Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitnehmer, der aus nicht zwingenden Gründen einen doppelten Haushalt führt, kann wählen,
ob er die Anerkennung von Werbungskosten nach den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesfinanzhofs VI 135/56 U vom 23. August 1957 (BStBl 1957 III S. 361, Slg. Bd. 65 S. 339) beantragen will oder
ob er die tatsächlichen Fahrten zwischen Familienwohnung und Arbeitsstätte im Rahmen des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955 geltend machen will oder
ob er die Aufwendungen für die Fahrten von der Wohnung am Arbeitsort zur Arbeitsstätte im Rahmen des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955 als Werbungskosten berücksichtigt haben will.
Normenkette
EStG § 9 Ziff. 4, § 9/1/4; LStDV § 20 Abs. 2 Ziff. 2
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist als Abteilungsleiter in A beschäftigt. Er hat seinen Familienwohnsitz in B, wo er ein eigenes Einfamilienhaus besitzt. Wegen der großen Entfernung seines Familienwohnsitzes von seiner Arbeitsstätte (128 km) hat er in A ein Zimmer gemietet. Dort hält er sich die Woche über auf und von dort fährt er mit dem eigenen Pkw zu seiner Arbeitsstätte. Nur über das Wochenende fährt er mit dem Wagen zu seiner Familie nach B.
Streitig ist, ob der Bf. die für die Fahrten nach B anfallenden Kraftfahrzeugkosten neben den täglich für die Fahrten zur Arbeitsstätte anfallenden Kosten im Rahmen von § 20 Abs. 2 Ziff. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1955 als Werbungskosten geltend machen kann. Das Finanzamt erkannte bei der Ergänzung der Lohnsteuerkarte 1955 nur die Aufwendungen für die Fahrten von der Wohnung in A zur Arbeitsstätte als Werbungskosten an. Der weitergehende Antrag des Bf., ihm auch für 48 Wochenendheimfahrten nach B die Pauschsätze nach § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955 zu gewähren, wurde abgelehnt. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.
Zu den Mehraufwendungen, die dem Bf. dadurch entstehen, daß er am Arbeitsort eine zweite Wohnung unterhält und die Woche über von seiner Familie getrennt lebt, gehören auch die Kosten für die Fahrten an den Wochenenden zum Familienwohnsitz; denn diese Kosten würden nicht entstehen, wenn der Bf. seinen Familienwohnsitz an seinen Arbeitsort verlegt hätte. Unstreitig ist, daß der Bf. seinen Familienwohnsitz in B aus nicht zwingenden Gründen beibehalten hat. Die durch die zweite Wohnung am Arbeitsort entstehenden Mehraufwendungen sind somit nicht zwangsläufig durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt. Daher können sie nicht nach den für die zwangsläufige doppelte Haushaltsführung entwickelten Grundsätzen (vgl. Urteil des erkennenden Senats VI 135/56 U vom 23. August 1957, Bundessteuerblatt - BStBl - 1957 III S. 361, Slg. Bd. 65 S. 339, und Abschn. 26, Abschn. 22 Abs. 6 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - 1955) als Werbungskosten im Sinne des § 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 20 LStDV berücksichtigt werden.
Eine andere Frage ist es jedoch, ob im Rahmen der durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (Bundesgesetzblatt - BGBl - 1954 I S. 373, BStBl 1954 I S. 575) geänderten Bestimmung des § 9 Ziff. 4 EStG und der hierzu ergangenen Durchführungsvorschriften (ß 26 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV - 1955, § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955) die Kosten des Bf. für die Wochenendheimfahrten zum Familienwohnsitz als durch Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte veranlaßte Werbungskosten berücksichtigt werden können. Der Senat hat der ab 1955 geltenden Rechtslage, nach der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis zu einer Entfernung von 40 km ohne Prüfung der Notwendigkeit dieser Aufwendungen anzuerkennen sind (vgl. Urteil VI 33/58 U vom 16. Mai 1958, BStBl 1958 III S. 303), in der oben schon zitierten Entscheidung VI 135/56 U vom 23. August 1957 Rechnung getragen. In diesem Urteil wurde ausgesprochen, daß bei einem Arbeitnehmer, der aus nicht zwingenden Gründen einen doppelten Haushalt führt, die hierdurch entstehenden Mehrkosten bis zu dem Betrage als Werbungskosten berücksichtigt werden können, der bei täglicher Heimfahrt mit dem üblichen öffentlichen Verkehrsmittel bis zu einer Entfernung von 40 km aufgewendet werden müßte. Hierzu hat der Senat ergänzend im Urteil VI 204/56 U vom 23. August 1957 (BStBl 1957 III S. 362, Slg. Bd. 65 S. 342) entschieden, daß einem solchen Steuerpflichtigen dann, wenn er für die Fahrten zum Familienwohnsitz das eigene Kraftfahrzeug verwendet, nur entweder Werbungskosten nach den Grundsätzen des oben angeführten Urteils VI 135/56 U oder Werbungskosten im Rahmen des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955 für die tatsächlichen Heimfahrten anerkannt werden können.
Der Streitfall unterscheidet sich von den in den angeführten Urteilen entschiedenen Fällen dadurch, daß dem Bf. auch noch durch die Fahrten von der zweiten Wohnung am Arbeitsort zur Arbeitsstätte Kosten entstanden sind. Es kann der Vorentscheidung darin nicht gefolgt werden, daß nur diese Kosten als Werbungskosten in Betracht kommen. Zutreffend hat das Finanzgericht darauf hingewiesen, daß der in § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955 verwendete Begriff der Wohnung kein rechtlicher, sondern ein tatsächlicher Begriff ist. Tatsächlich hat der Bf. sowohl am Familienwohnort als auch am Arbeitsort eine Wohnung. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn der Vorschriften über die Anerkennung von Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ergibt sich, daß beim Vorhandensein mehrerer Wohnungen von vornherein nur eine bestimmte Wohnung als Wohnung im Sinne von § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955 anzusehen ist. Allerdings widerspräche es dem Sinn der genannten Vorschriften, wenn man - wie der Bf. es beantragt - für die gleiche Zeit mehrere Wohnungen nebeneinander als Ausgangspunkt für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anerkennen würde. Es muß aber dem Steuerpflichtigen überlassen bleiben, welche von mehreren Wohnungen er als Ausgangspunkt für seine Fahrten zur Arbeitsstätte bestimmen will. Daraus ergibt sich, daß ein Arbeitnehmer, der aus nicht zwingenden Gründen einen doppelten Haushalt führt, wählen kann, ob er die Anerkennung von Werbungskosten nach den Grundsätzen der Entscheidung VI 135/56 U beantragen will, ob er nur die tatsächlichen Fahrten zwischen Familienwohnung und Arbeitsstätte im Rahmen des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955 geltend machen oder ob er nur die Aufwendungen für die Fahrten von der zweiten Wohnung am Arbeitsort zur Arbeitsstätte im Rahmen des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955 als Werbungskosten berücksichtigt haben will. Dabei muß dem Steuerpflichtigen, der die Entwicklung der Verhältnisse unter Umständen während des Jahres noch nicht übersehen kann, vorbehalten bleiben, das Wahlrecht endgültig erst im Lohnsteuerjahresausgleich oder bei der Veranlagung auszuführen. Unter diesen Gesichtspunkten ist der Streitfall noch nicht spruchreif.
Fundstellen
Haufe-Index 409270 |
BStBl III 1959, 84 |
BFHE 1959, 216 |
BFHE 68, 216 |