Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Urteilsaufhebung wegen Verletzung rechtlichen Gehörs bei anderweitig richtiger Entscheidung; zum Vorsteuerabzug aus Treu und Glauben
Leitsatz (NV)
1. Die Versagung des rechtlichen Gehörs bei einer tatsächlichen Feststellung des FG führt nicht zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung durch den BFH gemäß § 119 Nr. 3 FGO, wenn es auf diese Feststellung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt.
2. Solange ein Umsatzsteuerbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung steht, kann sich der Unternehmer regelmäßig nicht darauf verlassen, an ihn erstattete Vorsteuerbeträge unabhängig vom Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen behalten zu dürfen. Dies gilt auch dann, wenn er das FA über ein zugrundeliegendes Kommissionsgeschäft unterrichtet und überdies aufgefordert hat, vor Auszahlung der Beträge den entsprechenden Zahlungseingang bei dem Kommittenten zu überwachen.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO §§ 96, 119 Nr. 3, § 126 Abs. 4; UStG 1980 § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein ... gewerbe. Am 9. Februar 1982 - im Urteil des Finanzgerichts (FG) heißt es fälschlich 2. Februar 1982 - richtete er an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) ein Schreiben, wonach er im Januar und Februar für die Firma X in Y, Inhaber A, Kommissionsgeschäfte ins Ausland getätigt habe, die er in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen Januar und Februar 1982 gesondert kennzeichnen werde. Das FA solle wegen des hohen Vorsteuerabzugs vor deren Auszahlung den Zahlungseingang bei der X überwachen, weil er, der Kläger, nicht gewillt sei, später Rückerstattungen zu leisten. Dem Schreiben waren acht Fotokopien über die Geschäftsabwicklung beigefügt, nämlich:
1. Eine Lieferantenrechnung der X vom 25. Januar 1982 über einen Rechnungsbetrag von ... DM mit einem Vorsteuerausweis von ... DM sowie eine Lieferantenrechnung der X vom 2. Februar 1982 über einen Rechnungsbetrag von ... DM mit einem Vorsteuerausweis von ... DM;
2. eine Erklärung des A an den Kläger, daß dieser die Rechnungen nicht zu zahlen brauche, da der Kunde direkt an ihn zahlen werde;
3. die Ausfuhrerklärung Nr. ... vom 25. Januar 1982 über eine am 1. Februar 1982 abgefertigte Ausfuhrlieferung des Klägers im Werte von ... DM;
4. zwei vom Kläger ausgestellte Rechnungen an die Firma M im Außengebiet, vom 25. Januar 1982 über Beträge von ... DM bzw. ... DM;
5. eine Erklärung der M vom 5. Februar 1982, aus der hervorgeht, daß sie die beiden vorgenannten Rechnungen vom 25. Januar 1982 mit der dazugehörigen Ware erhalten habe und direkt an A als deren Eigentümer zahlen werde;
6. eine an A gerichtete Erklärung des Klägers, er werde die vom FA zu erstattende Umsatzsteuer dazu verwenden, die Schuld des A bei der R-Bank in Y abzulösen und den übersteigenden Betrag gekürzt um die auf den Verkaufsrechnungen ausgewiesenen Kommissionen sofort an die X überweisen.
Die daraufhin beim FA eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen des Klägers wiesen einen Vorsteuerüberschuß von ... DM (für Januar 1982) bzw. von ... DM (für Februar 1982) aus; beide Beträge wurden an den Kläger ausgezahlt, obwohl bei X keine entsprechenden Zahlungen eingegangen waren.
Im Anschluß daran durchgeführte Ermittlungen der Steuerfahndungsbehörden - Steufa - ergaben folgendes: Der Kläger hatte im Oktober 1978 für einen Kredit des A bei der R-Bank eine Bürgschaft über ... DM übernommen. Es bestand die Gefahr, hieraus in Anspruch genommen zu werden, weil A den Kredit nicht zurückgezahlt hatte. A schlug dem Kläger deshalb vor, einem alten Kunden des A im Außengebiet Waren zu senden und die vom FA aus diesem Geschäft zu erstattende Vorsteuer zur Begleichung des Darlehens bei der R-Bank zu verwenden. Der Kläger war hierzu nur nach Abklärung mit der Bank, seinem steuerlichen Berater und dem FA bereit. Er erhielt für die Durchführung des Geschäfts die Zusage einer Provision von ... DM. Am 25. Januar 1982 übergab A dem Kläger die Rechnung vom selben Tage über ... DM und die Anschrift von M im Außengebiet. Der Kläger wurde aufgefordert, an die M zwei Rechnungen unter Verwendung seines Rechnungskopfs auszustellen, und zwar über den jeweiligen Nettowarenwert der Rechnungen von A zuzüglich die mit dem Kläger vereinbarte Kommission. Der Kläger hat überdies zwei von A vorbereitete Ausfuhrerklärungen mit seinem Firmenstempel versehen und unterschrieben. Die darin und in den Rechnungen belegte Ware hat er nicht gesehen; A hatte sie bereits verpackt und wollte sie noch am selben Tag zur Zollabfertigung bringen. Weil er befürchtete, bei etwaiger Nichtbegleichung der Rechnungen für die ausgewiesenen Beträge in Anspruch genommen werden zu können, ließ sich der Kläger von A schriftlich von jeder Haftung freistellen. A sagte dem Kläger auf dessen Verlangen auch zu, daß M eine ähnliche Erklärung abgeben würde. Zwischen dem 25. und 30. Januar 1982 forderte A den Kläger auf, die Rechnung über ... DM um weitere ... DM zu erhöhen, was dieser jedoch ablehnte. Daraufhin übergab A dem Kläger Anfang Februar 1982 die zweite Lieferantenrechnung über ... DM und die beiden vom Zoll abgefertigten Ausfuhrerklärungen, wobei in einer dieser Erklärungen der Warenwert von ... DM auf ... DM erhöht worden war. Am 5. Februar 1982 ging beim Kläger das oben unter 5. aufgeführte Schreiben von M ein. Nach Eingang der Vorsteuererstattung hat der Kläger mit dieser u.a. den Bankkredit des A in Höhe von ... DM getilgt.
