Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Unterbrechung der doppelten Haushaltsführung durch Besuch der Ehefrau
Leitsatz (NV)
Hat die Ehefrau eines ausländischen Arbeitnehmers, die sonst mit den fünf Kindern in der Heimat lebt, zusammen mit dem jüngsten Kind für neun Monate in einer 40 qm großen Wohnung bei ihrem Mann in Deutschland gewohnt, so kann es sich dabei noch um einen Besuch handeln, der die beruflich begründete doppelte Haushaltsführung des Mannes nicht unterbricht. Ob die Annahme, der ausländische Familienhaushalt sei während dieser Zeit aufrechterhalten worden, zutrifft, hängt von der tatrichterlichen Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ab.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Nr. 5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als türkischer Staatsangehöriger seit langem in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) tätig. Er ist seit . . . verheiratet; seine Ehefrau und die fünf Kinder leben in der Türkei. Die Ehefrau des Klägers hat sich zusammen mit der am . . . 1975 geborenen Tochter T in der Zeit vom 30. Juli 1977 bis 24. März 1978 in X aufgehalten. In ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 25. Oktober 1977 hat die Ehefrau erklärt: ,,Ich bin in Deutschland, weil meine Familie in X ist". Die Ehefrau war zuletzt in Besitz einer ausländerbehördlichen Erfassung, die bis zum 12. April 1978 gültig war. Für das Kalenderjahr 1977 haben der Kläger und seine Ehefrau die Durchführung eines gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleichs beantragt.
Für das Streitjahr 1984 begehrte der Kläger, im Rahmen des Lohnsteuer-Jahresausgleichs Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten zum Abzug zuzulassen. Dies wurde vom Beklagten und Revisionkläger (Finanzamt - FA -) abgelehnt. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte u. a. aus:
Der Kläger habe mit seiner Einreise in die Bundesrepublik eine beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung begründet. Diese sei durch den Besuch seiner Ehefrau und der Tochter T in der Zeit vom 30. Juli 1977 bis 24. März 1978 nicht unterbrochen worden, da durch deren Aufenthalt in der Bundesrepublik kein ausschließlicher Familienwohnsitz begründet worden sei. Aufgrund der ergänzenden schriftlichen Ausführungen des Klägers sowie der schriftlichen Bestätigung des türkischen Gemeindevorstehers sei davon auszugehen, daß von vornherein nur ein Besuch der Ehefrau von begrenzter Dauer vorgesehen gewesen sei. Das ergäbe sich daraus, daß die Familienwohnung in der Türkei nicht aufgegeben worden sei. Nach den schriftlichen Ausführungen des Klägers seien die 1962 und 1968 geborenen ehelichen Kinder in der Wohnung des Klägers von seiner Mutter versorgt worden. Insoweit sei mithin von einem kleinen Teil der Familie des Klägers das hauswirtschaftliche Leben in der Türkei aufrechterhalten worden. Die Ehefrau habe offensichtlich bereits bei ihrer Abreise vom Familienwohnsitz in der Türkei geplant, nach längerer, jedoch absehbarer Zeit dorthin zurückzukehren. Diese Rückkehr sei im März 1978 tatsächlich auch erfolgt.
Allein aus der Dauer ihrer Abwesenheit könne nicht geschlossen werden, daß in dieser Zeit kein Familienhaushalt in der Türkei mehr bestanden habe. Das Gericht folge insoweit nicht dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF)vom 26. November 1981, wonach ein Inlandsaufenthalt des Ehepartners von mehr als sechs Monaten einen Rückschluß darauf zulasse, daß im Heimatland kein Haushalt mehr bestehe.
