Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsrecht Sonstiges Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
die gesetzliche Regelung der eingeschränkten Zusammenveranlagung von Ehegatten in §§ 26c und 26d EStG 1957 verletzt kein Grundrecht und ist rechtsgültig.
Normenkette
GG Art. 3, 6; EStG §§ 26c, 26d
Tatbestand
Der beschwerdeführende Ehemann hatte im Jahre 1955 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 8.372 DM; ferner hatte er sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Ziff. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1955 (Rente aus der Angestelltenversicherung) von 148 DM; weiter hatten er und seine Ehefrau zusammen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von insgesamt 570 DM. Die Eheleute wurden nach § 26b EStG 1957 zusammen veranlagt. Im Einspruchsverfahren beantragten sie die eingeschränkte Zusammenveranlagung nach § 26d EStG 1957 in der Form, daß die Einkünfte des Ehemannes aus nichtselbständiger Arbeit aus der Veranlagung ausschieden und gemäß § 32b EStG 1957 nach Steuerklasse II besteuert würden; mit den übrigen Einkünften wollten sie zusammen veranlagt und nach Steuerklasse I besteuert werden. Sie halten, soweit § 26d EStG dem Antrag entgegensteht, die Vorschrift für verfassungswidrig, weil die unterschiedliche Behandlung der Einkünfte von Mann und Frau mit Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) unvereinbar sei. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Nach seiner Auffassung widerspricht die von den Ehegatten beantragte Form der eingeschränkten Veranlagung den §§ 26d, 32b EStG 1957. Die im Gesetz getroffene Regelung verstoße nicht gegen Art. 3 GG. Der vorsorglich gestellte Antrag der Eheleute, im Sinne eines vollständigen Splitting besteuert zu werden, findet nach Auffassung des Finanzgerichts im EStG 1957 keine Stütze.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wenden sich die Eheleute vor allem gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 26d EStG 1957.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Nach § 26d Abs. 1 EStG 1957 scheiden für die Veranlagungszeiträume 1955 bis 1957 Einkünfte der Ehefrau aus selbständiger Arbeit und aus nichtselbständiger Arbeit in einem dem Ehemann fremden Betrieb bei der Zusammenveranlagung aus. Auf Antrag scheiden statt dessen die entsprechenden Einkünfte des Ehemanns aus, wenn diese niedriger sind. Nach § 32b Abs. 1 EStG 1957 fällt ein Ehegatte mit den Einkünften, die nach § 26d EStG aus der Zusammenveranlagung ausscheiden, in die Steuerklasse I. Gemäß § 32b Abs. 2 EStG 1957 wird für die Veranlagungszeiträume 1955 bis 1957 auf Antrag der Ehegatten derjenige, der nach Abs. 1 in die Steuerklasse I fällt, mit den in Abs. 1 bezeichneten Einkünften nach der Steuerklasse, die nach § 32 EStG maßgebend ist, besteuert; in diesem Fall werden die Ehegatten mit allen anderen Einkünften nach Steuerklasse I besteuert.
Zutreffend hat das Finanzgericht ausgeführt, daß die von den beschwerdeführenden Eheleuten gewünschte Form der Besteuerung mit den §§ 26d Abs. 1, 32b EStG 1957 unvereinbar ist. Die Ehefrau hat nicht, wie § 26d Abs. 1 EStG 1957 voraussetzt, Einkünfte aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit gehabt; solche Einkünfte hat nur der Ehemann erzielt. Damit entfällt die Anwendbarkeit der Vorschrift.