Die Steufa nahm an, bei den dargestellten Vorgängen handele es sich um Scheingeschäfte; die M im Außengebiet existiere nicht. Der Vorsteuerabzug sei deshalb zu versagen. Das FA schloß sich dem an und erließ den gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Umsatzsteuerbescheid 1982 vom 6. April 1987. Auf den hiergegen gerichteten Einspruch des Klägers unterwarf es - nach entsprechendem Verböserungshinweis gemäß § 367 Abs. 2 Satz2 AO 1977 - überdies die vom Kläger vereinnahmte Provision der Umsatzsteuer.
Das FG wies die anschließende Klage als unbegründet ab. Es würdigte den Akteninhalt, insbesondere die darin befindlichen Aussagen verschiedener Angestellter des A gegenüber der Steufa, und folgte deren Schlußfolgerungen, daß es sich um Scheingeschäfte an eine nicht existente Firma gehandelt habe. Es nahm an, der Kläger habe das FA in seinem Schreiben vom 9. Februar 1982 deshalb so eingehend und in einer der äußeren Form nach rechtlich einwandfreien Weise über das dubiose Geschäft in Kenntnis gesetzt, um dieses eingehenden Nachforschungen des FA zu entziehen, oder, sollte dies nicht gelingen, sich später wenigstens auf Treu und Glauben berufen zu können. Einen Anspruch, nach Treu und Glauben geschützt zu werden, habe der Kläger aber schon deshalb nicht, weil der angefochtene Bescheid gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 einen Bescheid geändert habe, in dem sich das FA gemäß § 164 Abs. 1 AO 1977 die abschließende Prüfung des Sachverhalts gerade vorbehalten habe. Abgesehen davon habe der Kläger sich infolge seines treuwidrigen, wenn nicht sogar strafbaren Verhaltens den Vorsteuerabzug erschlichen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung rechtlichen Gehörs, der richterlichen Hinweispflicht und des Amtsermittlungsgrundsatzes.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Allerdings rügt der Kläger mit Recht Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -). Nach § 96 Abs. 2 FGO darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Darüber hinaus darf das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, den ein Beteiligter erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat (§ 278 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i.V.m. § 155 FGO; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Juli 1981 V R 156/78, BFHE 133, 352, BStBl II 1981, 720; vom 2. Februar 1982 VIII R 65/80, BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409; vom 29. November 1983 VIII R 184/83, BFHE 140, 203, BStBl II 1984, 371 m.w.N.).
Diese Grundsätze sind im Streitfall verletzt. Das FG hat seine Entscheidung u.a. darauf gestützt, es habe in der Absicht des Klägers gelegen, sich den begehrten Vorsteuerabzug zu erschleichen. Er habe deshalb den dubiosen Geschäftsvorfall in einer der äußeren Form nach rechtlich einwandfreien Weise geschildert, um ihn eingehenderen Nachforschungen des Beklagten möglichst zu entziehen, oder, wenn dies nicht gelang, wenigstens das Argument nach Treu und Glauben zu gewinnen, der Beklagte habe den Vorfall ja bereits geprüft. Damit einhergehend verbiete sich ein Berufen auf Treu und Glauben. Durch sein treuwidriges, ggf. strafbares Verhalten (§ 370 AO 1977) habe der Kläger keinen Anspruch darauf, hiernach geschützt zu werden. Der Kläger behauptet demgegenüber, er habe dem FA wegen der für ihn ungewöhnlichen Größenordnung des Geschäfts eingehend Mitteilung gemacht. Auch habe er sich gegenüber etwaigen Rückgriffsansprüchen absichern wollen. Diese Motivation deckt sich mit der Aktenlage, dort insbesondere der Einschätzung des ermittelnden Beamten der Bußgeld- und Strafsachenstelle - Bustra - des zuständigen FA in dessen Aktenvermerk vom 17. November 1983, mit dem das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren eingestellt worden ist. Das FG ist von dieser Einschätzung abgewichen, nach Lage der Dinge, ohne die Beteiligten, vor allem den Kläger, hiervon in Kenntnis zu setzen und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Mit der Einschätzung des FG mußte der Kläger auch nicht rechnen (vgl. zu dieser Einschränkung Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Rdnr. 10).
