenüber der Vorschrift des § 8 des 4. DMBEG zu Recht auf § 35 Abs. 3 DMBG berufe. Denn auch wenn man die Steuerpflichtige als berechtigt ansehen wolle, nach § 8 des 4. DMBEG zu bilanzieren, so lägen in Höhe der Auflösung der Rücklage gleichwohl keine berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen vor, da nur versteuerte Erträge Gegenstand einer berücksichtigungsfähigen Ausschüttung sein könnten (Urteil des BFH I 302/61 S vom 16. November 1965, BFH 84, 268, BStBl III 1966, 97, zur Behandlung verdeckter Gewinnausschüttungen als berücksichtigungsfähiger Ausschüttungen). Dies folge aus der Tatsache, daß die Vorschrift des § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG Bestandteil der Einkommensbesteuerungsvorschriften sei und dem Einkommensbegriff der Begriff des steuerpflichtigen Gewinns zugrunde liege. Liege aber dem Einkommensbegriff der Begriff des steuerpflichtigen Gewinns zugrunde, so müsse dem Begriff der Gewinnausschüttung im Sinne der genannten Vorschrift der gleiche Gewinnbegriff zugrunde liegen, weil andernfalls die Einkommensbezogenheit des Gewinnbegriffs aufgegeben werden würde.
Demgemäß sei die Privilegierung der Ausschüttung grundsätzlich begrenzt auf diejenigen Beträge, die steuerpflichtiger Ertrag des zu veranlagenden Geschäftsjahres seien; sie werde ausgedehnt auf solche früher bereits zum Normaltarif versteuerten Beträge, die über den steuerpflichtigen Gewinn des zu veranlagenden Geschäftsjahres hinaus ausgeschüttet würden. Wolle man der Steuerpflichtigen folgen, so würde die Privilegierung auch auf solche Beträge ausgedehnt werden, die zu keinem Zeitpunkt der Besteuerung unterlegen hätten. Daß dies nicht Rechtens sein könne, zeige ein Blick auf die Ausschüttung von Eigenmitteln, die dem Unternehmen zuvor als Einlage zugeführt worden seien. Dieser von der Logik her steuerrechtlich neutrale Vorgang mache deutlich, daß der Gewinnbegriff des § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG nur materieller Natur sein könne und damit neben dem steuerpflichtigen Ertrag des zu veranlagenden Geschäftsjahres nur Gewinne der Vorjahre erfasse, die bereits der Versteuerung unterlegen hätten.
Dem könne auch nicht mit dem Hinweis begegnet werden, daß die Voraussetzungen der genannten Vorschrift erfüllt seien, wenn eine Mindestbesteuerung stattgefunden habe. Denn das Mindesteinkommen im Sinne von § 17 KStG a. F. liege regelmäßig über dem Effektiveinkommen, so daß der steuerpflichtige - berücksichtigungsfähige - Gewinn in einem solchen Falle versteuert worden sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Steuerpflichtigen mit dem Antrag, die Vorentscheidung und die angefochtenen Steuerbescheide aufzuheben, soweit sie sich auf die Heranziehung der Steuerpflichtigen zur besonderen Körperschaftsteuer beziehen. Zur Begründung läßt die Steuerpflichtige vortragen:
Die Entscheidung des FG lasse die besonderen Verhältnisse der Steuerpflichtigen außer Betracht, die eine DMEB erst zum 1. Januar 1957 habe aufzustellen brauchen und dabei Wertansätze ohne Buchwertbindung bis zur Höhe des Zeitwerts der ausgewiesenen Wirtschaftsgüter habe wählen können. Im übrigen fordere die Vorschrift des § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG nicht, daß es bei Bildung der Rückstellung zu einer Erfolgsbesteuerung gekommen sei, wie das Beispiel der Mindestbesteuerung deutlich mache. Ausgehend vom gesetzgeberischen Zweck der Tarifbegünstigung von Gewinnausschüttungen (die Mehrfachbelastung mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer zu mildern) bedürfe es allein der Prüfung, ob und in welchem Umfang den ausgeschütteten Beträgen steuerpflichtiges Einkommen der Gesellschaft gegenüberstehe. Die ausgeschütteten Beträge, die beim Empfänger der Einkommensteuer unterlägen, hätten indes begrifflich mit dem Einkommen der Gesellschaft im Sinne des Körperschaftsteuerrechts nichts zu tun. Denn ausgeschüttet würden nicht Teile des steuerbaren Einkommens, wie das FG irrigerweise annehme, sondern Beträge, deren Herkunft gleichgültig sei und für die das Gesetz nur fordere, daß sie Teil des in der Handelsbilanz ausgewiesenen Gewinns oder Gewinnvortrages sein