Die Rüge, § 26d EStG 1957 sei wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 GG) nichtig, greift nicht durch. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführer (Bf.), wenn die Vorschrift wirklich nichtig wäre, die von ihnen erstrebte Form der Veranlagung erreichen könnten. Das Finanzgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß dann die die Einkünfte der Ehefrau begünstigende Vorschrift des § 26d EStG 1957 ersatzlos wegfallen würde. Wenn nicht der Gesetzgeber eingriffe und eine gesetzliche Regelung im Sinne der Bf. träfe, würde die Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften vorzunehmen sein. In diesem Fall müßte grundsätzlich jeder Ehegatte mit seinen eigenen Einkünften besteuert werden (ß 26a EStG 1957). Auf Antrag könnte statt dessen eine Zusammenveranlagung der Eheleute vorgenommen werden, die aber alle Einkünfte zu erfassen hätte (ß 26b EStG 1957). Der Gesetzgeber würde nicht gegen die Verfassung verstoßen, wenn er nach Nichtigerklärung des § 26d EStG 1957 keine Neuregelung im Sinne der Bf. treffen, sondern sie auf die allgemeinen Vorschriften verweisen würde. Unter diesem Gesichtspunkt ist zweifelhaft, ob die Bf. mit der von ihnen erstrebten Nichtigerklärung des § 26d EStG 1957 ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgen.
Einer abschließenden Prüfung dieser Frage bedarf es indessen nicht, weil § 26d EStG 1957 entgegen der Auffassung der Bf. den Art. 3 GG nicht verletzt. Der Senat braucht im Streitfall nur zu prüfen, ob § 26d EStG 1957, der durch das Gesetz zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl 1957 I S. 848, BStBl 1957 I S. 352) in das EStG eingeführt wurde, das GG verletzt.
Den §§ 26c und 26d EStG 1957 entsprechende Vorschriften waren bereits vorhanden, bevor der Gesetzgeber auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 6 S. 55 ff., BStBl 1957 I S. 193 ff.) betreffend die Nichtigkeit des § 26 EStG 1951 die Einkommensbesteuerung der Ehegatten für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1957 in dem erwähnten Gesetz vom 26. Juli 1957 neu regelte. Dem § 26c EStG 1957, der die eingeschränkte Zusammenveranlagung von Ehegatten für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1954 behandelt, entsprach § 43 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1949 (und später). § 26d EStG 1957, der die Veranlagungszeiträume 1955 bis 1957 betrifft, hatte sein Vorbild in § 26 Abs. 3 und 4 EStG 1955, wodurch mit Wirkung ab 1. Januar 1955 der Grundsatz der Zusammenveranlagung von Ehegatten mit allen Einkünften (ß 26 Abs. 1 EStG 1955) wesentlich eingeschränkt worden war. Die §§ 26c und 26d EStG 1957 betrachtet das Gesetz, wie auch in der überschrift hervorgehoben wird, als Sondervorschriften, die die sonst maßgebenden Grundsätze der getrennten Veranlagung (ß 26a EStG 1957) und der Zusammenveranlagung (ß 26b EStG 1957), die sich beide auf alle Einkünfte der Ehegatten erstreckten, durchbrechen. Der Zweck der beiden Sondervorschriften ist, den Ehegatten günstige Regelungen, die das bisherige Gesetz kannte, auch bei der Neuregelung der Ehegattenbesteuerung aufrechtzuerhalten, obgleich nach dem erwähnten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 die Einkommensbesteuerung der Ehegatten auf eine ganz andere Grundlage gestellt werden mußte. § 26d EStG 1957 wirkt infolge der Milderung der Tarifprogression als Begünstigung der Ehegatten. Hat eine Ehefrau Einkünfte im Sinne des § 26d EStG 1957, so haben die Ehegatten ein erweitertes Wahlrecht; sie können grundsätzlich wie alle Ehegatten getrennt veranlagt werden (ß 26a EStG 1957); sie können statt dessen die Zusammenveranlagung mit allen Einkünften beantragen (ß 26b EStG 1957); sie können aber auch die eingeschränkte Zusammenveranlagung nach § 26d EStG 1957 verlangen. Das Wahlrecht führt dazu, daß die jeweils steuerlich günstigste Form bei der Veranlagung angewendet wird.
