Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Hat eine Körperschaft in einem Pachtvertrage sich zum kostenlosen Ersatz unbrauchbar gewordener Betriebsgegenstände verpflichtet, so kann sie für diese Verpflichtung eine Rückstellung bilden, deren Höhe durch die Abnutzung der gepachteten Güter während der Pachtzeit bestimmt wird. Der abweichenden Auffassung der Reichsfinanzhof-Entscheidung I A 237/33 vom 9. Oktober 1934, RStBl. 1935 S. 699, tritt der Senat nicht bei.
Normenkette
EStG §§ 5, 6/3, § 7a
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat mit Vertrag vom 16. Januar 1943 von der Einzelfirma ihres Hauptgesellschafters einen Teilbetrieb gepachtet. Sie ist nach § 3 des Pachtvertrages u. a. verpflichtet, die im Vertrag im einzelnen bezeichneten Pachtgegenstände (Gebäude, Maschinen und Einrichtungen) auf ihre Kosten zu unterhalten und abgängige Teile und Maschinen unverzüglich durch neue zu ersetzen. Das Eigentum an den Ersatzstücken geht mit Besitzerwerb durch die Bfin. auf die Verpächterin über. Darüber hinaus geht auch die Abnutzung, die bei Maschinen und Betriebsanlagen durch Gebrauch und Alter eintritt, zu Lasten der Bfin. Sie hat einen im Laufe der Pachtzeit etwa eintretenden Minderwert der Eigentümerin (Verpächterin) zu ersetzen. Sie ist nach dem Vertrag verpflichtet, "entsprechende Rückstellungen in ihren Bilanzen aufzunehmen". Die Absetzungen für Abnutzung auf Gebäude hat sich die Verpächterin vorbehalten.
Nach § 4 hat die Bfin. in Ergänzung dieser Abmachungen "dafür Sorge zu tragen, daß die Leistungsfähigkeit der Anlagen in vollem Umfang erhalten bleibt. Die Ergänzungen und der Ersatz von Maschinen und Maschinenteilen sowie sonstigen Einrichtungen müssen stets dem zeitentsprechenden Stand der Technik ............ auf ihre eigenen Kosten angepaßt werden, damit die Kapazität der heutigen Anlage mindestens erhalten bleibt".
Nach den Feststellungen der bei der Bfin. für die Veranlagungszeiträume II/1948 bis 1950 durchgeführten Betriebsprüfung hat die Bfin. die Pachtgegenstände in ihren Bilanzen nicht geführt und Absetzungen für Abnutzung auf die gepachteten Maschinen nicht in Anspruch genommen. Dagegen sind die in Ergänzung, d. h. vertragsmäßiger Erhaltung und Fortentwicklung des übernommenen Maschinenparks neu angeschafften Maschinen und Einrichtungen von der Bfin. aktiviert worden; auch hat sie die Absetzungen für Abnutzung hieraus in Anspruch genommen, desgleichen die Bewertungsfreiheit nach § 7a des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Die Bfin. hat entsprechend dem Pachtvertrag ein passives sogenanntes Werkerhaltungskonto geführt, daß zum 21. Juni 1948 im Verhältnis I : I aus der RM-Schlußbilanz mit RM/DM 83 092 ) übernommen worden ist.
Im Berufungsverfahren war strittig, ob der Bfin. für die neu beschafften Maschinen und Einrichtungsgegenstände (Ersatzbeschaffungen) die Bewertungsfreiheit nach § 7a EStG II/1948 und 1949 zustand. Das Finanzamt hatte in übereinstimmung mit der Betriebsprüfung die von der Firma gebildeten Rückstellungen hinsichtlich der gepachteten Gegenstände anerkannt. Im Gegensatz zum Finanzamt billigte das Finanzgericht die Bewertungsfreiheit nach § 7a EStG für die ersatzbeschafften Gegenstände zu, lehnte aber das sogenannte Werkerhaltungskonto in dem von der Firma vorgesehenen Umfang ab. Im einzelnen nahm das Finanzgericht wie folgt Stellung.