müßten. Die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen seien somit nicht Teil des steuerpflichtigen Einkommens, sondern bildeten vielmehr den Maßstab, in dessen Höhe das steuerpflichtige Einkommen der Kapitalgesellschaft dem ermäßigten Steuersatz unterliege. Für die Steuerpflicht des Empfängers jedoch sei es gleichgültig, woher die ihm zufließenden Beträge stammten, ob sie aus Gewinnen oder Rücklagen, aus steuerpflichtigen oder steuerfreien Gewinnen, aus versteuerten oder unversteuerten Rücklagen der ausschüttenden Gesellschaft herrührten. Der Hinweis des Gesetzes auf die "Berücksichtigung bei der Veranlagung" beziehe sich auf diejenigen Fälle, in denen eine solche Veranlagung stattgefunden habe bzw. überhaupt vorgesehen gewesen sei. Die ostenteigneten Kreditinstitute seien aber kraft Billigkeitsanordnung der Finanzverwaltung für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 nicht veranlagt worden. Es hieße deshalb, ihnen das Ergebnis dieser Schonfrist wieder nehmen, wenn man die genannte Vorschrift im Sinne der angefochtenen Entscheidung auslegen wollte.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Der mit der Einführung des gespaltenen Körperschaftsteuersatzes verfolgte Zweck war es, die Benachteiligung zu vermindern, die die Mehrfachbelastung der Gewinne von Kapitalgesellschaften für die Gesellschafter der Kapitalgesellschaften gegenüber den Gesellschaftern von Personengesellschaften bedeutet, d. h. die Mehrfachbelastung der ausgeschütteten Gewinne von Kapitalgesellschaften mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer im Interesse der Gesellschafter der Kapitalgesellschaften zu mildern. Der damit gegebene Anreiz zu höheren Ausschüttungen auch bei Kapitalgesellschaften sollte unter anderem deren Gesellschafter in den Stand setzen, die Investitionsbedürfnisse ihrer Kapitalgesellschaften auf dem Wege über die Neubildung haftenden Kapitals zu decken. Daraus folgt, daß nur die Ausschüttung von Gewinn des zu veranlagenden Geschäftsjahres oder von in Rücklage gestellten Gewinnen früherer Geschäftsjahre die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt.
2. Berücksichtigungsfähige Ausschüttungen sind nach § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG die bei unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften auf Grund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses vorgenommenen Gewinnausschüttungen für Wirtschaftsjahre, deren Ergebnisse bei der Veranlagung berücksichtigt sind. Danach erfordert die Anerkennung einer Gewinnausschüttung als berücksichtigungsfähiger Ausschüttung im Sinne dieser Vorschrift folgendes:
a) Wie der erkennende Senat im Urteil I R 10/67 vom 14. Mai 1969 (BFH 95, 534, BStBl II 1969, 503) ausgesprochen hat, bedarf es in Fällen der Einbeziehung von Rücklagen in den auszuschüttenden Gewinn stets ihrer vorherigen Auflösung zugunsten des Handelsbilanzgewinns desjenigen Geschäftsjahres, aus dessen Gewinn die Ausschüttung erfolgen soll, wenn sie im Rahmen der Gewinnausschüttung berücksichtigungsfähig im Sinne von § 19 Abs. 3 Satz 1 KStG sein sollen.
b) Ob Gewinnausschüttungen einer Kapitalgesellschaft auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluß beruhen, ist nach Maßgabe der handelsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen (BFH-Urteil I R 92/67 vom 16. Juli 1969, BFH 96, 310, BStBl II 1969, 634).
c) Zu den Gewinnausschüttungen gehören außer der Ausschüttung des im zu veranlagenden Geschäftsjahr erwirtschafteten Gewinns auch Ausschüttungen aus Gewinnvorträgen und - bei Erfüllung der Voraussetzung zu a) - aus der Auflösung von Rücklagen (BFH-Urteile I 86/61 U vom 26. April 1963, BFH 76, 834, BStBl III 1963, 303; I R 10/67, a. a. O.).
Der Begriff "Gewinnausschüttungen" ist sowohl formal - siehe zu b) - als auch sachlich in handelsrechtlichem Sinne zu verstehen. Er erfaßt alles, was die Gesellschaft als "Gewinn" ausgewiesen und an die Gesellschafter ausgeschüttet hat, mit Ausnahme im "Gewinn" enthaltener Erträge aus Kapitalherabsetzung (§ 222 Abs. 3, § 240 AktG 1965, § 58 Abs. 2 GmbHG); denn insoweit liegt kein "Gewinn", als erwirtschafteter Gewinn verstanden, vor.
