Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein gesetzliches Veräußerungsverbot rechtfertigt nicht ohne weiteres die Abschreibung des Wirtschaftsgutes auf null RM.
Normenkette
EStG § 6 Ziff. 2
Tatbestand
Strittig ist die Bewertung der Briefmarken der Vorbesetzungszeit ("Dritte Reich-Briefmarken") in der Steuerbilanz des Beschwerdeführers (Bf.) auf den 31. Dezember 1947.
Der Bf., der einen Einzel- und Großhandel mit Briefmarken und Sammlerbedarf betreibt, hatte erstmals in seiner Bilanz auf den 31. Dezember 1947 den Bestand an Briefmarken der Vorbesetzungszeit mit Rücksicht auf das Kontrollratsgesetz (KontrRG) Nr. 48 mit null RM bewertet. Bei der im Oktober 1948 vorgenommenen Betriebsprüfung wurde diese Bewertung nicht anerkannt. Der Prüfer setzte nach der von verschiedenen Finanzämtern vertretenen Ansicht den Teilwert dieser Briefmarken mit der Hälfte ihres bisherigen Wertes an. Da eine genaue Ermittlung des Bestandes an Briefmarken dieser Art ohne großen Zeitaufwand nicht möglich war, setzte der Prüfer den Bestand mit 50 % des Wertes am 31. Dezember 1946 in die Inventur vom 31. Dezember 1947 ein. Die Briefmarken der Vorbesetzungszeit waren in der Inventur auf den 31. Dezember 1946 mit schätzungsweise 18 000 RM im Gesamtbestand enthalten. Der Prüfer schlug daher 50 % von 18 000 RM = 9 000 RM dem übrigen ermittelten Bestand am 31. Dezember 1947 hinzu. Die Vorbehörden folgten dem Prüfer. Der Bf. vertrat folgende Auffassung: Nach Artikel V KontrRG Nr. 48 sei Kauf, Verkauf, Tausch oder Ausstellung von Briefmarken der Vorbesetzungszeit verboten. Die Ware sei demnach unverwertbar und handelsrechtlich mit null RM oder mit einem Erinnerungswert anzusetzen. Daß die Briefmarken auf internationalen Märkten gehandelt würden, spiele keine Rolle. Die Briefmarken verlören außerdem wegen der nicht sachgemäßen Einordnung an Wert.
Das Finanzgericht führte zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung tatbestandsmäßig folgendes aus.
Der Besitz der fraglichen Briefmarken sei durch das KontrRG Nr. 48 für Privatleute nicht verboten worden. Im Gegensatz zu der in Artikel I ff. für Postämter, diesen gleichstehende Stellen und die Berliner Staatsdruckerei vorgeschriebenen Pflicht zur Ablieferung und Vernichtung der fraglichen Briefmarken bestehe für den Privatmann eine solche Verpflichtung nicht. Auch Briefmarkenhändler könnten ihren Bestand in solchen Briefmarken behalten und die künftigen Verwertungsmöglichkeiten, die bei der Bemessung des Teilwertes nach der Rechtsprechung des RFHofs eine Rolle spielten, abwarten. Die künftigen Verwertungsmöglichkeiten seien nicht so fernliegend, wie es der Bf. darzustellen versuche. Es sei allgemein damit gerechnet worden, daß bei weiterer Verleihung von Souveränitätsrechten durch die Besatzungsmächte auch die bezüglich der Briefmarken der Vorbesetzungszeit noch bestehenden Schranken fallen würden. Wie weit die Entwicklung in dieser Richtung schon gediehen sei, gehe aus der dem Finanzgericht vorliegenden Ankündigung einer Briefmarkenhandlung hervor. Diese Firma rechne in aller Kürze mit der Aufhebung des KontrRG Nr. 48. Sie bitte in dieser Ankündigung ihre Kunden um Mitteilung, ob sie sich für die Auswahl DR III Deutschland mit allen Gebieten von 1933 bis 1945 vormerken lassen wollten. Daß die Absetzungsmöglichkeiten nach Aufhebung des KontrRG Nr. 48 gut sein würden, gehe schon jetzt aus den im Ausland notierten Werten hervor. Nach den Feststellungen, die das Finanzgericht aus den ihm vom Bf. zur Verfügung gestellten Scotts "postage stamp catalogue" getroffen habe, bewegten sich die Werte im Ausland auch nach dem Verbot durch das KontrRG Nr. 48 - von Schwankungen, insbesondere für die Briefmarken des ehemaligen Böhmen und Mähren, abgesehen - im Rahmen der Preise, die vor dem Verbot katalogmäßig üblich gewesen seien. Der philatelistische Wert sei danach durch das Verbot für Deutschland international nicht erschüttert worden. Da die Ausfuhr von deutschen Briefmarken während der Kriegs- und Nachkriegsjahre gesperrt gewesen sei und die bei den deutschen Postämtern noch lagernden Bestände nach dem KontrRG Nr. 48 hätten vernichtet werden müssen, sei mit einem guten Absatz ohne wesentlichen Preisrückgang in der Zukunft zu rechnen. Die Bestimmungen und Auswirkungen des KontrRG Nr. 48 zeigten eine gewisse ähnlichkeit mit denjenigen des KontrRG Nr. 9 über Beschlagnahme und Kontrolle des Vermögens der IG-Farbenindustrie AG und des Gesetzes Nr. 35 der Alliierten Hohen Kommission (AHK) für Deutschland über Aufspaltung des Vermögens der IG-Farbenindustrie AG (Amtsblatt der AHK 1950 Nr. 31). Obwohl es sich bei diesem Vermögen um beschlagnahmte Werte handle (Art. 3 des Gesetzes Nr. 35 der AHK), gebe es einen "gesprochenen IG-Farbenkurs" (Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung Nr. 48/1950 S. 12). Unter Berücksichtigung aller Umstände glaube das Finanzgericht die vom Prüfer vorgenommene Schätzung billigen zu können.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Steuerpflichtigen (Stpfl.) wiederholt im wesentlichen das Vorbringen bei den Vorbehörden.
