Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Lotteriesteuerpflicht für Sportwetten
Leitsatz (NV)
1. Die §§ 17 ff. RennwLottG stellen revisibles (Bundes-)Recht i. S. von § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO dar. Es handelt sich um vor konstitutionelles Recht, welches gemäß Art. 123, 125 GG als Bundesrecht fortgilt.
2. Die §§ 17 ff. RennwLottG sind ab 1. Januar 1991 auf Vorgänge im Beitrittsgebiet anwendbar.
3. Eine Lotterie liegt u. a. nur vor, wenn der von den Teilnehmern für jedes Spiel zu leistende Einsatz vom Veranstalter des Spiels in bestimmter vom Teilnehmer nicht zu verändernder Höhe festgelegt wird und der Spieler allenfalls durch mehrere Spiele seine Chance quantitativ erhöhen, aber nicht qualitativ die Art des Risikos und dadurch zugleich die Höhe des möglichen Gewinns aus einem einzigen Spiel bestimmen kann. Dies ergibt sich u. a. auch unmittelbar aus § 17 Satz 3 RennwLottG, wonach die Steuer der Höhe nach an den "planmäßigen Preis (Nennwert)" der ausgegebenen Lose anknüpft. Es widerspricht deshalb dem Wesen einer Lotterie oder Ausspielung, wenn die Höhe des Einsatzes je Spiel im Belieben des Spielers steht, dieser auf eine Mehrzahl von Chancen unterschiedlichen Risikos setzen kann und sein etwaiger Spielerfolg sich in einem je nach der Art des gewählten Risikos unterschiedlichen Vielfachen seines Einsatzes ausdrückt.
Normenkette
GG Art. 105 Abs. 2, Art. 123, 125; RennwLottG § 17; EinigVtr Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Ziff. 14 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die im Jahre 1990 gegründete Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) nimmt gewerbsmäßig Wetten aus Anlaß sportlicher Veranstaltungen zu festen Gewinnquoten an. Die Ausübung dieses Gewerbes wurde der Klägerin durch den Rat des Bezirkes ... am 4. Mai 1990 genehmigt. Die Sportwetten werden in der Weise abgegeben, daß jeder Mitspieler unter Beachtung der Mindesteinsätze die Höhe seines Wetteinsatzes selbst bestimmt, indem er diesen auf dem Wettschein vermerkt und an die Klägerin vor Beginn der Sportveranstaltung zahlt. Der bei richtiger Voraussage des Ergebnisses der Sportveranstaltung (vorwiegend Fußballspiele) an den Teilnehmer auszuzahlende Gewinn ergibt sich aus der Multiplikation des vom Teilnehmer gewählten Einsatzes und der von der Klägerin zuvor festgesetzten und sich aus dem Wettschein ergebenden Gewinnquote. Die Höchstgewinnsumme pro Teilnehmer und Woche beträgt unabhängig von der Anzahl der abgegebenen Wetten oder der Höhe der Wetteinsätze ... DM.
Nach einer Außenprüfung setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) gegen die Klägerin durch Bescheide vom 9. Mai 1994 Lotteriesteuer für 1991, 1992 und 1993 fest.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend machte, die von ihr mit den Sportwetten getätigten Umsätze unterlägen nicht der Lotteriesteuer, weil es wegen der Beliebigkeit der Wetteinsätze an einem bestimmten Spielplan fehle, blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führt in seinem Urteil aus, die Wettumsätze der Klägerin seien lotteriesteuerpflichtig, weil die Teilnehmer einen Einsatz zu leisten hätten und die Klägerin versprochen habe, einen bestimmten Gewinn, nämlich eine festgesetzte Quote, demjenigen Teilnehmer zu zahlen, der den Ausgang der Sportveranstaltung richtig vorhersage. Dabei sei der Eintritt des Ereignisses, von dem der Gewinn abhänge, vom Zufall abhängig, weil der Ausgang einer Sportveranstaltung nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden könne. Eine Wette im eigentlichen Sinne liege nicht vor, weil die Klägerin ihrerseits -- anders als die Teilnehmer -- keine Voraussagen hinsichtlich des Ausgangs bestimmter Sportveranstaltungen mache.
