Leitsatz (amtlich)
Die mit § 34 Abs. 2 Satz 1 UStDB 1938 bezweckte uneingeschränkte Einbeziehung der Gestellung fahrbereiter, bemannter Kraftfahrzeuge in die Steuerbefreiung nach § 4 Ziff. 9 UStG 1934 ist eine im Rahmen der durch § 13 AO erteilten Ermächtigung liegende Steuermilderung, die im Veranlagungsverfahren und im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen ist (zu vgl. Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs I D 6/49 S vom 27. August 1949, Slg. Bd. 54 S. 376).
Normenkette
UStG 1934 § 4 Ziff. 9; UStDB 1938 § 34 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.), ein Fuhrunternehmer, hat im Jahre 1949 auf Grund eines Vertrages mit der Deutschen Reichsbahn (später: Deutsche Bundesbahn, im folgenden als "Bahn" bezeichnet) dieser zur Durchführung von Fahrten im Linienverkehr -- insbesondere auf einer Linie, die der Bf. bis zum Abschluß des Vertrages selbst betrieben hat -- einen genau bezeichneten, für ihn zugelassenen Kraftomnibus fahrbereit mit Fahrer zur Verfügung gestellt. Den Einsatz des Fahrzeugs im einzelnen hat die Bahn bestimmt; sie hat auch die Fahrpläne und die Tarife geregelt. Für die Beförderungsverträge mit den Fahrgästen und für die Haftung diesen gegenüber sind die Beförderungsbedingungen der Bahn maßgebend gewesen. Das Fahrzeug hat ein Schild mit der Aufschrift "Im Auftrage der Deutschen Reichsbahn (Bundesbahn)" getragen. Dem auf die Wahrung des Interesses der Bahn verpflichteten Wagenführer hat die Bahn für die einzelnen Fahrten einen Begleiter (Schaffner) beigegeben; dieser hat die -- auf die Bahn lautenden -- Fahrtausweise an die Fahrgäste ausgegeben. Für die von der Bahn im Jahre 1949 in Höhe von 25 744 DM gezahlten Entgelte hat der Bf. Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1934 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Satz 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsbestimmungen (UStDB) 1938 mit der Begründung in Anspruch genommen, daß nach dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen S 4015 -- 1 III Abschn. B Ziff. 19 vom 20. Januar 1939 (Reichssteuerblatt -- RStBl.-- S. 129, 135) auch der Unternehmer eine Beförderung im Sinne des § 34 Abs. 2 Satz 1 wirklich ausführe, der einem Hauptunternehmer ein fahrbereites und bemanntes Fahrzeug gestelle; das sei bei ihm der Fall gewesen. Das Finanzamt hat die begehrte Steuerfreiheit versagt. Die Sprungberufung hiergegen ist erfolglos geblieben.
Die Vorinstanz stellt an die Spitze ihrer Ausführungen den Satz, daß die Beförderungen durch den Bf. unter das Beförderungsteuergesetz fallen, gelangt aber in ihren weiteren Darlegungen zu dem Ergebnis, daß die Gestellung des bemannten Kraftomnibusses, in der sich die Tätigkeit des Bf. erschöpfe, als solche keine Beförderung darstelle; damit fehle es an der wirklichen Ausführung von Beförderungen als der entscheidenden Voraussetzung für die begehrte Steuerbefreiung; wirklich ausgeführt würden die Beförderungen von der Bahn, da diese allein mit den Fahrgästen in Rechtsbeziehungen trete und den Beförderungsablauf in seinen Einzelheiten regle, wobei es unerheblich sei, daß sie sich zur Durchführung der ganz in ihrer Hand liegenden Beförderungen eines dem Bf. gehörenden und von dessen Fahrer gesteuerten Fahrzeuges bediene. Die abweichende Auslegung des § 34 Abs. 2 Satz 1 in dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen binde die Steuergerichle nicht und sei unzutreffend; bei richtiger Auslegung der Vorschrift sei, wenn ein Unternehmer eine im eigenen Namen übernommene Beförderung durch einen anderen Unternehmer (Unterunternehmer) ausführen lasse, der Hauptunternehmer als derjenige anzusehen, der die Beförderung wirklich ausführe.
Der Bf. wendet hiergegen ein, daß nicht die Bahn, sondern er als Erfüllungsgehilfe der Bahn die Beförderungen wirklich ausführe, und beruft sich hierzu erneut auf den Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 20. Januar 1939.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils.