Nicht einmal das FA hatte im Einspruchsverfahren und in seiner Klageerwiderung derartiges behauptet. Das FG hätte seine Sicht der Geschehensabläufe deshalb vor der Beschließung des Urteils zur Sprache bringen müssen. Dadurch, daß dies nicht geschehen ist, ist dem Kläger das rechtliche Gehör versagt worden.
2. Das Urteil des FG ist gleichwohl nicht gemäß § 119 Nr. 3 FGO aufzuheben. Der Verfahrensmangel betrifft eine Feststellung, auf die es unabhängig von der Auffassung des FG unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt, so daß sich die Vorentscheidung im Ergebnis trotz der Verletzung des rechtlichen Gehörs als richtig darstellt. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 FGO; vgl. BFH-Urteile vom 20. Dezember 1967 III 343/63, BFHE 90, 519, BStBl II 1968, 208; vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 30. August 1962 VIII C 49.60, BVerwGE 15, 24; vom 24. Januar 1985 2 C4/83, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ - 1985, 416).
a) Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1980) sind nach den Feststellungen des FG, die der Kläger innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 1 FGO) insoweit nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen angegriffen hat und die den Senat deshalb binden (§ 118 Abs. 2 FGO), im Streitfall nicht erfüllt. Denn nach diesen Feststellungen steht zur Überzeugung des FG fest, daß der Leistungsempfänger, die M im Außengebiet, nicht existiert. Den vom Kläger vorgelegten und von der X ausgestellten Rechnungen lagen keine tatsächlichen Geschäftsvorfälle, sondern Scheinhandlungen zugrunde (vgl. auch BFH-Urteil vom 7. Oktober 1987 X R 60/82, BFHE 151, 233, BStBl II 1988, 34).
b) Der Kläger kann sich demgegenüber nicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben berufen. Der durch den angefochtenen Bescheid gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderte Umsatzsteuerbescheid stand unter Vorbehalt der Nachprüfung. Er konnte jederzeit geändert werden. Der Umstand, daß der Kläger das FA mit seinem Schreiben vom 9. Februar 1982 rechtzeitig und unter Beifügung aller einschlägigen Unterlagen über den getätigten Geschäftsvorfall ins Bild gesetzt und dieses gebeten hatte, vor Erstattung der noch zu erklärenden Vorsteuerbeträge aus dem Auslandsgeschäft den entsprechenden Zahlungseingang bei der X zu überwachen, ändert hieran nichts. Zwar hat das FA diese Aufforderung nicht beachtet und die fraglichen Vorsteuerbeträge an den Kläger ausgezahlt, obwohl bei der X keine entsprechenden Zahlungen eingegangen waren. Es hat den Kläger hierüber auch nicht in Kenntnis gesetzt. Der Kläger durfte sich dennoch nicht darauf verlassen, nunmehr vor Änderungen des nach wie vor unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheides und vor anschließenden Rückforderungsansprüchen des FA geschützt zu sein. Um derart weitreichende Vertrauensfolgen zu erreichen, hätte er vielmehr eine bindende Zusage des FA erwirken müssen. Eine solche Zusage ist nicht gegeben worden. Der Umstand, daß das FA auf das Schreiben des Klägers vom 9. Februar 1982 nicht reagiert und die fraglichen Vorsteuerbeträge an den Kläger ausbezahlt hat, obwohl bei X die Zahlungen nicht eingegangen waren, genügt den hieran zu stellenden Anforderungen nicht. Erforderlich wäre vielmehr eine positive Äußerung des FA gewesen. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger entgegen der Annahme des FG guten Glaubens gewesen sein und weder in treuwidriger noch in strafbarer Weise gehandelt haben sollte. Davon geht letztlich auch das FG aus, wenn es dem Kläger den Einwand von Treu und Glauben vorrangig wegen des Nachprüfungsvorbehalts abschneidet.
3. Das Urteil der Vorinstanz mußte demnach trotz der Verletzung des rechtlichen Gehörs Bestand haben. Auch der vom Kläger weiterhin gerügte Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz und den Akteninhalt (§ 76 Abs. 1 FGO) hätte kein anderes Ergebnis gebracht.
Fundstellen
Haufe-Index 419706 |
BFH/NV 1994, 591 |