Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Zurechnung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie einer Leibrente bei katholischen Ordensangehörigen.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 1; StAnpG § 5 Abs. 3
Tatbestand
Streitig ist die Zurechnung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie einer Leibrente bei einer katholischen Ordensangehörigen, die das Gelübde der Armut abgelegt hat.
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) ist Profeßschwester der Genossenschaft der Frauen vom Heiligsten Herzen Jesu (Sacre coeur). Sie ist Eigentümerin von ca. 68 ha landwirtschaftlich genutzten Grundstücken. Diese Grundstücke sind verpachtet. Der Reinertrag hat im Veranlagungszeitraum II/1948 913 DM und im Veranlagungszeitraum 1949 5.719 DM betragen. Außerdem hat die Bfin. aus familienrechtlichen Gründen eine Jahresrente von 3.000 DM. Das Finanzamt hat diese Bezüge als Einkünfte der Bfin. angesehen und die Bfin. zur Einkommensteuer und zum Notopfer Berlin herangezogen. Dagegen wendet sich die Bfin. Sie macht geltend, daß sie Einkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes nicht habe. Durch die Ablegung des Gelübdes der Armut habe sie auf die Nutzung und Verwaltung ihres Vermögens zugunsten des Ordens verzichtet. Dieser Verzicht habe auch bürgerlich-rechtliche Wirkungen. Die Bfin. sei grundsätzlich vermögensfähig und daher, soweit ein Vermögen vorhanden sei, zur Vermögensteuer heranzuziehen. Sie beziehe aber keine Einkünfte. Diese Einkünfte stünden vielmehr dem Orden zu, und zwar als ursprüngliches Einkommen, nicht als verwendetes Einkommen der Ordensangehörigen. Dies ergebe sich auch aus den Bestimmungen des Kirchenrechtes und den Konstitutionen ihrer Ordensgenossenschaft.
Die Sprungberufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht vertritt den Standpunkt, daß die Bfin. unstreitig Eigentümerin der landwirtschaftlichen Grundstücke sei, und daß ihr die Rente persönlich zustehe. Daraus ergebe sich die Folge, daß die entsprechenden Erträge ihr als Einkünfte zuzurechnen seien, es sei denn, daß sie hierüber mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung von vornherein verfügt habe. Eine solche Verfügung liege jedoch nicht vor. In Betracht komme ein Nießbrauch. Die Bfin. behaupte selbst nicht, daß ein derartiges Recht in bürgerlich-rechtlicher Form vereinbart worden sei. Sie stütze sich vielmehr ausschließlich auf kirchenrechtliche Bestimmungen. Das einfache Gelübde der Armut betreffe lediglich das Verhältnis des Ordensangehörigen zu seiner Gesellschaft. Aus den Ordenskonstitutionen könnten bürgerlich-rechtliche Folgerungen nicht gezogen werden. Es handle sich lediglich um eine kanonische Verpflichtung über künftige Vermögensvorteile, die nach bürgerlichem Recht unwirksam sei. Ferner verweise die Bfin. auf die tatsächlichen Verhältnisse, die eine Verfügungsmacht ausschlössen. Die Vorschrift des § 5 Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) könne nicht Platz greifen, weil keine Willenserklärung abgegeben worden sei, die auf eine bürgerlich-rechtliche Beziehung gerichtet sei. Auch aus der Tatsache, daß die Bfin. die Erträge nicht in ihre Hand bekommen habe, könne nichts zu ihren Gunsten abgeleitet werden. Für die Besteuerung des Einkommens sei es ohne Bedeutung, ob ein Steuerpflichtiger (Stpfl.) die freie Befugnis über sein Einkommen besitze; die Einkünfte seien im Sinne des § 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch dann zugeflossen, wenn für den Stpfl. an einen Dritten gezahlt werde. Im vorliegenden Falle seien die Einkünfte der Bfin. zugeflossen, sobald die Generalökonomin des Ordens die Beträge erhalten habe. überlasse die Bfin. die Einkünfte ihrer Ordensgenossenschaft, so sei dies eine Einkommensverwendung, die nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechtes unbeachtlich sei.