Hiergegen richtet sich die vorliegende -- vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene -- Revision der Klägerin. Diese rügt fehlerhafte Anwendung des § 17 des Rennwett- und Lotteriegesetzes vom 8. April 1922 (RennwLottG).
Es fehle bereits an einer rechtlichen Grundlage für die Besteuerung. Denn das frühere reichseinheitliche Lotterierecht gelte nur als Landesrecht fort, da dem Bund die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Lotteriewesens fehle. Eine Fortgeltung als Landesrecht komme aber für das Gebiet der neuen Bundesländer nicht in Betracht, insbesondere beziehe sich der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (Einigungsvertrag) nicht auf Landesrecht.
Lotteriesteuer dürfe bei der Klägerin auch schon deshalb nicht erhoben werden, weil in Form eines Verwaltungsaktes der früheren Behörden der DDR, der nach Art. 19 Einigungsvertrag wirksam bleibe, festgestellt worden sei, daß lediglich Umsatzsteuer, nicht jedoch Lotteriesteuer anfalle.
Schließlich habe das FG auch zu Unrecht angenommen, daß es sich bei den Sportwetten um eine "Öffentliche Lotterie" im Sinne von § 17 Satz 1 RennwLottG handele, weil es für das Vorhandensein einer Lotterie an einem einseitig vom Veranstalter festgelegten Spielplan fehle. Denn die Teilnehmer an den Sportwetten könnten ihre Einsätze der Höhe nach selbst bestimmen und auf eine Mehrzahl von Chancen unterschiedlichen Risikos setzen, während bei einer Lotterie stets nur ein feststehender Geldbetrag pro Los gegeben sei. Die Höhe der Gewinne werde nicht durch einen Gewinnplan, aus dem sich Art und Umfang der Ausschüttung der eingezahlten Beiträge ergeben müsse, bestimmt, sondern durch die Art (das Risiko) des Spieles und die Höhe des frei gewählten Einsatzes. Insoweit bestehe kein Unterschied zum Fall des Rou lette, bei dem der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 10. Juli 1968 II 94, 95/63 (BFHE 93, 388, BStBl II 1968, 829) das Vorliegen einer Lotterie verneint habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Finanzgerichts vom 5. April 1995, die Lotteriesteuerbescheide sowie die Einspruchsentscheidung vom 24. Oktober 1994 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Lotteriesteuerfestsetzungen und der hierzu ergangenen einheitlichen Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Der Senat vermag der Auffassung des FG nicht zu folgen, die von der Klägerin veranstalteten Sportwetten seien lotteriesteuerpflichtig i. S. von § 17 RennwLottG.
a) Der Senat ist an einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Frage, ob es sich bei den von der Klägerin veranstalteten Sportwetten um eine Lotterie i. S. von § 17 RennwLottG handelt, aus revisionsrechtlichen Gründen nicht gehindert; denn es handelt sich -- entgegen der Auffassung der Klägerin -- insoweit um revisibles (Bundes-) Recht i. S. von § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Die Bestimmungen der §§ 17 ff. RennwLottG sind vorkonstitutionelles Recht, welches nach Art. 123 des Grundgesetzes (GG) auch nach dem ersten Zusammentritt des Bundestages (7. September 1949) fortgilt. Das RennwLottG wurde im übrigen auf der Grundlage des Gesetzes über die Sammlung des Bundesrechts vom 10. Juli 1958 (BGBl I 1958, 437 f.) als Bundesrecht festgestellt (vgl. BGBl III 611 -- 14) und ist deswegen auch nicht zum 31. Dezember 1968 außer Kraft getreten (vgl. Gesetz über den Abschluß der Sammlung des Bundesrechts vom 28. Dezember 1968, BGBl I 1968, 1451).
Die Bestimmungen der §§ 17 ff. RennwLottG gelten auch als Bundesrecht fort. Dies ergibt sich aus Art. 125 GG, wonach vorkonstitutionelles Recht, das Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft, innerhalb seines Geltungsbereichs Bundesrecht wird. Für die Frage, ob das fortgeltende Recht Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft, ist die ursprüngliche Fassung des GG maßgebend (vgl. Bonner Kommentar zum GG -- BK GG -- Art. 125 Tz. 2). Ferner reicht es aus, wenn der vorkonstitutionelle Rechtssatz eine Materie regelt, die in den Katalogen von Art. 74 bzw. Art. 105 Abs. 2 GG geführt wird (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 20. Mai 1952 1 BvL 3/51 und 4/51, BVerfGE 1, 283, 293 f.). Dies ist hier der Fall, weil Art. 105 Abs. 2 GG schon in seiner ursprünglichen Fassung dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung u. a. für die Verkehrsteuern zuwies, zu denen auch die Lotteriesteuer gehört.