Nach § 4 Ziff. 9 UStG 1934 sind von der Umsatzsteuer befreit Umsätze, die unter das Beförderungsteuergesetz fallen. Die Vorschrift dient der Vermeidung von Doppelbesteuerungen; es soll verhindert werden, daß der gleiche Vorgang sowohl der Beförderungsteuer als auch der Umsatzsteuer unterworfen wird. Von dieser Zwecksetzung der Vorschrift aus gesehen liegt der Gedanke nahe, in Fällen, in denen an der Ausführung des gleichen Beförderungsvorgangs irgendwie mehrere Unternehmer beteiligt sind, die Steuerbefreiung demjenigen Unternehmer zu gewähren, der die Beförderungsteuer schuldet. Insoweit ergeben sich aber gewisse Schwierigkeiten aus der besonderen Struktur des Beförderungsteuerrechts heraus, das als Steuerschuldner denjenigen, der den Beförderungspreis zu zahlen hat, ansieht und dem Beförderungsunternehmer nur eine -- allerdings erstschuldnerische -- Haftung auferlegt. Immerhin hat der Reichsfinanzhof zu § 2 Nr. 5 UStG 1919, der dem § 4 Ziff. 9 UStG 1934 entspricht, wohl beeinflußt von dem genannten Gedanken mehrfach entschieden, daß in Fällen, in denen der Beförderungsunternehmer die Ausführung einer von ihm übernommenen Beförderung einem anderen Unternehmer als Erfüllungsgehilfen überträgt, dieser Erfüllungsgehilfe keinen Anspruch auf Befreiung von der Umsatzsteuer hat (Slg. Bd. 12 S. 40, Bd. 18 S. 55). An dieser Rechtsauffassung ist zunächst auch für den Geltungsbereich der dem Umsatzsteuergesetz 1919 folgenden Umsatzsteuergesetze festgehalten worden (zu vgl. Popitz, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 3. Aufl. S. 556 unter Ziff. 2). Eine Änderung der Rechtslage brachte der durch § 1 Ziff. 9 der Verordnung vom 21. August 1936 zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (Reichsgesetzblatt -- RGBl. -- I S. 643, RStBl. S. 870) in die Durchführungsbestimmungen 1934 eingefügte § 27a. Nach Abs. 3 Satz 1 dieses § 27a waren Beförderungen im Sinne des § 4 Ziff. 9 des Gesetzes auch dann umsatzsteuerfrei, wenn sie dem Unternehmer von einem anderen als dem Absender übertragen worden waren. Hiernach konnte in Fällen, in denen ein Unternehmer die Ausführung einer von ihm übernommenen Beförderungsleistung einem anderen Unternehmen übertrug, die Steuerbefreiung sowohl von dem Hauptunternehmer als auch von dem Unterunternehmer beansprucht werden. In die für den hier streitigen Veranlagungszeitraum maßgebenden Durchführungsbestimmungen 1938 wurde die Vorschrift des § 27a Abs. 3 Satz 1 nicht übernommen. An ihre Stelle trat die Vorschrift des § 34 Abs. 2 Satz 1, nach der bei Beförderungen, die unter das Beförderungsteuergesetz fallen, nur die Leistung des Unternehmers steuerfrei ist, der die Beförderung wirklich ausführt. Diese Vorschrift bedeutet gegenüber dem bis zu ihrem Inkrafttreten geltenden Rechtszustand einerseits eine Einschränkung der Steuerbegünstigung; sie führt dazu, daß dann, wenn ein Unternehmer, der eine Beförderung übernommen hat, deren Ausführung einem anderen Unternehmer überträgt, die Umsatzsteuerbefreiung nicht mehr von dem Hauptunternehmer und dem Unterunternehmer, sondern nur noch von dem Unterunternehmer, der die Beförderung ausführt, in Anspruch genommen werden kann. Andererseits führt § 34 Abs. 2 Satz 1 zu einer Ausweitung der Steuerbegünstigung. Die Vorschrift stellt bewußt auf den rein äußeren Vorgang der Fahrzeugbewegung bei einer auf die Raumüberwindung für Personen oder Güter gerichteten Gesamttätigkeit ab. Danach wird -- auch im Hinblick auf Abschn. B Ziff. 19 des erwähnten Erlasses des Reichsminsters der Finanzen vom 20. Januar 1939 -- trotz der nicht ganz zweifelsfreien Fassung der Vorschrift davon auszugehen sein, daß die Einbeziehung auch der Gestellung bemannter Fahrzeuge in die Steuerbegünstigung nach § 4 Ziff. 9 des Gesetzes selbst für den Fall bezweckt wird, daß in der Gestellung eines bemannten Fahrzeuges nach den Umständen des Einzelfalles keine Übertragung der Ausführung einer von einem Hauptunternehmer übernommenen Beförderung im Sinne des Beförderungsteuergesetzes auf den Gestellenden erblickt werden kann (zu vgl. Herting in Steuer und Wirtschaft -- StuW -- 1939 Teil I Sp. 119, 120). Es erhebt sich die Frage, ob eine durch eine gesetzesvertretende Rechtsverordnung getroffene Regelung dieses sich nach zwei Richtungen hin auswirkenden Inhalts durch eine entsprechende Ermächtigung gedeckt ist. Nach der Präambel der Umsatzsteuer-Durchführungsbestimmungen 1938 sind deren Vorschriften u. a. auf die §§ 12 und 13 der Reichsabgabenordnung (AO) gestützt. Nach Abs. 1 des seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht mehr in Kraft befindlichen § 12 war der Reichsminister der Finanzen ermächtigt, zur Durchführung und Ergänzung der vom Reich erlassenen Steuergesetze Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, insbesondere den Umfang der Befreiungen, Steuerermäßigungen und Steuervergütungen näher zu bestimmen. Im Rahmen dieser Ermächtigung liegt es, wenn im § 34, dessen Rechtsgültigkeit im übrigen durch den Wegfall des § 12 AO allein nicht berührt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs V 58/51 U vom 23. Oktober 1952, Bundessteuerblatt -- BStBl. -- 1953 III S. 22), für die Fälle, in denen ein Unternehmer die Ausführung einer von ihm übernommenen Beförderung einem anderen Unternehmer überträgt, die Steuerbefreiung nur noch dem Unterunternehmer eingeräumt wird. Denn diese Regelung stellt eine Bestimmung des Umfanges der im § 4 Ziff. 9 des Gesetzes vorgesehenen Steuerbefreiung dar. Dagegen wird durch die Ermächtigung des § 12 AO nicht auch eine Ausdehnung der Steuerbefreiung nach § 4 Ziff. 9 des Gesetzes auf Fälle gedeckt, die ihrem Wesen nach keine Beförderung im Sinne des Beförderungsteuerrechtes darstellen, also etwa auf die Gestellung eines bemannten Fahrzeuges, soweit in dieser nicht die Übernahme der Ausführung einer von einem anderen übernommenen Beförderung erblickt werden kann. Insoweit kommt jedoch § 13 AO zum Zuge. Nach § 13, der ebenfalls seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht mehr anwendbar ist, konnte der Reichsminister der Finanzen für bestimmte Arten von Fällen aus Billigkeitsgründen allgemein u. a. anordnen, daß abweichend von den Vorschriften des Reichsrechtes Befreiung von Reichssteuern gewährt wird. Der Reichsminister der Finanzen konnte hiernach beim Vorliegen von Billigkeitsgründen allgemein eine im Reichssteuerrecht vorgesehene Steuerbefreiung auf Tatbestände ausdehnen, die die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht oder nicht in vollem Umfange erfüllen. Nichts anderes ist geschehen, als der Reichsminister der Finanzen dem § 34 Abs. 2 Satz 1 UStDB 1938 eine Fassung gab, die, wie oben dargelegt, die uneingeschränkte Einbeziehung bemannter Fahrzeuge in die Steuerbegünstigung des § 4 Ziff. 9 des Gesetzes bezweckt und ermöglicht.
Der Senat bejaht hiernach die Frage, ob § 34 Abs. 2 Satz 1 durch entsprechende Ermächtigungen gedeckt ist, sowohl insoweit, als diese Vorschrift zu einer Einengung des Umfanges der Steuerbefreiung zufolge § 4 Ziff. 9 des Gesetzes führt, als auch insoweit, als sie die uneingeschränkte Anwendung der Befreiungsvorschrift auf die Fälle der Gestellung bemannter Fahrzeuge bezweckt. Im letzteren Falle liegt eine Steuermilderung vor. Steuermilderungen, die der Reichsminister der Finanzen aus Billigkeitsgründen im Rahmen der ihm nach § 13 AO erteilten Vollmacht allgemein angeordnet hat, sind, obwohl § 13 inzwischen weggefallen ist, im Veranlagungsverfahren und im Rechtsmittelverfahren weiter zu berücksichtigen, wenn sie nicht aus anderen Gründen erloschen sind (zu vgl. Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs I D 6/49 S vom 27. August 1949, Slg. Bd. 54 S. 376). Gründe, die dazu nötigen könnten, die Ausdehnung des § 4 Ziff. 9 des Gesetzes auf die Gestellung bemannter Fahrzeuge als erloschen anzusehen, sind nicht ersichtlich. Der Bf. beruft sich daher mit Recht darauf, daß § 34 Abs. 2 Satz 1 UStDB 1938 einer Heranziehung seiner Entgelte für die Gestellung eines fahrbereiten, bemannten Fahrzeuges zur Umsatzsteuer entgegensteht.
Die Vorbehörden haben dies verkannt. Das angegriffene Urteil und der ihm zugrunde liegende Steuerbescheid des Finanzamts sind deshalb wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Der Senat ist in der Lage, selbst zu entscheiden.
Nach der Umsatzsteuererklärung des Bf. hat dessen Gesamtumsatz im Kalenderjahre 1949 105 422,53 DM betragen. Davon entfallen neben den streitigen Entgelten für die Gestellung des bemannten Fahrzeuges in Höhe von 25 744 DM weitere 59 277,94 DM auf Entgelte für Leistungen, die auch nach Ansicht der Vorbehörden unter § 4 Ziff. 9 UStG fallen. Demnach verbleibt ein steuerpflichtiger Umsatz von 20 400,59 DM, der nach dem Steuersatze von 3 v. H. mit 612 DM zu besteuern ist. Auf diesen Betrag ist die Umsatzsteuer für 1949 festzusetzen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 309 AO.
Fundstellen
BStBl III 1953, 150 |
BFHE 1954, 386 |