Leitsatz (amtlich)
Hatte das FA bei der Veranlagung zur Einkommensteuer Bausparbeiträge zum Abzug als Sonderausgaben zugelassen, obwohl ihm die Stundung von Einkommensteuer zum Zeitpunkt der Leistung eines Sparbeitrages bekannt war, so kann es aus einer ihm unbekannten Stundung der Gewerbesteuer im Zeitpunkt der Leistung eines weiteren Sparbeitrages kein Recht zur Berichtigung der ursprünglichen Veranlagung herleiten. Das Bekanntwerden dieser weiteren Stundung ist nach den Grundsätzen des Urteils VI 78/63 S vom 3. Juli 1964 (BFH 80, 257, BStBl III 1964, 566) keine "neue" Tatsache.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Ehefrau des Steuerpflichtigen lebt in der Ostzone. Bei der Veranlagung für 1960 gewährte das FA dem Steuerpflichtigen den Splittingtarif und erkannte Einzahlungen auf einen Ende August 1960 abgeschlossenen Bausparvertrag als Sonderausgaben an. Auf Grund einer Betriebsprüfung erließ das FA am 18. Juni 1965 einen Berichtigungsbescheid gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO, mit dem der Abzug der Bausparbeiträge und die Splittingvergünstigung versagt wurden. Die Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das FG war mit dem FA der Auffassung, daß die für eine Berichtigungsveranlagung erforderliche neue Tatsache darin gelegen habe, daß dem FA bei der Veranlagung nicht bekannt gewesen sei, daß z. Zt. der Leistung des Bausparbeitrages von 4 000 DM am 30. Dezember 1960 eine Gewerbesteuernachzahlung in Höhe von 11 323 DM gestundet war. Das Einkommen sei nach der Grundtabelle zu versteuern, da der Steuerpflichtige und seine Ehefrau seit mehr als 10 Jahren weder einen gemeinsamen Haushalt noch eine gemeinsame Wirtschaftsführung noch ein gemeinsames eheliches Leben hätten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision rügt Verletzung des § 222 AO und des § 26 EStG. Sie ist begründet.
Die Rüge der Verletzung des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO greift durch. Mit dem FG ist dem FA zwar darin zu folgen, daß diesem bei der ursprünglichen Veranlagung die Stundung von Gewerbesteuer im Dezember 1960, als der Sparbeitrag von 4 000 DM geleistet wurde, nicht bekannt war. Aus der Gewerbesteuer-Rückstellung in der Bilanz für 1960 konnte es auch nicht auf das Vorliegen einer solchen Stundung schließen. Das FA kann aber nach den Grundsätzen des Senats im Urteil VI 78/63 S vom 3. Juli 1964 (BFH 80, 257, BStBl III 1964, 566) hieraus keine Berechtigung zu einer Wiederaufrollung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO herleiten, weil es offensichtlich bei der ursprünglichen Veranlagung das Vorliegen einer Steuerstundung für die Berücksichtigung von Bausparbeiträgen als Sonderausgaben für unerheblich gehalten hat. Zutreffend hat die Revision darauf hingewiesen, daß bei Leistung des Bausparbeitrags von 1 600 DM am 28. September 1960 rückständige Einkommensteuer in Höhe von 10 000 DM gestundet war. Das FG hat diese Stundung als dem FA bekannt festgestellt; das FA hat in der Revisionserwiderung diese Feststellung auch nicht bestritten. Nach dem angeführten Urteil VI 78/63 S ist eine Tatsache, die das FA bei der ursprünglichen Veranlagung für unerheblich gehalten hat, nicht "neu" im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Es sprechen gute Gründe dafür, daß das FA der Tatsache einer Stundung keine Bedeutung beigemessen hat. Als der ursprüngliche Steuerbescheid für 1960 im März 1962 erging, waren allerdings die Grundsätze für die Beantwortung der Frage, wann ein steuerschädliches Sparen mit fremden Mitteln vorliegt, durch die Rechtsprechung im wesentlichen geklärt. Daß eine schädliche Inanspruchnahme fremder Kreditmittel auch in einer Stundung von Steuern liegen könne, hatte der Senat bereits im Urteil VI 157/56 U vom 5. Dezember 1958 (BFH 68, 151, BStBl III 1959, 60) bejaht. Das Urteil betraf aber einen allgemeinen Sparvertrag im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2d EStG 1953. Das FA hat diese Grundsätze offensichtlich bei seiner Veranlagung nicht beachtet. Es kann der Meinung gewesen sein, daß sie nicht ohne weiteres auf Bausparbeiträge anzuwenden seien. Das Urteil des Senats VI 17/61 U vom 12. Januar 1962 (BFH 74, 337, BStBl III 1962, 129), das sich wieder auf einen Kapitalansammlungsvertrag bezog, ist erst im BStBl vom 31. März 1962 veröffentlicht worden und konnte dem FA bei der Veranlagung noch nicht bekannt sein. Nach den vom Senat entwickelten Grundsätzen ist für die Versagung einer Steuervergünstigung der hier streitigen Art im Hinblick auf eine Stundung von Steuern wesentlich, ob das Verhalten eines Steuerpflichtigen als illoyal zu werten war. Nicht jede Stundung schließt die Berücksichtigung von Sparleistungen aus. Unter diesen Umständen muß für die Beurteilung des Streitfalles davon ausgegangen werden, daß das FA bei der ursprünglichen Veranlagung die Tatsache, daß dem Steuerpflichtigen z. Zt. der Leistung des Bausparbeitrags eine Stundung gewährt war, für unerheblich gehalten hat. Dann aber war diese Tatsache nicht "neu" und die Berichtigungsveranlagung also nicht zulässig.
Das Urteil des FG mußte wegen Rechtsirrtums aufgehoben werden. Die Klage führt zur ersatzlosen Aufhebung des Berichtigungsbescheids.
Fundstellen
Haufe-Index 68148 |
BStBl II 1968, 699 |
BFHE 1968, 39 |