Unerheblich ist der Einwand der Klägerin, das RennwLottG regele u. a. auch Fragen des allgemeinen Lotterierechts, und damit eine Materie, die der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder angehöre. Denn aus dem Umstand, daß das RennwLottG auch Regelungen enthält, welche nach dem GG der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder angehören, kann nicht gefolgert werden, auch die Regelungen in §§ 17 ff. RennwLottG über die Besteuerung von Lotterien und Ausspielungen -- eine Rechtsmaterie, die Verkehrsteuern betreffend der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes zuzurechnen ist -- hätten als Landesrecht fortgegolten. Vielmehr können die Übergangsregelungen in Art. 123 ff. GG auch zu einem Nebeneinander-Fortbestehen von Bundesrecht und Landesrecht innerhalb eines Gesetzes führen (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 21. Oktober 1954 1 BvL 9/51, 1 BvL 2/53, BVerfGE 4, 74, 84, und vom 29. April 1958 2 BvO 3/56, BVerfGE 8, 143, 148). Dies bedeutet für das RennwLottG, daß jedenfalls die hier maßgeblichen Regelungen in §§ 17 ff. RennwLottG als Bundesrecht weiter fortbestehen.
Auch kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob die weiteren Voraussetzungen des Art. 125 GG (Geltung innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen bzw. Änderung des Gesetzes nach dem 8. Mai 1945) für eine Fortgeltung der §§ 17 ff. RennwLottG als Bundesrecht vorliegen. Denn es handelt sich bei diesen Vorschriften um Reichsrecht, das nicht abgeändert wurde und deshalb nach dem sich aus der Gesamtregelung ergebenden Willen des Verfassungsgebers in jedem Fall in Bundesrecht übergegangen ist (h. M.: z. B. Maunz in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 125 Tz. 9, m. w. N.).
b) Die §§ 17 ff. RennwLottG sind auch ab 1. Januar 1991 auf Vorgänge im Beitrittsgebiet anwendbar. Dies ergibt sich aus der Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Ziff. 14 Abs. 1 Nr. 1 zum Einigungsvertrag, wonach u. a. das Verkehrsteuerrecht der Bundesrepublik Deutschland im Beitrittsgebiet am 1. Januar 1991 in Kraft trat.
c) Die von der Klägerin veranstalteten Sportwetten sind -- entgegen der Auffassung der Vorinstanz -- nicht lotteriesteuerpflichtig.
Der Lotteriesteuer unterliegen gemäß § 17 RennwLottG im Inland veranstaltete öffentliche Lotterien und Ausspielungen. Die Begriffe "Lotterie" und "Ausspielung" sind gesetzlich nicht definiert. Ihre Bedeutung ist deshalb dem allgemeinen Sprachgebrauch zu entnehmen. Dieser verbietet es, die Begriffe "Lotterie" und "Ausspielung" mit dem Begriff des Glücksspiels generell gleichzusetzen (vgl. hierzu Senatsentscheidung vom 10. Juli 1968 II 94, 95/63, BFHE 93, 388, BStBl II 1968, 829). Vielmehr sind Lotterien und Ausspielungen Unterarten der Glücksspiele im weiteren Sinne, also Spiele, bei denen der Spielerfolg vom Zufall und nicht oder nicht entscheidend von der Geschicklichkeit des Spielers abhängt. Daraus ergibt sich, daß zwar jede Lotterie und jede Ausspielung ein Glücksspiel in diesem weiteren Sinne ist, daß aber umgekehrt nicht alle Glücksspiele Lotterien oder Ausspielungen sind, sondern nur diejenigen, welche deren besondere Merkmale erfüllen.