d) Daß die Gewinnausschüttungen "für Wirtschaftsjahre, deren Ergebnisse bei der Veranlagung berücksichtigt sind", vorgenommen worden sein müssen, bedeutet nach § 29 KStDV, daß Ausschüttungen auf Grund eines Gewinnverteilungsbeschlusses für z. B. das Geschäftsjahr 1969 berücksichtigungsfähige Ausschüttungen nur dieses Jahres (1969) sein können, mithin nicht etwa (auch) solche eines späteren Geschäftsjahres (z. B. 1970). Will man indes diesen Worten (mit Blümich-Klein-Steinbring-Stutz, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 4. Aufl., Anm. 19 zu § 19) eine weitergehende Bedeutung dahingehend beimessen, daß die zur Ausschüttung gelangenden Beträge von der Gesellschaft, soweit sie nicht erwirtschafteter Gewinn des zu veranlagenden Jahres sind, als erwirtschaftet, als ausgewiesener Gewinn oder als Rücklage bei der Veranlagung der Gesellschaft für diese (früheren) Jahre berücksichtigt worden sein müssen (wobei es ohne Bedeutung sein soll, ob die Veranlagung zu einer Gewinnbesteuerung führte, ob eine Mindestbesteuerung nach § 17 KStG a. F. erfolgte oder - aus welchen Gründen auch immer - ein Freistellungsbescheid - über 0 DM - erging), so rechtfertigt auch dies nicht den Schluß, daß die Gewinnausschüttungen einer versteuerten Rücklage entnommen sein müßten.
Es ist in aller Regel nicht möglich, festzustellen, aus welchen Erträgen sich im einzelnen das durch eine Rücklage gebundene Vermögen der Gesellschaft, der von der Gesellschaft für ein bestimmtes Jahr ausgewiesene Gewinn zusammensetzen. Das gilt mithin auch für Ausschüttungen; denn es "werden nicht Einkünfte bestimmter Art ausgeschüttet, sondern ganz oder teilweise der ausgewiesene Bilanzgewinn" (Urteil des RFH I A 216/27 vom 8. November 1927, RFH 22, 262, RStBl 1928, 98). Ist der Bilanzgewinn eines Geschäftsjahres deshalb teilweise in Rücklage gestellt worden, so löst seine spätere Freigabe zur Ausschüttung (durch Auflösung der Rücklage zugunsten des Gewinns des zu veranlagenden Geschäftsjahres) in der Regel keine Steuer aus (soweit nicht ausnahmsweise erst die Auflösung eines Passivpostens zur Versteuerung führt: § 152 Abs. 5 AktG 1965; nicht verbrauchter Teil der Rücklage für Ersatzbeschaffung: BFH-Urteil I 18/65 vom 15. Januar 1969, BFH 95, 92, BStBl II 1969, 310).
e) Geht man von diesen Grundsätzen aus, so spielt die Frage der früheren steuerrechtlichen Behandlung in den Gewinn des zu veranlagenden Geschäftsjahres eingeflossener, aus Rücklagen entnommener Beträge keine Rolle. Der Steuerpflichtigen ist vielmehr darin zuzustimmen, daß die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen nicht Teil des steuerpflichtigen Einkommens der Kapitalgesellschaft zu sein brauchen, sondern nur den Maßstab dafür hergeben, in welcher Höhe das steuerpflichtige Einkommen der Gesellschaft dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Das bedeutet nicht, daß damit auch eine steuerbegünstigte Ausschüttung zu Lasten des Nennkapitals der Gesellschaft möglich ist, die in der Hand des Empfängers keine steuerpflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen begründet. Zu der im BFH-Urteil VI 72/60 U vom 9. August 1963 (BFH 77, 366, BStBl III 1963, 454) getroffenen Entscheidung, nach der Ausschüttungen auf Grund einer handelsrechtliche Vorschriften verletzenden Kapitalherabsetzung beim Empfänger Einkünfte aus Kapitalvermögen sind, braucht der Senat hier nicht Stellung zu nehmen.
3. Da die die Entscheidung des FG tragenden Gesichtspunkte nicht zur Versagung des von der Steuerpflichtigen in Anspruch genommenen begünstigten Steuersatzes führen, war die Vorentscheidung aufzuheben und zur Prüfung der vom FG dahingestellt gelassenen Fragen zurückzuverweisen, ob der die Ausschüttung bestimmende Gewinnverteilungsbeschluß gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entspricht (d. h. handelsrechtlich weder nichtig noch nach Anfechtung für nichtig erklärt, eine etwa gegebene Nichtigkeit zwischenzeitlich geheilt worden ist), ob die von der Steuerpflichtigen zum 1. Januar 1957 aufgestellte DMEB bereits auf § 8 des 4. DMBEG gestützt werden und bejahendenfalls eine Auflösung der grundsätzlich nach § 35 Abs. 3 DMBG gebundenen Rücklagen für Zeiträume vor dem 1. Juli 1961 vorgenommen werden durfte.
Fundstellen
Haufe-Index 69292 |
BStBl II 1971, 73 |
BFHE 1971, 400 |