Die Bf. meinen, § 26 Abs. 3 und 4 EStG 1955, der das Vorbild für § 26d EStG 1957 war, sei mit Art. 3 GG unvereinbar gewesen. Der Senat braucht zu dieser Frage für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht Stellung zu nehmen. Es kann in der Tat zweifelhaft sein, ob die Durchführungsbestimmung des § 43 EStDV 1949/1953 eine einwandfreie Rechtsgrundlage im EStG hatte und ob es mit Art. 3 GG vereinbar war, nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von Ehefrauen aus einem dem Ehemann fremden Betrieb aus der Zusammenveranlagung auszunehmen. In der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 394/52 U vom 10. April 1953 (BStBl 1956 III S. 299, Slg. Bd. 63 S. 263) ist zwar diese Frage bejaht worden, insbesondere unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Sonderregelung als einer Kriegsmaßnahme, die zum Arbeitseinsatz der Ehefrauen anreizen sollte. Ob aber unter den veränderten Verhältnissen der Nachkriegszeit die Ausnahmevorschrift in dieser Form aufrechterhalten werden durfte, ist jedenfalls zweifelhaft. Littmann (Einkommensteuerrecht, 6. Aufl. 1959, Anm. 5 zu § 29b EStG 1957) bejaht die Verfassungsmäßigkeit der früheren Regelung mit der Erwägung, daß die eingeschränkte Veranlagung sich wegen der Tarifmilderung als steuerlichen Vorteil für beide Ehegatten auswirke und daß der Gesetzgeber nicht auf Grund des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 GG) gezwungen gewesen sei, den Vorteil noch dadurch zu erweitern, daß er die gleiche steuerliche Vergünstigung für Arbeitseinkünfte des Ehemanns aus einem der Ehefrau fremden Betrieb einführte. Dieser Erwägung, die auch in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 394/52 U a. a. O. angeführt wird, kommt ein gewisses Gewicht zu. Selbst wenn man aber § 43 EStDV 1949/1953 für verfassungswidrig halten wollte, so ergäbe sich daraus nicht, daß auch § 26 Abs. 3 und 4 EStG 1955 verfassungswidrig wären. Denn die Begründung und die Auswirkungen des § 26 Abs. 3 und 4 EStG 1955 waren anders als bei § 43 EStDV und es liegt keineswegs auf der Hand, daß der Gesetzgeber bei der Abgrenzung der begünstigten Personen und der begünstigten Einkünfte in § 26 Abs. 3 und 4 EStG 1955 durch sachlich ungerechtfertigte und willkürlich verschiedene Behandlung gleicher Verhältnisse den Art. 3 GG verletzt hat.
Der Senat braucht aber, wie erwähnt, diese Fragen im Streitfall nicht zu entscheiden. Denn der Gesetzgeber hat § 43 EStDV 1949/1953 und § 26 Abs. 3 und 4 1955 aufgehoben und rückwirkend durch §§ 26 ff. EStG 1957 ersetzt. Diese neuen Vorschriften sind im Streitfall die gesetzliche Grundlage für die Besteuerung der Bf.; nur ihre Verfassungsmäßigkeit kann deshalb auch Gegenstand dieses Verfahrens sein. Mit Recht hat aber, so betrachtet, das Finanzgericht auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hingewiesen, die sich mehrfach mit der Verfassungsmäßigkeit von Bestimmungen des Gesetzes vom 26. Juli 1957 befaßt und dabei den übergangscharakter dieses Gesetzes betont hat (vgl. z. B. die Urteile des Bundesfinanzhofs VI 33/56 U vom 31. Oktober 1957, BStBl 1957 III S. 433, Slg. Bd. 65 S. 520, und VI 90/58 U vom 8. August 1958, BStBl 1958 III S. 418, Slg. Bd. 67 S. 375). Unter diesem Gesichtspunkt kann auch § 26d EStG 1957 nicht als Ergebnis unsachlicher Willkür des Gesetzgebers bezeichnet werden. Selbst wenn § 26 Abs. 3 und 4 EStG 1955 wegen Verletzung des Art. 3 GG verfassungswidrig gewesen sein sollte, war der Gesetzgeber nicht