Der Reichsfinanzhof habe in den Urteilen I A 165/30 vom 10. Oktober 1930 = Reichssteuerblatt (RStBl.) 1931 S. 118, und I A 40/31 vom 8. Oktober 1931 = RStBl. 1932 S. 20, anerkannt, daß der Pächter von Betriebsgegenständen die Verpflichtung, die Gegenstände in einem bestimmten Zustand zu erhalten, sie insbesondere technisch auf der Höhe zu halten, in der Bilanz als Passivum berücksichtigen dürfe. Die Rückstellung setze jedoch voraus, daß eine Vorleistungspflicht für den Pächter bestehe, die eine fällige, bilanzfähige Schuld am Bilanzstichtage begründe. Die Pflicht zur Erneuerung unbrauchbar gewordener Gegenstände bedeute nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs I A 237/33 vom 9. Oktober 1934 = RStBl. 1935 S. 699 - in übernahme der Ausführungen des Urteils I A 324/31 vom 28. Juni 1932 RStBl. 1932 S. 949 - noch keine Last für die Bfin., da sie ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran habe, die gepachteten Anlagen in betriebsfähigem Zustand zu erhalten und, soweit erforderlich, rechtzeitig zu erneuern. Erst wenn sie dieser Pflicht nicht nachkomme, wenn also auf Grund des Pachtvertrages für die Verpächterin ein Anspruch und für die Bfin. eine entsprechende Verpflichtung auf Neubeschaffung bestimmter unbrauchbar gewordener Pachtgegenstände entstanden sei, entstehe für die Bfin. in entsprechender Höhe eine bilanzierungsfähige (zugleich bilanzierungspflichtige) Schuld. In diesem Rahmen begründe auch die Abnutzung, die durch Gebrauch und Alter eintrete, nicht eine selbständige Verpflichtung, sondern sei vielmehr als ein Teil jener oben behandelten Verpflichtung zur Erneuerung und damit Werterhaltung des Gesamtbetriebes anzusehen, die erst bei Beendigung der Pacht in der Schlußbilanz einen passiven Ausweis rechtfertige, soweit die Bfin. ihrer Verpflichtung im Zuge der laufenden Erneuerung und Erhaltung nicht mehr nachkommen könne (Wertausgleichsklausel). Im vorliegenden Fall möge man zwar eine latente, d. h. einmal entstehende, wenn sich auch schon abzeichnende, nicht aber eine akute Verpflichtung aus dem Pachtvertrag als gegeben anerkennen. Die Bildung einer Rückstellung bedeute steuerrechtlich lediglich die Verschiebung des Abzugs einer Ausgabe vom Jahr ihrer Leistung in das Jahr, dem sie wirtschaftlich zugehöre, und könne steuerlich nur dann anerkannt werden, wenn - bezogen auf den vorliegenden Fall - am Ende eines Wirtschaftsjahres eine Erneuerungsbedürftigkeit der Maschinenanlage vorhanden, die Erneuerung aber noch nicht erfolgt sei (vgl. Blümich-Klein-Steinbring, KStG, Anm. 6 IIb Abs. 19 S. 307/308).
Das von der Bfin. in ihrer DM-Eröffnungsbilanz mit 83 092 DM ausgewiesene Werkerhaltungskonto könne nur in Höhe von 50 000 DM anerkannt werden. Die Bfin. sei mit ihrer Verpflichtung zur Erneuerung und Ersatzbeschaffung in der RM-Zeit in Rückstand geraten. Die auf Grund dieser Tatsache zulässige Rückstellung werde von der Kammer auf 50 000 DM geschätzt. Die in der Zeit vom 21. Juni 1948 bis 31. Dezember 1949 dem Werkerhaltungskonto zugeführten 41 503 DM seien dem Gewinn hinzusetzen. Desgleichen sei ein Betrag von 14 448 DM zu Lasten der Rückstellung von 50 000 DM aufzulösen.
Die Sonderabschreibung nach § 7a EStG 1948 und 1949 erkannte das Finanzgericht in Höhe von 7224 DM an. Um den Unterschiedsbetrag (41 503 + 14 448 =) 55 951 - 7224 48 727 DM verböserte das Finanzgericht, indem es den Gewinn entsprechend erhöhte.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) der GmbH wendet sich gegen die Rechtsauffassung des Finanzgerichts hinsichtlich der Rückstellung. Sie weist hierbei darauf hin, daß Mirre in seiner Besprechung der Entscheidung I A 237/33, Steuer und Wirtschaft 1934 Sp. 1639, folgendes ausgeführt habe: "Der Standpunkt des Reichsfinanzhofs ist meines Erachtens bedenklich. Jedenfalls entspricht er nicht der dynamischen Bilanzauffassung. Der Betrieb des Pächters verbraucht allmählich die vorhandenen Betriebsgegenstände, und dafür rückt der Zeitpunkt der Ersatzbeschaffung immer näher. Die ursprünglich mit 0 zu bewertende, in einer zukünftigen Ausgabe bestehende Last wird daher immer drückender".
Der Vorsteher des Finanzamts hat wegen der Zulassung der Sonderabschreibungen nach § 7a EStG Anschlußbeschwerde eingelegt, sie aber vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Der Reichsfinanzhof hat in seinem Urteil I A 237/33 vom 9. Oktober 1934 folgenden Rechtssatz gebildet:
"Hat sich eine Erwerbsgesellschaft in einem Pachtvertrag zum kostenlosen Ersatz unbrauchbar gewordener Betriebsgegenstände verpflichtet, so kann sie die Verpflichtung zum Ersatz zukünftig unbrauchbar werdender Gegenstände nicht bereits vorher durch Einsetzung eines Passivpostens mit steuerlicher Wirkung berücksichtigen. Nur soweit sie mit der Erfüllung ihrer Verpflichtung zum Ersatz im Rückstand ist, ist eine bilanzfähige Schuld am Bilanzstichtage vorhanden".