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird Aufhebung der Vorentscheidung und Freistellung der Bfin. von der Einkommensteuer und vom Notopfer Berlin beantragt. Eventuell wird beantragt, von den dem Orden überlassenen Bezügen den Höchstbetrag nach § 10 Abs. 1 Ziff. 2 e EStG 1949 als Sonderausgaben zum Abzug zuzulassen. Es sei anerkannten Rechts, daß der Nießbraucher Stpfl. im Sinne des Einkommensteuergesetzes sei, und daß der Besteller des Nießbrauches aus der Steuerpflicht ausscheide. Ob die zur Bestellung des Nießbrauches erforderlichen bürgerlich-rechtlichen Formen beachtet seien, spiele für das Steuerrecht keine Rolle. Entscheidend sei die tatsächliche übung (ß 5 StAnpG). Das Gelübde der Armut - möge es auch in erster Linie Wirkungen auf dem Gebiete des Kirchenrechtes haben - und die aus ihm folgenden rechtlichen Bindungen könnten für das Zivilrecht nicht unbeachtet bleiben. Praktisch stehe nach den Konstitutionen der Gesellschaft das Verwaltungs- und Nutznießungsrecht des Schwesternvermögens zu. Die Bfin. habe den Forderungen der Konstitutionen zugestimmt; damit sei auch eine zivilrechtliche Bindung begründet worden. Nach bürgerlichem Recht sei neben der ausdrücklichen Abgabe einer Willenserklärung auch die Willensbetätigung durch schlüssige Handlungen möglich und beachtlich. Die katholische Kirche vertrete in Fällen der vorliegenden Art den Standpunkt, daß ein Nutznießungsrecht des Ordens gegeben sei. Die Schuldner der Pacht und der Leibrente respektieren diesen Nutzungsvertrag. Es sei nicht notwendig, daß unter diesen Umständen die Bfin. das Nießbrauchsrecht noch in bürgerlich-rechtlicher Form vereinbare. Der Nießbrauch, den die Beteiligten als gegeben betrachteten und den sie in der Praxis durchgeführt hätten, müsse auch von den Steuerbehörden beachtet werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Die Genossenschaft der Frauen vom Heiligsten Herzen Jesu ist eine Kongregation, in der nur einfache Gelübde abgelegt werden (zu vgl. Eichmann, Kirchenrecht 4. Aufl., Bd. I § 85 Ziff. 3 B auf S. 312). Die kirchenrechtlichen Bestimmungen, die besagen, was mit dem Vermögen von Personen geschieht, die in die Genossenschaft der Frauen vom Heiligsten Herzen Jesu eintreten, sind teils im Codex Juris Canonici, teils in den Konstitutionen der Genossenschaft enthalten. Sie lauten:
Can. 569 des Codex juris Canonici § 1 "Ante professionem votorum simplicium sive temporariorum sive perpetuorum novitius debet, ad totum tempus quo simplicibus votis adstringetur, bonorum suorum administrationem cedere cui maluerit et, nisi constitutiones aliud ferant, de eorundem usu et usufructu libere disponere".
§ 3 "Novitius in Congregatione religiosa ante professionem votorum temporariorum testamentum de bonis praesentibus vel forte obventuris libere condat."
Can. 580 a. a. O. § 1 "Quilibet professus a votis simplicibus, sive perpetuis sive temporariis, nisi aliud in constitutionibus cautum sit, conservat proprietatem bonorum suorum et capacitatem alia bona acquirendi, salvis quae in can. 569 praescripta sunt."
Die Konstitutionen der Genossenschaft (kurze Zusammenfassung) Art. XIX:
"Die Ordensfrauen behalten ihr bewegliches und unbewegliches Vermögen als Eigentum, aber sie dürfen schon von ihrem Eintritt an nicht mehr frei darüber verfügen."
Dekrete 1. Teil, Kap. II, Art. 3: "Pensionen und andere Geldzuwendungen, die unsere Ordensfrauen erhalten, müssen ganz an die Ordenskasse abgegeben werden, und die Einzelnen dürfen weder deren Verwendung bestimmen noch darüber Rechenschaft fordern."
Dekrete 2. Teil, Kap. 11: "Im Augenblick der Profession muß der Verzicht der Ordensfrauen auf jegliches Nutznießungs- und Verfügungsrecht absolut und definitiv sein. Danach geht die ganze Vermögensverwaltung auf die Generalökonomin über, die an ihrer Stelle die notwendigen Verhandlungen führen wird. Der Empfang von Renten aus Grundbesitz, die Verfügung darüber zugunsten der Familie oder des Ordens, Verhandlungen mit dem Notar, Geldanlage auf einer Bank: All dies ist mit dem Gelübde der Armut nach der Profession unvereinbar."
