Leitsatz (amtlich)
Wird wegen eines erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist erkannten Sachmangels der Einfuhrware die Berichtigung des Eingangsabgabenbescheides begehrt (§ 94 Abs. 1 Nr. 1 AO), so kann eine „angemessene Frist” bei Stellung des Berichtigungsantrages eingehalten sein, wenn wegen der erforderlichen näheren Feststellung des Sachmangels eine längere Zelt verstrichen ist.
Normenkette
AO § 94 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin ließ am 9. Oktober und 29. November 1963 durch eine Speditionsfirma drei Sendungen Spinnfäden zum freien Verkehr abfertigen. Dabei wurden die Zollwerte auf der Grundlage der Rechnungspreise festgesetzt. Die Zollbescheide wurden mit Ablauf des 11. November 1963 bzw. 30. Dezember 1963 unanfechtbar.
Nach den Einfuhren – beginnend mit dem 4. Dezember 1963 – erhielt die Klägerin, die ihrerseits die Ware weitergegeben hatte, mehrfach Mängelrügen, weil sich die Spinnläden bei ihrer Verarbeitung als nicht einwandfrei erwiesen hatten. Die Klägerin reklamierte daraufhin bei der ausländischen Lieferantin, die die Mängelrügen ihrerseits weitgehend als berechtigt anerkannte und dieserhalb der Klägerin am 18. Februar 1964 und – nach weiterem Schriftwechsel – am 8. Juni 1964 erhebliche Preisnachlässe in Form von Gutschriften gewährte.
Am 29. Juni 1964 beantragte die Klägerin beim Zollamt (ZA) wegen der Wertminderung der Ware die Berichtigung der Zollbescheide unter Berücksichtigung der Gutschriften auf die Rechnungspreise. Das Hauptzollamt (HZA) lehnte den Antrag ab, weil die Zollbescheide unanfechtbar geworden seien und die Klägerin es verabsäumt habe, sofort nach Erhalt der ersten Mängelrügen (4. Dezember 1963, 22. Januar 1964, 11. Februar 1964) einen Antrag auf Nachsicht wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfrist zu stellen. Der Einspruch wurde zurückgewiesen.
Die Klage hatte Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat ausgeführt, es sei zwar richtig, daß der Zollbeteiligte die Verwaltung grundsätzlich nach Kenntnis des Sachmangels von diesem „alsbald” unterrichten müsse. Im Streitfall sei es jedoch im Hinblick auf die speziellen Eigenschaften der Ware erforderlich gewesen, zunächst die Berechtigung der Mängelrügen zu überprüfen, was nur durch Laboruntersuchungen der Herstellerfirma, die mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden seien, möglich gewesen sei. Im Hinblick auf die besondere Beschaffenheit der Ware könne der Klägerin kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie sich zu einer Unterrichtung der Zollverwaltung erst nach Abschluß dieser Untersuchungen und Erhalt des Befundes der Herstellerfirma verpflichtet geglaubt habe. Da die abschließenden Gutschriften von der Vorlieferantin erst am 8. Juni 1964 erteilt worden seien, müsse in den Erstattungsanträgen vom 29. Juni 1964 noch eine „alsbaldige” Unterrichtung der Verwaltung gesehen werden, so daß die Ablehnung des Berichtigungsbegehrens ermessensfehlerhaft sei. Das FG hat deshalb den ablehnenden Bescheid des ZA in der Form der Einspruchsentscheidung aufgehoben.
Mit der Revision rügt das HZA unrichtige Anwendung des geltenden Rechts.
Zu Unrecht sei die Vorinstanz davon ausgegangen, daß die Abwicklung der Mängelrügen erst mit der letzten Gutschrift (8. Juni 1964) abgeschlossen gewesen sei. Denn schon im Dezember 1963 und in den Anfangsmonaten des Jahres 1964 sei die Ware von den Abnehmern der Klägerin mehrfach beanstandet und bereits im Februar 1964 erstmals eine Gutschrift erteilt worden. Bei dieser Sachlage hätte der weitere Fortgang der Beanstandungen, insbesondere die letzte Gutschrift vom 8. Juni 1964, nicht abgewartet werden dürfen. Denn die alsbaldige Unterrichtung der Zollverwaltung habe Vorrang und hätte nach Eingang der ersten Mängelrügen so schnell wie möglich vorgenommen werden müssen. Dies habe die Vorinstanz verkannt.
