Leitsatz (amtlich)
Langfristige Kapitalforderungen sind nur dann nach § 12 Abs.1 2.Halbsatz BewG wegen Unverzinslichkeit unter dem Nennwert zu bewerten, wenn auch die Unverzinslichkeit langfristig besteht.
Orientierungssatz
1. § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVStG 1972 erfaßt als Besteuerungstatbestände Leistungen, die erst nach Entstehung neuer Gesellschaftsrechte von einem Gesellschafter erbracht werden und im gesellschaftsteuerrechtlichen Sinn nicht mehr Gegenleistung für den Ersterwerb der Gesellschaftsrechte sind (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Eine langfristige Kapitalforderung, bei der wegen langfristiger Zinslosigkeit oder langfristiger niedriger Verzinsung eine Bewertung unter dem Nennwert gerechtfertigt ist, liegt nur vor, wenn sie am Bewertungsstichtag noch mindestens vier Jahre besteht (Anschluß an BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
KVStG 1972 § 8 Nr. 1 Buchst. a; BewG 1974 § 12 Abs. 1 Hs. 2; KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
I. Im Rechtsstreit, der sich im zweiten Rechtsgang befindet, ist die Bewertung einer Darlehensforderung für Zwecke der Gesellschaftsteuer streitig.
1. Das Stammkapital der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde durch Gesellschafterbeschluß vom 27.Juli 1972 um 120 Mio DM erhöht. Die Kapitalerhöhung wurde am 22.September 1972 ins Handelsregister eingetragen. Die Stammeinlage wurde von der Hauptgesellschafterin, einer ausländischen Kapitalgesellschaft (M), übernommen.
Diese leistete die Einlage wie folgt:
a) Die M verzichtete auf einen Teilbetrag in Höhe von 151 932 207 DM ihrer damals insgesamt rund 350 Mio DM betragenden Darlehensforderung gegen die Klägerin. "Dieser Forderungsverzicht (wurde) zum Geldwert von 100 Mio DM ... angenommen." Der überschießende Betrag von 51 932 207 DM wurde als Aufgeld in die freie Rücklage der Klägerin eingestellt.
b) Die M brachte die ihr gehörenden Geschäftsanteile an der T-GmbH im Nominalbetrag von 2 Mio DM in die Klägerin ein. Diese Anteile im Wert von 30 Mio DM wurden "zum Geldwert von 20 Mio DM ... angenommen". Die überschießenden 10 Mio DM wurden ebenfalls als Aufgeld in die freie Rücklage der Klägerin eingestellt.
2. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte mit Steuerbescheid vom 2.Januar 1975 Gesellschaftsteuer in Höhe von 2 578 644,10 DM fest und bezog sich dabei auf § 2 Abs.1 Nr.1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1972.
Das FA errechnete die Steuer wie folgt:
Gegenleistung 181 932 207,-- DM
./. steuerfrei nach § 29 des
Umwandlungs-Steuergesetzes
(UmwStG) 30 000 000,-- DM
./. bereits versteuerte
Darlehen 23 000 000,-- DM
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Berechnungsgrundlage 128 932 207,-- DM
davon 2 % 2 578 644,10 DM.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren von der Klägerin erhobene Klage blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hielt eine Bewertung der eingebrachten Darlehensforderung unter dem Nennwert für nicht gerechtfertigt. Es sah die eingebrachte Darlehensforderung als kurzfristig an, da die M in einem Schreiben vom 20.September 1971 --ca. zehn Monate vor der Kapitalerhöhung-- die Verwendung der Kapitalforderung zur Kapitalerhöhung angekündigt hatte.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hob im ersten Rechtsgang das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück, da der Wortlaut des Schreibens vom 20.September 1971 nicht festgestellt war.
3. Im zweiten Rechtsgang traf das FG folgende Feststellungen zu den Darlehensbedingungen:
Das eingebrachte Darlehen beruhte auf dem Darlehensvertrag vom 19.September 1968, in dem folgende Klausel enthalten ist:
"3. Durch schriftliche Kündigung von nicht weniger als 6 Monaten kann die
M jederzeit die Rückzahlung aller oder eines Teilbetrages der Darlehen
fordern ..."
Der Darlehensstand betrug bei Inkrafttreten dieses Vertrages am 1.Oktober 1967 bereits 100 457 000 DM und am 30.September 1970 151 932 207 DM. Der Darlehensstand am 30.September 1970 entsprach somit dem Betrag, der für die im September 1972 im Handelsregister eingetragene Kapitalerhöhung verwendet wurde.
Am 9.September 1971 trafen die Klägerin und M zu diesem Darlehensteil eine Vereinbarung, die durch Schreiben der M vom 20.September 1971 --übersetzt-- wie folgt bestätigt wurde:
"...