Das Finanzgericht ist von dieser Rechtsauffassung ausgegangen. Der erkennende Senat tritt ihr jedoch nicht bei. Sie entspricht nicht der weiteren Entwicklung des Begriffs des Wirtschaftsgutes in der Rechtsprechung.
Nach dem EStG wird der Gewinn eines Geschäftsjahres durch den Vergleich von Wirtschaftsgütern, die aktiver und passiver Natur sein können, ermittelt. Zum Begriff des Wirtschaftsgutes führt die Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 2002/29 vom 21. Oktober 1931, Slg. Bd. 30 S. 142, RStBl. 1932 S. 305, aus, es müsse sich um ein Gut handeln, das bei Veräußerung des ganzen Betriebes sozusagen greifbar sei, d. h. als Einzelheit ins Gewicht falle. Gleichartige Gedankengänge spricht auch die Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs I 10/47 vom 28. Februar 1948, Steuerrecht in Karteiform, EinkStG § 4 Rechtsspruch 4, aus. Der Begriff des Wirtschaftsgutes decke sich nicht mit den bürgerlich-rechtlichen Begriffen Gegenstand, Sache, Recht. Er sei umfassender, da auch ideelle Güter, wie der Geschäftswert, Wirtschaftsgüter darstellten. Entscheidend sei die Verkehrsauffassung. Der Verkehr müsse das Gut als selbständiges Gut, für das ein Teilwert und für das Anschaffungskosten gegeben sein könnten, ansehen. Der Begriff müsse aus den Gegebenheiten des Wirtschaftslebens ermittelt werden.
Besonders schwierig ist der Begriff des passiven Wirtschaftsgutes. Während die ältere Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs besonderes Gewicht auf eine bürgerlich-rechtliche einklagbare Verpflichtung gelegt hat, hat die spätere Rechtsprechung dieses Erfordernis aufgegeben. Es genügt eine bewertungsfähige Last. Dies ist besonders in den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 54/51 S vom 26. Juni 1951, Slg. Bd. 55 S. 517, Bundessteuerblatt (BStBl.) III S. 211, und IV 549/53 U vom 31. Mai 1954, Slg. Bd. 59 S. 35, BStBl. III S. 222, zum Ausdruck gekommen. Im einzelnen siehe die Zusammenstellung der Rechtsprechung Neue Betriebswirtschaft 1955 S. 67 ff. Auch die Verwaltung hat es für die Bilanzierung nicht darauf abgestellt, ob eine bürgerlich- oder öffentlich-rechtliche Verpflichtung besteht. So hat sie in Abschn. 22 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1950 ausgesprochen, daß Mehrsteuern (z. B. Umsatzsteuer, Gewerbesteuer) auf Grund von Berichtigungsveranlagungen in den Wirtschaftsjahren berücksichtigt werden können, in die sie wirtschaftlich gehören. Diese Rechtsauffassung entspricht nicht nur den Grundsätzen der dynamischen Bilanz, sondern auch des geltenden Einkommensteuerrechts. Ein Käufer des Unternehmens würde der Tatsache, daß ein Teil der Güter während der Pachtzeit bereits erheblich verbraucht worden ist, und er sie deshalb in nächster Zeit ersetzen muß, wesentliches Gewicht beimessen und diese Verhältnisse bei Bemessung des Kaufpreises berücksichtigen. Die Betriebsprüfung und das Finanzamt sind von den gleichen Auffassungen ausgegangen. Der Rechtssatz der Entscheidung des Reichsfinanzhofs I A 237/33 führt zu wirtschaftlich falschen Ergebnissen. Der durch die gepachteten Wirtschaftsgüter verursachte Aufwand drängt sich auf die Jahre zusammen, in denen sie ersetzt werden müssen. Dies ist besonders bedeutsam, wenn wertvolle Maschinen infolge Abnutzung aus dem Betriebe ausscheiden.
Die Entscheidung I A 237/33 wird noch von den Grundsätzen der älteren Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs beeinflußt. Wie in den Ausführungen von Mirre in Steuer und Wirtschaft zum Ausdruck kommt, war aber diese Rechtsauffassung bereits seinerzeit umstritten. Der erkennende Senat tritt der Auffassung von Mirre bei.
Die Vorentscheidung muß deshalb aufgehoben werden.
Fundstellen
Haufe-Index 408228 |
BStBl III 1955, 266 |
BFHE 1956, 174 |
BFHE 61, 174 |
BB 1955, 826 |
DB 1955, 1169 |