Die Bfin. ist nach den kirchenrechtlichen Bestimmungen Eigentümerin des bei ihrem Eintritt in die Genossenschaft vorhandenen Vermögens geblieben. Sie hat aber die Nutznießung und Verwaltung ihres Vermögens der Ordensgenossenschaft übertragen.
Es ist richtig, daß die kirchenrechtlichen Vorschriften lediglich das Verhältnis des Ordensangehörigen zu seiner Ordensgenossenschaft regeln. Es ist auch richtig, daß durch die Profess ein Nießbrauch an den Grundstücken und an der Leibrente der Bfin. im Sinne des BGB nicht begründet worden ist. Zur zivilrechtlichen Begründung eines solchen Nießbrauches wäre eine Beachtung der Formvorschriften der §§ 311, 873 ff. BGB erforderlich gewesen. Die zivilrechtliche Betrachtungsweise ist jedoch für das Steuerrecht nicht entscheidend. Nach § 5 Abs. 3 StAnpG ist die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes wegen Formmangels für die Besteuerung insoweit und so lange ohne Bedeutung, als die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäftes eintreten und bestehen lassen. Die Verwaltung und Nutznießung des Vermögens der Bfin. ist in den hier in Frage kommenden Veranlagungsabschnitten tatsächlich vom Orden ausgeübt worden. Die Schuldner der Pacht und der Leibrente haben die Verwaltung und Nutznießung der Ordensgenossenschaft anerkannt. Die Auffassung der Bfin., daß der Nießbrauch, den die Beteiligten als gegeben betrachten und den sie in der Praxis durchgeführt haben, auch steuerrechtlich anerkannt werden muß, ist zutreffend.
Rechtsirrig ist die Auffassung des Finanzgerichts, daß ein Rechtsgeschäft zwischen der Bfin. und ihrer Ordensgenossenschaft nicht beabsichtigt gewesen sei, und daß keine Willenserklärung abgegeben worden sei, die auf bürgerlich-rechtliche Wirkungen gerichtet gewesen wäre. Desgleichen kann der Auffassung des Finanzgerichts nicht gefolgt werden, daß es sich bei der übertragung der Verwaltung und Nutznießung des Vermögens an den Orden bei der Bfin. um eine kanonische Verpflichtung über künftige Vermögensvorteile gehandelt habe, die nach bürgerlichem Recht unwirksam sei (ß 310 BGB). Die Bfin. war bei Ablegung der Profess Eigentümerin des landwirtschaftlichen Vermögens und Bezugsberechtigte der Leibrente. Wenn sie im Anschluß an den Eintritt in den Orden die Verwaltung und Nutznießung dieses Vermögens dem Orden übertrug, so hat sie nicht über künftiges Vermögen, sondern über ihr gegenwärtiges Vermögen einen Vertrag abgeschlossen.
Wie die Bfin. mit Recht ausführt, können aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 347/50 S vom 9. Februar 1951 (Bundessteuerblatt - BStBl. - 1951 III S. 73, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen - Bay. FMBl. - 1951 S. 157) für den vorliegenden Fall Schlüsse nicht gezogen werden, weil es sich bei diesem Urteil um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit handelt, die durch eigene Tätigkeit eines Ordensangehörigen außerhalb des Ordens erworben wurden. Man kann nicht aus dem Gelübde der Armut auf eine "Verwaltung und Nutznießung" am Arbeitslohn schließen. Dagegen ist eine Verwaltung und Nutznießung an landwirtschaftlichem Vermögen und einer Leibrente möglich und im vorliegenden Falle gegeben. Die Einkünfte der Bfin. aus Vermietung und Verpachtung des Grundbesitzes und aus der Leibrente sind nicht ihr, sondern der Ordensgenossenschaft zuzurechnen (ß 2 Abs. 1 EStG, § 5 Abs. 3 StAnpG). Der Rb. war danach stattzugeben. Die Bfin. war von der Einkommensteuer II/1948 und 1949 sowie vom Notopfer Berlin freizustellen.
Auf den Eventualantrag der Bfin., von den dem Orden überlassenen Bezügen als Sonderausgaben den Höchstbetrag nach § 10 Abs. 1 Ziff. 2 e EStG 1949 zuzulassen, braucht nicht mehr eingegangen zu werden.
Fundstellen
Haufe-Index 407625 |
BStBl III 1953, 118 |
BFHE 1954, 296 |
BFHE 57, 276 |