An diesem Ergebnis ändere sich auch dadurch nichts, daß der Kläger im Jahre 1977 zusammen mit seiner Ehefrau nach der Splitting-Tabelle veranlagt worden sei und die Ehefrau beim Polizeipräsidenten in X in ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis angegeben habe, daß kein ständiger Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik beibehalten werde. Entsprechend dem gesamten Akteninhalt sei davon auszugehen, daß die Ehefrau offensichtlich über keinerlei Deutschkenntnisse verfügt habe und im übrigen als Unterschrift lediglich drei Kreuze habe machen können. Unter diesen Umständen sei das Gericht davon überzeugt, daß sich der Ehefrau des Klägers der Inhalt der von ihr unterschriebenen Formulare nicht einmal ansatzweise erschlossen habe. Die Angaben in dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis halte der Senat schon deshalb nicht für entscheidungserheblich, weil aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt sei, daß die Aufenthaltserlaubnis bei längeren besuchsweisen Aufenthalten von Ausländern nur deshalb beantragt werde, um einen weiteren Aufenthalt über die erlaubnisfreie Zeit von drei Monaten hinaus zu ermöglichen.
Das FA begehrt mit seiner Revision die Aufhebung der Vorentscheidung und die Abweisung der Klage. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus:
Das FG habe verkannt, daß Eheleute, die unter Beibehaltung ihrer früheren Familienwohnung am Beschäftigungsort eine gemeinsame Wohnung unterhielten, dort ihren Lebensmittelpunkt hätten und folglich dort ihre (neue) Familienwohnung begründeten. Das gelte auch dann, wenn in der früheren Familienwohnung noch Angehörige, wie z. B. Kinder lebten. Die Ehefrau habe im Streitfall bei Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung angegeben, daß sie nach Deutschland komme, weil die Familie in X sei, daß der Aufenthalt von unbestimmter Dauer sein solle und daß kein ständiger Wohnort außerhalb der Bundesrepublik beibehalten werde. Das FG habe dazu festgestellt, daß die Ehefrau offenbar über keinerlei Deutschkenntnisse verfügt habe. Ungeklärt sei aber die Frage, wer den vorgenannten Antrag handschriftlich ausgefüllt und die entscheidenden Fragen in Deutsch beantwortet habe. Nach dem Schriftbild sei dies offensichtlich kein Bediensteter der zuständigen Behörde gewesen. Dem betreffenden Vordruck - mit Fragen auch in türkischer Sprache - sei zu entnehmen, daß der Antrag in seinen wesentlichen Teilen von einer wohl nicht vorrangig deutsch schreibenden Person ausgefüllt und nur zu einem geringen Teil von einem Bediensteten der Behörde vervollständigt / berichtigt worden sei. Hätte das FG bei der Behörde nachgefragt, hätte es erfahren, daß man bei Zuzug eines ausländischen Ehegatten ohne hinreichende Deutschkenntnisse regelmäßig auf die Unterstützung durch den anderen Ehegatten (wenn dieser der deutschen Sprache mächtig ist) oder eine andere Vertrauensperson derselben Nationalität bei Ausfüllung des betreffenden Antrags achte. Habe - was naheliegend sei - der Kläger im Streitfall seine Ehefrau bei Stellung des Antrags unterstützt, so sei beiden der Inhalt der Fragen durchaus klar gewesen, und es sei ihnen dann ein erheblicher Wahrheitswert zuzumessen. Davon sei auch auszugehen, wenn eine andere türkische Vertrauensperson mit hinreichenden Deutschkenntnissen die Ehefrau beraten habe. Bezüglich der Angaben der Ehefrau sei daher eine unzulängliche Sachaufklärung sowie der Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze zu rügen. Aus der Bescheinigung des zuständigen Gemeindevorstehers aus 1987 sei entgegen der Ansicht des FG keine Aussage in der Hinsicht zu entnehmen, daß der Besuch der Ehefrau des Klägers nur von begrenzter Dauer vorgesehen gewesen sei. Das FG hätte auch die Frage aufklären müssen, weshalb sich der Gemeindevorsteher nach etwa 10 Jahren an solche Umstände noch habe erinnern können. Entscheidend sei allein die Angabe der Ehefrau, daß sie beabsichtige, auf unbestimmte Dauer zu ihrem Ehemann zu ziehen. In einem solchen Fall käme es von vornherein nicht auf die späte Dauer des tatsächlichen Aufenthalts der Ehefrau an. Die vom FG getroffene Feststellung, die Ehefrau habe sich im Inland nur besuchsweise aufgehalten, werde mithin von der entsprechenden Begründung nicht getragen. Das Urteil sei daher auf Feststellungen gestützt, die ohne hinreichende Ausschöpfung der in Betracht kommenden Beweismittel getroffen worden seien, obwohl sich dem Gericht die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat den Sachverhalt ohne Rechtsverstoß dahin würdigen können, daß die beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung des Klägers nicht in der Zeit vom 30. Juli 1977 bis 24. März 1978 beendet und danach aus privaten Gründen wieder neu begründet worden ist. Die Vorentscheidung entspricht den Rechtsgrundsätzen, die der Senat insbesondere im Urteil vom 19. November 1989 VI R 27/86 (BFHE 159, 142, BStBl II 1990, 308) dargelegt hat.