gehindert, bei der Neuregelung der Ehegattenbesteuerung zugunsten der Ehegatten zu berücksichtigen, daß die Regelung bestanden hatte und in der Praxis in allen Fällen angewendet worden war. Der Gesetzgeber hätte die aus Art. 6 GG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluß vom 17. Januar 1957 dadurch ausräumen können, daß er für alle offenen Fälle die getrennte Veranlagung der Ehegatten mit ihren eigenen Einkünften unter Anwendung der Steuerklasse I vorschrieb. Gegen eine solche Regelung hätten sich aber unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, der Gerechtigkeit und der Billigkeit manche rechtsstaatliche Bedenken erheben lassen. Jedenfalls wären dabei viele Ehegatten, auch die Bf., schlechter gefahren als bei Anwendung des bisherigen Rechts. Der Gesetzgeber war, nachdem der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts im Laufe des Jahres 1957 auf Jahre zurück die Rechtsgrundlage für die Besteuerung von Ehegatten beseitigt hatte, in einer besonders schwierigen Lage (vgl. Urteil des Senats VI 164/58 U vom 19. September 1958, BStBl 1958 III S. 442, Slg. Bd. 67 S. 442). Er mußte unter Berücksichtigung verschiedener, zum Teil sich überschneidender verfassungsrechtlicher Grundsätze eine Neuregelung treffen, bei der auch unbillige Härten möglichst vermieden werden mußten. Dem Gesetzgeber erschien es unter diesem Gesichtspunkt offenbar zweckmäßig, zugunsten der Eheleute die eingeschränkte Zusammenveranlagung des § 26 Abs. 3 und 4 EStG 1955 für die übergangszeit in das EStG 1957 zu übernehmen. Diese Entscheidung ist steuerpolitischer Art, so daß zu ihrer Prüfung die Steuergerichte nicht berufen sind (vgl. Urteile des Senats VI 20/58 U vom 28. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 196, Slg. Bd. 66 S. 512). Wenn der Gesetzgeber bei der Anpassungsregelung des § 26d EStG 1957 nicht über die bisherige Begünstigung hinausging, indem er auch bestimmte Einkünfte des Ehemanns aus der Zusammenveranlagung ausnahm, so war das nicht unsachliche Willkür. Werden steuerliche Bestimmungen vom Bundesverfassungsgericht rückwirkend für nichtig erklärt, so sind übergangs- und Anpassungsregelungen unvermeidlich, wie das Bundesverfassungsgericht im Urteil 2 BvF 1/57 vom 24. Juni 1958 betreffend Nichtigkeit des § 10b EStG 1955/1957 hinsichtlich der Spenden an politische Parteien anerkannt hat (BStBl 1958 I S. 403 ff.). Bei einer solchen übergangsregelung muß dem Gesetzgeber ein besonders weiter Spielraum für sein Ermessen gegeben werden, wenn die durch eine rückwirkende Nichtigerklärung steuerlicher Vorschriften stets entstehende Rechtsunsicherheit nicht noch vergrößert werden soll. Im Streitfall hat der Gesetzgeber bei der Ausübung seines Ermessens jedenfalls keine verfassungsrechtlichen Grundrechte der Steuerpflichtigen verletzt. Es muß auch beachtet werden, daß im Gesetz zur änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag auf dem Gebiet des Verfahrensrechts vom 18. Juli 1958 (BGBl 1958 I S. 473, BStBl 1958 I S. 412) mit Wirkung ab 1. Januar 1958 so schnell wie möglich die endgültige Besteuerung von Ehegatten auf eine verfassungsrechtlich in jeder Hinsicht einwandfreie Grundlage gestellt worden ist.
Der Hilfsantrag der Bf., nach dem Splittingsystem besteuert zu werden, findet im EStG 1957 keine Grundlage, wie in der Entscheidung des Senats VI 164/58 U vom 19. September 1958 a. a. O. dargelegt ist.
Fundstellen
Haufe-Index 409341 |
BStBl III 1959, 218 |
BFHE 1959, 570 |
BFHE 68, 570 |