Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält an seiner im Urteil V 187/54 U vom 20. Januar 1955 (BStBl 1955 III S. 81, Slg. Bd. 60 S. 214) ausgesprochenen Rechtsauffassung fest. Sind danach einem Antragsteller wesentliche Voraussetzungen für einen von ihm beabsichtigten Vergütungsantrag infolge des Verhaltens des Finanzamts unbekannt geblieben, so beginnt die Antragsfrist des § 75 Abs. 1 (ß 80) UStDB 1951 unter bestimmten Voraussetzungen frühestens mit dem Bekanntwerden der den Anspruch begründenden Tatsachen.
Normenkette
StAnpG § 1; AO § 86
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Stpfl.) betreibt Ausfuhrgeschäfte; sie hat in den hier streitigen Vergütungszeiträumen wie auch späterhin unter anderem Waren ausgeführt, die aus der sowjetisch besetzten Zone bezogen waren, jedoch nicht im Rahmen des Interzonenhandelsabkommens (Frankfurter Abkommens) vom 8. Oktober 1949 erworben worden sind.
Die Vergütungsanträge sind von der Stpfl. stets rechtzeitig gestellt worden, sie enthielten aber nicht die Ausfuhren von Waren, die aus der Sowjetzone stammten. Die Stpfl. hatte jedoch beim zuständigen Finanzamt angefragt, ob diese Waren vergütungsfähig seien. Das Finanzamt und die Oberfinanzdirektion hatten daraufhin der Stpfl. mehrfach die mündliche Auskunft erteilt, daß Ausfuhren von Waren aus der Sowjetzone, die nicht im Rahmen des Interzonenhandelsabkommens erworben worden sind, nicht vergütungsfähig seien. Die Finanzverwaltungsbehörden stützten sich hierbei auf einen Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 10. Juli 1950 III S 4165 - 18/50, der den unterstellten Finanzbehörden zur Beachtung mitgeteilt worden war.
Nachdem der Bundesminister der Finanzen sich durch seinen Erlaß vom 5. April 1954 IV S 4165 - 215/54 (Umsatzsteuerkartei S 4165 Karte 64) unter Aufhebung seiner früheren einschränkenden Erlasse damit einverstanden erklärt hatte, die Gewährung von Umsatzsteuervergütungen wegen Ausfuhr künftig nicht mehr davon abhängig zu machen, daß die ausgeführten Gegenstände im Rahmen des Frankfurter Abkommens erworben worden sind, beantragte die Stpfl. am 29. Juni 1954 für die in der Zeit vom 1. Dezember 1952 bis 30. November 1953 ausgeführten, aus der Sowjetzone stammenden Waren Umsatzsteuervergütung und bat gleichzeitig um Nachsicht.
Diesen Antrag hatte das Finanzamt abgelehnt, im Berufungsverfahren hatte die Stpfl. jedoch Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet. Der frühere einschränkende Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 10. Juli 1950 hat im geltenden Recht insofern keine Stütze, als die Waren aus den hier streitigen Ausfuhren im Inland erworben worden sind, so daß zumindest Ausfuhrvergütung, soweit die Vorlieferung steuerpflichtig war, auch Ausfuhrhändlervergütung zu gewähren war. Zutreffend ist die Vorentscheidung davon ausgegangen, daß für die hier streitigen Vergütungszeiträume die Ausschlußfrist der §§ 75, 80 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1951 formell bereits verstrichen war. Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit im Streitfalle Nachsicht nach § 86 der Reichsabgabenordnung (AO) in Betracht kommt; denn das Finanzgericht hat unter Berufung auf das Urteil des erkennenden Senats V 187/54 U vom 20. Januar 1955 (Bundessteuerblatt - BStBl - 1955 III S. 81, Slg. Bd. 60 S. 214) ausgeführt, die Antragsfrist habe, da dem Antragsteller wesentliche Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs infolge des Verhaltens der Steuerbehörden unbekannt geblieben sind, erst mit dem Bekanntwerden der anspruchsbegründenden Tatsachen zu laufen begonnen. An dieser Auffassung hält der Senat auch gegenüber den Ausführungen der Rb. fest, denen folgendes entgegenzuhalten ist.
Bereits in dem erwähnten Urteil vom 20. Januar 1955 hat der Senat darauf hingewiesen, daß ein Finanzamt grundsätzlich nicht verpflichtet ist, den Unternehmer auf die Zulässigkeit von Umsatzsteuervergütungsanträgen hinzuweisen. Daraus ergibt sich, daß in aller Regel wegen einer bloßen Untätigkeit der Finanzämter rechtliche Folgerungen zugunsten des Vergütungsberechtigten nicht gezogen werden können. Die dort entwickelten Grundsätze kommen vielmehr nur zur Anwendung, wenn sich ein Stpfl. an das zuständige Finanzamt oder die zuständige Oberfinanzdirektion gewandt hat und infolge einer von zuständiger Stelle für einen einwandfrei feststehenden oder vollständig mitgeteilten Sachverhalt erteilten Auskunft oder durch ein sonstiges positives Verhalten von der rechtzeitigen Stellung der Vergütungsanträge abgehalten worden ist. Ein positives Verhalten des Finanzamts im Rahmen seiner Zuständigkeit muß also für die Versäumung der Antragsfrist ursächlich gewesen sein. Es muß ferner feststehen, daß der Vergütungsberechtigte seinen Antrag ohne das positive Verhalten des Finanzamts rechtzeitig gestellt hätte und daß der Antrag innerhalb angemessener Frist nach Bekanntwerden der den Anspruch begründenden Tatsachen nachgeholt wird. Ob die Frist des § 87 Abs. 5 AO hierbei eine Rolle spielt, hat weder das Finanzgericht entschieden noch hat der Senat Anlaß, diese Frage im Streitfalle zu entscheiden. Es wird ferner zur Prüfung der Frage, ob ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben vorliegt, im allgemeinen unerläßlich sein, zu untersuchen, ob es dem Stpfl. trotz des Verhaltens des Finanzamts zuzumuten war, den beabsichtigten Vergütungsantrag im Rechtsmittelverfahren zu verfolgen. Alle erforderlichen Voraussetzungen muß der Vergütungsberechtigte dartun können.