Die Entscheidung der im Streitfall erheblichen Frage, ob der rund neunmonatige Aufenthalt der Ehefrau des Klägers als Besuch zu werten ist und ob während dieser Zeit der Familienhaushalt am bisherigen Wohnort aufrechterhalten worden ist, hängt von der tatrichterlichen Würdigung aller Umstände des Einzelfalles ab. Ist die Gesamtwürdigung verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt, so ist sie für das Revisionsgericht bindend, auch wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich ist.
Im Streitfall greifen die Einwendungen des FA gegen die tatrichterliche Würdigung durch die Vorinstanz nicht durch. Die Angaben der Ehefrau des Klägers in ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung vom 25. Oktober 1977 standen der Annahme nicht entgegen, der Familienhaushalt in der Türkei sei beibehalten worden. Diese Angaben mußten das FG nicht zu dem Schluß zwingen, die Entscheidung, in die Bundesrepublik umzuziehen, sei schon endgültig gefallen gewesen. Das FG hat verfahrensfehlerfrei u. a. auch darauf abgestellt, ihm sei aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt, daß die Aufenthaltserlaubnis bei längeren besuchsweisen Aufenthalten von Ausländern nur deshalb beantragt werde, um einen weiteren Aufenthalt über die erlaubnisfreie Zeit von drei Monaten hinaus zu erreichen (s. auch Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. Mai 1985 VI R 63/82, BFH/NV 1985, 70). In diesem Zusammenhang konnte das FG auch als unerheblich ansehen, wer der Ehefrau des Klägers bei der Formulierung des Antrages geholfen hatte. Das FG konnte demgegenüber auch aus dem Umstand, daß der Kläger mit seiner Ehefrau in der nur 40 qm großen Wohnung gewohnt hatte, den Besuchscharakter des Aufenthaltes ableiten.
Entgegen der Auffassung des FA konnte das FG auch aus der Bescheinigung des türkischen Gemeindevorstehers folgern, daß von vornherein nur ein Besuch der Ehefrau des Klägers von begrenzter Dauer vorgesehen gewesen sei. Der Gemeindevorsteher hat bestätigt, daß die in der Türkei verbliebenen Kinder von der Mutter des Klägers versorgt worden waren. Hieraus hat das FG im Rahmen seiner Gesamtwürdigung gefolgert, daß die Familienwohnung in der Türkei nicht aufgegeben worden war. Diese Folgerung ist möglich und damit für den Senat bindend. Soweit das FA den Wahrheitsgehalt der Bescheinigung anzweifelt, kann es damit in der Revision nicht gehört werden. Diese Zweifel hätte es vor dem FG durch geeignete Beweisanträge zum Ausdruck bringen können und müssen.
Das FG mußte auch den Umstand für den Kläger nicht nachteilig bewerten, daß dieser für das Jahr 1977 die Durchführung eines gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleichs unter Anwendung der Splittingtabelle beantragt hatte. Hierbei handelt es sich lediglich um ein Indiz, welches im Rahmen der Gesamtwürdigung zu gewichten war.
Fundstellen
Haufe-Index 418353 |
BFH/NV 1992, 652 |