M wird das Stammkapital der Klägerin um 100 Mio DM erhöhen und gegen
Übernahme der neuen Anteile die bis zum 30. 9.1970 gewährten Darlehen von
insgesamt 151.932.207,-- DM einbringen. Die neuen Anteile werden somit mit
einem Agio von 51.932.207,-- DM ausgegeben werden. Außerdem verzichtet M
auf die ihr für diese Darlehen zustehende Forderung auf Zinsen für die
Zeit nach dem 1. 10. 1970.
Die vorstehenden Transaktionen sollen als per 30. Sept. 1971 durchgeführt
behandelt werden ..."
Weitere vom FG festgestellte Schreiben der M an die Klägerin beziehen sich nach übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten und nach Auffassung des FG nur auf Darlehensbeträge, die nach dem 30.September 1970 gewährt wurden, also nicht auf den zur Kapitalerhöhung verwendeten Darlehensbetrag.
Das FG wies die Klage auch im zweiten Rechtsgang ab.
Es führte aus:
Die Darlehen seien zu Recht zum Nennbetrag bewertet worden, da sie nicht befristet und jederzeit kündbar gewesen seien (§ 12 des Bewertungsgesetzes --BewG--). Selbst wenn man nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten davon ausgehen müsse, daß die Klägerin wegen ihres Investitionsaufwandes zur jederzeitigen Rückzahlung gar nicht in der Lage war, sei u.a. aus dem Schreiben M vom 20.September 1971 zu entnehmen, daß baldige Rückzahlung der Darlehen erwartet werde.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 12 BewG.
Die zur Kapitalerhöhung verwendete Darlehensforderung sei ab 1.Oktober 1970 unverzinslich gewesen. Diese Zinslosigkeit habe auch zur Zeit des Kapitalerhöhungsbeschlusses vom 27.Juli 1972 bestanden. Die Forderung sei auch langfristig gewesen. Das Darlehen habe der Finanzierung umfangreicher Investitionen im Werk X gedient. Aus der Zweckbestimmung ergebe sich bei wirtschaftlicher Betrachtung die Langfristigkeit der Darlehensgewährung. Dafür spreche auch die spätere Umwandlung ins Stammkapital. Auch das FA habe den Darlehensbetrag ursprünglich als verdecktes Stammkapital angesehen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Gesellschaftsteuer auf der Grundlage einer um 24 849 105 DM ermäßigten Bemessungsgrundlage neu festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen, daß die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem FG ihren Klageantrag beschränkt habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Gemäß § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972 unterliegt der Ersterwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft der Gesellschaftsteuer.
Der Ersterwerb der Gesellschaftsrechte aus der am 22.September 1972 im Handelsregister eingetragenen Kapitalerhöhung um 120 Mio DM unterlag der Gesellschaftsteuer nach § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972. Die neuen Gesellschaftsrechte sind mit der Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister entstanden. Damit war der Tatbestand des Ersterwerbs von Gesellschaftsrechten verwirklicht.
Der Tatbestand des § 2 Abs.2 Nr.2 KVStG 1972 war nicht erfüllt. § 2 Abs.1 Nr.2 KVStG 1972 erfaßt als Besteuerungstatbestände Leistungen, die erst nach Entstehung neuer Gesellschaftsrechte von einem Gesellschafter erbracht werden und im gesellschaftsteuerrechtlichen Sinn nicht mehr Gegenleistung für den Ersterwerb der Gesellschaftsrechte sind (vgl. Urteile des BFH vom 2.Februar 1972 II R 10/67, BFHE 105, 290, BStBl II 1972, 578; vom 24.Juli 1972 II R 69/71, BFHE 107, 58, BStBl II 1972, 907, und vom 22.Juli 1987 I R 74/85, BFHE 150, 447, BStBl II 1987, 823). Der Verzicht der Gesellschafterin auf ihre Darlehensforderung als Gegenleistung für den Ersterwerb der Gesellschaftsrechte war jedoch bis zur Eintragung im Handelsregister bereits erbracht worden.
2. Die Gesellschaftsteuer war vom Nennwert der als Gegenleistung eingebrachten Darlehensforderungen zu berechnen.
Gemäß § 8 Nr.1 a KVStG 1972 ist die Steuer vom Wert der Gegenleistung zu berechnen. Für die Bewertung sind die Vorschriften des BewG 1965 maßgebend (§ 1 Abs.1 und Abs.2 BewG). Gemäß § 12 Abs.1 BewG sind Kapitalforderungen grundsätzlich mit dem Nennwert anzusetzen.