Das HZA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält die Vorentscheidung für zutreffend. Es habe sich um eine völlig neuartige, in ihrer Verarbeitung noch nicht erprobte Ware gehandelt. Es sei auch nicht sicher gewesen, ob die erhobenen Beanstandungen der Verarbeitungsfirmen ausschließlich auf Mängel der Ware oder andere Ursachen, z. B. unsachgemäße Verarbeitungsmethoden zurückzuführen gewesen seien, so daß die eingehende Überprüfung der Beanstandungen notwendig gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. In dem Urteil VII R 36/66 vom 3. Dezember 1968, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 94 S. 312 (BFH 94, 312), Bundeszollblatt 1969 S. 506, hat sich der erkennende Senat mit der Frage der Berichtigung von Zollbescheiden gemäß § 94 AO wegen nachträglich, d. h. erst nach der Abfertigung zum freien Verkehr aufgetretener und dem Importeur bekanntgewordener Wertminderung der Einfuhrware nochmals eingehend auseinandergesetzt. Er hat ausgeführt, daß jedenfalls dann, wenn im Zeitpunkt der Aufdeckung des Sachmangels der Zollbescheid – anders als im Fall des Urteils VII 245/63 vom 29. September 1964, BFH 80, 492, BStBl III 1964, 651 – bereits unanfechtbar geworden ist, die Berichtigung binnen „angemessener Frist” von dem Importeur verlangt werden kann, wobei die Frage, was unter einer angemessenen Frist zu verstehen ist, nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen sei.
2. Die Vorinstanz hat festgestellt, daß es sich bei den eingeführten Spinnfäden um eine sehr spezielle, vor allem aber neuartige Ware gehandelt habe, deren Untersuchung zwecks Feststellung, ob die von den Verarbeitungsbetrieben erhobenen Mängelrügen berechtigt seien, nur in Laboratorien möglich und daher zwangsläufig mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden gewesen sei. Bei dieser Sachlage sei der Berichtigungsantrag vom 29. Juni 1964 binnen einer angemessenen Frist gestellt gewesen. Der erkennende Senat vermag in dieser Würdigung des Sachverhalts – die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die mit dem Akteninhalt übereinstimmen, keinen Verstoß gegen die Lebenserfahrung oder die Denkgesetze enthalten, sind für ihn bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) – keinen Rechtsfehler zu erkennen. Dies um so weniger, als die von der Klägerin mit dem Berichtigungsantrag eingereichten Unterlagen die von der Vorinstanz vorgenommene rechtliche Würdigung insofern als sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen, als sich aus ihnen der umfangreiche Schriftwechsel der Klägerin mit der Lieferfirma in bezug auf die erst bei der Verarbeitung aufgetretenen Mängel der damals neuartigen Ware ergeben. Der von der Verwaltung hervorgehobene Umstand, daß der Klägerin ein Teil der Mängelrügen schon im Dezember 1963 und in den Anfangsmonaten des Jahres 1964 zugegangen ist, ist demgegenüber von der Vorinstanz mit Recht nicht als ausschlaggebend erachtet worden. Denn aus den erhobenen Beanstandungen allein war die Ursache der Reklamationen und der Umfang der Wertminderung der Spinnfäden noch nicht eindeutig erkennbar. Die bei der Verarbeitung der Spinnfäden aufgetretenen Schwierigkeiten können eventuell auf andere Umstände – z. B. unsachgemäße Behandlung der Ware bei der Verarbeitung – zurückzuführen sein. Da die Untersuchungen in bezug auf die tatsächlich vorhandene Wertminderung erst mit der letzten, von der Vorlieferantin am 8. Juni 1964 erteilten Gutschrift zum endgültigen Abschluß gekommen waren, kann jedenfalls die rechtliche Feststellung der Vorinstanz, daß der am 29. Juni 1964 – also drei Wochen später – gestellte Antrag auf Berichtigung der Eingangsabgaben bei den hier obwaltenden besonderen Umständen noch als rechtzeitig, d. h. innerhalb einer angemessenen Frist gestellt, anzusehen ist, nicht als unrichtige Anwendung des geltenden Rechts im Sinne der Ausführungen der Revision angesehen werden.
3. Da sich die Vorentscheidung nach alledem im Ergebnis als zutreffend erweist, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen, § 126 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 514731 |
BFHE 1970, 135 |