Entscheidungsgründe
Ihre Prüfung ergibt folgendes.
Die Unmöglichkeit, einen Gegenstand zu veräußern, sei es aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, rechtfertigt nicht ohne weiteres seine Abschreibung auf null Mark. Das Gesetz bestimmt wohl als Teilwert einen Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebes im Rahmen des Gesamtkaufpreises ansetzen würde und setzt hierbei die Veräußerlichkeit des Wirtschaftsgutes, d. h. den Normalfall, voraus. Das kann aber nicht dazu führen, Wirtschaftsgüter, für die Anschaffungskosten entstanden sind, und die unveräußerlich sind, unbewertet zu lassen. Auch ihnen kommt ein "Wert" zu. Es kann sein, daß ein Veräußerungsverbot den Wert eines Gegenstandes vollkommen beseitigt. Es muß dies aber nicht der Fall sein und wird es auch häufig nicht sein. Es ist hier der Wert des Gegenstandes unter Berücksichtigung der auf ihm ruhenden Belastung im Wege der Schätzung festzustellen.
Die Briefmarken der Vorbesetzungszeit stellen bewertungsfähige Wirtschaftsgüter dar. Das Veräußerungsverbot nach dem KontrRG Nr. 48 führt nach der Würdigung der Vorbehörden nicht zur Wertlosigkeit der Marken. Die Schätzung des Teilwertes ist in erheblichem Umfange Tatsachenwürdigung. Das Finanzgericht hat auf die Tatsache hingewiesen, daß der Besitz der Marken den Privatpersonen gestattet sei. Des weiteren ist es zu der Auffassung gekommen, daß es sich um ein zeitlich begrenztes Veräußerungsverbot handle. Es hat seine Ansicht eingehend begründet. Hierbei hat es sich auch der sogenannten retrospektiven Methode bedient. Es ist nicht zulässig, Vorgänge tatsächlicher Natur nach dem Bilanzstichtag auf den Bilanzstichtag zurückzubeziehen. Es können aber keine Bedenken dagegen bestehen, wenn zur Würdigung der Verhältnisse am Bilanzstichtag auch der Ablauf der Geschehnisse nach dem Bilanzstichtag mit herangezogen wird. Das Finanzgericht konnte zu der Auffassung kommen, daß bereits am Bilanzstichtag mit einer zeitlichen Begrenzung des Veräußerungsverbotes zu rechnen war.
Die Würdigung des Finanzgerichts auf tatsächlichem Gebiet weist keine Verstöße gegen den klaren Inhalt der Akten auf. Sie widerspricht auch nicht den Erfahrungen des Lebens. Das Finanzgericht konnte zu seiner Schätzung kommen. Sie ist deshalb gemäß § 288, § 296 der Reichsabgabenordnung (AO) für den Bundesfinanzhof bindend.
Der Bf. ist der Auffassung, daß nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Obersten Finanzgerichtshofs der Ansicht des Stpfl. über die Höhe des Teilwertes wesentliche Bedeutung zukomme. Dies ist zutreffend. Es wird hierdurch jedoch die Pflicht des Finanzgerichts nicht eingeschränkt, auf Grund seiner eigenen Würdigung der Verhältnisse den Teilwert festzustellen. Das Finanzgericht hat die Schätzung des Kaufmannes zu beachten und ihr entsprechende Bedeutung zuzumessen. Es ist aber an die Schätzung des Stpfl. nicht gebunden. Im vorliegenden Fall kam das Finanzgericht unter Berücksichtigung des Vorbringens des Bf. zu seiner Schätzung.
Fundstellen
Haufe-Index 407279 |
BStBl III 1951, 194 |
BFHE 1952, 482 |
BFHE 55, 482 |
BB 1951, 804 |
DB 1951, 870 |