Die Streitfrage berührt wohl das Problem der Bindung des Finanzamts an seine eigenen Auskünfte, sie deckt sich jedoch nicht damit. So hat der Senat im Urteilsfalle V 187/54 U vom 20. Januar 1955 nicht nur wegen der dem Vergütungsberechtigten zuteil gewordenen Auskunft, sondern auch deswegen einen Verstoß gegen Treu und Glauben bejaht, weil das Finanzamt im Veranlagungsverfahren das Vorliegen einer Ausfuhrlieferung verneint hatte, womit eine wesentliche Vergütungsvoraussetzung entfiel.
Aus den vorstehend erläuterten Grundsätzen erhellt, daß die von der Rb. angeführten Beispiele, die die Unhaltbarkeit des erwähnten Urteils darlegen sollen, von der Rechtsprechung gar nicht berührt werden. Wer also z. B. von dritter Seite eine - irrtümliche - Auffassung der Finanzverwaltung erfährt, kann sich dem Finanzamt gegenüber nicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben berufen.
Wenn die Rb. ferner bemängelt, daß der Wortlaut des Gesetzes verletzt sei, so ist dem entgegenzuhalten, daß es in Fällen, in denen das Ergebnis nach dem Wortlaut des Gesetzes einen eindeutigen Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben bedeutet, Aufgabe der Rechtsprechung ist, solchenfalls im Wege der Auslegung einen Ausgleich zu schaffen.
Es ist auch nicht richtig, die Ausschlußfrist des § 75 UStDB schlechthin mit dem Rechtsinstitut der Verjährung zu vergleichen. Dies ergibt sich schon daraus, daß bei Versäumung der Ausschlußfrist gegebenenfalls Nachsicht gewährt werden kann. Außerdem geht die Rechtsprechung des Senats dahin, daß im Wege der Auslegung (ß 1 des Steueranpassungsgesetzes) der Beginn des Fristablaufs hinausgeschoben wird, so daß die Folgen einer Anspruchsverjährung nicht eintreten können.
Die Vorentscheidung hat die vorstehenden Voraussetzungen ohne Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und ohne Rechtsirrtum bejaht. Es ist also im Streitfalle davon auszugehen, daß sich die Stpfl. rechtzeitig an das Finanzamt und die Oberfinanzdirektion gewandt hat und von zuständiger Stelle die positive Auskunft erhalten hat, daß Vergütungsanträge nach Auffassung des Bundesministers der Finanzen nicht in Betracht kämen, und daß sie deshalb die rechtzeitige Antragstellung unterlassen hat. Die wirkliche Rechtslage war für die Stpfl. nicht ohne weiteres übersehbar. Wenn sie unter Hinweis auf die Auffassung des Bundesministers der Finanzen als der höchsten Verwaltungsinstanz in Steuersachen, die nicht anders als die Steuergerichte an Gesetz und Recht gebunden ist, dahin belehrt worden ist, daß Vergütungen in ihrem Fall nicht in Betracht kämen, so wird man unter diesen Umständen annehmen können, daß die Stpfl. eine Antragstellung als aussichtslos ansehen konnte. In neuerer Zeit ergehen Auslegungserlasse des Bundesministers der Finanzen in der Regel unter dem Vorbehalt anderweiter Entscheidung durch die Rechtsmittelbehörden. Wäre der Stpfl. im Streitfall ein solcher Vorbehalt mitgeteilt worden, so hätte man ihr wohl auch das Risiko eines Rechtsmittelverfahrens zumuten können. Im Streitfalle aber konnte die Stpfl. annehmen, daß dem Bundesminister der Finanzen die Rechtslage als zweifelsfrei erschienen war.
Der Erlaß des Bundesministers der Finanzen, der den einschränkenden Erlaß vom 10. Juli 1950 aufhob, trägt das Datum vom 5. April 1954. Es kann nicht unterstellt werden, daß er der Stpfl. sofort bekanntgeworden ist. Ihr Antrag vom 29. Juni 1954 ist unter diesen Umständen als rechtzeitig anzusehen.
Nach dem Erlaß vom 5. April 1954 soll es auf die Steuerpflicht der Vorlieferung in der Sowjetzone für Ausfuhren bis zum 31. März 1954 nicht ankommen. Im Interesse der gleichmäßigen Behandlung aller Steuerpflichtigen ist deshalb auch im Streitfalle auf eine Prüfung der Steuerpflicht der Vorlieferung zu verzichten und auch die für Ausfuhren bis zum 31. März 1954 beantragte Ausfuhrhändlervergütung zu gewähren.
Fundstellen
Haufe-Index 409264 |
BStBl III 1959, 87 |
BFHE 1959, 228 |
BFHE 68, 228 |