Von einer klaren, sich gegenseitig ausschließenden Gegenüberstellung der Begriffe des Glücksspiels im engeren Sinne und der Lotterien und Ausspielungen gehen u. a. auch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das Strafgesetzbuch aus. Das Gesetz hält somit offensichtlich die hier maßgebenden Begriffe für abgrenzbar und abgegrenzt. Dementsprechend geht die Straf-, Zivil- und Steuerrechtsprechung im wesentlichen übereinstimmend bei der Beurteilung der Frage, ob eine Lotterie gegeben ist, von der vom Reichsgericht (Urteil vom 10. Oktober 1911 VII 135/11 RGHZ 77, 342) aufgestellten und vom Reichsfinanzhof in dem Urteil vom 27. Februar 1923 II A 295/22 (Mrozek Kartei, § 17 Rechtsspruch 4), übernommenen Begriffsbestimmung aus (vgl. Senatsentscheidungen vom 2. Februar 1977 II R 11/74, BFHE 121, 534, BStBl II 1977, 495; vom 19. Juni 1963 II 63/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964, 50, sowie vom 20. Juli 1951 II 32/51 U, BFHE 55, 418, BStBl III 1951, 166; vgl. hierzu Dreher/Tröndle, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 47. Aufl., § 286 Tz. 2, m. w. N.; Eser in Schönke/Schröder, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 24. Aufl., § 286 Tz. 2, m. w. N.; Pecher in Münchner Kommentar zum BGB § 763 Tz. 2, und Thomas in Palandt, BGB, Kommentar, 55. Aufl., § 763 Tz. 1, m. w. N.). Nach dieser Begriffsbestimmung liegt eine Lotterie vor, wenn sich jemand für eigene Rechnung einem anderen gegenüber schuldrechtlich verpflichtet, nach einem festgesetzten Plan beim Eintritt eines ungewissen, wesentlich vom Zufall abhängigen Ereignisses dem anderen einen bestimmten Geldgewinn zu gewähren, während der andere unbedingt einen bestimmten Geldbeitrag, den Einsatz, zu zahlen hat.
An dieser Begriffsbestimmung hält der Senat für den Bereich der Lotteriesteuer fest. Dies gilt auch, soweit der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 93, 388, BStBl II 1968, 829 davon ausgegangen ist, eine Lotterie liege nur vor, wenn der von den Teilnehmern für jedes Spiel zu leistende Einsatz vom Veranstalter des Spiels in bestimmter, vom Teilnehmer nicht zu verändernder Höhe festgelegt wird, und der Spieler bei einer Lotterie allenfalls durch mehrere Spiele seine Chance quantitativ erhöhen, aber nicht qualitativ die Art des Risikos und dadurch zugleich die Höhe möglichen Gewinns aus einem einzigen Spiel bestimmen kann. Daß dies der Vorstellung des Gesetzgebers über den Begriff der "Lotterie" entsprach, ergibt sich u. a. auch unmittelbar aus § 17 Satz 3 RennwLottG, wonach die Steuer der Höhe nach an den "planmäßigen Preis (Nennwert)" der ausgegebenen Lose anknüpft. Es widerspricht deshalb dem Wesen einer Lotterie oder Ausspielung, wenn die Höhe des Einsatzes je Spiel im Belieben des Spielers steht, dieser auf eine Mehrzahl von Chancen unterschiedlichen Risikos setzen kann und sein etwaiger Spielerfolg sich in einem je nach der Art des gewählten Risikos unterschiedlichen Vielfachen seines Einsatzes ausdrückt.
Das auf anderen rechtlichen Gesichtspunkten beruhende Urteil des FG ist aufzuheben.
2. Die Sache ist spruchreif.
Die von den Klägern veranstalteten Sportwetten stellen keine Lotterie i. S. des § 17 RennwLottG dar. Denn die Sportwetten erfüllen nicht den Begriff der "Lotterie" oder der "Ausspielung". Es fehlt an einem vom Veranstalter der Höhe nach betragsmäßig festgelegten Einsatz für die Spielteilnahme. Der Teilnehmer bestimmt vielmehr in den vom Veranstalter gesetzten Grenzen durch die Art und Höhe seines Einsatzes das Risiko und die Höhe seines etwaigen Gewinnes aus einem einzigen Spiel selbst.
Die Lotteriesteuerbescheide für 1991, 1992 und 1993 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung sind deshalb aufzuheben (§ 100 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 421580 |
BFH/NV 1997, 68 |