Das FG hat zu Recht die Voraussetzungen der von diesem Grundsatz bestehenden Ausnahmen verneint.
a) Die Voraussetzungen einer Bewertung unter dem Nennwert nach § 12 Abs.3 BewG 1965 waren nicht gegeben. Nach § 12 Abs.3 BewG 1965 sind unverzinsliche Forderungen oder Schulden, deren Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt und die zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig sind, mit einem abgezinsten Wert anzusetzen. Die Darlehensforderung der M war weder nach dem Darlehensvertrag vom 19.September 1968 noch nach der Zusatzvereinbarung vom 20.September 1971 zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig. Die im Schreiben in Aussicht genommene Verwendung der Darlehensforderung für eine --zeitlich nicht feststehende-- Kapitalerhöhung ist keine Befristung.
b) Auch die Voraussetzungen einer Bewertung unter dem Nennwert gemäß § 12 Abs.1 2.Halbsatz BewG 1965 liegen nicht vor.
Nach dieser Vorschrift können besondere Umstände einen unter dem Nennwert liegenden Wert begründen. Derartige Umstände können in einer niedrigen Verzinsung oder Zinslosigkeit in Verbindung mit längerer Unkündbarkeit liegen (vgl. BFH-Urteile vom 22.Februar 1974 III R 5/73, BFHE 111, 534, BStBl II 1974, 330; vom 17.Oktober 1980 III R 52/79, BFHE 132, 298, BStBl II 1981, 247; vom 9.Juli 1982 III R 15/79, BFHE 136, 299, BStBl II 1982, 639).
Eine längere Unkündbarkeit liegt nicht vor, da das Darlehen nach dem Darlehensvertrag vom 19.September 1968 innerhalb von sechs Monaten schriftlich gekündigt werden konnte. Diese Kündigungsklausel ist durch das Schreiben vom 20.September 1971 nicht geändert worden, da es lediglich die geplante Verwendung des Darlehens zur Kapitalerhöhung und die Zinslosigkeit ab 1.Oktober 1970 bestätigte. Zwar kann trotz formell kurzfristiger Kündigungsmöglichkeit eine langfristige Forderung vorliegen, wenn sich aus den tatsächlichen Umständen eine lange Laufzeit ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 10.Februar 1982 II R 3/80, BFHE 135, 214, BStBl II 1982, 351). Im Streitfall kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die Darlehensforderung nach den Gesamtumständen als langfristige Forderung anzusehen war. Selbst bei Bejahung der Langfristigkeit müßte die Bewertung zum Nennwert erfolgen, da die Zinslosigkeit nur kurzfristig bestand. Eine Bewertung unter dem Nennwert ist nur dann gerechtfertigt, wenn nicht nur die Forderung, sondern auch der besondere Umstand der Zinslosigkeit langfristig bestehen (vgl. Urteil in BFHE 135, 214, BStBl II 1982, 351). Die Forderung muß für längere Zeit Bedingungen aufweisen, die vom Normalfall abweichen. Dabei ist nicht die Langfristigkeit einer Forderung als solche ein derartiger, Sonderbewertungen rechtfertigender Umstand, sondern eine langfristige Zinslosigkeit oder eine langfristige niedrige Verzinsung.
Der Begriff der Langfristigkeit ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, als ein mindestens vierjähriger Zeitraum ausgelegt worden (vgl. BFH-Urteile vom 7.Mai 1971 III R 7/69, BFHE 102, 407, BStBl II 1971, 642, und in BFHE 135, 214, BStBl II 1982, 351).
Im Streitfall ist durch die mit Schreiben vom 20.September 1971 bestätigte Vereinbarung vom 9.September 1971 Zinslosigkeit erst ab 1.Oktober 1970 gewährt worden. Diese Zinslosigkeit bestand möglicherweise nur bis zum 30.September 1971, da an diesem Tage die "Transaktionen" nach der Vereinbarung vom 9.September 1971 "als durchgeführt behandelt werden sollten". Es ist möglich, daß das Darlehen nach dieser Vereinbarung schon am 30.September 1971 erlöschen sollte. Längstens bestand die Darlehensforderung und damit die Zinslosigkeit jedoch vom 1.Oktober 1970 bis zur Eintragung der Kapitalerhöhung am 22.September 1972, denn spätestens an diesem Tage ist die Darlehensforderung erloschen. Insgesamt war die Darlehensforderung somit nur 12 Monate bis längstens knapp 24 Monate zinslos. Dieser Zeitraum ist noch als kurzfristig anzusehen.
Fundstellen
Haufe-Index 62119 |
BStBl II 1988, 372 |
BFHE 152, 265 |
BFHE 1988, 265 |
BB 1988, 1449-1450 (LT1) |
HFR 1988, 401 (LT1) |