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BFH Urteil vom 19.02.1960 - III 246/58 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Krankheit kann Nachsicht rechtfertigen, wenn der Steuerpflichtige dadurch gehindert ist, seine steuerlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen und auch nicht in der Lage ist, einen Vertreter zu bestellen.

 

Normenkette

AO § 86; FGO § 56

 

Tatbestand

Nach der Erklärung und Selbstberechnung des Abgabepflichtigen zur Kreditgewinnabgabe hätte sich keine Kreditgewinnabgabeschuld errechnet. Das Finanzamt setzte die Kreditgewinnabgabeschuld in Anlehnung an den Betriebsprüfungsbericht vom März 1950 auf 23.200 DM fest. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das Finanzamt als unbegründet zurück.

Auf die Berufung hin wurden auf Grund der Feststellungen des auf Veranlassung des Finanzgerichts eingesetzten Betriebsprüfers der Kreditgewinnabgabebescheid und die Einspruchsentscheidung durch das Finanzamt ersatzlos aufgehoben. Der Abgabepflichtige beantragte nunmehr, die Hauptsache für erledigt zu erklären und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse aufzuerlegen. Das Finanzgericht legte mit ausführlicher Begründung dem Abgabepflichtigen die Kosten auf. Das Urteil wurde dem Vertreter des Abgabepflichtigen am 8. Mai 1958 zugestellt. Die Rb. ist erst am 23. Juni 1958 beim Finanzgericht eingegangen. Die verspätete Einlegung wird damit erklärt, daß der Bf. zur Zeit der Zustellung des Urteiles bettlägerig krank gewesen sei. Infolge des bei dem Bf. aufgetretenen depressiven Verstimmungszustandes und der vorhandenen Kreislaufschwäche sei dieser nicht in der Lage gewesen, von dem Inhalt des Urteiles des Finanzgerichts sachgemäß Kenntnis zu nehmen. Der Bf. sei auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes auch nicht in der Lage gewesen, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob gegen das Urteil des Finanzgerichts Rb. erhoben werden sollte. Der Rechtsvertreter habe aus diesem Grunde erstmals am 18. Juni 1958 Gelegenheit gehabt, die Rechtslage mit dem Bf. zu besprechen, wobei sich dieser zur Einlegung der Rb. entschlossen habe. Die Tatsache der Erkrankung ist durch Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses nachgewiesen, das folgenden Wortlaut hat: "Herr A. Z. litt im Verlaufe des letzten halben Jahres bei bestehendem Klimakterium virile an depressiven Verstimmungszuständen, die ständiger Behandlung bedürftig waren. In den vergangenen Wochen trat infolge akuter Entero-Colitis eine Kreislaufschwäche ein, die den Patienten bettlägerig machte. Herr Z. ist erst seit Mitte Juni wieder so hergestellt, daß er seinen geschäftlichen Verpflichtungen nachgehen kann, bleibt aber weiterhin beobachtungs- und behandlungsbedürftig."

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. muß als unzulässig verworfen werden, weil sie nicht in der vorgeschriebenen Frist eingelegt ist (ß 252 AO). Wenn der Bf. als Nachsichtsgrund seine ärztlich bescheinigte Krankheit geltend macht, so ist zuzugeben, daß Krankheit eine Nachsicht rechtfertigen kann, und zwar dann, wenn der Steuerpflichtige dadurch gehindert ist, seine steuerlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen und auch nicht in der Lage ist, einen Vertreter zu bestellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist es notwendig, daß prozessuale Fristen eingehalten werden und bei Nachsichtgewährung ein strenger Maßstab angelegt wird. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Steuerpflichtige durch die bezeichnete Krankheit selbst das Rechtsmittel einlegen konnte: denn er war im finanzgerichtlichen Verfahren ebenso wie jetzt durch einen Rechtsanwalt vertreten. Es kann aber nicht anerkannt werden, daß er durch die Dick- und Dünndarmentzündung in Verbindung mit der Kreislaufschwäche nicht in der Lage gewesen wäre, den Entschluß zur Rechtsmitteleinlegung zu fassen und seinen Rechtsvertreter anzuweisen, das Rechtsmittel einzulegen. Es muß noch darauf hingewiesen werden, daß zur Wahrung der Frist die Einlegung des Rechtsmittels genügte, und die Begründung später nachgereicht werden könnte. Daß der Bf. während des ganzen Laufes der Rechtsbeschwerdefrist durch die Krankheit gehindert gewesen wäre, die Einlegung des Rechtsmittels durch den Rechtsanwalt zu veranlassen, geht auch aus dem ärztlichen Attest nicht hervor. Der vom Steuerpflichtigen angegebene Grund kann daher nicht zur Nachsichtgewährung führen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409635

BStBl III 1960, 168

BFHE 1960, 451

BFHE 70, 451

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